Diese Hände hatten sich bereits verändert, wie mir auffiel. Die Tintenflecken unter den Nägeln waren verblasst, als hätte er schon damit begonnen, die Haut seiner letzten Rolle abzuwerfen.

»Wäre diese Geschichte anders verlaufen«, fuhr Cecil fort, »hätten wir ziemlich schnell sie in denselben Kerker gebracht. Verbannt zu werden ist wirklich ein Glück, wenn man bedenkt, dass nicht wenige Köpfe rollen werden, bevor alles vorbei ist.«

Mit seinem Werben um Anteilnahme beging er einen Fehler. Ich lächelte. Mary hatte ihn nicht verschmäht. Sie hatte ihn durchschaut. Und jetzt war es für mich an der Zeit, meinen eigenen Würfel zu werfen.

»Aber nicht Euer Kopf. Dafür habt Ihr schon vorgesorgt, nicht wahr? Niemand kennt das Ausmaß Eurer Verwicklung.«

Diesmal bemerkte ich voller Zufriedenheit, wie sich die Haut um seinen Mund straffte.

»Wenn Ihr Mary nicht die Ohren mit Unsinn vollgedröhnt habt – ja«, entgegnete er.

»So tief würde ich nie sinken. So schwer es Euch auch fallen mag, Euch das vorzustellen, Ihre Majestät ist völlig unschuldig und ahnungslos, was Eure Person betrifft.«

»Ihr solltet Euch nicht von Ihrer Aura jungfräulicher Rechtschaffenheit blenden lassen. Sie ist eine Feindin unseres Glaubens, und ihre Thronbesteigung ist eine Tragödie für all jene, die dafür gekämpft haben, England zu höherem Ruhm zu führen.«

»England?«, fragte ich. »Oder nicht doch eher Cecil? Oder läuft für Euch beides auf dasselbe hinaus?«

»Ich versichere Euch, ich war bestrebt, allein Ihrer Hoheit zu dienen.«

Ohne Vorwarnung flammte mein Zorn wieder auf wie ein akutes Fieber. Lügen und noch mehr Lügen – das hörte wohl nie auf. Kein Zweifel, er würde sich bis zu seinem Grab durchschwindeln.

Schluss damit! Ich würde den gottverdammten Heuchler schon noch dazu bringen, die Wahrheit zu sagen!

»Ist das der Grund, warum Ihr Ihre Hoheit an den Hof habt kommen lassen?« Ich näherte mich seinem Stuhl. »Obwohl Ihr wusstet, dass sie damit ihr Leben aufs Spiel setzte? Ist das der Grund, warum Ihr sie nicht gewarnt habt? Weil Ihr bestrebt wart, ihr zu dienen

Die Veränderung war unverkennbar. Cecil wäre auf seinem Stuhl zurückgeprallt, hätte er die Reflexe eines normalen Menschen gehabt, der es nicht gewohnt war, seine Reaktionen in jeder Lebenslage zu beherrschen.

»Ihr vergesst, dass ich ihr sehr wohl geraten habe, darauf zu verzichten«, sagte er in gemessenem Ton. »Ich habe sie sogar mehrmals vor der Gefahr gewarnt, aber sie hörte nicht auf mich.« Er rührte sich immer noch nicht, machte keine Anstalten, alarmbereit aufzuspringen, obwohl ich so dicht vor ihm stand, dass ich ihn hätte erstechen können, bevor er dazu gekommen wäre aufzuschreien.

»Ihr habt sie nicht gewarnt. Ihr habt sie manipuliert, so wie Ihr mich gerade manipuliert habt. Ihr habt von Anfang an Euer eigenes Spiel gespielt, und zwar mit uns allen.«

Er lächelte. In der Tat, er lächelte. »Und was, wenn ich fragen darf, war der Inhalt dieses meines Spiels?«

Ich musste zurückweichen, sonst hätte ich nicht mehr an mich halten können. Jetzt endlich trat mir die ganze Wahrheit kristallklar vor Augen, als wäre das angelaufene Fensterglas vor meinem Verstand mit einem Tuch abgewischt worden.

Alles war auf noch viel schrecklichere Weise real, als ich es mir vorgestellt hatte.

»Elizabeth statt ihrer Schwester zur Königin zu küren, das war Euer Spiel. Die Zeit des Herzogs war abgelaufen. Nachdem Ihr jahrelang zugeschaut hattet, wie er die Kontrolle über Edward ausübte, wart Ihr zu dem Schluss gekommen, dass Leute vom Schlag Northumberlands und seines Clans nie wieder über England herrschen sollten. Wenn es so weit war, würden sie fallen, jeder von ihnen, ohne Ausnahme – koste es, was es wolle. Und Mary würden sie mit in den Abgrund reißen.« Ich hielt seinem starren Blick stand. »Aber dann ist etwas passiert, etwas, das Ihr nicht eingeplant hattet.«

»Ach, wirklich?« Er faltete die Hände unter dem Kinn. »Fahrt bitte fort. Ich finde das alles … faszinierend.«

»Jane Grey. Ihr hattet keine Ahnung, was der Herzog im Schilde führte, als Elizabeth am Hof eintraf, nicht wahr? Wirklich sicher wusstet Ihr nur, dass der König im Sterben lag und Northumberland die Prinzessin für sich selbst gewinnen wollte. Als dann der Herzog die Verlobung zwischen Jane Grey und seinem Sohn verkündete, hat es Euch gedämmert, wie weit er bereit war zu gehen, um seinen Griff um den Thron zu verstärken. Aber da war es zu spät, das noch zu hintertreiben. Also habt Ihr Elizabeth ins Spiel gebracht. Wenn alles nach Eurem Plan ginge, würde sie Euch dabei helfen, Euch Eures Gegners zu entledigen.«

Cecils Miene gab nichts preis.

Unwillkürlich schwoll meine Stimme an. Die nächsten Worte schleuderte ich ihm entgegen, als könnte ich ihn damit demütigen, verletzen, verstümmeln. »Northumberland stellte keine Bedrohung dar; Ihr wusstet, dass sie ihn nie erhören würde. Aber das mit Robert Dudley war eine andere Sache. Nur er hatte Ansprüche auf sie, die noch wichtiger waren als Eure eigenen. Nur er hätte Euren Einfluss auf sie beschneiden können. Und das war schlimmer als alles andere; das konntet Ihr einfach nicht ertragen.«

»Vorsicht, mein Freund«, mahnte er sanft. »Ihr könntet zu weit gehen.«

Endlich hatte ich einen Nerv getroffen. Ich sollte mich in der Tat hüten, denn wenn etwas noch gefährlicher war als seine Freundschaft, dann war das mit Sicherheit seine Feindschaft. Doch in diesem Moment kümmerte mich das nicht mehr.

»Nicht so weit, wie Ihr bereits gegangen seid. Sobald der König gestorben war, war Euch klar, dass der Herzog Euch beseitigen würde, weil Ihr zu viel wusstet. Seine Majestät hatte Euch gesagt, dass er Elizabeth als seine Erbin einsetzen wollte. Jane auf den Thron zu bringen hätte sich als verhängnisvoller Fehler erweisen können, aber es war nicht auszuschließen, dass der Herzog sich behaupten würde, dass Mary entkam oder die Verlockungen der Macht zu gewaltig waren und Elizabeth Robert am Ende doch noch erlag. Und wenn einer dieser Fälle eingetreten wäre, hättet Ihr auf der ganzen Linie verloren.«

Ich wartete. Seine blassen Augen durchbohrten mich schier.

»Ihr wart bereit, sie fallenzulassen, Euer Mäntelchen in den Wind zu hängen und vorzugeben, Ihr hättet den letztlichen Sieger schon immer unterstützt – einschließlich Mary, obwohl Ihr sie im Grunde Eures Herzens noch mehr verabscheut und fürchtet als den Herzog.«

Jetzt kam Bewegung in ihn. Er rieb mit den Fingern über die Armlehnen. »Ihr beleidigt mich. Ihr wagt es, mir zu unterstellen, ich würde meine Prinzessin betrügen?«

»Allerdings. Aber kein Mensch wird das je erfahren, richtig? Komme, was wolle, Ihr habt Eure Haut gerettet.«

Er erhob sich. Auch wenn er kein großer Mann war, schien er das Zimmer auszufüllen. »Ihr solltet Schauspieler werden. Da könntet Ihr Euren Hang zum Dramatischen vortrefflich zur Geltung bringen. Dennoch muss ich Euch warnen: Bevor Ihr in Betracht zieht, Ihre Hoheit mit dieser grotesken Geschichte zu unterhalten, bedenkt bitte, dass sie mehr fordern wird als unbegründete Beschuldigungen.«

Jäh spannten sich bei mir sämtliche Muskeln an. Ich hatte also recht, und diese Erkenntnis traf mich wie ein Fausthieb. Nie hatte ich erwartet, dass meine Entdeckung mich derart verwirren, derart schockieren könnte. Ein Teil meiner selbst hatte sich an die verzweifelte Hoffnung geklammert, dass nichts von alldem zutraf.

»Sie ist nicht dumm«, hielt ich ihm entgegen. »Mir ist vollkommen klar – und sie wird das ebenso begreifen –, dass Ihr sie und ihre Schwester in einem Morast von Lügen habt wandeln lassen, ohne sie in irgendeiner Weise auf das vorzubereiten, was über sie hereinbrechen könnte.«

Ein eigenartiges Licht flackerte in seinen Augen. Die Bereitschaft zur Gewalt, die ich kurz zu sehen bekommen hatte, war verschwunden und durch eine beunruhigende Leichtigkeit ersetzt worden. Cecil hob die Hände und klatschte, ein rhythmisches Geräusch, das von den eichenvertäfelten Wänden widerhallte. »Vortrefflich! Ihr habt meine höchsten Erwartungen übertroffen. Ihr seid wirklich all das, was ich von Euch erhofft hatte.«

Ich starrte ihn an. »Was meint Ihr damit?«

Seine Augen verrieten jetzt schonungslose Härte. »Dazu komme ich gleich. Lasst mich Euch zuerst sagen, dass Ihr die seltene Gabe habt, Intrigen zu durchschauen. Denn Ihr habt recht: Ich wünschte mir tatsächlich Marys Tod und Elizabeth auf dem Thron. Sie ist unsere letzte Hoffnung, das einzige von Henrys Kindern, das es wert ist, seine Krone zu erben. Ich mag mein Ziel nicht erreicht haben, aber die momentanen Ereignisse bewirken nur eine Verzögerung des Unvermeidbaren. Und wenn ihr Tag kommt, wird nichts – nichts – sich der Erfüllung ihres Schicksals in den Weg stellen können.«

»Nicht einmal ihr Glück?« Ein dicker Kloß bildete sich in meiner Kehle. »Nicht einmal die Liebe?«

»Vor allem nicht die Liebe.« Sein Ton war beiläufig, als spräche er von einer Farbe, die Elizabeth nie tragen dürfe. »Insbesondere das wäre verhängnisvoll für sie. Sie mag mit dem falschen Geschlecht geboren worden sein, aber in allem anderen ist sie der Prinz, nach dem ihr Vater sich sehnte. Nur sie hat seine Kraft, seinen Mut, seinen Drang, jedes Hindernis zu überwinden. Sie darf nicht der Schwäche in ihrem Blut nachgeben – eine Schwäche, die sie von ihrer Mutter geerbt hat, die ihren Launen stets nachgab. Ich werde nicht zulassen, dass sie ihre Zukunft Dudley opfert, der von seinem Ehrgeiz zerfressen ist.«

»Aber sie liebt ihn!«, rief ich. »Seit ihrer Kindheit liebt sie ihn! Ihr wisst das, und mit aller Kraft geht Ihr daran, das zu zerstören. Wer seid Ihr, dass Ihr Ihrer Hoheit Schicksal bestimmen wollt? Wer seid Ihr, dass Ihr bestimmt, für wen oder was ihr Herz schlagen darf?«