Er bedachte mich mit einem dünnen Lächeln. »Wenn Ihr damit Walsingham meint, kann ich Euch versichern, dass die Lage für einen wie ihn mit seinen festen Überzeugungen zu gefährlich geworden ist. Ich könnte mir vorstellen, dass er inzwischen auf dem Weg nach Dover ist, um dort eine Überfahrt zum Festland zu buchen. Ich hätte ihn ja begleitet, müsste ich nicht auch an das Wohlergehen meiner Familie denken.«
»Was? Rückt Euch Königin Mary zu nahe für Euer Wohlbehagen?«
Sein Lächeln flackerte nicht. »Allerdings. Mehr noch, ich wollte gerade mit meinem Boot zur Brücke fahren und dort ein Pferd für den Ritt nach Hertfordshire mieten. Das ist nicht weit entfernt vom Gut Ihrer Hoheit in Hatfield.« Er hielt inne. »Hättet Ihr nicht Lust, mich zu begleiten? Sie wird Euch nach allem, was Ihr für sie getan habt, mit Freuden empfangen, habe ich mir sagen lassen.«
Jetzt flammte mein lange unterdrückter Zorn auf. »Wagt es bloß nicht, mit mir zu spielen! Nicht nach allem, was Ihr getan habt!«
Er musterte mich, ohne irgendwie zu erkennen zu geben, dass ich ihn verwirrt hatte. »Ihr habt offenbar ein Hühnchen mit mir zu rupfen. Kommt, setzen wir uns und sprechen miteinander wie Gentlemen.« Er beugte sich über seine Tasche, als wollte er sie zur Seite schieben.
Ohne zu zögern sprang ich nach vorn und presste ihm die Spitze meines Dolchs so fest gegen die Brust, dass ich die Rippen durch das Wams spüren konnte. »An Eurer Stelle wäre ich vorsichtig. Ich brauche keinen weiteren Grund, um Euch bedauern zu lassen, dass Ihr mir über den Weg gelaufen seid.«
Er erstarrte. »Das würde ich nie bedauern. Darf wenigstens ich mich setzen? Die Gicht macht mir gelegentlich zu schaffen; das Bein bereitet mir heute Schmerzen.«
Trotz allem musste ich seine Ruhe bewundern. Ja, fast hoffte ich, ich wäre nicht zum Handeln gezwungen. Um die Wahrheit zu sagen, war ich mir gar nicht sicher, ob ich meine Drohung würde ausführen können, zumal jetzt auch noch mein anfänglich rasender Zorn allmählich verebbte und sich gut beherrschen ließ. Ich war nicht wie Cecil. Es bereitete mir keinerlei Freude, Ausflüchte, verschachtelte Pläne und einen Winkelzug nach dem anderen zu ersinnen. Doch ich war auf eine Zusammenarbeit mit ihm angewiesen, falls ich jemals den letzten Grund dafür entdecken wollte, warum wir beide uns in dieser Situation wiederfanden.
»Mir ist nicht klar, was ich getan habe, um Euch so zu kränken«, begann er, die Hände auf die Armlehnen gestützt, als spräche er mit einem Gast. »Ich bin genauso wenig ein Verräter wie alle anderen Ratgeber, die gezwungen wurden, den Herzog gegen die Königin zu unterstützen.«
Ich blickte ihm in die kühl abschätzenden Augen. »Mein Geschäft mit Euch ist rein privater Natur. Ich werde es Ihrer Majestät überlassen, jedwede Strafe zu verhängen, die ihr angemessen erscheint.«
»Ah! Dann muss ich sagen, Ihr bleibt Eurem Charakter erstaunlich treu. Ihr glaubt, dass Mary Unrecht getan wurde und dass ich dabei die Hände im Spiel hatte.«
»Würdet Ihr denn leugnen, dass Ihr dem Herzog die Information geliefert habt, die er benötigte, um sie verfolgen zu können? Oder war es purer Zufall, dass Lord Robert auf derselben Straße geritten ist wie ich und dann auch noch zur selben Zeit?«
Cecil lehnte sich zurück und schlug die mit der schmucken schwarzen Hose bekleideten Beine übereinander. »Ich leugne nicht, dass ich ihn in die richtige Richtung geschoben habe. Andererseits habe ich kein Sterbenswörtchen von mir gegeben, als ich hörte, wie Lord Arundel Durot – oder vielmehr unseren tapferen Fitzpatrick – damit beauftragte, Lord Roberts Begleitung zu infiltrieren, obwohl ich wusste, dass er die Jagd hintertreiben konnte. Ihr seht also, ich bin nicht zur Gänze Marys Feind.«
In meinen Ohren klang seine Stimme wie Sirenengesang – beruhigend, melodisch und nur allzu überzeugend. Noch vor wenigen Tagen hätte ich mich davon betören lassen.
»Ihr lügt! Mary ist die Letzte, die Ihr auf dem Thron sehen wollt. Gegen sie habt Ihr ebenso emsig wie gegen den Herzog gearbeitet. Wäre es nach Euch gegangen, wäre sie auf der Straße verhaftet oder, besser noch, auf der Flucht getötet worden. Das sah Euer Plan vor. Zu ihrem Glück war sie nicht so leichtgläubig, wie Ihr dachtet.«
»Ich habe nie verhehlt, wem meine eigentliche und höchste Treue gilt.« Sein Blick ruhte auf meiner Hand, die sich immer fester um das Schwert schloss. »Ihr müsst wissen, dass Ihre Hoheit unabhängig von dem, was Ihr vielleicht glaubt, meiner nun mehr bedürfen wird als bisher. Sie und Mary stehen sich nicht so nahe, wie Schwestern das sollten.«
Erneut griff er nach seiner Tasche. »Finger weg!«, blaffte ich.
Er verharrte. »Ich werde meine Brille und das Zifferrad brauchen. Ich nehme an, dass der Brief, den Ihr überbringt, in ihrem üblichen Code verfasst ist? Ihr müsst sie sehr beeindruckt haben, denn sie vertraut ihre private Korrespondenz niemals Fremden an.«
Er wusste, dass ich einen Brief für ihn dabeihatte! Mich beschlich das beunruhigende Gefühl, dass ich mich mit jemandem duellierte, der mir in jeder Hinsicht überlegen war und jedes Manöver, seine Pläne zu durchkreuzen, abwehrte. Verwirrt versuchte ich, aus all dem, was ich empfand, sah und hörte, schlau zu werden, die Einzelteile herauszunehmen und auf eine unausgesprochene Botschaft hin zu analysieren. Als mir das schließlich gelang, hätte ich beinahe über meine eigene Naivität laut aufgelacht: dass ich jemals hatte glauben können, ich hätte alles herausgefunden, was es über diesen hintergründigen, undurchschaubaren Mann zu wissen gab!
»Das wart Ihr! Ich habe zufällig belauscht, wie Lady Dudley Robert erzählte, dass irgendjemand am Hof Mary Informationen zukommen ließ; Walsingham hat dasselbe vermutet. Und Ihr habt Mary mit Eurer Warnung die Flucht ermöglicht. Und dann habt Ihr Robert auf ihre Fährte gesetzt. Aber mit der Warnung an Mary hattet Ihr schon vorher für Euren eigenen Schutz gesorgt. Auf Framlingham hat sie mir gesagt, Ihr würdet schon wissen, was getan werden müsse. Damals hielt ich das für eine Drohung, aber es war keine, nicht wahr? Sie wird Euch verschonen, weil sie glaubt, Ihr hättet sie vor dem Herzog gerettet.«
In Cecils Stimme klang Belustigung durch. »Ich kann wohl kaum den Ruhm ganz allein beanspruchen. Soviel ich weiß, hat ihre Cousine, die Herzogin von Suffolk, ihr ebenfalls eine Verlautbarung gesandt, in der sie ihr alle möglichen Arten von schmutzigen Vorgängen am Hof schilderte. Allem Anschein nach hat Madame Suffolk offene Rechnungen mit den Dudleys zu begleichen.«
Es überraschte mich keineswegs, von den Machenschaften der Herzogin zu erfahren. Sie hatte schließlich Rache geschworen. Wie konnte sie diese besser üben, als Übereinstimmung mit den Dudleys vorzugeben, während sie heimlich ihre königliche Cousine zu Gegenmaßnahmen anstachelte?
Aber sie verfolgte natürlich auch noch diese andere Angelegenheit, die der Hauptgrund für mein Kommen war. Ich beobachtete Cecil aufmerksam, als er hinzufügte: »Wie gesagt, ich bin nicht zur Gänze ihr Feind.« Er fingerte an dem Zifferrad herum. »Ach Gott, sie benutzt stets dieselbe Zahl. Wie oft habe ich ihr geraten, sich eine neue einfallen zu lassen, aber sie hört ja nie auf mich. Eine der wenigen Eigenschaften, die sie mit ihrer Schwester gemeinsam hat.«
Er griff erneut in seine Tasche und zog eine Brille mit silbernem Rahmen heraus. Dann streckte er die Hand aus. »Das Schreiben bitte.«
Ich reichte es ihm. Kalte Gewissheit begann, durch meine Blutbahnen zu sickern. Dieser Mann war tatsächlich ein meisterhafter Opportunist, ein Experte für irreführende Spiele. Was immer ich ihm zutraute, dass er es getan hatte oder im Begriff stand, es zu tun, es offenbarte nur eine weitere Schicht von Täuschungen.
Schweigend las er Marys Brief und warf nur hin und wieder einen Blick auf das Zifferrad in seiner anderen Hand. Als er fertig war, nahm er seine Brille ab und legte Papier und Rad beiseite.
»Und?«, fragte ich. Irgendwie spürte ich eine schwer zu erklärende Veränderung in dem Raum.
»Auch sie bleibt ihrem Charakter treu.« Er hob die müden Augen zu mir. »Sie befiehlt, dass der Kronrat, bevor er überhaupt daran denkt, sie um Gnade zu bitten, zuallererst sie unter Ausschluss aller anderen Anspruchsteller zur Königin ausrufen muss. Außerdem warnt sie all jene, die es versäumt haben, ihre Unterstützung anzubieten; sie sollen sich schleunigst vom Hof entfernen. Diejenigen, die bleiben, müssen ihre Treue damit beweisen, dass sie den Herzog, seine Söhne und auch Jane Grey in Haft nehmen. Sie droht mit den üblichen Strafmaßnahmen, wenn ihr der Gehorsam verweigert wird. Nicht dass das der Fall sein wird. Jeder weiß, dass die Würfel gefallen sind.«
»Ihr werdet Eure Schäfchen schon ins Trockene bringen«, meinte ich, doch meine Ironie drückte keine Befriedigung aus. Im Magen verspürte ich ein schreckliches Beben, die sich verdichtende Erkenntnis, dass ich mich bei der Beurteilung Cecils getäuscht hatte.
»Glaubt Ihr das wirklich?«, fragte er mit einem wehmütigen Kopfschütteln. »Ich mag ihr ja dazu verholfen haben, dem Herzog stets einen Schritt voraus zu sein, aber glaubt nicht einen Moment lang, sie würde je vergessen, dass ich diesem Mann gedient habe. Für mich wird es an ihrem Hof keinen Platz geben.« Er seufzte. »Gleichgültig. Das Leben auf dem Lande behagt mir auch, und es ist an der Zeit, dass ich mich von alldem hier entferne.«
»Sie wird Euch verbannen?« Auf einmal empfand ich tiefe Enttäuschung. Cecil war kein Mann, den ein kluger Monarch außer Acht lassen sollte. Seine Fähigkeiten als Spion machten ihn zu einem Trumpf oder einer Belastung – je nach den Umständen.
»Sie wird es nicht direkt sagen, aber sie weiß, dass ich keine Wahl habe. Sie wird keinem von den Männern trauen, die dem Herzog oder ihrem Bruder gedient haben. Eigentlich sollte ich dankbar sein, denn anders als die übrigen Herren brauche ich mir nicht die Hände damit zu beschmutzen, dass ich meinen ehemaligen Auftraggeber in den Kerker bringe.«
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