»Das ist mir gleichgültig.« Aus Peregrines Augen sprach tiefer Ernst. »Ich bin dein Leibdiener, richtig? Wo du auch hingehst, ich begleite dich. Schließlich muss ich mir meinen Unterhalt verdienen.«
Ich konnte mir mein Lächeln nicht länger verkneifen. »Bei Gott, du bist so stur wie ein Bär im Burggraben und stinkst fast genauso erbärmlich. Wie konnte ich mir nur ein derart hartnäckiges Ungeziefer zulegen?«
Peregrine verzog das Gesicht und hatte schon eine Erwiderung auf der Zunge, als ich einen Vogelschwarm aufgeschreckt durch die Luft flattern sah. Ich wandte mich in Richtung Stadt um. Von dort näherte sich eine Staubwolke. »In Deckung!«, zischte ich. Sofort gaben wir unseren Rössern die Sporen und jagten zu einem nahe gelegenen Dickicht. Hinter dem Gestrüpp glitten wir von den Pferden, ohne das Zaumzeug aus den Händen zu lassen. Wir wagten kaum zu atmen. Ein gewaltiges Donnern kam näher und näher. Es erinnerte mich an die Nacht, als wir am Straßenrand gesessen und Robert Dudley mit seinen Männern beim Vorbeireiten beobachtet hatten. Nur war das Getöse diesmal ungleich lauter und bedrohlicher und schien von einem Ungeheuer mit metallenen Füßen zu stammen, die auf die Straße einhämmerten. Es brachte die Luft um uns herum zum Vibrieren.
Als Erste tauchten die Standartenträger auf. Sie reckten die mit dem Bären und dem Stab geschmückten Banner der Dudleys in die Höhe. Ihnen folgte auf den mit Leder bedeckten Pferden die Kavallerie, die Schwerter und Bögen an die Sättel geschnallt. Dann marschierten die Fußsoldaten, Linie um Linie im Kettenpanzer, dazwischen fuhren die von Ochsen und Maultieren gezogenen Karren; ich entdeckte die wuchtige Form von Kanonen unter Planen und nahm an, dass diese Karren noch eine ganze Reihe anderer, ebenso tödlicher Waffen transportierten.
Schließlich erblickte ich die Fürsten hoch zu Ross. Jeder in seiner Kampfrüstung und mit einem Tuch in seinen Farben über den Schultern, ritten sie hinter dem Herzog einher, der trotzig die Spitze bildete und sich mit seinem gewagten karmesinroten Umhang von allen abhob. Eine Kappe hatte er nicht aufgesetzt. Dunkles Haar umrahmte sein granithartes Gesicht, das mir sogar aus der Entfernung verriet, dass es binnen Tagen gealtert sein musste.
An seiner Seite ritten drei seiner Söhne – Henry, Jack und Ambrose, alle in kriegerischem Glanz herausgeputzt. Und in all den Jahren, die ich sie kannte – die Brüder, die ich gefürchtet und gehasst, die ich um ihren Zusammenhalt beneidet hatte –, erlebte ich heute zum ersten Mal, dass sie nicht lachten. Wie schon Robert vor ihnen begriffen sie, dass sie sich anschickten, das höchste Tabu zu brechen und eine Tat zu begehen, die ihnen entweder den größten Triumph bescheren oder in einer Tragödie für sie und ihre Familie enden würde.
In strenger Ordnung ritt sie vorüber, diese Armee, die sich zusammengefunden hatte, um Mary Tudor zu bezwingen. Ich stand immer noch schweigend da, als sie längst verschwunden war. Völlig unerwartet quälte mich ein schlechtes Gewissen. Noch nie hatten die Dudleys sich um andere geschert. Mit dem größten Vergnügen würden sie die zwei Prinzessinnen und all ihre freiwilligen Helfer in den Tod schicken. Da konnte es doch in meinem Herzen keinen Raum für Mitleid geben, selbst wenn der Herzog und seine Söhne an dem einen Verbrechen keine Schuld trugen, das zu rächen mein glühendes Verlangen war. Und da Northumberland nun weit fort von London gezogen war, bot sich mir eine Möglichkeit, die ich nicht ignorieren konnte. Ich sprang auf Cinnabar und trieb ihn zurück auf die Straße, über der immer noch Schleier von Staub wehten.
»Wo geht es hin?«, erkundigte sich Peregrine, als wir auf London zugaloppierten.
»Zu einer alten Freundin«, antwortete ich. »Weißt du übrigens, wie man in den Tower hineinkommt?«
»Der Tower!«, rief Peregrine, sobald wir den Kontrollpunkt beim Stadttor Aldgate passiert hatten, was die Verteilung des größten Teils der Goldmünzen aus Walsinghams Geldbeutel erfordert hatte. »Bist du wahnsinnig geworden? Da können wir unmöglich rein! Das ist eine königliche Festung, falls dir das noch nicht zu Ohren gekommen ist.«
»Doch, ja, davon habe ich schon gehört. Aber ich muss hinein. Ich habe einen Brief zu überbringen.«
Peregrine ließ die Luft aus den Mundwinkeln entweichen. »Die mächtigste Festung von ganz England, und du musst einen Brief überbringen. Warum klopfen wir nicht einfach ans Tor? Das Ergebnis wird dasselbe sein. Oder hast du noch nie das geflügelte Wort gehört: ›Bist du einmal dort drin, kommt nur noch dein Kopf raus‹? So langsam glaube ich, dass du wirklich viel von einem Einhorn hast.«
Ich blieb stehen. »Einem was?«
»Ein Einhorn. Ein Fabeltier. Ein Hirngespinst.«
Ich warf den Kopf zurück und lachte, dass es mich förmlich schüttelte. Mit einem Schlag fühlte ich mich unendlich viel besser. »Den Witz habe ich noch nie gehört. Er gefällt mir.«
»Wetten, dass dir der Spaß vergeht, wenn du in einem Verlies in Ketten liegst und sie dir dein Horn abschneiden. Wir können nicht in den Tower und wieder ins Freie gelangen, ohne uns ordentlich auszuweisen. Vergiss, dass du das überhaupt versuchen wolltest. Weißt du irgendeinen anderen Ort, an dem du es stattdessen probieren könntest?«
»Nein. Aber du hast mich auf etwas gebracht.« Ich lächelte immer noch, als wir Cheapside erreichten. In den Straßen herrschte gespenstische Stille; die geschlossenen Fensterläden hatten die Tavernen überall in Bastionen verwandelt. Weit und breit war niemand zu sehen, bis auf eine einsame Bettlerin, die zu ausgemergelt war, um von der Haustür fortzukriechen, vor der sie sich niedergekauert hatte. Ganz London hockte hinter verschlossenen Türen, als wartete die Stadt auf einen Schicksalsschlag.
»Wir sollten die Pferde in einem Stall unterstellen und zum Fluss laufen«, schlug Peregrine vor. »So sind wir zu auffällig. Außer uns ist niemand unterwegs. Wenn uns eine Patrouille bemerkt, werden wir verhaftet.«
»Du wirst mir meine Abneigung gegen Wasser sicher verzeihen«, erwiderte ich, während wir einer hinter dem anderen den Uferweg entlangritten, wo es leichter war, den Abwasserrinnen und Abfallhaufen – wenn auch nicht der unvermeidlichen Jauche – auszuweichen.
Als ich in der Ferne die Türme von Whitehall erspähte, zügelte ich Cinnabar. »Wie komme ich zu Cecils Haus?«
Peregrine verzog argwöhnisch das Gesicht. »Glaubst du, dass er noch daheim ist?«
»O ja.« Meine Stimme wurde härter. »Und jetzt hör mir zu. Ich will, dass du dich von nun an genau an das hältst, was ich dir sage. Habe ich mich klar genug ausgedrückt? Wenn du mich ärgerst, binde ich dich fest. Das hier ist kein Spiel, Peregrine. Der kleinste Fehler könnte unseren Tod bedeuten.«
»Ich verstehe.« Er wedelte untertänig mit der Hand. »Hier entlang, mein Herr und Gebieter.«
Erneut führte er mich in das Labyrinth aus verwinkelten Gassen. Die Ahnung, dass eine Katastrophe bevorstand, war schier mit Händen zu greifen. Sie lauerte in den dunklen Nischen, wo sich die Häuser aneinanderlehnten wie Betrunkene. Ich atmete erleichtert auf, als wir eine breite Straße erreichten, die zum Palast führte. Aber auch hier war zu meiner Verblüffung alles verlassen. Ich kam mir vor wie in einem Märchen, in dem alles Leben durch einen Zauber erstarrt war.
Als wir uns unserem Ziel näherten, ließ ich Peregrine mit strengen Anweisungen bei den Pferden zurück und wanderte allein weiter. Da eine hohe Mauer das Haus umschloss, versuchte ich mein Glück am hinteren Tor. Es war nicht abgesperrt. Während ich die Eingangstür suchte, zückte ich meinen Dolch. In einem Duell Mann gegen Mann würde er mir nicht viel nützen, aber der Bogen, den Barnaby an Cinnabars Sattel geschnallt hatte, wäre bei einem Kampf auf engem Raum hinderlich gewesen.
Ich spähte zu den Fenstern hinauf. Das Haus wirkte so verlassen wie der Rest der Stadt. An der Seite befand sich ein kleines Tor. Ich sprang darüber und landete auf weicher Erde. Ich stand im Garten, der zu einem privaten Bootssteg im Schatten von Weiden führte. Wie ich vermutet hatte, war dort ein Ruderboot vertäut. Im Bug kauerte der Bootsmann und trank in tiefen Zügen aus einem Ale-Schlauch.
Ich wandte mich ab und schlich auf das Haus zu. Am hinteren Eingang entdeckte ich einen Kleidersack, der zwischen Schwelle und Tür geklemmt war, sodass sie nicht zufallen konnte. Anscheinend war jemand hastig hin und her gelaufen. Darüber erkannte ich das Butzenfenster von Cecils Kontor. Gegen die Wand gepresst, tastete ich mich weiter vor und reckte mich, um ins Innere spähen zu können.
Als ich die Gestalt im Innern Kassenbücher vom Tisch nehmen und in eine Tasche stecken sah, kehrte ich zur Tür zurück und schlüpfte ins Haus hinein.
Das Innere war in Düsternis gehüllt. Vorsichtig, immer wieder nach links und rechts schielend, näherte ich mich der offenen Tür am anderen Ende des Flurs. Plötzlich knarzte eine Bodendiele unter mir. Ich erstarrte. Würden sich jetzt gleich brutale Wächter auf mich stürzen? Doch nichts geschah, und ich schlich weiter, bis ich nahe genug war, um einen Blick in den Raum werfen zu können.
Cecil stand mit dem Rücken zur Tür. Bekleidet war er mit seiner schwarzen Reithose und einem Wams. Über der Stuhllehne hing ein Reiseumhang. Seine Tasche stand auf dem Pult. Er war gerade im Begriff, sie zu schließen, als er plötzlich verharrte. Ohne sich umzusehen, sagte er: »Das ist aber eine Überraschung.«
Ich trat über die Schwelle.
Er wandte sich zu mir um und bemerkte den Dolch in meiner Faust. »Seid Ihr gekommen, um mich zu töten, Junker Prescott?«
»Das sollte ich eigentlich«, knurrte ich. Jetzt, da ich dem Mann von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, der geschickt wie ein begnadeter Puppenspieler mit allen anderen gespielt und sie nach Belieben ausmanövriert hatte, dröhnte mir das Herz laut in den Ohren. Ich blickte mich im Zimmer um. »Seid Ihr allein? Oder muss ich erst Euren Totschläger aus dem Weg räumen?«
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