»Wohin willst du?«, fragte Barnaby, als ich mir die Satteltasche über die Schulter warf.

»Zur Königin, sie um Erlaubnis zum Aufbruch bitten. Wenn sie mir dies gewährt, habe ich etwas in London zu erledigen.« Ich blickte ihm fest in die Augen. »Versprich mir, dass du gut auf Peregrine aufpasst. Er soll nicht glauben, dass ich ihn verlassen habe, aber ich kann ihn nicht mitnehmen. Ich kann es einfach nicht riskieren, dass sie noch herausfinden, wie viel er mir bedeutet.«

»Mit ›sie‹ meinst du Cecil?«

»Unter anderem.«

»Lass mich mitkommen. Auch ich habe eine Rechnung mit ihm offen.«

Ich ergriff seine Pranke. »Nichts wäre mir lieber. Aber du hilfst mir mehr, wenn du auf Peregrine aufpasst und der Königin zur Seite stehst. Sie mag zwar nicht deinen Glauben teilen, aber wenn sie Männer wie dich zur Seite hat, lernt sie vielleicht, sich beim Regieren zu mäßigen.«

Wir umarmten uns als Freunde. Dann löste ich mich von ihm und schlüpfte aus dem Zimmer.

Ich hatte Cinnabar schon vor dem Eintreffen ihrer Vorladung satteln lassen. Als Rochester in meinem Gemach erschien, um mich zu ihr zu bringen, achtete ich sorgfältig darauf, dass meine Miene nichts als Pflichtbewusstsein und Besorgnis ausdrückte. Mein plötzlicher Wunsch abzureisen, musste zwangsläufig ihr Misstrauen wecken.

Sie wartete im Saal. Ihr schütteres Haar wurde im Nacken von einem Netz zusammengehalten. Ohne ihren Kopfschmuck wirkte sie schmächtig. Der Rosenkranz hing ihr von der Hüfte herab; im Vergleich zum Glitzern der Ringe an ihren Fingern schimmerten seine dunkelroten Perlen nur matt. In jeder anderen Hinsicht schien sie gegen Eitelkeit immun zu sein, sodass mich ihre Vorliebe für Juwelen bestürzte, ohne dass ich mir das erklären konnte.

»Rochester sagt mir, dass Ihr uns verlassen möchtet!«, begann sie, bevor ich mich wieder von den Knien erhoben hatte. »Warum? Entspricht die Unterkunft bei uns nicht Eurem Geschmack?«

»Eure Majestät können versichert sein, dass ich keinerlei Wunsch hege, so bald auf die Straße zurückzukehren, doch meines Wissens beabsichtigt der Herzog, gegen Euch aufzumarschieren. Darum würde ich es für das Klügste halten, Eure Antwort den hohen Herren eher früher als später zu überbringen – vorausgesetzt, Eure Majestät möchten ihnen noch eine zukommen lassen.«

Mit angehaltenem Atem verfolgte ich, wie Marys Blick zu Rochester wanderte und dieser fast unmerklich nickte.

»Das will ich«, sagte sie. »Ich brauche jede Hilfe, die ich bekommen kann, selbst von den verräterischen Lords.«

Im beißenden Ton ihrer Erklärung schwang eine Warnung mit. Sie war keine Frau, die man so leicht durchschauen noch – wie es schien – zufriedenstellen konnte. Was sie in ihrer Jugend erlitten hatte, hatte sie fürs Leben geprägt. Offenbar kannte Elizabeth sie nur zu gut.

»Eure Majestät«, fuhr ich fort, »wenn der Herzog gegen Euch zu Felde zieht, werden die Fürsten Eure Sache mit größerem Wohlwollen betrachten.«

»Ich gebe nichts auf ihr Wohlwollen. Sie wären gut beraten, sich meinen Wünschen zu fügen, sofern sie ihre Köpfe behalten wollen.« Sie schritt zu ihrem Pult, ergriff ein gefaltetes und ein versiegeltes Pergamentdokument und streckte mir beide entgegen. »Das versiegelte ist chiffriert. Wer ein bisschen Erfahrung damit hat, wird den Code kennen. Sagt den Fürsten, dass sie den Anweisungen ohne jede Abweichung zu folgen haben. Das andere Schreiben ist ein Brief an meine Cousine Jane Grey. Prägt ihn Euch ein. Es handelt sich um eine persönliche Mitteilung, die ausschließlich für ihre Ohren bestimmt ist. Wenn Ihr keine absolut verlässliche Form der Übermittlung findet, zerstört Ihr den Brief. Er darf nicht in falsche Hände fallen.«

»Sehr wohl, Eure Majestät.« Damit trug sie mir sehr viel mehr auf, als ich erhofft hatte. Ein einziger Brief würde schon gefährlich genug sein. Nicht auszudenken, was mir bei zweien drohen konnte.

»Ich erwarte in beiden Fällen keine Antwort«, ließ sie mich wissen. »Ich dürfte ohnehin bald genug in London eintreffen. Aber wenn Ihr eine Kunde erhaltet, die mein Vorgehen beeinflussen könnte, ob günstig oder nicht, erwarte ich, umgehend in Kenntnis gesetzt zu werden. Eure Treue jenen gegenüber, die Euch angeworben haben, darf nicht diejenige zu Eurer Königin ersetzen. Habt Ihr verstanden?«

»Selbstverständlich.« Ich wollte mich über ihre Hand beugen, doch sie entzog sie mir. Als ich nach oben schielte, betrachtete sie mich mit einem Ausdruck, als würde sie mich nicht mehr kennen. »Überbringt Master Cecil meine Grüße«, sagte sie kalt. »Auch wenn es nicht in meinen Anweisungen steht, richtet ihm von mir aus, dass er weiß, was er tun muss.«

Ich steckte die Schreiben wortlos ein und entfernte mich in gebeugter Haltung rückwärtsgehend aus dem Saal.

LONDON 

27

Über der Themse bildeten Nebelschwaden einen flüchtigen Schleier. Doch da die Vormittagssonne schon jetzt einen goldenen Glanz auf das Gewimmel und Gedränge von London warf, versprach der Tag, heiß zu werden.

Es war ein kurzer Ritt von eineinhalb Tagen gewesen. Auf lange Pausen hatte ich verzichtet. Unterwegs hatte ich nicht nur die Hauptwege, sondern auch alle größeren Siedlungen gemieden. Diskrete Befragungen hatten ergeben, dass sämtliche Städte voller Anhänger der Königin waren und man in Erwartung des Herzogs die Tore verrammelt und mit Soldaten bemannt hatte. Wie stets, wenn eine Situation in Chaos münden konnte, wimmelte es auf den Straßen von Gesindel. Da war ein einsamer Reiter eine leichte Beute. So hatte ich in der Nacht vorsichtshalber Zuflucht in einem Wald gesucht und meine Reise noch vor der Morgendämmerung fortgesetzt.

Jetzt stand ich auf der Kuppe eines Hügels, ein Aussichtspunkt, von wo aus ich einen guten Blick auf den Ort hatte, in dem alles angefangen hatte. War es wirklich erst elf Tage her, dass ich diese Stadt erstmals mit den Augen eines ehrfürchtigen Jungen erblickt hatte, der darauf brannte, sein Glück zu machen? Und jetzt bereitete sie mir ein flaues Gefühl in der Magengrube. Mein ganzes Leben lang hatte ich mich danach verzehrt zu wissen, wer ich war und woher ich kam. Dennoch sehnte sich ein Teil meiner selbst danach, umzukehren, mich im gewöhnlichen Leben zu verlieren, eine Welt zu vergessen, in der von königlichen Frauen geborene Söhne verlassen wurden und Männer Könige opferten, um ihren Ehrgeiz zu befriedigen. Jetzt wusste ich, dass die Antworten, die ich in London zu finden gehofft hatte, mir nichts offenbaren würden, was ich hören wollte.

Das Schicksal lächelt oft den am wenigsten Begünstigten.

Ich stieß ein humorloses Lachen aus. Allem Anschein nach hatte das Schicksal Humor, denn ich, der am wenigsten Begünstigte, war für mehr Menschen verantwortlich, als es mir eigentlich zustand. Und einer davon näherte sich mir ausgerechnet in einem Moment, da ich in der Stille auf meinem Pferd saß und in Erwägung zog, vor meiner eigenen Wahrheit zu fliehen.

Ich wartete, bis ich erneut das verräterische Rascheln hörte, dann sagte ich, ohne mich umzusehen: »Verstecken hat keinen Zweck mehr. Seit Bury Saint Edmunds weiß ich, dass du mir folgst.«

Gedämpftes Huftrappeln war zu vernehmen, ehe Peregrine vorsichtig aus dem Schatten auftauchte. Er trug seinen Kapuzenumhang. Ich registrierte die Stofffetzen, die er um die Hufe seines Pferdes, die Zügel, das Zaumzeug, die Steigbügel, ja sogar um die Klinge seines Degens gewickelt hatte – kurz, um alles, was ein Geräusch verursachen konnte. Der Bursche verstand sich auf mehr Kniffe als ein Hausierer.

»Das kannst du unmöglich gemerkt haben«, beklagte er sich. »Ich habe immer darauf geachtet, dass ich mindestens fünfzehn Schritte hinter dir bleibe, und Deacon hat wirklich einen leichten Tritt.«

»Das schon, aber du vergisst, dass Pferde, die sich kennen, alle möglichen Signale von sich geben, wenn sie das andere in ihrer Nähe spüren. Cinnabar wäre gestern Abend um ein Haar durchgegangen und in die Schlucht galoppiert, wo du dich versteckt hast. Du hättest dich zu mir setzen sollen. Es gab Kaninchen zum Abendbrot.«

»Sicher, und du kannst von Glück reden, dass dein Feuer nicht jeden Wilddieb dazu eingeladen hat, es dir abzujagen«, konterte Peregrine. Er zögerte. »Du bist mir doch nicht böse?«

Ich seufzte. »Nur ernüchtert. Ich hatte Barnaby gebeten, auf dich aufzupassen.«

»Mach ihm keine Vorwürfe. Er hat sein Bestes getan. Er hat mir eingeschärft, dass ich dir unter keinen Umständen folgen darf. Er meinte, du hättest eine private Angelegenheit zu erledigen, und wir müssten deine Entscheidung respektieren.«

»Dann bin ich ja froh, dass du mir solchen Respekt zollst!« Die Augen mit einer Hand abschirmend, spähte ich über den Weg. »Mich wundert, dass er nicht dicht hinter dir ist. So, wie ihr zwei mich bemuttert, müsst ihr ja glauben, dass ich nicht in der Lage bin, einen Fuß vor den anderen zu setzen.«

»Ich wollte nicht zulassen, dass du mich noch einmal zurücklässt.« Peregrine straffte seine schmalen Schultern. »Du bist auf Hilfe angewiesen, und zwar auf jede, die du bekommen kannst. Schon bevor wir nach Greenwich aufgebrochen sind, habe ich dir gesagt, dass du allein nichts wert bist und dir nichts als Ärger einhandelst.«

»Glaubt Barnaby das auch?«

Peregrine nickte. »Er wollte dir selbst nachreiten. Aber ich habe ihm klargemacht, dass es besser ist, wenn bloß ich dir folge. Mich vermisst niemand; Barnaby dagegen hätte Rochester um Erlaubnis bitten müssen, und der entlässt einen bärenstarken Kerl wie ihn bestimmt nicht aus den Diensten der Königin, schon gar nicht, wenn der Herzog ihr auf den Fersen ist.«

»Das stimmt. Aber du hättest trotzdem auf ihn hören sollen. Du hast keine Ahnung, was du riskierst!«