Mary saß auf einem Stuhl, einen Granatrosenkranz um die Hände geschlungen. Die roten Perlen fingen das Kerzenlicht auf und versprengten es Blutstropfen gleich über ihr Kleid.

»Bei Gott, sie ist sich ihres Sieges wirklich gewiss«, murmelte Barnaby. »Uns bleibt nur die Hoffnung, dass das alles ist, was sie uns mit ihren papistischen Riten erleiden lässt.«

Verzaubert von der gespenstischen Fremdartigkeit dieser Szene, antwortete ich: »Das ist das erste Mal, dass ich die alten Traditionen sehe. Ich finde sie ehrlich gesagt sehr schön.«

»Du vielleicht. Für diejenigen, die in Frankreich und Spanien die Häretiker auf den Scheiterhaufen haben brennen sehen, ist das kein so erhebender Anblick.«

Barnaby kehrte ins Innere des Zimmers zurück. Da ich das Gespräch unbedingt fortsetzen wollte, hatte ich keine andere Wahl, als mich umzudrehen und ihm dabei zuzusehen, wie er hin und her marschierte.

»Das gefällt mir nicht«, brummte er. »Ich will ihr als meiner Königin Ehre erweisen, aber schon jetzt macht sie ihre Drohung wahr und schleppt Altäre an und verbrennt Weihrauch. In der Nacht ist die Meldung eingetroffen, dass der Herzog eine Armee gegen sie aufstellt. Wenn er scheitert, ist ihr Weg zum Thron frei.«

»So sollte es doch auch sein«, entgegnete ich. »Schließlich ist es ihr Thron.«

»Das weiß ich ja. Aber was, wenn …?« Er schielte zur Tür hinüber und senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Was, wenn wir uns getäuscht haben? Was, wenn ihre Hinwendung zu Rom stärker ist als ihre Verpflichtung England gegenüber? Gerade vor dieser Möglichkeit hat Edward am meisten gegraut. Er wollte die Erbfolge deswegen ändern, weil er glaubte, dass sie uns wieder Aberglauben und Bilderverehrung bescheren und all das über den Haufen werfen würde, was sein Vater und er versucht haben aufzubauen.«

Ich runzelte verwirrt die Stirn. »In der Nacht, als wir beim König in seinen Gemächern waren, hat Philip Sidney sich ebenfalls dazu geäußert. Aber er hat gemeint, Edward wäre dazu gezwungen worden, etwas zu unterschreiben. Und heute früh hat mir Ihre Majestät erzählt, der Kronrat hätte sie wegen Zweifeln an ihrer Legitimität für enterbt erklärt.« Ich blickte ihn eindringlich an. »Was weißt du, das du mir bisher verschwiegen hast?«

Er zögerte nicht eine Sekunde. »Die Zweifel an ihrer Legitimität waren eine Ausrede. In Wahrheit hielt Edward Mary keineswegs für unehelich. In seinen Augen waren alle sechs Ehen seines Vaters vollkommen gültig. Aber er glaubte trotzdem nicht, dass sie Königin werden sollte. Als er den Zusatz zu seinem Testament schrieb, der ihr den Thron vorenthielt, wusste er genau, was er tat. Ich dachte, du wärst längst im Bilde.«

»Nein.« Was für eine unerwartete Wendung! Meine Gedanken überschlugen sich. »Ich habe geglaubt, der Herzog hätte Edward zur Unterschrift gezwungen, damit er dann Jane Grey als Erbin benennen kann. Willst du sagen, Edward hätte seine eigenen Pläne gehabt, bevor er krank wurde?«

»Allerdings. Es war sein Wunsch, dass Elizabeth das Land regierte. Das wollte er ihr persönlich sagen. Das ist der wahre Grund, warum Northumberland solche Anstrengungen unternahm, ihr den Besuch zu verwehren. Er wollte verhindern, dass Edward und sie einen Plan gegen ihn ausheckten.«

Mit einem Schlag ergab alles einen Sinn. Es steckte mehr hinter diesem Wirrwarr aus Halbwahrheiten und Lügen, als ich vermutet hatte.

»Und woher weißt du so gut Bescheid?«, fragte ich leise.

»Woher schon? Master Cecil hat es mir gesagt. Er hat mich kurz nach Edwards erstem Zusammenbruch angesprochen. Er meinte, der König und ich wären wie Brüder, und darum würde ich seine Sorge verstehen.«

Schon wieder schnürte sich mir der Magen zusammen. »Sorge in Bezug worauf?«

»Dass der Herzog das Ziel verfolgt, seine eigene Macht zu sichern, ohne Rücksicht auf Edwards Wünsche.« Er setzte sich auf den Hocker in der Mitte des Zimmers. Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, betrachtete er mich nachdenklich.

»Edward war schon seit drei Jahren krank. Er wurde immer magerer, litt unter Fieberanfällen … Ihm war klar, dass er nicht lange genug leben würde, um zu heiraten und einen Erben zu zeugen. Aufgrund des Erbfolgerechts war Mary die nächste Thronanwärterin. Aber weil Edward gegen jede Annäherung an Rom war, lud er Mary an den Hof ein, um ihr erst einmal auf den Zahn zu fühlen. Als sie sich weigerte, den reformierten Glauben anzuerkennen, war er davon überzeugt, dass sie die Krone nicht verdiente. Laut Cecil beschloss er daraufhin, Mary zugunsten von Elizabeth zu enterben. Also bat er ihn, die nötigen Dokumente aufzusetzen, damit er seine Entscheidung dem Kronrat vorlegen konnte. Doch dann bekam er einen schrecklichen Hautausschlag und wurde bald darauf schwerkrank. Von da an kümmerte sich der Herzog allein um seine Pflege, und kein Mitglied des Kronrats bekam ihn mehr lebend zu sehen.«

»Moment mal.« Ich hatte das Gefühl, dass sich zu viele, nicht passende Teile eines Bildes zu einem totalen Chaos zusammenfügten. »Edward wollte seine Entscheidung dem Kronrat vorstellen, ohne den Herzog vorher einzuweihen? Warum? Northumberland hatte doch sicher dieselben Bedenken bezüglich Mary. Warum dann die Heimlichtuerei?«

Barnaby zuckte mit den Schultern. »Edward konnte verschwiegen sein, wenn es die Situation erforderte. Und wenn er sich einmal gegen jemanden entschieden hatte, überlegte er es sich nur selten anders. Ich glaube, er verlor alles Wohlwollen für den Herzog, als ihm bewusst wurde, in welchem Ausmaß Northumberland ihn unter seiner Kontrolle hatte. Nach seinem Zusammenbruch durfte jedenfalls niemand mehr ohne Erlaubnis des Herzogs zu ihm, auch Cecil nicht.«

»Und genau zu diesem Zeitpunkt suchte Cecil dich auf, richtig?« Wäre ich nicht so empört gewesen, hätte ich diese Unverfrorenheit sogar bewundert. Unser Master Secretary war noch viel emsiger gewesen, als wir uns das vorgestellt hatten.

»Ja, richtig.« Barnaby wirkte plötzlich verwirrt. »Er sagte, er hätte die Befürchtung, der Herzog könnte den Tod des Königs beschleunigen und jeden bedrohen, der Anstalten machte, ihn zu entlarven.«

»Und du hast ihm geglaubt.« Während ich das sagte, erstand vor meinem inneren Auge wieder die schmucke Gestalt mit der gepflegten Stimme, die große Aufrichtigkeit ausstrahlte.

»Ich hatte keinen Grund, daran zu zweifeln.« Barnaby breitete seine Hände aus. »Cecil wollte, dass ich über den König wachte und ihm auffällige Ereignisse meldete. Er wusste nicht, dass der Herzog mich entlassen würde. Ich hielt trotzdem Wache, vor allem, nachdem ich entdeckt hatte, dass Northumberland auch Edwards Ärzte hinausgeworfen hatte.«

Auf einmal konnte ich kaum noch atmen.

Barnaby war noch nicht fertig. Nun klang seine Stimme belegt. »So, wie du dich verhältst, könnte man meinen, dass du in dieser Sache völlig ahnungslos bist. Andererseits arbeitest du für Cecil. Als du Ihrer Hoheit geholfen hast, warst du in seinem Auftrag tätig. So hat es mir Peregrine erzählt. Das ist auch der Grund, warum ich mich bereit erklärt habe, dir zu helfen.«

Ich entfernte mich vom Fenster. Ich fühlte mich kalt, benommen. »Halbwahrheiten und Auslassungen«, krächzte ich, »das ist seine Methode.« Ich blickte zu ihm auf. »Er wusste von Anfang an über alles Bescheid.«

Barnaby starrte mich verständnislos an. »Wer?«

»Cecil. Er wusste genau, was mit Edward gemacht wurde.«

»Er wusste, was die Dudleys ihm antaten?«

»Ich glaube, ja.« Unversöhnlicher Hass stieg in mir auf. »Ohne Edward als seinen Beschützer steht Cecil allein da. Und wenn der Herzog mit seinen Intrigen Erfolg hätte, würde er das nicht überleben. Er weiß zu viel, und Northumberland ist zu mächtig geworden. Selbst wenn ein einzelner Mörder den Mann aus dem Weg räumt, hat Cecil immer noch die Söhne und die Frau des Herzogs gegen sich. Deshalb muss er mehr erreichen, als nur Northumberland zur Strecke zu bringen. Er muss den ganzen Dudley-Clan zerstören.« Ich holte zitternd Luft. »Nur habe ich das lange nicht durchschaut. Und ich würde immer noch im Dunkeln tappen, hätten wir in der Nacht nicht miteinander gesprochen; dabei lag es eigentlich von dem Moment an auf der Hand, als Cecil mich bat, für ihn zu spionieren.«

Barnaby blieb abrupt stehen. »Aber warum hat Cecil dann nicht Ihre Hoheit gewarnt, wenn er darauf aus ist, die Dudleys zu vernichten? Er hätte ihr doch bloß zu sagen brauchen, dass Edward im Sterben lag. Warum hat er ihr Leben aufs Spiel gesetzt?«

»Das weiß ich auch nicht.« Ich hob mein Hemd vom Boden auf. »Aber ich beabsichtige, es herauszufinden.«

»Ich wünschte, er wäre jetzt hier.« Barnaby boxte sich wütend in die Handfläche. »Ich würde diese Schlange schon zum Reden bringen.«

Ich schüttelte den Kopf, die Augen auf sein Gesicht gerichtet. »Wir sind auf grausame Weise benutzt worden, mein Freund. Und du am allermeisten. Deine Hingabe für den König hat in Cecils Spiel regelrecht als Kanonenfutter gedient.« Ich zögerte kurz. »Eine Frage habe ich noch: Hast du Cecil von der Kräuterkundigen erzählt?«

Er wandte die Augen ab. »Ja. Die Sache kam mir eigenartig vor. Warum sollte Northumberland die Leibärzte des Königs hinauswerfen, nur um irgendeine Kräuterhexe aus dem Hut zu zaubern? Als Sidney dann eines Abends Lady Dudley in Edwards Gemächern antraf und mitbekam, wie sie der Kräuterfrau Anweisungen erteilte, fiel mir wieder Cecils Befürchtung ein, der Herzog könnte Edwards Tod beschleunigen. Und was ist wirksamer als Gift? Da hielt ich es für angebracht, ihn darüber zu informieren.«

Mein Herz fühlte sich an, als hätte sich die Hand eines Riesen darum geschlossen. Ich zwang mich zur Ruhe, atmete tief durch, dann zog ich mein Wams und die Stiefel an und setzte die Kappe auf.