Mein kurzes Hochgefühl fiel in sich zusammen. Ich hätte wie Rochester über diesen Schlag gegen die Dudleys jubeln sollen, denn ohne Robert wurde es umso schwerer, Mary zu verhaften; doch stattdessen senkte sich bleierne Müdigkeit über mich. Nichts wünschte ich mir mehr als ein heißes Bad, eine Pritsche und völlige Abgeschiedenheit von der Welt – wenigstens für eine Weile.

Was ich mir nicht wünschte, war, mir überlegen zu müssen, wie ich Elizabeth davon in Kenntnis setzen sollte.

Wir traten in das Hauptgebäude und erklommen eine Treppe zu einem schlichten Saal. Dort erwartete uns Mary. Sie trug einen schwarzen Umhang und einen hohen Kopfschmuck, der für ihre schmalen Schultern viel zu schwer wirkte, sie jedoch nicht weiter zu stören schien. Bei unserem Eintreten schritt sie hin und her und diktierte mit strenger Stimme einem gehetzt wirkenden Sekretär, dessen Feder zwar über das Papier flog, der aber mit ihrem Wortschwall unmöglich mithalten konnte.

»Aus diesen Gründen, meine Fürsten, ersuchen und beauftragen Wir Euch als Eure rechtmäßige Herrscherin, um Eurer Ehre und persönlichen Unversehrtheit willen, Uns nach Erhalt dieses Briefs unverzüglich in Unserer Hauptstadt London zur Königin auszurufen. Denn weder sind Wir aus Unserem Reich geflohen, noch beabsichtigen Wir selbiges, sondern Wir sind bereit, für das zu kämpfen und zu sterben, zu dessen Verteidigung Gott Uns aufgerufen hat.«

Rochester räusperte sich. Ich verbeugte mich tief. »Eure Majestät.«

Sie wirbelte herum und starrte mich an. Offenbar war sie stark kurzsichtig, denn sie blinzelte mehrmals und runzelte verwirrt die Stirn, ehe sie schließlich rief: »Ah, mein geheimnisvoller Freund!« und mich mit einer entsprechenden Geste aufforderte: »Erhebt Euch, erhebt Euch. Ihr kommt gerade recht. Wir sind dabei, Northumberland den Krieg zu erklären.«

»Eure Majestät, das ist in der Tat eine gute Nachricht.« Während ich mich aufrichtete, fiel mir auf, dass Mary trotz ihres Elans und aller Euphorie über die vielen spontanen Treuebekundungen um die Augenpartie und die Mundwinkel angespannt und dass ihr Gesicht eingefallen wirkte. Sie erweckte den Eindruck, seit Wochen zu wenig gegessen und geschlafen zu haben.

»Gut? Die Nachricht ist mehr als gut!« Ihr Lachen war abgehackt, höhnisch. »Unser stolzer Herzog ist jetzt gar nicht mehr so stolz. Sagt es ihm, Waldegrave.«

Sie drehte sich zu ihrem Sekretär um, faltete die beringten Hände und lauschte mit einem seligen Lächeln wie eine stolze Lehrerin, während der Mann artig rezitierte: »Sechs Städte, in denen der Herzog Garnisonen unterhält, haben Ihrer Majestät den Treueeid geleistet und bieten ihr Artilleriewaffen, Nahrung und Soldaten an. Ihre Majestät hat den Ratsherren eine Proklamation gesandt, in der sie …«

Mary konnte sich nicht länger zurückhalten und fiel ihm ins Wort. »In der ich Auskunft darüber verlange, warum sie es bisher versäumt haben, mich als ihre rechtmäßige Herrscherin in London anzuerkennen. Ferner habe ich eine Erklärung dazu gefordert, warum sie es gewagt haben, meine Krone meiner Cousine zuzusprechen! Wisst Ihr, was sie mir geantwortet haben?« Sie schnappte sich ein auf dem Tisch liegendes Dokument. »Sie sagen, mein Bruder hätte vor seinem Tod wegen ernster Zweifel an meiner Legitimität eine Änderung in der Erbfolge angeordnet.«

Sie schleuderte das Papier auf den Boden. »Ernste Zweifel!« Diesmal mischte sich in ihr Lachen ein finsterer Ton, bei dem es mich eiskalt überlief. »Bald werden sie merken, wie sehr ich mich über solche Äußerungen freue. Häretiker und Verräter sind sie, und zwar ohne Ausnahme! Und als solche werde ich sie auch behandeln, wenn es so weit ist.«

Schweigen folgte ihrem Ausbruch. Ihre Augen wanderten von Gesicht zu Gesicht, bis sie schließlich auf meinem verharrten. »Und? Ihr seid doch der Kurier des Kronrats, richtig? Habt Ihr keine Meinung dazu?«

Diese Befragung ähnelte derjenigen bei Huddleston, nur war ich mir anders als damals sicher, dass Barnaby hier nicht mit hineingezogen würde. Wie um Marys Autorität zu bestätigen, trat Rochester wohlweislich einen Schritt zurück. Ich hatte das Gefühl, in ein Loch zu fallen. Das war doch nicht zu fassen, dass ich nach allem, was geschehen war, womöglich immer noch gezwungen werden sollte, meine Loyalität zu beweisen! Doch woher konnte sie andererseits wissen, wem meine Treue letztendlich galt? Wie konnte sie zu einem Fremden Vertrauen fassen, nachdem sie selbst so viel durchgemacht hatte?

»Eure Majestät«, begann ich, »dürfte ich mit Eurer Erlaubnis diesen Brief studieren?«

Auf ihre Geste hin hob ich das Dokument vom Boden auf und überflog es bis hinunter zur Unterschrift und den Siegeln. Dann hob ich den Blick zu ihr. »Die hohen Herren, deren Brief ich beim ersten Mal überbrachte, gehören sie hier auch zu den Unterzeichnern?«

»Sie sind nicht dabei, wie Ihr sehen könnt.« Auch wenn ihr Ton kurz angebunden wirkte, entspannte sie sich ein wenig. Sie kam näher und sagte zu den anderen: »Lasst uns. Ich möchte mit unserem Freund unter vier Augen sprechen.«

Ich hatte die Prüfung also bestanden, auch wenn das meine Anspannung keineswegs minderte. Der Kronrat hatte Mary wegen ihres Glaubens verfolgt. Und meine Verbindung mit ihm, so unbedeutend sie auch war, versetzte mich nun in eine gefährliche Zwangslage.

Sie blieb beim Tisch stehen. »Allmählich wirft Euer Verhalten bei mir Fragen auf. Ihr kommt aus dem Nichts und versäumt es, mir einen Namen zu nennen. Dann riskiert Ihr Euer Leben, um uns das Entkommen zu ermöglichen. Ihr werdet für verlässlich genug erachtet, um vertrauliche Briefe durch das Land zu tragen, spielt jedoch bei Angelegenheiten, die umfassende Kenntnisse erfordern, den ahnungslosen Toren. Ich würde gern genau wissen, mit wem ich es zu tun habe.«

Ich schluckte, obwohl meine Kehle ausgetrocknet war. Meine Worte sorgfältig abwägend, erwiderte ich: »Eure Majestät, ich versichere Euch, dass ich ohne jede Bedeutung bin. Ich habe getan, wofür ich bezahlt wurde. Was die Tatsache betrifft, dass ich mein Leben aufs Spiel gesetzt habe, müsst Ihr wissen, dass Lord Roberts Männer da schon beschlossen hatten, ihn im Stich zu lassen. Ferner sollte Euch mittlerweile bekannt sein, dass mein Name Daniel Beecham ist.«

»Ich habe ihn in der Tat erfahren, wenn auch nicht von Euch.« Sie griff nach einer Feder. »Warum hat man Euch dafür ausgewählt, das Schreiben des Kronrats zu überbringen? Es gibt doch sicher andere, die man hätte losschicken können, Männer, die ich wahrscheinlich erkennen würde.«

Wieder kamen mir Elizabeths Worte in den Sinn: Ich liebe meine Schwester, aber sie ist keine vertrauensvolle Frau. Das Leben hat sie so werden lassen.

Ich brachte ein Lächeln zustande. »Eure Majestät müssen wissen, wie solche Dinge zustande kommen. Ich hatte bereits einige Gänge erledigt. Und dann widerstrebte es den hohen Herren, selbst eine Reise anzutreten, sodass man mir Geld für die Erledigung dieses Auftrags bot. Abgesehen davon – wäre mir unterwegs irgendetwas zugestoßen … nun ja, mich kann niemand so ohne Weiteres mit bestimmten Personen in Verbindung bringen.«

Sie schnaubte. »Mit anderen Worten: Ihr seid verzichtbar – ein Mietling.«

»Sind das denn nicht die meisten Männer, Eure Majestät?«, erwiderte ich, woraufhin sie mir unverwandt in die Augen starrte.

»Ich habe wenig Erfahrung mit Männern, Master Beecham. Und das Wenige, was ich über sie weiß, sagt mir, dass mehr an Euch ist, als Ihr verraten wollt. Das Leben hat mich das eine oder andere über verborgene Motive gelehrt.« Mit erhobener Hand gab sie mir zu verstehen, dass sie noch nicht fertig war. »Aber es ist nicht nötig, mehr dazu zu sagen. Ich werde nicht weiter in Euch dringen. Barnaby Fitzpatrick bekundet hohe Achtung vor Euch, und Ihr habt Eure Treue bewiesen. Ihr werdet selbstverständlich an meinem Hof willkommen sein, sobald ich zur Königin ausgerufen bin. Denn – und täuscht Euch da nicht – Königin werde ich sein. Nicht einmal der Herzog kann sich gegen diejenigen durchsetzen, die von Gott bestimmt worden sind.«

»Ich bete dafür, dass es so sein wird«, antwortete ich. Ich glaubte ihr tatsächlich. Was sie auch sonst alles sein mochte, feige war Mary Tudor nicht. Dudley hatte allem Anschein nach nicht nur eine Prinzessin unterschätzt.

Mit einem kühlen Lächeln zog sie sich zu einem Stuhl zurück, womit sie mehr als nur räumliche Distanz zwischen uns schuf. Ihre nächsten Worte verrieten die Unnahbarkeit einer Frau, die sich mit dringenderen Angelegenheiten zu beschäftigen hat. »Wie Ihr sicher verstehen werdet, bin ich gegenwärtig nicht in der Lage, Euch zu belohnen, doch Ihr habt mein feierliches Versprechen, dass Ihr die Euch gebührende Entschädigung erhaltet, sobald ich den Thron unangefochten bestiegen habe. Wenn Ihr bis dahin irgendetwas benötigt, lasst es bitte Rochester wissen.«

Ich verneigte mich, widerstand jedoch dem plötzlichen Drang, mich zurückzuziehen. Womöglich bekam ich nie wieder eine zweite Gelegenheit.

»Ich erwarte keine Belohnung dafür, dass ich meiner Königin gedient habe«, hörte ich mich sagen und wunderte mich über meinen ruhigen Ton, denn mein Herz pochte laut und schnell. »Aber etwas gibt es, worum ich Eure Majestät bitten möchte, wenn ich es wagen darf?«

»Ja?« Sie legte die Hände in den Schoß und neigte den Kopf neugierig zur Seite.

»Nur ein paar Fragen, das ist alles; zur Befriedigung meiner Neugier.« Ich zögerte. Auch wenn es nicht zu sehen war, spürte ich, dass ich begonnen hatte zu zittern. »Euer Vater, König Henry der Achte, hatte doch zwei Schwestern. Und Herzogin Mary von Suffolk – war sie die Jüngste?«

»Ja. Margaret Douglas, die verwitwete Königin von Schottland, war die Älteste.«

»Ich verstehe. Eure Majestät, ich möchte nicht unverschämt erscheinen, aber war Eure verstorbene Tante, Mary von Suffolk, nicht auch als die Tudor-Rose bekannt?«