Eine halbe Stunde später erspähte ich ein zwischen Obstgärten eingebettetes Herrenhaus, über dessen Kamin und Innenhof bläulicher Rauch hing. Es wirkte fast verlassen.
»Peregrine, wach auf. Ich glaube, wir haben sie entdeckt.«
Der Junge schreckte hoch und starrte mich verwirrt an. »Woher weißt du das?«
»Schau dir den Hof an. Dort sind Pferde angebunden … sieben, um es genau zu sagen.«
Wir ritten in den Hof. Um zu zeigen, dass unsere Klingen unter dem Gürtel in der Scheide steckten, die Hände leer und die Köpfe unbedeckt waren, hatten wir die Umhänge über die Schultern zurückgeschlagen. Ich schärfte Peregrine ein, nur noch meinen neuen Namen zu benutzen und sich seine Unsicherheit nach Möglichkeit nicht anmerken zu lassen, während ich wiederum eine Ruhe vorgab, die ich nicht empfand, als die Bediensteten, alles Stallknechte, die mit der Vorbereitung der Pferde für einen Ausritt beschäftigt waren, mitten beim Umschnallen der Steigbügel erstarrten. Einer der drei Aufseher hob eine Feuerwaffe. Die anderen zwei näherten sich mit bedrohlichem Gebaren. Beide waren im mittleren Alter und trugen die Uniform von Leibgardisten. Ihre bärtigen Gesichter waren hager.
Der Ältere der zwei – der trotz aller Bemühungen, wie ein schlichter Diener zu wirken, die Würde eines Haushofmeisters zur Schau trug – bellte: »Wer seid Ihr? Was ist Euer Begehr?«
»Wer ich bin, tut nichts zur Sache«, gab ich zurück. »Mein Begehr ist, der Königin eine Botschaft zu überbringen.«
»Königin? Was für eine Königin?« Der Mann lachte. »Ich sehe hier keine Königin.«
»Ihre Majestät, Königin Mary. Die Botschaft ist vom Kronrat.«
Die Männer wechselten einen kurzen Blick. »Hole Lord Huddleston«, wies der Ältere den anderen an, der sofort loslief. »Und du hältst die Muskete auf ihn gerichtet, Jerningham«, befahl er dem Mann mit der Schusswaffe. Die Stallknechte verharrten regungslos. »Absteigen«, knurrte er. Peregrine und ich gehorchten.
Einen Augenblick später kam ein gehetzt wirkender, beleibter Mann, welcher der gerade erwähnte Huddleston sein musste, herbeigehastet. »Ich habe ihr geraten, das nicht zu tun, Master Rochester!«, rief er in besorgtem Ton. »Aber sie besteht darauf, die Männer im Saal zu empfangen, vorausgesetzt, sie sind unbewaffnet.«
Rochester maß mich mit strengem Blick. »Euer Bursche bleibt hier.«
Mit knurrendem Magen, weil mir von irgendwoher Bratengeruch in die Nase stieg, wurde ich zum Herrenhaus eskortiert. Rochester schritt neben mir einher, der bewaffnete Jerningham lief hinter mir, und Huddleston bildete die Vorhut. Bei der Eingangstür blieb Jerningham im Schatten zurück und würde zweifellos seine Waffe weiterhin auf mich gerichtet halten. Rochester und Huddleston führten mich ins Innere.
Vor einem Tisch stand eine schmale Gestalt in Bäuerinnentracht. Während die Männer sich verbeugten, ließ ich mich auf ein Knie sinken. Dabei erspähte ich eine auf dem Tisch ausgebreitete Landkarte sowie Feder und Papier, eine Flasche und einen Kelch.
Eine erstaunlich barsche Stimme befahl: »Erhebt Euch.«
Ich richtete mich vor Mary Tudor auf.
Sie ähnelte Elizabeth in nichts. Gemeinsamkeiten bestanden eher mit ihrer Cousine, Jane Grey. Sie war klein und zu mager, ihr ergrauendes Haar, das sich unter einer Haube in der Mitte teilte, wies noch Spuren von Rotgold auf. Anders als bei der noch sehr jungen Jane standen Mary ihr Alter und ihre vielen Leiden ins Gesicht geschrieben, hatten sich in Form von Furchen in ihre Stirn gegraben und umrahmten als Netz von Falten ihre Lippen und das schlaffe Kinn. Mit dick geschwollenen Fingern umklammerte sie ihren Gürtel. Einzig die tief umschatteten graublauen Augen ließen die unbezähmbare Kraft der Tudors erkennen. Voller Energie forderten sie die meinen heraus, und das mit einer Direktheit, die zu verstehen gab: Sie war etwas Höheres.
Elizabeths Worte fielen mir wieder ein: Seit jeher traut sie den Menschen immer nur das Schlechteste zu, nie das Beste. Manche sagen, das sei die Spanierin in ihr. Ich aber meine, es ist unser Vater.
Ihre schneidende Stimme gellte mir in den Ohren. »Mir wurde gesagt, Ihr hättet eine Nachricht.« Sie streckte die Hand aus. »Ich möchte sie sehen.«
Ich zog den Umschlag aus meiner Innentasche. Sie drehte sich ins Licht, riss ihn auf und überflog den Inhalt. Dann wandte sie sich wieder mir zu. Ihre Stirnfalten hatten sich vertieft. »Ist das wahr?«
»Ich glaube, ja, Majestät.«
»Ihr glaubt? Habt Ihr das gelesen?«
»Ich wäre kein guter Bote, wenn ich mir eine derart wichtige Nachricht nicht einprägen könnte. Briefe wie dieser können zum Verhängnis werden, wenn sie in die falschen Hände geraten.«
Sie musterte mich prüfend. Dann schritt sie zügig zum Tisch. »Dieser gefährliche Brief«, verkündete sie mit rauer Stimme, »ist von meinen Lords Arundel, Paget, Sussex und Pembroke, die allesamt meinem Bruder gedient haben und mir jetzt mitteilen, dass sie sich zwar keineswegs wünschen, mich um meinen Thron gebracht zu sehen, dass ihnen aber andererseits die Hände gebunden sind. Die Position des Herzogs ist anscheinend zu stark, als dass sie Widerstand leisten könnten. Sie fürchten, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als den Anspruch meiner Cousine zu unterstützen, auch wenn Jane nie den Wunsch geäußert hat zu herrschen.« Sie hielt inne. »Was sagt Ihr dazu?«
Ihre Frage verblüffte mich. Auch wenn sie ihre Gefühle geschickt verbarg, spürte ich ihre Beklommenheit. Nach jahrelangem Dasein in Vergessenheit sah sie sich nun erst in die Öffentlichkeit gerissen, nur um jäh zur Flucht im eigenen Reich gezwungen zu werden. Lady Mary war schon zu oft gejagt worden, als dass sie noch irgendwelchen Versprechungen traute.
Von niemandem hatte ich Gutes über sie gehört. Ja, die bloße Möglichkeit, dass sie den Thron besteigen könnte, hatte überall größte Unruhe ausgelöst. Ich dagegen empfand in diesem Moment nur Mitgefühl. Sie war in einem Alter, in dem die meisten Frauen geheiratet und Kinder bekommen hatten und sich allmählich dareinfügten, dass es in den ihnen verbleibenden Jahren ruhiger zugehen würde. Sie indes stand in einem fremden Herrenhaus, eine Getriebene, die für den Tod bestimmt war.
»Und?«, drängte sie. »Wollt Ihr mir nicht antworten? Ihr wurdet doch von ihnen gedungen, nicht wahr?«
»Eure Majestät, bitte vergebt mir meine Anmaßung, aber ich würde Euch lieber unter vier Augen antworten.«
»Auf keinen Fall!«, mischte sich Rochester ein. »Die Königin lädt keine Fremden in ihre Gemächer. Ihr könnt von Glück reden, dass wir Euch nicht wegen Konspiration mit ihren Feinden in ein Verlies geworfen haben.«
»Verlies?«, wiederholte ich, bevor ich mir auf die Zunge beißen konnte. »Hier?«
Benommenes Schweigen trat ein, bis Mary plötzlich in perlendes Lachen ausbrach. »Zumindest redet er nicht um den heißen Brei herum.« Sie klatschte in die Hände. »Lasst uns allein!«
Rochester marschierte zu dem mit der Muskete im Schatten lauernden Mann. Huddleston folgte ihm. Als wir allein waren, deutete Mary auf die Flasche. »Ihr müsst durstig sein. Es ist ein langer Ritt von London bis hierher.«
Ich nickte. »Danke, Eure Majestät.« Ihr knappes Lächeln ließ schlechte Zähne erkennen. Sie hat in ihrem Leben nicht viel Anlass zum Lächeln gehabt, sinnierte ich, während ich einen tiefen Schluck von dem warmen Ale nahm.
Sie wartete.
»Eure Majestät …«, begann ich. »Mein Gefährte … er ist nur ein Junge – ich darf doch annehmen, dass ihm kein Leid geschieht?«
»Natürlich.« Sie sah mir ohne jede Furcht in die Augen. »Sagt es mir aufrichtig: Ist mein Bruder Edward tot?«
Ich erwiderte ihren tapferen Blick. »Ja.«
Sie nahm es stumm zur Kenntnis, als dächte sie über etwas nach, das sie bereits akzeptiert hatte. Dann fragte sie: »Und dieser Brief des Kronrats – ist das eine List, oder kann ich dem Wort der Lords trauen?«
Ich antwortete mit wohl abgewogenen Worten: »Ich bin noch nicht lange am Hof, aber ich würde sagen: Nein, Ihr könnt ihnen nicht trauen.« Als ihre Züge sich anspannten, fügte ich hinzu: »Ihrem Brief könnt Ihr jedoch trauen. Lady Jane Grey ist tatsächlich eine Schachfigur in den Händen des Herzogs. Hätte man ihr die Wahl gelassen, hätte sie Euren Thron nicht für sich beansprucht.«
»Das zu glauben fällt mir allerdings schwer!«, schnaubte Mary. »Sie war es doch, die den verzogenen Sohn der Northumberlands geheiratet hat.«
»Eure Majestät können an ihre Unschuld glauben, selbst wenn Ihr sonst nichts glaubt. Der Herzog hat diese Situation herbeigeführt, um sich seine eigene Macht zu sichern.«
»Er sollte gerädert und gevierteilt und sein Kopf gepfählt werden!«, rief sie. »Wie kann er es wagen, darauf zu sinnen, mein Reich zu stehlen, das mir durch göttliches Recht zusteht? Aber er wird bald begreifen, dass ich keine Königin bin, die man auf die leichte Schulter nehmen kann – er und jeder andere Lord, der so unverfroren ist, meine Cousine über mich zu stellen!«
Die Leidenschaft ihres Ausbruchs spiegelte sich auch in ihren wutverzerrten Zügen wider. Sie besaß vielleicht nicht das Charisma und die Anziehungskraft ihrer Schwester, aber sie war immer noch die Tochter von Henry VIII.
»Ich nehme an, dass Eure Majestät beabsichtigen, um Eure Krone zu kämpfen«, murmelte ich.
»Bis zum Tode, wenn es sein muss. Meine Großmutter, Isabella von Kastilien, hat Armeen gegen die Ungläubigen geführt, um unser Reich zu vereinigen. Nicht weniger als das kann auch von mir erwartet werden.«
»Dann haben Eure Majestät Eure eigene Frage beantwortet. Das Angebot des Kronrats, Euch zu unterstützen, ist nur in dem Maße vertrauenswürdig, in dem Ihr es Euch aneignet. Wenn Ihr den Lords ihre früheren Sünden vergebt, sichert Ihr Euch ihre Treue.«
"Die Tudor-Verschwörung" отзывы
Отзывы читателей о книге "Die Tudor-Verschwörung". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Die Tudor-Verschwörung" друзьям в соцсетях.