»Ja, in sehr guten Händen«, antwortete ich. »Ich glaube, ich schulde Euch Dank.«
»Meint Ihr?« Eine ihrer dünnen Augenbrauen wölbte sich.
»O ja. Das hier ist schließlich Euer Haus, nicht wahr?«
Sie wedelte abwehrend mit der Hand. »Das ist doch wohl kaum ein Grund, Dankbarkeit zu erwarten. Es ist schließlich nichts als ein Haus. Ich habe mehrere, und sie stehen meistens leer.« Sie hielt inne. Ihr Blick begegnete dem meinen. »Vielmehr bin ich diejenige, die Euch danken muss, Master Prescott. Was Ihr in Greenwich für mich getan habt … werde ich nie vergessen.«
»Ihr musstet die Wahrheit erfahren, das verstehe ich.«
»Offenbar, ja. Und Ihr versteht das wohl besser als die meisten.« Ein unsicheres Lächeln flackerte über ihr Gesicht. Es war ein eigenartiges Gefühl, allein mit ihr in diesem Raum zu sein, wo ich mein fiebriges Delirium ausgeschwitzt, die schreckliche Wahrheit über Mistress Alice’ Ende erfahren und meine Liebe zu Kate entdeckt hatte. Ich hatte ganz vergessen, wie mächtig Elizabeths Ausstrahlung sein konnte, wie einzigartig ihre Erscheinung war. Sie schien nicht in eine primitive Kammer zu gehören. Abgesehen davon war mir sehr wohl bewusst, dass sie sich mit ihrem Besuch einer beträchtlichen Gefahr ausgesetzt hatte.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, versicherte sie mir: »Sorgt Euch nicht, Cecil weiß, wo ich bin. Ich habe darauf bestanden zu kommen. Also hat er mir mehrere Männer als Eskorte an die Seite gestellt. Sie warten unten. Morgen bringen sie mich nach Hatfield.« Ihre Lippen kräuselten sich verächtlich. »Es scheint, als müsste ich mich von nun an daran gewöhnen, ständig diese Männer um mich zu haben, sobald ich mein Gut auf Hatfield verlasse – zumindest so lange, bis sie Northumberland zur Strecke gebracht haben.«
Jetzt war es ausgesprochen worden – zu guter Letzt.
»Ist es das, was Cecil plant?«, fragte ich ruhig.
Sie bedachte mich mit einem eigenartigen Blick. »Natürlich. Warum würden sie Euch sonst zu meiner Schwester Mary schicken? Wenn sie ins Ausland flieht, überlässt sie England ohne jeden Schutz dem Herzog. Wer weiß, was dann aus uns allen würde? Das Volk hätte lieber eine alte katholische Jungfer auf dem Thron als einen Dudley. Meine arme Schwester.« Sie stieß ein spöttisches Lachen aus. »Mary wird seit jeher entweder gefürchtet oder verabscheut. Leicht wird ihr Schicksal nie sein. Und jetzt steht sie vor dem Kampf ihres Lebens. Wenn die Henker des Herzogs sie zu fassen bekommen …«
»Das werden sie nicht.« Ich trat näher an sie heran. »Ich werde sie daran hindern.«
Sie betrachtete mich schweigend. Aus der Nähe konnte ich die bernsteingelben Flecken in der Iris ihrer Augen sehen, die mich bei unserer ersten Begegnung am Fuß des Whitehall-Palastes so verzaubert hatten; einmal mehr fiel mir die in den Tiefen ihres Blicks ruhende Kraft auf, der zu widerstehen nur sehr wenige in der Lage waren, wie ich schlagartig begriff. An jenem ersten Abend war ich bereit gewesen, mich ihr zu Füßen zu werfen und alles zu tun, um ihre Gunst zu gewinnen. Jetzt stand ich zwar immer noch unter ihrem Bann, sah mich aber nicht mehr als dessen Sklave. So war es mir auch lieber. Ich war froh darüber, in der Lage zu sein, der Prinzessin in die Augen zu schauen und unsere gemeinsame Menschlichkeit zu erkennen.
»Ja«, murmelte sie. »Ich glaube, dass Ihr das erreichen werdet. Cecil hat recht: Ihr werdet alles tun, um einen Sieg der Dudleys zu verhindern. Aber Ihr habt sehr wohl eine Wahl. Was mich betrifft, habt Ihr Eure Schulden abbezahlt. Selbst wenn Ihr Euch entscheidet, diesen Auftrag nicht anzunehmen, ist Euch ein Platz in meinen Diensten sicher.«
Lächelnd neigte ich den Kopf und wich einen kleinen Schritt zurück.
»Was?«, rief sie. »Missfällt Euch diese Wahl? Wenn ich mich richtig entsinne, habt Ihr mich in Whitehall genau darum gebeten. Ihr sagtet, Ihr würdet mir gern dienen. Hat Euch Cecil am Ende ein besseres Angebot gemacht?«
»Überhaupt nicht.« Ich hob den Blick zu ihr. »Ich fühle mich geehrt und bin dankbar. Aber das ist nicht der Grund, warum Eure Hoheit den ganzen weiten Weg gekommen sind. Ihr wisst bereits, dass ich Euch dienen werde, komme, was wolle.«
Einen Moment lang schwieg sie. »Sind meine Gedanken so leicht zu lesen?«, fragte sie dann.
»Nur für diejenigen, die bereit sind, genau hinzusehen.« Ich spürte, wie sich in mir ein Abgrund öffnete, während ich mir vor Augen hielt, was sie alles war, wofür sie stand und was sie alles verlieren konnte, wenn sie jemals ihrem von Konflikten zerrissenen Herzen nachgab, das sie trotz der Gefahr für ihr Leben zu diesem Ritt zu mir beflügelt hatte.
»Ich … ich will nicht, dass ihm ein Leid geschieht«, sagte sie stockend. »Robert trifft keine Schuld … Er hat getan, was ihm befohlen wurde, und er … er hat doch versucht, mich zu warnen. Ich kenne ihn von Kindesbeinen an; in ihm steckt so viel Gutes. Es ist nur so, dass ihn – wie so viele, die in diese Welt geboren worden sind – nie der hohe Wert der Wahrheit gelehrt wurde. Aber er kann noch erlöst werden. Sogar er kann für seine Sünden Buße tun.«
Ich ließ das sich nach ihrer Beichte ausbreitende Schweigen seine Wirkung entfalten. Ich wollte sie weder mit meiner eigenen Meinung schmälern noch einem Versprechen opfern, von dem wir beide wussten, dass ich es vielleicht nicht halten konnte.
Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihre Finger nestelten an ihrem Umhang. Abrupt sagte sie: »Ihr werdet hoffentlich, allein schon um Kates willen, auf Euch aufpassen?«
Ich nickte. Sie wusste also doch Bescheid. Auch dieses Geheimnis teilten wir.
Sie wandte sich zur Tür, wo sie noch einmal innehielt, die Hand auf dem Riegel. »Geht achtsam mit Mary um«, sagte sie. »Ich liebe meine Schwester, aber sie ist keine vertrauensvolle Frau. Das Leben hat sie so werden lassen. Seit jeher traut sie den Menschen immer nur das Schlechteste zu, nie das Beste. Manche sagen, das sei die Spanierin in ihr. Ich aber meine, es ist unser Vater.«
Unsere Augen begegneten sich. »Nehmt Ihr Kate mit Euch?«, fragte ich. »Ich möchte sie in Sicherheit wissen, soweit das unter den Umständen möglich ist.«
»Ihr habt mein Wort.« Sie zog die Tür auf. »Hütet Euch vor Drachen, Brendan Prescott«, fügte sie, schon auf der Schwelle, hinzu, und ich hörte einen Anflug von trockenem Humor in ihrer Stimme. »Und was immer Ihr tut, haltet Euch vom Wasser fern. Es ist ganz offenbar nicht Euer Element.«
Ich lauschte, wie ihre Schritte auf der Treppe verhallten. Mir war klar, dass ich sie am Morgen nicht mehr sehen würde, denn ich musste schon vor der Dämmerung aufbrechen. Doch nun begriff ich endlich, warum Robert Dudley bereit gewesen wäre, seine Familie aus Liebe zu ihr zu verraten.
Und hätte sie die Möglichkeit, würde Elizabeth vielleicht genau dasselbe für ihn tun.
23
»Wann, hast du gesagt, trifft sie ein?«, fragte Peregrine zum bestimmt schon hundertsten Mal.
»Ich habe überhaupt nichts gesagt.« Darum bemüht, meine Ungeduld zu unterdrücken, spähte ich durch die Lücke in den Büschen. Vom langen Kauern waren meine Beine schon ganz taub, und der Rücken war steif. Am von Sternen übersäten Himmel schimmerte der sichelförmige Mond. Eine leise Brise raschelte in dem Wald, wo wir unsere Pferde angebunden und ihnen Riemen ums Maul geschnallt hatten.
»Sie hat ihren Landsitz irgendwann gestern verlassen. Auf dem Weg nach London ist sie bestimmt nicht, denn dann hätte man sie längst abgefangen und verhaftet. Folglich können wir nur hoffen, dass sie sich für diese Straße entschieden hat. Aber sie könnte ebenso gut woanders sein.«
In einen schweren blauen Wollumhang gehüllt, der zu demjenigen passte, den er mir besorgt hatte, verzog Peregrine das Gesicht. »Ich hab bloß gefragt, und du reißt mir gleich den Kopf ab! Hätte ich gewusst, dass du ein solcher Griesgram bist, wäre ich mit Mistress Stafford und Urian nach Hatfield gegangen.«
Ich presste ein Lachen hervor. »Tut mir leid. Ich wüsste auch lustigere Dinge, als hier am Straßenrand zu hocken. Viel lieber wäre ich jetzt ebenfalls bei Kate und Urian.«
»Das glaube ich gern. Ich hab ja gesehen, wie du sie angeschaut hast. Du liebst sie, nicht wahr?«
Die unpassende Mischung aus Neid und Sehnsucht in seiner Stimme ließ mich stutzen. Dass ich überhaupt hier war, verdankte ich nur seinem Einfallsreichtum und seiner unerschütterlichen Hartnäckigkeit.
Während wir in Edwards Gemächer geschlichen waren, hatte Peregrine sich an mehreren Wachposten vorbei in die Stallungen gemogelt, wo er, unbemerkt von der Nachtwache, heimlich, still und leise drei schlaftrunkene Pferde gesattelt und aufgezäumt hatte, um sie zusammen mit dem Hund zu der als Treffpunkt vereinbarten Pforte zu führen. Dort hatte er auf uns gewartet und die Tiere immer wieder mit Scheiben dieser Holzäpfel beruhigt, die er offenbar in seinen Taschen anbaute. Als sie die Schüsse hörten und die Soldaten des Herzogs aus dem Palast strömen sahen, hatte laut Kate Barnaby den jungen Peregrine mit Gewalt auf Cinnabar setzen müssen. Und kaum hatten sie das Versteck erreicht, hatte der Junge verlangt, dass sie zurückkehrten und nach mir suchten. Er wäre auf der Stelle losgelaufen, hätte ihn nicht die Furcht vor Patrouillen zurückgehalten. So war er rastlos in seinem Zimmer auf und ab geschritten. Doch als schließlich Cecils Männer mit Mistress Ashley eintrafen, um die Prinzessin in Sicherheit zu bringen, war er nicht mehr zu halten gewesen.
Dieselbe bedingungslose Hingabe hatte ihn darin bestärkt, mich so lange zu bearbeiten, bis ich einwilligte, ihn auf meine neueste Mission mitzunehmen. Mit einer gewissen Berechtigung hatte er sich darauf berufen, dass ich eine Schwäche für Katastrophen hatte und es wirklich das Beste für mich wäre, wenn ich von einem Freund begleitet würde. Er hatte also auf ganzer Linie gewonnen. Dennoch war es ein Fehler von mir gewesen, ihn so zu behandeln, wie er behandelt werden wollte, und so zu tun, als wäre er kein Kind mehr. Er war immer noch eines. Und als ich nun die Sorge in seinen Augen sah, versicherte ich ihm: »Ja, ich liebe sie. Aber du wirst immer einen Platz bei uns haben. Das verspreche ich dir.«
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