Ich wartete und versuchte, laut zu überlegen. »Aber der Kronrat hat die Ausrufung Janes zur Königin befürwortet, ja? Northumberland handelt nicht allein?« Wieder kam mir die Herzogin mit ihrer Drohung in den Sinn, die Dudleys zu stürzen. Wenn sie Widerspruch gegen die Usurpation ihrer Rechte erhob, konnte das den beiden Prinzessinnen die für ihr eigenes Handeln nötige Zeit verschaffen.

Einmal mehr musste ich Walsinghams eindringlichen Blick über mich ergehen lassen. »Was genau fragt Ihr da, Junker?«

»Nichts Besonderes. Ich will mir nur Klarheit über die Situation verschaffen.« Ich beobachtete ihn dabei, wie er die Hände unter dem Kinn faltete. Seiner Liebkosungen beraubt, legte sich Urian mit einem schwermütigen Seufzer auf den Boden.

»Die Mitglieder des Kronrats würden allem zustimmen, um ihre eigene Haut zu retten«, fuhr Walsingham fort. »Der Herzog hat sie mit der Drohung, er habe im Tower genügend Munition, um jede Revolte in Marys Namen niederzuschlagen, so lange unter Druck gesetzt, bis sie sich ihm unterworfen haben. Außerdem hat er auf den umliegenden Burgen ganze Garnisonen stationiert. Dennoch haben wir von unseren Quellen erfahren, dass nicht wenige von seinen sogenannten Verbündeten ihn lieber hängen sehen würden, als ihm noch mehr Macht zuzugestehen. Er hat sich zu viele Feinde geschaffen, als dass er noch ruhig schlafen könnte. Es ist gut möglich, dass er bald auch auf erheblichen Widerstand seitens Lady Mary höchstselbst stößt.«

Das war die längste Ansprache, die ich bisher von ihm gehört hatte, und sie hielt einige Überraschungen bereit.

»Erheblichen Widerstand?«, fragte ich vorsichtig. »Wie ich das verstanden habe, will das Volk sie nicht, weil sie erzkatholisch und ihre Legitimität zweifelhaft ist.«

»Man wäre gut beraten, sich nicht zu früh von ihr zu distanzieren.«

»Ich verstehe. Was genau wollt Ihr von mir?«

»Der Herzog hat Edwards Tod noch nicht offiziell verkündet. Doch da Jane Grey bereits auf ihre Krönung wartet, kann das nicht mehr lange dauern. Mary hat verlautbaren lassen, dass sie sich auf ihrem Landgut in Hoddesdon bereithält. Von dort sendet sie unablässig Boten mit der Forderung nach den neuesten Informationen aus. Wir haben den Verdacht, dass jemand am Hof sie gewarnt hat. Allerdings hat sie keine eigenen Quellen, auf die sie sich stützen könnte, und nur wenige werden es wohl riskieren, sich auf die Seite einer Prinzessin zu stellen, die von ihrem leiblichen Vater und Bruder als Bastardin bezeichnet worden ist. Sie könnte natürlich außer Landes fliehen, aber für wahrscheinlicher halten wir, dass sie versuchen wird, nach Norden zur katholischen Hochburg in Schottland zu gelangen, wo sie unter den Adeligen viele Freunde hat.«

Walsingham zog einen Umschlag unter dem Ärmel hervor. »Wir möchten, dass Ihr das überbringt.«

Ich griff nicht danach. »Eine Zusage von freiem Geleit nach Spanien ist das wohl eher nicht, oder?«

»Der Inhalt«, erwiderte er, »ist ohne Belang für Euch.«

Ich erhob mich. »Vergebt mir, wenn ich widerspreche. In Anbetracht der jüngsten Ereignisse könnte der Inhalt meinen Tod bedeuten. Ich bin meinem Auftraggeber treu wie nur wenige, doch selbst bei mir gibt es Grenzen. Bevor ich in irgendetwas einwillige, muss ich wissen, worum es geht. Und solltet Ihr nicht ermächtigt sein, es mir zu verraten«, fügte ich spitz hinzu, »würde ich vorschlagen, dass Ihr Cecil bittet, an Eurer Stelle zu mir zu kommen.«

Er dachte kurz nach. »Na schön.« Dann neigte er fast unmerklich den Kopf. »Es ist eine Botschaft von einigen wenigen ausgewählten Lords, die dem Kronrat angehören. Darin handelt es sich um eine Erklärung ihres Dilemmas, wenn Ihr so wollt. Sie bieten Mary ihre Unterstützung an, falls sie sich dafür entscheidet, um ihren Thron zu kämpfen. Es wäre ihnen lieb, wenn sie England nicht sich selbst überließe, denn eine abwesende Königin ist wenig wünschenswert.«

»Na, so was, sichern wir uns da nicht nach allen Seiten ab? Sie muss ja wirklich ziemlich bedeutsam geworden sein.«

»Nehmt den Auftrag an, oder lehnt ihn ab – mir ist das gleichgültig. Ich kann ein Dutzend andere Kuriere losschicken.«

Dahinter steckte natürlich Cecil; er hatte gesehen, in welche Richtung die Entwicklung ging. Da ich mir selbst keine Illusionen darüber machte, ob er lieber die Schwiegertochter des Herzogs auf dem Thron haben wollte oder die katholische Erbin, ließ ich mir mit der Antwort lange Zeit, lächelte ausgiebig und klopfte mir aufs Knie, um Urian zu mir zu locken.

Walsinghams schwarze Augen versteinerten.

Nachdem ich ihn genügend hingehalten und gezeigt hatte, dass ich nicht nach seiner Pfeife tanzte, erklärte ich: »Seit unserem letzten Auftrag ist mein Preis gestiegen.«

Es freute mich festzustellen, dass ihm das Thema Geld sichtlich behagte. Damit befanden wir uns auf seinem Terrain, wo alles verhandelbar war. Er zog unter seinem Wams einen Lederbeutel hervor. »Wir sind bereit, Euer Honorar zu verdoppeln, und die Hälfte gibt es im Voraus. Wenn Ihr den Brief nicht an Mary aushändigt oder sie in Gefangenschaft gerät, verfällt die zweite Hälfte. Möchtet Ihr, dass ich Euch das schriftlich bestätige?«

Ich nahm Beutel und Brief an mich. »Nicht nötig. Sollte es Missverständnisse geben, kann ich sie ja bei meinem nächsten Treffen mit Cecil regeln.« Ich schritt zur Tür, wo ich ein letztes Mal stehen blieb. »Sonst noch etwas?«

Er starrte mich kalt an. »Ja. Wie Ihr vielleicht wisst, kommt es auf die Zeit an. Ihr müsst Lady Mary vor den Männern des Herzogs erreichen. Ferner raten wir Euch davon ab, den eigenen Namen zu benutzen. Ihr seid ab sofort Daniel Beecham, Sohn eines Landadeligen aus Lincolnshire. Seine Identität ist real genug. Cecil war häufig bei dieser Familie zu Gast, ehe sie verschwand. Daniels Mutter starb am Kindbettfieber, sein Vater fiel in Schottland. Der Junge selbst befand sich bis zu seinem eigenen Tod vor einigen Jahren in Cecils Obhut. Euer Bart dürfte Euch als Tarnung genügen. Rasiert Euch also nicht. Master Beecham wäre zwei Jahre älter als Ihr, lebte er noch.«

»Endlich bin ich also ein toter Mann. Meine Feinde werden entzückt sein.«

»Es ist nur zu Eurem Schutz«, erklärte Walsingham humorlos.

Ich grinste. »Gewiss. Mir ist schon gesagt worden, dass Euch der Schutz der anderen ein Anliegen ist. Ich habe von Eurem zeitlich vielleicht etwas unglücklich gewählten Ausflug zu den Stallungen gehört, als ich anderweitig beschäftigt war, und dann von Eurem gescheiterten Eingreifen auf der Mauerkrone. Da drängt sich mir doch die Frage auf, was kurz davor geschehen war, als ich in dieser Klosterzelle gefangen war. Ihr wart das doch, der mein Wams am See gefunden hat, nicht wahr? Ihr habt es am Tor zur Klosterruine abgelegt, um Peregrine und Barnaby zu warnen. Ein ziemlich zurückhaltender Versuch, aber wahrscheinlich sollte ich mich nicht beschweren.« Ich griff nach dem Türriegel, ohne mich von dem stechenden Schmerz in der Schulter beeindrucken zu lassen. »Darf ich gehen?«

»Gleich.« Walsinghams Augen flackerten zu Urian hinüber, der schwanzwedelnd neben mir stand. »Es war nicht Henry Dudley, der den Schuss auf Euch abgefeuert hat.«

Ich rührte mich nicht von der Stelle.

»Der Haushofmeister, Master Shelton, hielt die Pistole. Ich habe gesehen, wie er vom Fenster aus zielte. Ich denke, dass Ihr das wissen solltet. Er ist doch jemand, dem Ihr vertraut, oder?«

»Nicht mehr«, knurrte ich und schritt hinaus.

In der Vorhalle kehrte eine Küchenmagd die Asche aus dem Herd. Mit einem schüchternen Lächeln wies sie mir den Weg zu dem von Mauern umschlossenen Garten. Dort duftete es nach Lavendel.

Wie Kate angekündigt hatte, hängte sie Wäsche zum Trocknen auf. Lautlos schlich ich mich von hinten an und schlang die Arme um ihre Hüften. »Hast du das alles geschrubbt?«, flüsterte ich ihr ins Ohr. Mit einem Aufschrei ließ sie einen Kissenbezug fallen. Urian kläffte entzückt und schnappte ihn mitten im Flug. Dann trabte er mit seiner Trophäe und hoch aufgerichtetem Kopf davon.

Kate wirbelte herum. »Ich werde dich beizeiten wissen lassen, dass Stoffe aus Holland nicht billig sind. Wir müssen noch für einen ganzen Haushalt sparen, oder hast du vor, reich zu werden?«

»Wenn du willst, kaufe ich dir hundert Kissenbezüge aus ägyptischer Seide.« Ich drückte ihr den Lederbeutel in die Hand. Ihre Augen weiteten sich, als sie sein Gewicht spürte. Forschend blickte sie mir ins Gesicht. Bevor sie die Frage aussprechen konnte, zog ich sie an mich.

»Wann?«, flüsterte sie in meinen Armen.

»Sobald es mir gelingt, dich loszulassen«, murmelte ich.

Als ich am Abend meine Satteltasche für den Ritt packte, klopfte es. Mit gerunzelter Stirn ging ich zur Tür. Wer mochte das nur sein? Kate und Peregrine wären einfach eingetreten, und Walsingham erachtete es für unter seiner Würde, wegen eines Dienstboten eine Treppe zu erklimmen.

Sie stand, von Kopf bis Fuß in schwarzen Samt gehüllt, im Korridor. Hinter ihr wartete Kate auf dem Treppenabsatz, in der Hand eine flackernde Kerze. Unsere Blicke fanden einander, und ich nickte. Daraufhin wandte sie sich ab, jedoch erst, nachdem ich ihre beunruhigte Miene bemerkt hatte.

Ich trat zur Seite. Kaum war Elizabeth eingetreten, spürte ich erneut jene magnetische Anziehungskraft, die sie wie einen Duft auszustrahlen schien. Sie schob ihre Kapuze zurück. Schmuck trug sie nicht. Ihr feuerrotes Haar wurde von einem geflochtenen Netz gezähmt. Um ihre ausdrucksvollen Augen hatten sich dunkle Schatten gebildet, als hätte sie eine schlaflose Nacht hinter sich.

Ich verbeugte mich tief. »Eure Hoheit, welch unerwartete Ehre!«

Sie nahm das mit einem zerstreuten Nicken zur Kenntnis und blickte sich um. »So, so, hier habt Ihr Euch also erholt? Ich vermute, dass Ihr in guten Händen wart.« Ihr Ton enthielt keine versteckten Betonungen, keinerlei Hinweis darauf, dass sie über meine Beziehung zu Kate im Bilde war. Ich beschloss, es dabei zu belassen, zumindest fürs Erste. Kate würde Elizabeth darüber aufklären, wenn sie so weit war.