»Nein. Ich will es wissen. Ich … ich muss es wissen.«
»Nun gut, dann sage ich es Euch.« Sie setzte sich neben mich. »Sie ist tot. Sidney hat es Walsingham berichtet. Jemand hat ihre Leiche weggeschafft. Wohin, das weiß niemand. Die Dudleys haben gedroht, Sidney umzubringen, weil er Euch geholfen hat, aber inzwischen hat sich die Nachricht von Elizabeths Entkommen verbreitet, und seitdem herrscht im Palast das Chaos. Brendan, nein! Setzt Euch! Ihr könnt doch nicht …«
Doch ich war bereits aufgesprungen. Ich überwand das plötzliche Schwindelgefühl, erreichte das Fenster und starrte in die schwarze Nacht hinaus. Meine treue Alice war tot. Jetzt war sie für immer von mir gegangen. Lady Dudley hatte ihr die Kehle aufgeschlitzt wie einem Raubtier, das sich in den Hühnerstall geschlichen hatte, und sie einfach verbluten lassen.
Ich konnte den Gedanken nicht ertragen. Das konnte ich einfach nicht. Er würde mich in den Wahnsinn treiben.
»Was ist mit Jane Grey?«, fragte ich leise. »Ist sie schon zur Königin ausgerufen worden?«
»Noch nicht. Aber der Herzog hat sie und Guilford nach London gebracht. Und laut Gerüchten beabsichtigt er, Soldaten auszusenden, damit sie Lady Mary ergreifen.«
»Ich dachte, das hätte er längst getan. Soviel ich weiß, hat er Lord Robert damit beauftragt.«
»Das hat sich anscheinend verzögert. Als er von Elizabeths Flucht aus Greenwich erfuhr, wollte er offenbar zuallererst Lady Jane an einen sicheren Ort bringen. Sie ist jetzt alles, was er hat.«
Ich nickte. »Peregrine«, sagte ich. »Kannst du uns bitte allein lassen?«
Der Junge stand auf und ging hinaus. Urian trottete hinterher. Kate und ich blickten einander an. Unvermittelt wandte sie sich dem Tablett zu und machte Anstalten, danach zu greifen. »Wir können ja morgen weitersprechen.«
Ich trat auf sie zu. »Das ist richtig. Aber … geh jetzt nicht.« Meine Stimme brach. »Bitte.«
Sie strich mir mit der Hand über die bärtige Wange. »Der ist ja so rot«, murmelte sie. »Und dicht. Ich hätte nie gedacht, dass dir ein derart dichter Bart wächst.«
»Und ich«, flüsterte ich, »hätte nie gedacht, dass dir das etwas bedeutet.«
Sie blickte mich mit festem Blick an. »Ich auch nicht. Aber so ist es nun mal.«
Ich zog sie an mich, legte beide Arme um sie.
»Ich habe das noch nie getan«, gestand ich.
»Noch nie?« Sie hob in echtem Erstaunen die Augen.
»Noch nie. Bisher habe ich nur eine Frau geliebt.« Ich streichelte ihr die Wange. »Und du?«
Sie lächelte. »Natürlich haben schon seit meiner frühesten Kindheit alle möglichen Freier um meine Hand angehalten.«
»Dann erweitere die Liste um meinen Namen.« Diese Worte beunruhigten mich nicht so sehr, wie ich gedacht hatte. Noch nie war ich verliebt gewesen, doch jetzt kam mir das wie die natürlichste Sache auf der Welt vor.
Sie schaute mir in die Augen. »Müssen wir so lange warten?« Dann ergriff sie meine Hände und führte sie an ihr Mieder. Ich löste die Bänder. Das Mieder glitt von ihren Schultern. Im nächsten Moment stieg sie auch schon aus ihren Röcken und wand sich aus dem Hemdchen, bis sie splitternackt vor mir stand – so begehrenswert, wie es noch nie eine Frau in meinem Leben gewesen war.
Ich hob sie hoch und vergrub mein Gesicht zwischen ihren Brüsten. Unwillkürlich schnappte sie nach Luft, als ich sie zum Bett trug. Sie beobachtete, wie ich meinen Umhang abstreifte, dann erhob sie sich auf die Knie, um mir dabei zu helfen, mir das Hemd über den Kopf zu ziehen. Die Schulter tat mir immer noch weh. Und als sie die frischen Blutflecken an meinem Verband entdeckte, runzelte sie die Stirn. »Den sollte ich wirklich wechseln«, sagte sie.
»Das kann warten«, flüsterte ich gegen ihre Lippen. Als ich mich von ihr löste, wanderte ihr Blick an meinem Oberkörper hinunter, um kurz bei dem Fleck an meiner Hüfte zu verweilen.
Ich legte mich neben sie. Ihr erfahrenes Gebaren vermochte mich nicht zu täuschen. Ich spürte, wie ihr Puls unter meiner Hand raste. Und obwohl sie die Freuden des Fleisches schon bis zu einem bestimmten Grad erkundet haben mochte, war es, wie ich bald feststellen sollte, noch nie zum Vollzug der Liebe gekommen.
Doch bald entdeckte ich, dass auch ich unschuldig war, und zwar in jeder Hinsicht. Während ich sie an mich presste und wir einander voller Hingabe erkundeten, merkte ich bald, dass unsere verschwenderische Vereinigung nicht das Geringste mit den ungestümen Spielchen mit den Dienstmädchen auf der Burg oder den jungen Damen auf Jahrmärkten gemein hatte. Ich betete sie regelrecht an, wie ich das vielleicht auch in einem Tempel getan hätte, bis sich das Begehren in Kates Augen in eine Flamme verwandelte, sie unter mir erschauerte und ihre Leidenschaft meiner Glut ebenbürtig wurde. Nur ein einziges Mal schrie sie auf, wenn auch gedämpft.
Nachdem wir uns verausgabt hatten und sie in meinen Armen lag, flüsterte ich: »Habe ich dir wehgetan?«
Mit einem zittrigen Lachen antwortete sie: »Wenn das Schmerz war, möchte ich nie etwas anderes erleben.« Sie spreizte die Hände über meiner Brust und legte die Finger flach auf mein Herz. »Alles, was ich will, ist hier.«
Ich lächelte sie an. »Sei es, wie es wolle, ich möchte immer noch eine rechtschaffene Frau aus dir machen.«
»Nur damit du es weißt«, entgegnete sie. »Ich bin achtzehn Jahre alt und kann meine Entscheidungen selbst treffen. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich jetzt schon eine rechtschaffene Frau sein will.«
Ich lachte. »Na gut, wenn es so weit ist, dann lass es mich wissen. Ich müsste zumindest Ihre Hoheit um ihren Segen bitten. Schließlich bist du ihre Kammerfrau. Und dann auch noch deine Mutter. Sie wird sicher auch gefragt werden wollen.«
Kate seufzte. »Meine Mutter ist tot. Aber ich glaube, dass sie dich gemocht hätte.«
Ich entdeckte einen alten Schmerz in ihrer Stimme. »Das tut mir leid. Wann ist sie gestorben?«
»Als ich fünf Jahre alt war.« Sie lächelte. »Sie war selbst noch so jung, als sie mich auf die Welt brachte – erst vierzehn.«
»Und dein Vater … war er auch jung?«
Sie bedachte mich mit einem eigenartigen Blick. »Ich bin ein Bastard. Und nein, er war nicht so jung wie sie.«
»Ich verstehe.« Ich wich ihrem Blick nicht aus. »Möchtest du es mir erzählen?«
Einen Moment lang blieb sie stumm. Schließlich sagte sie: »Es war keine Liebesaffäre. Meine Mutter war das Kind von Bediensteten im Haus Carey. Ihre Eltern starben während jener Schweißfieberepidemie, die auch Mary Boleyns ersten Mann das Leben kostete. Als diese sich wieder verheiratete und Mistress Stafford wurde, wurde meine Mutter ihre Dienerin. Mistress Stafford war nicht reich. Ihr neuer Mann, Will Stafford, war ein einfacher Soldat, aber sie hatte aus ihrer ersten Ehe zwei Kinder, dazu eine Leibrente, und ihr verstorbener Mann hatte ihr ein Haus vermacht. Sie mochte meine Mutter gern. Deshalb bot sie ihr diese Stellung an.«
»Diese Mary Stafford ist die Schwester von Anne Boleyn, nicht wahr?«
»Ja, aber sie hatte nichts von dem Stolz ihrer Schwester. Gott sei ihrer Seele gnädig. Als meine Mutter schwanger wurde, blieb das nicht lange geheim. Das morgendliche Erbrechen verriet sie. Sie geriet in Panik, aber Mistress Stafford machte ihr nie Vorhaltungen. Und da sie die Nöte kannte, in die Frauen geraten können, gab sie sie kurzerhand in die Obhut von Lady Cecil. Ich wurde auf Lady Cecils Anwesen geboren.«
Damit war also Kates Bekanntschaft mit Cecil geklärt. Sie hatte unter seinem Dach gelebt.
»Wusste Mistress Stafford, wer dein Vater war?«, erkundigte ich mich.
»Sie muss einen Verdacht gehabt haben. Meine Mutter hat seinen Namen nie in den Mund genommen, aber auf Mistress Staffords Anwesen gab es nicht viele Männer, die alt genug waren und sich diese Freiheit hätten nehmen können. Es musste sie zutiefst geschmerzt haben. Mary war mit Stafford noch nicht einmal ein Jahr verheiratet gewesen und hatte seinetwegen den Zorn ihrer Familie und das Exil vom Hof auf sich genommen.« Kate setzte sich auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Er lebt noch. Ich habe ihn bei Mistress Staffords Beerdigung gesehen. Wir haben dieselben Augen.«
Ich schwieg. Die Ähnlichkeiten – und die entscheidenden Unterschiede – zwischen uns hatten mich nachdenklich gestimmt.
»Mistress Stafford hätte das natürlich verstanden«, fügte sie hinzu. »Schließlich war sie die Geliebte von Henry dem Achten gewesen, ehe er ein Auge auf ihre Schwester Anne warf. Sie wusste, dass Treue nicht unbedingt die größte Stärke der Männer ist, und keine Frau beschwört wissentlich Unglück auf sich herab. Doch sie gab das Geheimnis meiner Mutter nicht preis und gestattete ihr, mich aufzuziehen. Auch ließ sie uns bei den Cecils bleiben. Ich glaube, sie wollte meine Mutter von ihrem Mann fernhalten.«
Sie hielt inne und schluckte. Nach einer kurzen Weile fuhr sie wieder fort: »Ich verdanke ihr alles. Weil sie so freundlich zu ihr war, musste meine Mutter nie betteln gehen. Wir lebten gut; ich hatte eine schöne Kindheit. Ich erhielt sogar Unterricht. Dafür sorgte Lady Mildred, die selbst gebildet war. Ich bin eine der wenigen Damen in Diensten Ihrer Hoheit, die lesen und schreiben können. Das ist der Grund, warum sie mir vertraut. Wenn eine Nachricht vernichtet werden muss, kann ich sie auswendig lernen.«
»Ich kann gut verstehen, dass sie dir vertraut«, sagte ich. »Aber erzähl mir: Wie ist deine Mutter gestorben?«
»Sie bekam Fieber. Es war kurz und schmerzlos. Nach dem Tod meiner Mutter habe ich Mistress Stafford noch ein paarmal gesehen. Sie war immer sehr freundlich. Drei Jahre später ist sie selbst gestorben.«
»Und der Mann, den du für deinen Vater hältst …?«
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