»Ich weiß nichts von einem Pavillon in dieser Gegend! Aber ich muss die Damen bitten, uns ihre Namen zu nennen. Jetzt ist nicht die Zeit, sich unbegleitet in der Dunkelheit aufzuhalten.« Er warf Elizabeth einen vielsagenden Blick zu. »Mylady, ich möchte dafür sorgen, dass Ihr sicher in den Palast zurückgebracht werdet.«
Kate lachte auf. »Mit den Festlichkeiten dort drinnen stellt der Palast natürlich keine Gefahr dar. Aber ich sehe, dass wir hier am falschen Ort sind. Eine Eskorte wäre uns sehr recht, wenn Ihr so freundlich wärt.«
Es verlief nicht nach Plan, doch sie improvisierte nach Kräften, um uns doch noch eine Gelegenheit zum Eingreifen zu verschaffen. Und es konnte klappen, wenn sie es nur schaffte, die Kerle zur Mauer zu locken, wo Barnaby und ich im Schatten des Turms auf der Lauer lagen.
Doch Rog schluckte den Köder nicht. Er hatte seinen misstrauischen Blick nicht eine Sekunde von Elizabeth abgewandt, und gerade als ich dachte, die Situation sei zu angespannt, als dass Barnaby und ich tatenlos bleiben könnten, schoss die Hand des Mannes vor, und er riss der Prinzessin die Kapuze vom Kopf.
Totenstille breitete sich aus. Elizabeths blasses Gesicht und ihre feuerroten Locken schimmerten. Der größere der Wächter stieß ein ersticktes Keuchen aus. »Allmächtiger! Das ist … das ist …!«
Er brachte den Satz nicht zu Ende. Das Messer hoch erhoben, stürzte Kate sich auf ihn. Gleichzeitig brachen Barnaby und ich aus der Deckung. Nie hätte ich gedacht, dass wir gezwungen sein könnten, diese Männer zu ermorden, doch in dieser kritischen Situation erkannte ich, dass unser eigenes Überleben womöglich genau das erfordern würde.
Ich erreichte Kate, als sie mit dem Wächter rang. Wiehernd vor Lachen hatte er ihre Hand, die das Messer hielt, gepackt und drückte sie zurück. Mit einem heftigen Stoß an die Schulter beförderte ich Kate aus seiner Reichweite und rammte dem Mann die Faust so brutal ins Gesicht, dass ich seine Knochen spürte. Mit einem dumpfen Aufprall krachte er auf das Kopfsteinpflaster.
Ich wirbelte herum und sah, wie Barnaby Rogs Schwert auswich. Doch da Barnabys kleiner Dolch der mächtigen Waffe nicht gewachsen war, war es nur eine Frage von Sekunden, bis ihm der Mann den tödlichen Hieb versetzen konnte. Aber dann registrierte ich aus den Augenwinkeln eine verschwommene Bewegung – ein dunkler Stoff, der durch die Luft zischte.
Eine lange weiße Hand erschien wie aus dem Nichts.
Ich hörte ein Knacken. Zunächst zeigte Rog keine Regung, dann bebte sein Schwert und fiel klirrend zu Boden. Schwankend drehte er sich halb zu seiner Angreiferin um, auf dem Gesicht einen Ausdruck völliger Fassungslosigkeit. Eine dünne Blutspur sickerte von seiner Stirn herab.
Dann kippte er nach vorn.
Ich erhaschte Elizabeths Blick. Der Stein, mit dem sie zugeschlagen hatte, glitt ihr aus den Fingern. Ein Blutfleck besudelte ihre schmalen Hände. Kate stürzte auf die Prinzessin zu. »Eure Hoheit, seid Ihr verletzt?«
»Nein. Aber ich wette mit dir, dass dieser Kerl mit Kopfschmerzen aufwachen wird, die er nicht so bald vergessen wird.« Fast ungläubig starrte Elizabeth auf den zu ihren Füßen liegenden Soldaten hinab. Dann hob sie die Augen zu mir. Während ich mich ihr näherte, beugte sich Barnaby über Rog und fühlte ihm den Puls.
»Er lebt«, verkündete Barnaby.
Erleichtert atmete Elizabeth auf. »Gnädiger Gott! Sie haben ja nur ihre Pflicht getan.«
Kate strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht. Darunter kamen hochrot verfärbte Wangen zum Vorschein. »Richtige Lümmel waren das! Kann Northumberland keine besseren Männer finden?«
»Hoffentlich nicht.« Barnaby packte Rog an den Handgelenken und schleifte ihn zum Eingang des Turmes. Ich winkte unterdessen Kate zu mir. »Kommt, helft mir.«
Wir begannen, fieberhaft zu arbeiten. Mit vereinten Kräften zerrten Kate, Elizabeth und ich den größeren und schwereren zweiten Wächter durch die Tür in einen kleinen, runden Raum, den man früher als Gerätelager benutzt haben mochte. Von dort führte eine Wendeltreppe zu einer gewölbten Decke.
Nachdem wir die Wächter Seite an Seite auf den Boden gebettet hatten, ging ich noch einmal ins Freie, um das Schwert zu bergen. Als ich zurückkehrte, fesselte Barnaby die regungslosen Männer gerade mit seinem Gürtel an den Handgelenken aneinander. Dann ließ er sich von Elizabeth deren Taschentuch geben, zerriss es in zwei Hälften und stopfte den Männern je eine in den Mund. »Kein wirkliches Hindernis, wenn sie unbedingt rauswollen«, brummte er. »Aber das wird sie eine Weile aufhalten.«
Kate nahm mir das Schwert aus der Hand. »Ich werde schon dafür sorgen, dass sie stillhalten. Wenn sie auch nur laut atmen, zerlege ich sie wie eine Kirchweihgans.«
Elizabeth hatte unterdessen die Wendeltreppe erreicht. Barnaby hielt sie zurück. »Nein, dort.« Er lief vorbei an der Treppe zur anscheinend massiven Mauer. An ihrem Fuß bückte er sich und hob eine Bodenplatte an. Verblüfft beobachtete ich, wie er mit den Zehenspitzen einen darunter verborgenen Hebel umlegte.
Langsam öffnete sich die Wand und gab einen Bogengang frei. An seinem Ende wand sich in der Dunkelheit eine von Spinnweben verhangene zweite Wendeltreppe nach oben. Elizabeths skeptisch zusammengekniffene Augen wanderten von Barnaby zu mir. »Die ist aber sehr finster.«
»Wir können kein Licht riskieren«, erklärte Barnaby. Sie nickte und tastete sich zum Geheimgang vor.
Ich bedeutete Barnaby, ihr zu folgen. »Ich komme gleich nach.« Dann wandte ich mich zu Kate um. »Seid Ihr sicher, dass Ihr hierbleiben wollt?« Ich gab mir alle Mühe, meinen Ton neutral zu halten und meine Sorge nicht anklingen zu lassen, die mich gerade erst fast dazu getrieben hätte, den Wächter umzubringen. Nun widerstrebte es mir zutiefst, sie mutterseelenallein hier unten zurückzulassen. Andererseits passte es mir ganz und gar nicht, dass ich ausgerechnet jetzt Gefühle für sie empfand.
Sie bedachte mich mit einem wissenden Lächeln. »Immer noch misstrauisch, hm?« Und bevor ich etwas erwidern konnte, legte sie mir einen Finger auf die Lippen. »Psst. Ich weiß, dass ich Euch eine Erklärung schulde, aber seid fürs Erste versichert, dass ich mit einer Klinge mehr vermag, als nur Äpfel zu schälen.«
Daran hatte ich keine Zweifel. Aber selbst wenn sie eine Waffe schwingen konnte, wäre sie diesen Burschen nie und nimmer gewachsen, sobald sie auf die Idee kamen, ihre Fesseln zu sprengen.
»Kämpft nicht gegen sie.« Ich sah ihr tief in die Augen. »Das sind die Männer des Herzogs. Die Strafe wäre … drakonisch. Wenn es ernst wird, seht zu, dass Ihr flieht. Lauft zu Peregrine, und trefft uns auf der Straße.« Ich stockte. »Versprecht es mir.«
»Ich bin gerührt, dass Ihr Euch Sorgen macht«, erwiderte sie, immer noch mit diesem ironischen Lächeln um die Mundwinkel. »Aber jetzt ist wohl kaum der richtige Moment für Zweifel an den eigenen Verbündeten. Lauft los. Es gibt Wichtigeres, um das Ihr Euch sorgen müsst.«
Sie hatte recht. Eilig wandte ich mich um und trat in die erstickende Dunkelheit.
Der Gang und die Geheimtreppe waren entsetzlich eng, und die Decke war so niedrig, dass man kaum aufrecht gehen konnte. Die Knie gebeugt und den Kopf eingezogen, aber immer noch mit den Haaren kalten Stein streifend, fragte ich mich, wie König Henry sie mit seiner Körperfülle bewältigt haben mochte. Unwillkürlich keuchte ich auf, als jäh alles Raumgefühl verschwand.
Kate hatte den Hebel betätigt und die falsche Mauer wieder geschlossen.
Ich befand mich in einem nach oben führenden Tunnel. Nach und nach gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Auf den Stufen kauerten Ratten, die mich ohne jede Angst beäugten. Elizabeth und Barnaby stiegen hintereinander hinauf. Bei jeder Biegung verlor ich sie aus den Augen. Die feuchtkalte Luft trieb mir den Schweiß auf die Stirn.
Plötzlich endete die Treppe an einer Holztür. Barnaby verharrte. »Bevor wir hineingehen, sollten Eure Hoheit wissen, dass Edward … nicht mehr der Prinz ist, den wir einmal kannten. Die Krankheit und die Behandlungen haben einen schrecklichen Tribut von ihm gefordert.«
Elizabeth hielt sich dicht bei mir, als Barnaby an die Tür klopfte. In der Stille hörte ich sie zittrig atmen. Barnaby pochte erneut. Ich packte meinen Dolch.
Mit einem Knarzen ging die Tür einen Spaltbreit auf.
»Wer kommt da?«, fragte eine angstvolle Männerstimme leise.
»Sidney, ich bin’s«, flüsterte Barnaby. »Mach auf, schnell.«
Die Tür schwang nach innen auf, und ich erhaschte einen Blick auf eine Wandvertäfelung, die den geheimen Eingang zu einem kleinen, aber kostbar ausgestatteten Zimmer verdeckte. Eine überwältigende Hitze schlug mir entgegen. Sie kam aus den mit Duftstoffen angereicherten Kohlenpfannen in den Ecken, von einem in einer Nische eingemauerten Kamin und von den Fackeln, welche die in Scharlachrot und Gold bezogenen Stühle und die Vorhänge zu einem Alkoven beleuchteten, in dem sich ein Baldachin aus reinem Damast befand.
Ein junger Mann mit strähnigem blonden Haar und einem fein geschnittenen, eingefallenen Gesicht wandte sich Barnaby zu. »Was machst du hier? Du weißt doch, dass Seine Lordschaft dich weggeschickt hat. Du darfst nicht …« Seine Stimme erstarb, und seine blauen Augen weiteten sich. Elizabeth war an Barnaby vorbeigetreten und nahm ihre Haube ab.
Ich hielt mich hinter ihr. Neben der Hitze, die einem den Atem verschlug, stieg mir allmählich ein eigenartiger Geruch in die Nase – er war sehr schwach, aber seltsam faulig und ließ sich von dem Kräuterdampf aus den Kohlenpfannen nicht gänzlich übertünchen.
Elizabeth bemerkte es ebenfalls. »Himmelherrgott …«, murmelte sie, als Sidney vor ihr auf die Knie sank. »Dafür ist jetzt keine Zeit«, sagte sie leise und näherte sich dem Bett. Ein auf einer Stange hockender Falke, dessen Füße an einen goldenen Pfosten gekettet waren, beobachtete sie. In seinen dunklen Pupillen spiegelten sich die Kerzenflammen.
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