Durch das Laub beobachtete ich, wie Robert den Weg entlanglief. Er hatte mich aufgefordert, heute Abend pünktlich zurückzukehren, damit ich ihm beim Ankleiden helfen konnte. Obwohl er das nun hatte allein erledigen müssen, war es ihm gut gelungen. In einem Wams aus Goldbrokat, besetzt mit funkelnden Opalen, das ihn ein Vermögen gekostet haben musste, gab er eine beeindruckende Figur ab. Kurz blieb er stehen, um seine mit Feder und Juwelen geschmückte Kappe abzunehmen, dann stieg er die Stufen zum Pavillon hinauf. Dort oben kamen seine hohen Lederstiefel und die goldenen Sporen erst richtig zur Geltung.
Vor Elizabeth ließ er sich auf ein Knie sinken. »Ich bin von Freude überwältigt, Eure Hoheit sicher und bei bester Gesundheit anzutreffen.« Selbst in dem nach allen Seiten offenen Pavillon war sein Moschusparfum schier überwältigend, und irgendwie erinnerte er in der Tat an einen mächtigen Stier im besten Mannesalter.
Weder reichte ihm Elizabeth die Hand, noch gestattete sie ihm, sich zu erheben. Während sie ihr Taschentuch unter die Halskrause schob, antwortete sie: »Über meine Gesundheit kann ich nicht klagen. Wie es um meine Sicherheit steht, wird sich noch erweisen. Dieser Hof war noch nie eine Zufluchtsstätte für mich.«
Er blickte auf. Sie hatte in leichtem, fast beiläufigem Ton gesprochen, doch selbst er hätte nicht missverstehen können, was sie in Wahrheit meinte. Dennoch stellte er sich unwissend. Mit rauer Stimme erwiderte er: »Wenn Ihr es mir gestattet, mache ich diesen Hof und das ganze Königreich zu Eurer Heim- und Zufluchtsstätte zur Mehrung Eures Ruhms.«
»Ja.« Sie lächelte. »Das würdet Ihr für mich tun, nicht wahr, mein lieber Robin? Seit unseren Kindertagen habt Ihr mir schon immer das Blaue vom Himmel herunter versprochen.«
»Das tue ich immer noch. Ihr könnt von mir alles haben, was Ihr Euch wünscht. Ihr braucht nur darum zu bitten, und es gehört Euch.«
»Nun gut.« Sie fixierte ihn. »Ich möchte meinen Bruder sehen, bevor er stirbt, ohne dabei um mein Leben fürchten zu müssen.«
Robert erstarrte. Immer noch zu dieser unbequemen Haltung auf den Knien gezwungen, benötigte er eine ungewöhnlich lange Zeit, bis er stammelte: »Ich … ich darf nicht wagen, darüber zu sprechen. Und auch Ihr dürft das nicht.«
»Oh?« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Warum nicht? Freunde haben doch sicher nichts voreinander zu verbergen?«
»Wir nicht. Aber es ist Hochverrat, über eine solche Angelegenheit zu spekulieren, wie Ihr sehr wohl wisst.«
Sie lachte hellauf. »Es erleichtert mich zu hören, dass wenigstens ein Mitglied Eurer Familie noch ein Gewissen hat! Und dass mein Bruder – dem Anschein nach – noch lebt. Sonst wäre es ja kein Hochverrat mehr, über sein Ableben zu spekulieren, nicht wahr?« Sie machte eine Pause. »Habt Ihr nicht gesagt, ich könnte alles haben, was ich mir wünsche? Würdet Ihr mich tatsächlich in der Stunde meiner größten Not im Stich lassen?«
»Ihr spielt mit mir!« Er sprang auf – ein übermächtiger Hüne im Vergleich zu ihrer zierlichen Gestalt. »Ich bin nicht zum Spielen gekommen. Ich bin gekommen, um Euch zu warnen: Euer Recht auf den Thron ist in Gefahr.«
»Ich habe gar kein Recht darauf«, konterte sie schlagfertig. Gleichwohl bemerkte ich, dass ihre Stimme etwas weniger entschlossen klang, nachgiebiger. »Meine Schwester Mary ist die Erbin, nicht ich. Wenn Ihr also jemanden warnen müsst, dann sie.«
Robert ergriff ihre Hand. »Ich bitte Euch. Wir sind keine Kinder mehr. Wir müssen nicht mehr herausfinden, wer wen übertölpeln kann. Ihr wisst genauso gut wie ich, dass das Volk Eure Schwester nicht als seine Königin haben will. Sie steht für Rom und die Vergangenheit, für alles, was es verabscheut.«
»Und doch ist sie die rechtmäßige – die einzige – Erbin«, wandte Elizabeth ein. Sie entzog ihm ihre Hand. »Und wer kann schon sagen, was kommt? Mary könnte die Konfession wechseln, wozu dieser Tage ja viele neigen. Schließlich ist sie eine Tudor, und wir gehören bekanntlich nicht zu denjenigen, die sich von der Religion behindern lassen.«
Robert betrachtete sie mit beunruhigender Vertrautheit. Ich hatte nie darüber nachgedacht, wie viel gemeinsame Geschichte sich in zwanzig Jahren ansammeln mochte, wie zwei Kinder, die in einer Welt der Intrige und Täuschung aufgewachsen waren, dazu kommen konnten, sich in fast allem aufeinander zu verlassen.
»Haltet Ihr mich für einen Narren?«, beschwerte sich Robert. »Ihr wisst genau, dass Mary ihren Glauben zur Not mit dem eigenen Leben verteidigen würde. Ihr wisst das. Der Kronrat weiß es. Euer Bruder, der König, weiß es, und …«
»Euer Vater weiß es von allen am besten«, unterbrach ihn Elizabeth. »Man könnte sogar sagen, er baut darauf.« Sie musterte ihn mit einem – trotz aller Vertrautheit – abschätzenden Blick, der ihn wie einen Anfänger wirken ließ. »Ist das der Grund, warum Ihr mich treffen wolltet? Sind wir einander in den letzten zwei Tagen aus dem Weg gegangen, nur damit Ihr mir sagen könnt, dass meine Schwester den Thron wegen des Glaubens, zu dem sie erzogen wurde, nicht besteigen darf?«
»Himmelherrgott! Ich bin gekommen, um Euch zu sagen, dass in den Augen des Volkes nur Ihr – und sonst niemand – das Recht habt, Königin zu sein. Ihr seid die Prinzessin, die es verehrt; Ihr seid diejenige, auf die es wartet. Es würde zu den Waffen greifen, um Euch auf den Thron zu helfen. Ihr bräuchtet es nur zu befehlen. Die Leute würden Euch mit ihrem Leben verteidigen.«
»Würden sie das?« Elizabeths Worte waren eine grausame Liebkosung. »Es gab eine Zeit, als sie dasselbe für Marys Mutter getan hätten. Damals war Katharina von Aragón für das Volk die rechtmäßige Königin, und meine Mutter war die verhasste Usurpatorin. Wollt Ihr, dass ich die Rolle einer Toten übernehme?«
Die Luft knisterte, die Spannung war förmlich mit Händen zu greifen. Zwischen den beiden gab es tatsächlich eine lange Geschichte, und es waren Gefühle im Spiel – zu viele, wie ich fand. So erhielt ich meinen ersten Einblick in eine Leidenschaft, die so tief, so explosiv war, dass sie, wurde sie erst einmal entfesselt, alles um sich herum zerstören konnte.
»Warum müsst Ihr mich immer verspotten?«, beklagte sich Robert mit bebender Stimme. »Ihr fürchtet doch ebenso wie ich, dass Mary den Thron besteigt. Ihr wisst, dass damit das Ende der Kirche besiegelt wäre, die Euer Vater gegründet hat, um Eure Mutter heiraten zu können. Dann wären alle Hoffnungen auf Frieden und Wohlstand ein Trümmerhaufen. Mary wird uns in kürzester Zeit die Inquisition auf den Hals hetzen. Darum stehen das Volk und der größte Teil des Adels auf Eurer Seite. Und ich! Wer es wagt, Euer Recht anzuzweifeln, bekommt mein Schwert zu spüren!«
Sie musterte ihn schweigend. Von meinem Versteck aus konnte ich sie zögern sehen und erkannte an ihrer bestürzten Miene, dass sie mit einem Mal begriff, was alles auf dem Spiel stand und wie viel sie gewinnen konnte. Zugleich führte ich mir vor Augen, welchen inneren Kampf sie in diesem Moment ausfocht, denn sie musste sich ja irgendwie mit der von dem Blut ihrer Mutter besudelten Vergangenheit aussöhnen, nachdem Henry diese hatte hinrichten lassen. Schließlich brach sie ihr Schweigen. »Mein Recht, sagt Ihr? Ist es wirklich mein Recht? Oder meint Ihr unseres?«
»Das ist doch ein und dasselbe«, erwiderte Robert hastig. »Ich lebe, um Euch zu dienen.«
»Hehre Worte. Sie könnten mich anrühren, hätte ich nicht schon einmal ähnliche gehört.«
Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich Zeuge, wie es Robert Dudley die Sprache verschlug.
»Wollt Ihr wissen, von wem?«, fragte Elizabeth. »Das war Euer Vater. Jawohl, liebster Robin – Euer Vater hat mir heute Nachmittag so ziemlich dasselbe angeboten. Er hat sogar dieselben Argumente benutzt und mich mit denselben Verlockungen zu ködern versucht.«
Robert stand da wie vom Donner gerührt.
»Ihr könnt Mistress Stafford fragen, wenn Ihr mir nicht glaubt«, sagte Elizabeth. »Sie hat ihn meine Gemächer verlassen sehen. Er ist hereingeplatzt – als ich im Bett lag – und hat mir in Aussicht gestellt, mich zur Königin zu machen, wenn ich in eine Hochzeit mit ihm einwillige. Er hat mir versprochen, mir zuliebe seine Frau – Eure Mutter – aus dem Weg zu räumen. Oder vielmehr meiner Krone zuliebe. Denn natürlich müsste ich ihn zum König krönen. Nicht zum Prinzgemahl, sondern zum König aus eigenem Recht. Dann könnte er nämlich im Falle meines Todes – zum Beispiel wegen Kindbettfieber, wie das so häufig geschieht – weiterhin herrschen und den Thron seinen eigenen Erben hinterlassen, unabhängig davon, ob sie von mir stammen oder nicht.«
Ein anmutiges und doch unversöhnliches Lächeln spielte um ihre Lippen. »Ihr müsst mir also verzeihen, wenn ich jetzt nicht die Begeisterung zeige, die Ihr Euch erhofft habt. Was die Dudleys betrifft, bin ich fürs Erste von jeder Begeisterung kuriert.«
Ich lauschte gebannt. Mir gegenüber hatte sie kein Wort von alldem erwähnt. Jetzt war mir freilich klar, warum Northumberland sich dafür entschieden hatte, Jane Grey auf den Thron zu setzen. Als erfahrener Höfling hatte er immer einen Ersatzplan, falls seine erste Wahl scheiterte. Seine Erklärung in Whitehall am Abend von Elizabeths Ankunft war nichts anderes als eine verhüllte Warnung gewesen, dass er bereit war, sie zu vernichten, wenn sie sich ihm in den Weg stellte. Und genau das hatte sie getan: Sie hatte ihn abgewiesen, all seinen Machenschaften eine Absage erteilt und ihm damit ihrerseits den Krieg erklärt.
Wie Cecil vermutet hatte, hatte der Herzog sie unterschätzt.
Robert starrte sie fassungslos an. Aus seinem sonnenverbrannten Gesicht wich jede Farbe. Er tat mir beinahe leid, als er benommen stammelte: »Mein … Vater … hat um … Eure Hand … angehalten?«
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