»Wer bist du?«, fragte sie.
Ich hielt ihrem hasserfüllten Blick stand. »Mit Verlaub, Eure Durchlaucht, ich glaube, wir wurden einander bereits vorgestellt. Ich bin Brendan Prescott, Junker von Robert Dudley.«
Im nächsten Moment musste ich mir einen Schrei verbeißen. So präzise wie wütend war ihr Stock zwischen meinen Beinen hochgeschnellt. Ein sengender Schmerz verschlug mir den Atem, und ich krümmte mich. Ein zweiter Hieb sandte mich keuchend zu Boden; in den Lenden breitete sich ein quälendes Pulsieren aus.
Sie baute sich über mir auf. »So, das ist schon besser. In Zukunft kniest du, wenn ich mit dir spreche. Du hast es mit einer Tudor zu tun, Tochter der geliebten Schwester von Henry dem Achten, der verstorbenen Herzogin von Suffolk und verwitweten Königin von Frankreich. Bei allem, was an meinem Blut königlich ist, wirst du mir gefälligst Ehre erweisen!« Sie zog mir den Stock über meine verkrümmten Schultern. »Noch einmal: Wer bist du?«
Stumm starrte ich zu ihrem verzerrten Gesicht hinauf. Ihre Lippen waren wie eine giftige Blüte nach innen gestülpt. »Ergreift ihn!« Stokes’ Gehilfe, ein Koloss von meiner doppelten Größe und der entsprechenden Breite, schlurfte herein. Mühelos hob er mich hoch und klemmte meine Arme fest. Ich hatte nicht die Kraft, mich zu wehren, zumal ich nach dem Stockhieb gegen meine Genitalien vor Schmerzen noch regelrecht gelähmt war.
»Sollen wir mit Tritten gegen seine Rippen anfangen?«, fragte Stokes. »Das löst ihnen normalerweise die Zunge.«
»Nein.« Die Herzogin wandte den Blick nicht von mir. »Er hat zu viel zu verlieren, und Cecil hat ihm zweifellos viel für sein Schweigen gezahlt. Es ist gar nicht nötig, dass er etwas sagt. Schließlich habe ich Augen. Ich kann sehen. Manche Dinge können nicht gefälscht werden.« Sie deutete ruckartig auf mich. »Zieht ihn aus!«
Stokes reichte ihr die Fackel und riss mir das Hemd vom Leib. »Was für eine weiße Haut er hat«, flötete er.
»Aus dem Weg!« Sie stieß Stokes beiseite und richtete die Fackel auf mich. Ich versuchte, mich wegzudrehen, doch der Griff des Riesen ließ mir keinen Spielraum. Ihre Augen suchten mich ab. »Nichts«, knurrte sie. »Kein Muttermal. Er ist es nicht. Ich habe es gewusst! Lady Dudley hat mich reingelegt. Dieses Drecksstück hat mich gezwungen, auf meine Thronansprüche für nichts und wieder nichts zu verzichten! Bei Gott, dafür wird sie mir büßen. Wie kann sie es wagen, diesen Säufer von ihrem Sohn und meine scheinheilige Tochter über mich zu stellen?«
Mir gefror das Blut in den Adern.
»Vielleicht sollten wir gründlicher zu Werke gehen«, schlug Stokes vor. »Dreh ihn um«, wies er den Koloss an. Dieser leistete unverzüglich Folge. Dabei verrutschte zu meinem Entsetzen meine Hose über der Hüfte und glitt an mir hinunter.
Schweigen trat ein. Plötzlich entwich ihr ein Zischen. »Aufhören!« Erneut beleuchtete sie mich aus der Nähe. Ich erstickte einen Schrei, als die Flamme mir die Haut versengte.
»Wo hast du das her?«, fragte sie stockend, als traute sie den eigenen Augen nicht.
Ich zögerte. Wütend riss mir der Gehilfe die Arme noch höher. Sofort schoss mir ein rasender Schmerz durch Schultern und Brust.
»Ihre Durchlaucht hat dich etwas gefragt«, erinnerte mich Stokes. »An deiner Stelle würde ich antworten.«
»Ich … ich wurde damit geboren«, flüsterte ich.
»Damit geboren?« Sie beugte sich so nahe zu mir vor, dass ich durch ihren Puder hindurch die geplatzten Äderchen an ihrer Nase sehen konnte. »Du wurdest damit geboren, sagst du?«
Ich nickte hilflos.
Sie starrte mir in die Augen. »Das glaube ich nicht.«
Nun wagte auch Stokes einen Blick. »Eure Durchlaucht, es sieht tatsächlich wie …«
»Ja, ja, sicher. Aber das ist er nicht! Er kann es nicht sein.« Sie reichte Stokes die Fackel und schnappte sich wieder ihren Stock. »Wenn du deine hübsche weiße Haut retten willst«, sagte sie, die Finger um den silbernen Griff gekrallt, »dann sag mir lieber sofort die Wahrheit. Wer bist du, und wofür bezahlt dich Cecil?«
Ein Brechreiz stieg in mir hoch. Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich ihr sagen sollte: die Wahrheit, soweit ich sie kannte? Oder sollte ich mich ahnungslos stellen? Womit hatte ich bessere Aussichten, lebend davonzukommen?
»Ich bin ein Findelkind«, ächzte ich. »Ich … bin auf der Burg der Dudleys aufgewachsen und jetzt hierhergebracht worden, damit ich Lord Robert diene. Das ist alles.«
In meinen eigenen Ohren hörte ich mich an wie ein Lügner. Meine Stimme klang so verzweifelt wie die eines Mannes, der auf frischer Tat ertappt worden ist und sich weinerlich zu rechtfertigen sucht. Und sie durchschaute das natürlich. Das war der Grund, warum ich hier war. Für wen auch immer sie mich hielt, er hatte ihr so große Angst eingejagt, dass sie mich hatte verfolgen und verschleppen lassen. Und wenn ich nicht bald einen Ausweg aus diesem Alptraum fand, würde sie mich auch noch umbringen lassen.
Doch irgendetwas hatte ihre Neugier geweckt. »Ein Findelkind?«, wiederholte sie. »Sag mir nur eines: Hat man dich wirklich in diesem Pfarrhaus in der Nähe von Dudley Castle ausgesetzt?«
Ohne die Augen von den ihren abzuwenden, nickte ich stumm. Ein Kloß in meiner Kehle erstickte jedes Wort.
»Weißt du, wer dich dort hingebracht hat? Weißt du, wer dich gefunden hat?«
Ich schluckte. Ein dumpfes Tosen stieg mir in den Kopf, füllte ihn ganz aus. Wie aus weiter Ferne hörte ich mich sagen: »Das weiß ich nicht … Mistress Alice, die Haushälterin und Kräuterkundige der Dudleys, sie … hat mich gefunden. Sie hat mich auf die Burg gebracht.«
Ich bemerkte einen merkwürdigen Ausdruck in ihren Augen. »Eine Kräuterkundige?« Ihr scharfer Blick war ein Instrument, mit dem sie mein Inneres regelrecht sezierte. »Eine kleine Frau mit einem fröhlichen Lachen?«
Ich begann zu zittern. Sie wusste es. Sie kannte Mistress Alice. »Ja«, hauchte ich.
Die Herzogin prallte zurück. »Das kann nicht sein. Du … du bist ein Blender, der von Cecil seine Anweisungen erhalten hat und von den Dudleys bezahlt wird.« Ihre nächsten Worte stürzten wie ein kochend heißer Wasserfall auf mich herab. »Wegen dir haben sie mich gezwungen, ihnen meine Tochter auszuhändigen, damit dieser Schwächling sie heiraten kann! Wegen dir bin ich gedemütigt und meines gottgegebenen Rechts beraubt worden!«
Sie holte Luft. Mit beängstigender Stimme setzte sie die Tirade fort: »Aber so leicht lasse ich mich nicht hereinlegen. Und wenn dieses Königreich vor die Hunde geht, ich werde nicht zulassen, dass diese Dudley-Hexe und ihr verzogener Sohn über mich triumphieren.«
Und da, während ich hilflos in den Händen des riesigen Schergen hing, ergaben ihre Worte mit einem Schlag einen erschreckenden Sinn.
»Ach, Eure Durchlaucht«, tschilpte Stokes schadenfroh. »Ich glaube, er sagt die Wahrheit. Er hat wirklich keine Ahnung, was sie mit ihm machen. Er weiß nicht, wer er ist.«
»Das wird sich noch herausstellen!«, blaffte sie. Sie hielt mir ihren Stock direkt vors Gesicht und machte sich am Griff zu schaffen. Mit einem Klicken sprang etwas Glitzerndes aus einem Schlitz – eine verborgene Klinge, so dünn, dass man damit ein Auge herausschälen konnte.
»Siehst du, wie fein sie ist? Ich kann sie in einen Stoß Papiere schieben, ohne an einem einzigen Blatt Spuren zu hinterlassen. Oder ich kann sie durch gekochtes Leder stoßen.« Sie ließ die Klinge an mir hinuntergleiten, bis sie mein Schambein kitzelte.
Ich hörte Stokes kichern. Unbeirrt erwiderte ich ihr Starren. Noch war ich nicht verloren. Vielleicht konnte mich Unwissenheit retten.
»Ich schwöre Euch, ich weiß nicht, wovon Eure Durchlaucht sprechen.«
Einen Moment lang weichten Zweifel ihre entschlossene Miene auf. Dann kehrten wieder diese Wildheit und Verschlagenheit zurück, und ich wusste, dass es vorbei war.
»Sie haben dich gut angelernt. Du spielst den Unwissenden wirklich meisterhaft. Vielleicht bist du das, als was du dich ausgibst: ein erbärmlicher Unglücksrabe, den sie gegen mich benutzen wollen. Cecil könnte Lady Dudley die Geschichte erzählt und ihr die Idee in den Kopf gesetzt haben, dass das die Waffe ist, die ihr fehlte.« Ein hämisches Lachen rasselte in der Brust der Herzogin. »Zuzutrauen ist es ihm. Das und noch viel mehr. Es ist ein hinterhältiges Spiel, das sie treiben, jeder für seine eigenen Zwecke. Dafür werden sie sterben, wenn ich erst einmal mit ihnen fertig bin. Sie werden noch bereuen, dass sie mir in die Quere gekommen sind und mich zum Narren gehalten haben.«
Sie verharrte. Ihr Gesichtsausdruck war so anders als alles, was ich bisher gesehen hatte – eine dunkle Maske bar jeder Anteilnahme, ja jedes Gefühls. »Was dich betrifft, ist es völlig gleichgültig, wer du wirklich bist.« Sie fuhr zu Stokes herum. »Ich habe genug Zeit vergeudet. Wann ist es so weit?«
»Sobald die Flut steigt. Der ganze Hof wird auf dem Rundgang sein und das Feuerwerk bewundern.« Er kicherte. »Nicht, dass sie etwas ahnen werden. Seit Jahren ist niemand mehr hier unten gewesen. Hier stinkt es nach papistischen Lastern.«
Jetzt hatte ich es klar vor Augen. Die letzten Teilchen fügten sich zu einem erschreckenden Ganzen. Während die Feier zu Ehren des Brautpaars Guilford und Jane Grey den Hof ablenkte, würde Robert, der – wie er das sah – von seinem Vater um sein natürliches Recht auf eine königliche Braut betrogen worden war, Elizabeth treffen. Von seinem eigenen maßlosen Ehrgeiz geblendet, hatte er ihr freilich nur noch leere Worte zu bieten.
Der Herzog hatte keineswegs die Absicht, ihn die Prinzessin heiraten zu lassen. Jane Grey war jetzt seine Waffe, ein perfektes Werkzeug mit Tudor-Blut als Braut seines formbaren jüngsten Sohnes. Zwei unglückselige Heranwachsende sollten die nächsten Monarchen auf dem englischen Thron sein, während auf Elizabeth und ihre Schwester Mary das Schafott wartete.
"Die Tudor-Verschwörung" отзывы
Отзывы читателей о книге "Die Tudor-Verschwörung". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Die Tudor-Verschwörung" друзьям в соцсетях.