»Erfährt?« Fast hätte ich das Wort geschrien. »Was erfährt? Was, zum Teufel, wird hier gespielt?«

»Beizeiten werdet Ihr alles herausfinden. Jetzt muss ich gehen.«

Sie wandte sich ab. Ich folgte ihr bis zur nächsten Ecke. Als sie die Galerie betreten wollte, fasste ich sie an die Schulter. »Richtet ihr Folgendes aus: Sagt ihr, dass ein Komplott zur Verhaftung ihrer Schwester im Gange ist. Sie darf meinen Herrn nicht treffen. Sie muss diesen Ort verlassen, bevor es zu spät ist.«

Über den Gang hallte es laut: »Kate? Kate, bist du hier?«

Die Stimme ließ uns erstarren. Kate stieß mich fort vom Eingang, aber ich konnte noch Elizabeths Silhouette erkennen. Ihr Haar war offen, und mit einer Hand hielt sie sich den Kragen ihres purpurnen Umhangs zu. »Kate!«, rief sie erneut. Ich hörte die Angst in ihrer Stimme.

»Ich bin hier, Eure Hoheit! Ich komme schon!«, antwortete Kate.

»Beeil dich«, drängte die Prinzessin mit zitternder Stimme. »Ich brauche dich.«

Kate setzte sich in Bewegung. Obwohl ich jetzt die ideale Gelegenheit gehabt hätte, vor Elizabeth zu treten, hielt mich irgendetwas zurück. »Werdet Ihr es ihr sagen?«, fragte ich leise.

»Sie wird nicht auf mich hören.« Kate hielt meinem Blick stand. »Sie liebt ihn, versteht Ihr? Sie hat ihn schon immer geliebt. Was wir auch sagen, nichts wird sie aufhalten.« Sie lächelte. »Galanter Junker, wenn Ihr ihr wirklich helfen wollt, dann findet Euch heute Nacht zusammen mit Eurem Herrn im Pavillon ein.«

Sie ließ mich fassungslos zurück.

Ich wollte es nicht glauben, obwohl es in jeder Hinsicht Sinn ergab. Das also war der Grund, warum sie trotz aller warnenden Hinweise immer noch am Hof blieb.

Sie liebte ihn. Elizabeth liebte Robert Dudley.

15

Bevor ich zu Lord Robert zurückkehren konnte, benötigte ich Zeit, um meine wirren Gedanken zu sortieren. Im Palast von Greenwich herrschte gespenstische Ruhe. Außer Dienern, die ihren Aufgaben nachgingen, war niemand zu sehen. Keiner erwiderte meinen matten Gruß, als ich durch das Labyrinth der Korridore wanderte. Es hatte den Anschein, als hätten sich die Höflinge allesamt in ihre Gemächer zurückgezogen oder schlenderten durch den Palastpark.

Ich trieb durch eine schattenhafte Welt.

Und geriet ins Grübeln. Elizabeth, hielt ich mir vor, mochte zwar die Tochter eines Königs sein, war aber dennoch ein Mensch aus Fleisch und Blut. Auch sie war fehlbar. Sie kannte Robert nicht so gut wie ich, sah nicht die Tiefen der Habgier noch den Ehrgeiz, der sein Herz beherrschte. Andererseits hatte sie genau das vor mir zugegeben. Erst gestern Abend hatte sie mir in Whitehall gesagt, dass sie nie Grund gehabt hatte, ihm zu misstrauen.

Doch sie musste die ganze Wahrheit erfahren. Alles andere würde sie ins Verhängnis stürzen.

Ich erreichte einen gewaltigen Saal, wo Diener zur Vorbereitung der Feier Teppiche auslegten, Tische aufstellten und über einem Podest Seidengirlanden aufhängten. Die paar, die mich wahrnahmen, schauten kurz zu mir herüber und wandten sich wieder ab. Unvermittelt blieb ich stehen. Auf einmal wusste ich, was ich zu tun hatte.

Bald darauf lief ich eine prächtige Allee zum Palastpark hinunter, der sich bis zu einer Anhöhe erstreckte. Das Tageslicht verblasste allmählich, und die untergehende Sonne tauchte die am Himmel aufziehenden, wellenförmigen Wolken in rotes Licht. Es sah nach Regen aus. Um festzustellen, wo genau ich mich befand, zog ich Cecils Miniaturkarte aus der Tasche. Zu meiner Enttäuschung war der Park nur äußerst vage eingezeichnet. Und jetzt reichte die Zeit nicht mehr, um zurückzukehren.

Aber wie die meisten Palastparks musste auch dieser einem bestimmten Muster folgen: weiträumig, doch nach den Bedürfnissen des Hofes angelegt, sodass man nicht befürchten musste, sich zu verlaufen, wenn man über die breiten Wege schlenderte, die an kunstvoll zu Tierformen beschnittenen Hecken, Kräutergärten und Blumenbeeten vorbeiführten, ehe sie sich in alle möglichen Richtungen verzweigten.

Ich schritt über einen dieser schmäleren Pfade.

Über mir war Donnergrollen zu hören. Sprühregen setzte ein. Ich verstaute die Karte wieder in der Innentasche, zog mir die Kapuze tief über die Stirn und blickte mich um. In der Ferne erspähte ich einen See, der sich um ein Steingebäude wand.

Mein Herz machte einen Satz. Das musste der Pavillon sein.

Ich musste ein Waldstück durchqueren, an das sich eine verwilderte Parklandschaft anschloss, die irgendwie gespenstisch auf mich wirkte. Bei meinem nächsten Blick über die Schulter bemerkte ich in den Palastfenstern frisch angezündete Kerzen. Ich geriet ins Sinnieren. Ob Elizabeth gerade durch eines davon auf den Park hinausschaute und über ihr Treffen mit dem Herzog grübelte? Oder dachte sie nur an die heutige Nacht und fragte sich, was bei dem Rendezvous mit Robert herauskommen würde? Ich selbst war nie verliebt gewesen, doch nach allem, was ich gehört hatte, vermissten Liebende einander, sobald sie getrennt waren. War das auch bei Elizabeth so? Sehnte sie sich nach Robert?

Ich bedauerte, nicht die Gelegenheit genutzt zu haben, ihr mein ganzes Wissen anzuvertrauen. Es hätte mir kein Vergnügen bereitet, ihre romantischen Träume zu zerstören, aber zumindest wäre sie vor ihrem Rendezvous davon unterrichtet gewesen, nach welch hohen Zielen mein Herr strebte.

Es regnete stärker. Ich wandte mich vom Palast ab und beschleunigte meine Schritte.

Der See umschloss den Pavillon von drei Seiten. Von dem ungepflegten Gehweg, auf dem ich stand, führte eine bröckelnde Treppe zu ihm hinauf. Früher musste das ein idyllisches Örtchen gewesen sein, das zu einem Stelldichein förmlich einlud, bis Jahre der Vernachlässigung es mit Flechten überzogen und dem Vergessen preisgegeben hatten.

Bei der Erforschung der näheren Umgebung entdeckte ich in einer von Efeu überwucherten Mauer eine alte Pforte, wie Walsingham sie beschrieben hatte, die sich auf einen unbefestigten Weg und die sanften Hügel von Kent öffnete. Hier konnten Pferde angebunden werden, ohne dass irgendjemand sie sehen oder hören konnte, vorausgesetzt, man umwickelte ihre Hufe mit Stoff und legte ihnen einen Maulkorb an. Hatte die Prinzessin diese Stelle deshalb gewählt, weil sie sich hervorragend für eine Flucht eignete? Diese Überlegung beflügelte meine Lebensgeister, bis mir siedend heiß eine weniger beruhigende Möglichkeit einfiel.

Was, wenn Cecil das alles geplant hatte? Er konnte es durchaus darauf anlegen, Elizabeths Absicht, Robert hierher- zulocken, für seine Zwecke auszunutzen. Immerhin konnte man sie zügig – auch mit Gewalt – von hier fortschaffen. Doch gleichgültig, was der Sekretär sonst für Absichten hegen mochte, ihm konnte bestimmt nicht daran gelegen sein, Elizabeth den Dudleys zum Fraß vorzuwerfen. Wie er selbst gesagt hatte, war sie die letzte Hoffnung des Königreichs.

Ich überlegte angestrengt. Nun, da ich allein war und außerhalb des Palasts endlich wieder das Gefühl hatte, richtig atmen zu können, erkannte ich, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes an der Nase herumgeführt worden war. Ich hatte Cecils Vorschlag angenommen, den Brief meines Herrn überbracht und Walsingham getreulich Meldung erstattet. Doch im Grunde kannte ich keinen einzigen dieser Männer. War ich ein weiterer Bauer in diesem Spiel geworden, den man ohne Weiteres opfern konnte? Was, wenn hinter dieser komplizierten Täuschung mehr steckte, als einem ins Auge sprang? Mich überfiel der Drang, mich an jedes Wort zu erinnern, das zwischen Cecil und mir gefallen war, und unser Gespräch nach versteckten Hinweisen zu durchforsten. Irgendwo darin musste die Antwort zu diesem Rätsel liegen. Und ich würde gut daran tun, sie bald zu finden.

Ich erstarrte.

Eine Dolchspitze ritzte meinen Rücken knapp unterhalb der Rippen.

»An deiner Stelle würde ich keinen Widerstand leisten«, quäkte eine näselnde Stimme. »Wams ausziehen.«

Langsam nahm ich das Kleidungsstück ab. Während ich es zu Boden fallen ließ, dachte ich an die zusammengefaltet in der Innentasche ruhende Karte. Durch das dünne Hemd hindurch fühlte sich die Klinge meines Angreifers äußerst scharf an.

»Jetzt den Dolch in deinem Stiefel. Aber vorsichtig.«

Ich bückte mich nach dem Schaft und zog das Messer behutsam aus der Scheide. Eine behandschuhte Hand griff um mich herum und nahm es mir ab. Dann befahl die Stimme, die ich inzwischen erkannt hatte: »Umdrehen.«

Er trug einen Umhang mit Kapuze, die seine Züge verbarg. »Ihr habt mich überrumpelt«, stellte ich fest. »Anständig lässt sich das wohl kaum nennen.«

Mit einem schrillen Lachen schob er seine Kapuze zurück. Er hatte auffällige Wangenknochen, und an einem Ohrläppchen steckte ein Rubin. Sein Gesicht war zu verschlagen, als dass man es gut aussehend nennen konnte. Seine dunklen Augen bohrten sich in die meinen. Warum hatte ich ihn nicht sofort als den Mann erkannt, den Peregrine mir beschrieben hatte?

Er ist größer als du, aber nicht sehr viel. Er hat ein spitzes Gesicht wie ein Frettchen.

»So trifft man sich wieder«, sagte ich, unmittelbar bevor aus dem Schatten ein gedrungener Kerl auftauchte und mir ins Gesicht schlug.

Ich konnte den Weg vor mir kaum erkennen. Mit pochendem linken Auge, vom Schlag schmerzendem Kiefer und hinter den Rücken gedrehten Armen wurde ich vorbei an alten Ruinen und dann durch einen verfallenen Kreuzgang in einen feuchten Korridor gestoßen. Vor dunklen Durchgängen hingen verrostete Eisentore ausgekugelten Schultern gleich von ihrer Verankerung in den Mauern herab. Wir stiegen eine steile Treppe zu einem weiteren Korridor hinab, der immer tiefer hinunterführte. Der Stollen, den wir am Boden unten betraten, war so eng, dass keine zwei Männer nebeneinandergehen konnten. An einem in die Mauer eingelassenen Eisenhalter, von dem die Farbe abblätterte, flackerte eine einsame Pechfackel.