Feigling! Geh rein! Stell den elenden Kerl zur Rede, und bring’s hinter dich!

Ich streckte die Hand aus, jeden Finger bis an die Schmerzgrenze gespannt. Dann berührte ich Holz. Mit erhobener Klinge und einem gedämpften Schrei trat ich endlich die Tür auf und sprang ins Zimmer.

Dort stand ein ganz in Schwarz gehüllter dürrer Mann.

»Himmel!«, keuchte ich wütend. »Ich hätte Euch umbringen können!«

Walsingham erwiderte meinen zornigen Blick. »Das bezweifle ich. Schließt die verdammte Tür. Ich möchte nicht gesehen werden.«

Ich trat die Tür mit dem Fuß zu. Dieser Mann war der Letzte, mit dem ich gerechnet hätte.

Ein leichtes Kräuseln seiner Lippen mochte als Lächeln durchgehen. »Ich bin hier, um Eure Meldung zu hören.«

»Meldung? Was für eine Meldung?«

»Für unseren gemeinsamen Auftraggeber natürlich. Es sei denn, Eure zweifelhafte Treue gilt wieder der Meute von niederträchtigen Verrätern, die Euch aufgezogen haben.«

Ich blickte ihm fest in die Augen. »Ich bin Euch keine Rechenschaft schuldig.«

»Ach nein? Das sehe ich anders. Mehr noch, unser Auftraggeber hat mir Euer Wohlergehen anvertraut. Ab sofort nehmt Ihr Eure Weisungen von mir entgegen.« Walsingham machte eine Kunstpause. »Das bedeutet, dass Ihr, was immer Ihr zu melden habt, mir persönlich berichtet.« In der Dunkelheit des Raumes wirkte er noch größer und so mager, dass man meinen konnte, der geringste Lichtstrahl könnte seine Haut durchdringen und jede Kante seines kadaverhaften Gesichts entblößen. Seine eingesunkenen Augen waren schwarz und matt wie kalte Asche, die Augen eines Mannes, der Dinge gesehen und getan hatte, von denen mir jede Vorstellung fehlte.

Widerstrebend steckte ich den Dolch ein. Ich traute diesem Mann nicht. Er strahlte einen Mangel an Moral und eine Verderbtheit aus, die er wie eine zweite Haut trug. Er war wohl wirklich dazu fähig, ohne lang zu fackeln alles zu tun, was seinen Zwecken diente. Gleichwohl war er Cecil gegenüber verantwortlich, und in meiner momentanen Notlage blieb mir nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen. Jedenfalls bis zu einem bestimmten Grad. Während meine linke Hand immer noch Roberts Brief umschloss, erklärte ich: »Ich bin gerade erst angekommen und habe nichts zu melden.«

»Ihr lügt.« Sein Blick durchbohrte mich. »Ich mag keine Mätzchen von Grünschnäbeln und halte auch nichts davon, sie in meine Dienste zu nehmen. Aber ich werde dem fehlgeleiteten Vertrauen unseres Auftraggebers in Euch Rechnung tragen, fürs Erste zumindest. Darum frage ich Euch noch einmal: Was habt Ihr zu berichten?«

Ich zögerte so lange, bis ich sah, wie er die Zähne aufeinanderpresste. Erst dann öffnete ich, mein Missfallen deutlich bekundend, die Hand und offenbarte das zerknüllte Schreiben. »Gut, da habt Ihr es.«

Er nahm es mir ab. Eigentümlicherweise hatte er die Hände einer Frau, weich und weiß, aber mit Sicherheit eisig kalt. Geschickt schob er einen langen Fingernagel unter das Siegel und löste es mit der Präzision eines Fachmannes vom Papier. Sobald er den Brief überflogen hatte, faltete er ihn wieder zusammen und klebte das Siegel zurück an seinen Platz.

Mit den Worten »Ein idealer Ort für ein Schäferstündchen« gab er mir das Schreiben zurück. »Abgelegen, einsam und doch nahe einer Geheimpforte ins Freie. Ihre Hoheit versteht sich vortrefflich auf dieses Spiel.«

Die kühle Bewunderung in seiner ansonsten leidenschaftslosen Stimme überraschte mich. »Ihr billigt das? Aber … ich dachte …« Ich stockte. Mir war selbst nicht klar, was ich dachte. Ich war angewiesen worden, mir Roberts Vertrauen zu bewahren, zu lauschen und alles zu melden und – falls möglich – der Prinzessin bei der Flucht zu helfen. Plötzlich begriff ich, dass niemand mich fürs Denken angeworben hatte, und sah mich auf einmal als genau das, was er mich genannt hatte: ein Grünschnabel und eine Marionette, die an den Fäden eines unbekannten Puppenspielers hing.

Walsingham musterte mich. »Habt Ihr etwa geglaubt, wir hätten tagelang Zeit, um unsere Pläne auszutarieren? Das beweist nur wieder, wie ungeeignet Ihr seid. In Angelegenheiten wie dieser hängt der Erfolg von zügigem Handeln ab. Ein erfahrener Spion würde das sofort verstehen.«

»Hört zu!« Zu meinem Verdruss schaffte ich es nicht, ein Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. »Ich habe nicht darum gebeten, in diese Geschichte verwickelt zu werden. Ihr habt mich da hineingezwungen, oder habt Ihr das vergessen? Weder Ihr noch Cecil habt mir eine Wahl gelassen. Wenn ich mich nicht damit einverstanden erklärt hätte, Euch zu helfen, läge ich jetzt zweifellos am Grund des Flusses.«

»Wir haben immer eine Wahl. Ihr habt Euch einfach für die Seite entschieden, die Euch die meisten Vorteile bietet. Jeder würde so handeln. Gibt es sonst noch etwas, worüber Ihr Euch beschweren wollt?«

Erneut nahm er mir den Wind aus den Segeln. Mir fiel beim besten Willen niemand ein, bei dem es mich noch mehr gestört hätte, ihm meine Informationen mitzuteilen. Aber sie für mich zu behalten wäre für Elizabeth nicht hilfreich. »Ich habe ein Gespräch zwischen Lady Dudley und Robert belauscht«, teilte ich ihm in unpersönlichem Ton mit. »Seine Lordschaft wird Robert entsenden, damit er Lady Mary ergreift. Außerdem hat er Roberts Bitte abgeschlagen, Ihre Hoheit zu treffen und ihr seinen, wie er das nennt, ›Vorschlag‹ zu unterbreiten. Ihr solltet Cecil sagen, dass der Herzog vielleicht eine ganz andere Absicht verfolgt als diejenige, die wir vermuten.«

Ich verstummte. Walsingham gab immer noch keine Regung preis.

»Da drängt sich der Schluss auf, dass es sich um etwas handeln muss, von dem sein Sohn nichts erfahren soll«, fuhr ich fort. »Warum würde er Robert sonst wegschicken?«

Walsingham schwieg.

»Habt Ihr gehört? Was immer der Herzog plant, es kann nicht gut für die Prinzessin sein. Ihr habt mir gerade erklärt, dass Erfolg von zügigem Handeln abhängt. Jetzt haben wir die Chance dazu. Wir sollten Ihre Hoheit, sobald wir können, möglichst weit von den Dudleys fortschaffen.«

Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gedacht, ihm wäre das vollkommen gleichgültig. Dann sah ich in seinen verhüllten Augen ein verstohlenes Glimmen. Fast unmerklich spannte er die Lippen an. Was ich ihm berichtet hatte, war wichtig, und er wollte nicht, dass ich das wusste.

»Ich werde Eure Sorgen weitergeben«, sagte er schließlich. »Doch zuvor muss dieser Brief überbracht werden, damit Euer Herr keinen Verdacht schöpft. Sobald Ihr Euren Auftrag ausgeführt habt, kehrt Ihr zu Lord Robert zurück. Falls Eure Dienste noch einmal benötigt werden, werdet Ihr davon in Kenntnis gesetzt.«

Ich starrte ihn entgeistert an. »Und was ist mit Ihrer Hoheit? Wollt Ihr sie nicht warnen?«

»Damit braucht Ihr Euch nicht zu befassen. Ihr habt lediglich Eure Befehle zu befolgen.«

Zu meinem fassungslosen Entsetzen wandte er sich zur Tür. »Wenn Ihr sie nicht warnt, tue ich das!«, platzte ich heraus.

Er drehte sich um, musterte mich aus halb zusammengekniffenen Augen. »Wollt Ihr mir drohen? Wenn das wirklich so ist, dann lasst Euch daran erinnern, dass Junker, die ihr Wissen über ihre Herren weitertragen, nicht unersetzlich sind.«

Ich hielt seinem Blick stand, bis ich schließlich den Brief wieder unter mein Wams steckte. Plötzlich ertönte ein dumpfes Geräusch zu meinen Füßen.

»Für Eure Dienste«, sagte Walsingham. »Ich schlage vor, dass Ihr es umsichtig verwendet. Diener, die unredlich erworbenen Wohlstand verprassen, enden genauso oft auf dem Grund von Flüssen wie untreue Junker.« Ohne jedes weitere Wort ließ er mich stehen. Ich wollte das Säckchen, das er auf den Boden geworfen hatte, nicht anrühren, steckte es dann aber doch ein, ohne seinen Inhalt zu untersuchen.

Verstohlen huschte ich zur Tür hinaus. Von Walsingham fehlte jede Spur. So bog ich wieder in den Gang ein und ging weiter zur Treppe.

Falls ich zuvor noch Zweifel gehabt hatte, stand meine Entscheidung jetzt fest. Ich musste die Prinzessin warnen. Robert war nicht zu trauen, und allmählich beschlich mich das Gefühl, dass dasselbe auch für alle anderen galt. Das Säckchen, das ich bei mir trug, mochte klein sein, enthielt aber sicher genug, um mein Schweigen zu erkaufen. Walsingham war Cecils Geschöpf, und ich hatte keine Ahnung, welchen Zweck der Sekretär letztlich verfolgte. Wie ich mehr und mehr vermutete, war diese Angelegenheit vielschichtiger, als man mich hatte glauben lassen. Allerdings fiel mir die Vorstellung schwer, Cecil würde der Prinzessin etwas antun. Doch vielleicht spielte Walsingham mit gezinkten Karten. Ihm traute ich das durchaus zu. Aber wie konnte ich an Elizabeth herankommen? Würde sie mich überhaupt empfangen? Nun gut, sagte ich mir, wenn ich einfach stur blieb und mich nicht abwimmeln ließ, würde ihr nichts anderes übrig bleiben.

Entschlossen stapfte ich die Treppe hinauf.

Vor mir erstreckte sich eine Galerie, an deren Ende ein mächtiges, von geschnitzten Cherubinen geschmücktes Tor aufragte. Rechts von mir wachten Schießscharten über einen Garten. Die Butzenscheiben darüber wiesen genug Risse auf, um den Nachmittagswind hereinzulassen.

Auf halbem Weg zum Tor standen drei Wächter in der Uniform des Königshauses.

Ich kannte sie nicht. Auch hatte ich keine Zeit, näher hinzusehen, denn als ich zögernd den ersten Schritt auf sie zu wagte, vernahm ich in meinem Rücken eine Stimme. »Beim heiligen Kreuz, wo willst du denn jetzt schon wieder hin?« Eine vertraute Gestalt rauschte mir entgegen und hielt mir drohend den Zeigefinger vor das Gesicht.

Es war Elizabeths Dienerin, die junge Frau, die ich schon im Whitehall-Palast gesehen hatte – Kate Stafford.

»Habe ich dir nicht gesagt, dass in diesem Flügel keine Küchen sind, du Dummkopf?«, bellte sie. Aus der Nähe war zu erkennen, welche lebhafte Intelligenz aus ihren braunen Augen sprach, die ihr sorgloses Gebaren Lügen strafte. Und sie verströmte einen betörenden Duft nach frischen Äpfeln und Federnelken. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weglaufen sollte, bis ich die Warnung in ihrem Blick bemerkte.