Darüber hinaus hatte Lady Dudley die Suffolks erwähnt, mit denen die Dudleys jetzt verschwägert waren. Konnte es sein, dass sie, als Blutsverwandte des Königs, sich der für Guilford geplanten Verbindung widersetzten? Jane Grey war eine Großnichte von Henry VIII. Dank ihrer Mutter, der Tochter von König Henrys Schwester, floss Tudor-Blut in ihren Adern. Damit ließe sich erklären, warum der Herzog sich entschieden hatte, Robert auf Mary zu hetzen. Die Einkerkerung der Thronerbin im Tower könnte sich als schlagendes Argument gegen die Vorbehalte der Suffolks erweisen. Oder steckte hinter diesen Machenschaften gar ein noch teuflischeres Motiv?
Ich wollte diese Aspekte noch mehr erforschen, insbesondere, was die Suffolks betraf. Sie spielten hier eine wichtige Rolle, allen voran die Herzogin. Ich musste unbedingt ergründen, welche Absichten sie verfolgte. Elizabeths Sicherheit und auch meine eigene konnten davon abhängen. Doch ein Diener, der nichts erlauscht hatte, sollte auch keine Fragen zum besseren Verständnis stellen.
Schließlich wagte ich die Antwort: »Initiativen wie die von Mylord verdienen Lob.«
Es war ein schwacher Versuch, doch wie die meisten, die verletzt worden waren und nach Rache dürsteten, ging Robert begierig darauf ein. »Eben! Das sollte man meinen. Aber mein Vater sieht das offenbar anders. Und was meine Mutter betrifft … Himmelherrgott, da weiß ich, dass sie nur einen Liebling hat: Guilford. Der Rest von uns könnte von ihr aus auf der Stelle sterben, wenn sie sich zwischen ihm und uns entscheiden müsste.«
Darauf antwortete ich nicht direkt. »Ich habe gehört, dass Mütter ihre Kinder eines wie das andere lieben.«
»Und deine?«, höhnte er. »Hat sie dich etwa nicht zum Sterben vor dem Häuschen unter unserer Burg ausgesetzt?«
Das war eine rhetorische Frage, die nicht nach einer Antwort verlangte. Ich schwieg und ließ ihn weiterreden.
»Sie schert sich einen feuchten Kehricht um mich. Guilford war von Anfang an ihr Liebling, weil er der Einzige ist, den sie beherrschen kann. Sie hat mit Macht seine Vermählung mit Jane Grey betrieben. Vater hat gesagt, dass sie sogar auf Janes Mutter losgegangen ist, als die Herzogin sich am Anfang weigerte, das überhaupt in Erwägung zu ziehen. Ihre Tochter sei von königlichem Geblüt, soll sie gesagt haben, wohingegen wir Emporkömmlinge wären, die sich höchstens auf die Gunst des Königs berufen könnten. Aber irgendwie hat meine Mutter die Herzogin dann doch noch dazu gebracht einzulenken. So, wie ich sie kenne, hat sie der alten Hexe wahrscheinlich das Messer an die Kehle gehalten.«
Seine Worte gingen mir durch Mark und Bein. Ein Messer an der Kehle der Herzogin: Plötzlich war mir, als wäre ich in einem dunklen Netz gefangen – ohne Aussicht, mich je daraus befreien zu können.
Robert knüpfte sein Wams auf und warf es aufs Bett. »Schande über sie! Schande über sie alle, sage ich! Ich habe jetzt meine eigenen Pläne und bin nicht bereit, sie aufzugeben, bloß weil sie sich das einbildet. Soll sie Mary doch selbst verfolgen, wenn sie meint, dass diese Papistin eine Bedrohung ist. Ich bin kein Lakai, den man nach Belieben herumkommandieren kann.« Er blickte sich im Zimmer um. »Gibt es in diesem gottverlassenen Loch denn nichts zu trinken?«
»Ich bringe Euch Wein, Mylord.« Ich lief sogleich zur Tür, auch wenn ich nicht den Schimmer einer Ahnung hatte, wo ich welchen finden würde. Aber wenigstens würde ich Zeit gewinnen, um meine durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen.
Doch Robert hielt mich zurück. »Nein, vergiss den Wein. Hilf mir beim Entkleiden. Hat keinen Sinn, mir den Verstand zu benebeln. Ich finde schon einen Weg, Elizabeth zu treffen, gleichgültig, ob mit oder ohne Zustimmmung meines Vaters. Ich treffe sie und bekomme ihre Einwilligung, und wenn ich sie habe, wird ihm nichts anderes übrig bleiben, als uns seinen Segen zu geben. Das wäre ja gelacht.«
Ich zog Robert Hose, Hemd und Stiefel aus. Aus seiner Satteltasche nahm ich dann ein Tuch, mit dem ich ihm den Schweiß vom Oberkörper tupfte. »Sie werden aus allen Wolken fallen!«, rief er. »Vor allem Guilford und meine Mutter. Ich kann es kaum noch erwarten, ihre Gesichter zu sehen, wenn ich ihnen die Nachricht mitteile.« Unter dröhnendem Lachen spreizte er die Beine, damit ich die Lederriemen lösen und seine Strumpfhose herunterziehen konnte. »Was ist? Hast du gar nichts dazu zu sagen?«
Während ich seine Unterwäsche zusammenfaltete und auf die Truhe legte, antwortete ich: »Es genügt mir vollauf, Eurer Lordschaft so zu dienen, wie Ihr es für das Beste erachtet.«
Er lachte auf. »Vorwitz und Mut, Prescott, nur damit kann man in dieser Schlangengrube, die wir Leben nennen, vorankommen. Nicht, dass du eine Ahnung davon hast.« Nackt wandte er sich zu seinem Bett um. »Am Nachmittag kannst du tun, was du willst. Sieh nur zu, dass du rechtzeitig wieder da bist, um mir beim Ankleiden für heute Abend zu helfen. Und dass du dich diesmal nicht verläufst! Mein Äußeres muss heute tadellos sein.«
»Mylord!« Einem Impuls folgend, griff ich unter mein Wams. Die Würfel waren gefallen. Niemand sollte Elizabeth Rede und Antwort darüber stehen müssen, warum Lord Robert auf ihre Botschaft nicht reagiert hatte. »Ich habe das hier bei meinem Eintreten auf dem Tisch entdeckt.« Ich hielt ihm die Nachricht entgegen.
Robert riss sie mir aus den Fingern. »Kluges Kerlchen. Es wäre wahrlich nicht gut gewesen, wenn meine Mutter das hier gesehen hätte. Du hast dein Nickerchen gerade zur rechten Zeit gehalten.« Er riss den Brief auf. Ein triumphierendes Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus. »Was habe ich dir gesagt? Sie kann mir nicht widerstehen! Sie schreibt, dass sie mich heute Nacht an keinem anderen Ort als dem alten Pavillon treffen will. Das ist doch etwas! Sie hat wirklich einen makabren Humor, unsere Bess. Es heißt, dass ihre Mutter ihre letzte Nacht in Freiheit in diesem Pavillon verbracht und vergeblich auf Henry gewartet hat.«
»Und das ist eine gute Nachricht?« Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund.
»Eine gute Nachricht? Herrgott, es ist die beste, die ich seit Langem gehört habe! Steh nicht herum wie ein Ölgötze. Hol mir aus meiner Tasche Tinte und Papier. Ich muss ihr gleich eine Antwort schicken, bevor sie es sich anders überlegt.«
Er kritzelte seine Mitteilung, streute Sand über den Bogen und brachte sein persönliches Siegel darüber an. »Bring ihr das. Sie ist vor wenigen Stunden eingetroffen und hat Gemächer mit Blick auf den Garten verlangt. Nimm die Galerie, die zum Burghof führt, lauf zur Treppe hinüber, und steige zur Galerie hinab. Du wirst sie nicht zu Gesicht bekommen. Am Nachmittag schläft sie gerne. Aber ihre Hofdamen werden auf den Beinen sein. Eine davon ist Kate Stafford. Die hat ihr Vertrauen.« Er feixte. »Ein richtiger Leckerbissen. Was immer du tust, gib den Brief bloß nicht diesem Drachen von Ashley! Sie hasst mich, als wäre ich der Leibhaftige.«
Ich steckte den Brief unter mein Wams. »Ich werde mein Bestes tun, Mylord.«
Er bedachte mich mit einem grausamen Grinsen. »Sieh zu, dass du dein Wort hältst. Denn wenn alles nach Plan geht, könntest du bald Junker des nächsten Königs von England sein.«
14
Sobald ich Roberts Gemach verlassen hatte, rannte ich durch die Galerie, um an einer menschenleeren Ecke stehen zu bleiben und das Siegel auf Lord Roberts Antwort zu untersuchen. Ich stieß einen Fluch aus. Das Wachs war noch nass. Wenn ich jetzt versuchte, das Siegel zu brechen, würde ich das Papier zerstören. Mit dem Vorsatz, so lange zu trödeln, bis es hinreichend trocken war, trat ich in den Hof.
Jetzt nur nicht überstürzt handeln, hielt ich mir vor. Alles, was ich unternahm, konnte sich gegen mich wenden. Dennoch konnte ich Roberts Antwort nicht einfach überbringen und dann abwarten, was als Nächstes geschehen würde. Die Jagd hatte begonnen. Wenn ich mich nicht täuschte, würde Elizabeth die erste von den zwei königlichen Schwestern sein, die im Tower endete. Das war sogar unausweichlich, wenn Robert erfuhr, dass sie nie einem Komplott zustimmen würde, das auf den Tod ihrer beiden Geschwister hinauslief. Dringend wollte ich jetzt mit Cecil sprechen, hatte aber keine Ahnung, wie ich den Sekretär erreichen konnte – was nicht gerade für meine Fähigkeiten als frischgebackener Spion sprach.
Ich würde Elizabeth also bei der Übergabe des Briefs warnen müssen.
Das bedeutete freilich, dass ich eine persönliche Begegnung bewerkstelligen musste.
Ich durchquerte den Hof und trat in einen kurzen Gang, der zu der von Robert erwähnten Treppe führte. Schon begann ich wieder, mir den Kopf über das Siegel zu zerbrechen, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Einen Moment lang verharrte ich regungslos. Dann bückte ich mich und zog meinen Dolch aus dem Stiefel. Lautlos huschte ich weiter zu einer offen stehenden Tür, durch die ich eine Gestalt hatte schlüpfen sehen.
Den Dolch in der Faust, schlich ich weiter. Obwohl ich durch die Nase atmete, klang selbst dieses Geräusch schrecklich laut in meinen Ohren. Wer immer sich hier versteckte, konnte in diesem Moment eine Waffe zücken, die noch viel tödlicher war als meine Klinge, und mir den Schädel spalten, sobald ich mich über die Schwelle wagte. Oder trachtete er mir am Ende gar nicht nach dem Leben? Immerhin war er mir schon durch ganz London gefolgt und hätte gewiss mehrmals die Möglichkeit gehabt, mich zu töten. Wahrscheinlich war er mir nach Greenwich gefolgt. Und jetzt lauerte er in diesem Zimmer.
Ich verharrte. Kalter Schweiß perlte über meine Stirn. Ein Schritt noch, und ich wäre drinnen, doch zu meinem Entsetzen erkannte ich, dass ich einfach nicht den Mut aufbrachte, die Tür aufzustoßen und frech auf mich aufmerksam zu machen.
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