»Das alles kann ich ja verstehen.« Als Robert sich verzweifelt mit einer Hand durch das wirre Haar fuhr, musste ich unwillkürlich an einen unsicheren Jüngling denken, der, gefangen zwischen dem eisernen Willen seiner Eltern und seinem eigenen Drang nach etwas ganz anderem, nicht mehr ein noch aus wusste. »Ich weiß, wie viel wir zu verlieren haben. Aber Vater und ich sind uns darin einig, dass Mary keine unmittelbare Gefahr darstellt. Sie hat keine Armee, keine Barone, die bereit wären, sie zu unterstützen, und kein Geld. Vielleicht hegt sie einen Verdacht, aber sie hat keine Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen. Elizabeth dagegen ist hier in Greenwich. Mehr als alles andere ist sie jemand, der immer auf die Füße fällt. Ich weiß, dass sie die Vorteile unseres Vorschlags erkennen wird. Und haben wir erst einmal ihre Einwilligung, bleibt uns mehr als genug Zeit, um ihre lästige Schwester zu jagen.«
Ich verharrte regungslos in meinem Versteck und wagte kaum zu atmen, während ich auf Lady Dudleys Antwort wartete.
»Mein Sohn«, sagte sie mit einem leichten Flackern in der Stimme, als müsste sie ein Gefühl unterdrücken, das sie sonst womöglich überwältigt hätte, »dein Vater vertraut mir dieser Tage nichts an. Doch ich weiß, dass er ein gewaltiges Risiko eingegangen ist. Er lenkt dieses Königreich, seit Lord Protector Seymour das Schafott bestiegen hat, und beliebter hat ihn das wahrlich nicht gemacht. Nachdem er zuvor als die rechte Hand des Lord Protector gegolten hat, sieht man ihn jetzt als diejenige Hand, die seinem Herrn den Kopf abgeschlagen hat. Auch wenn ich dir zugestehe, dass dein Vorschlag wohlbegründet ist, müssen wir uns trotzdem immer noch gegen die Suffolks und den Kronrat durchsetzen. Fürs Erste stellen sie nur Fragen. Bald werden sie jedoch Antworten verlangen.«
»Sobald wir Elizabeth haben, haben wir auch Antworten. Das habe ich Vater zu sagen versucht, aber er wollte einfach nicht hören. Sie ist der Schlüssel zu allem. Mit ihr kommen wir an alles heran, was uns noch fehlt.«
»Du bist zu ungeduldig«, tadelte Lady Dudley ihn. »Ohne die Einwilligung des Kronrats kannst du deine Hoffnungen auf eine Annullierung deiner Ehe mit Amy Robsart begraben. Und solange du ihrer nicht ledig bist, gibt es keine Hoffnung auf mehr als eine bloße Freundschaft mit Elizabeth Tudor.«
Aus Roberts Gesicht wich alle Farbe. »Aber Vater hat es mir versprochen!«, brachte er in wütendem Flüsterton hervor. »Er hat mir versprochen, dass sich weder die Suffolks noch der Kronrat mir in den Weg stellen werden. Er hat gesagt, dass die Annullierung kein Problem sein wird und er ihnen zur Not die Klinge seines Schwertes an die Kehle pressen wird, bis sie unterschreiben.«
»Die Umstände ändern sich nun mal«, sagte sie. »Beim jetzigen Stand der Dinge kann dein Vater keine weiteren Zugeständnisse erzwingen. Es steht einfach zu vieles auf dem Spiel. Elizabeth hätte nie nach London kommen dürfen. Damit hat sie das Feuer unter unseren Füßen nur angefacht. Wenn sie sich in den Kopf gesetzt hat, den Kronrat zu bitten, sie ihren Bruder besuchen zu lassen, oder – Gott behüte – das vor aller Öffentlichkeit von uns zu verlangen, dann …« Sie verstummte und ließ die unausgesprochenen Folgen eines solchen verhängnisvollen Schritts bedeutungsschwer zwischen ihnen schweben.
Dann fügte sie hinzu: »Dein Vater braucht Zeit, Robert. Wenn er entschieden hat, dass es besser ist, noch nicht mit Elizabeth zu sprechen, dann musst du seinem Urteilsvermögen trauen. Er tut nie etwas ohne Grund.«
Während sie sprach, sah ich, wie ihre Augen sich ein wenig hoben und vorbei an Robert zum Vorhang blickten. Das Blut gefror mir in den Adern, denn in diesem Moment erkannte ich die Tücke in ihrem Blick. Genau so hatte sie ausgesehen, als sie mich der Herzogin von Suffolk vorgeführt hatte. Wie ein Blitzschlag traf mich die Erkenntnis, dass sie ihrem Sohn ins Gesicht log. Sie führte ihn absichtlich in die Irre.
»Er hat dich nicht im Stich gelassen.« Ihr Ton war auf einmal sanft geworden. »Nur hält er es einfach für klüger, sich erst um Mary zu kümmern. Wer kann bei ihr schon vorhersagen, was sie als Nächstes anstellt? Du sagst, dass sie weder Geld noch Unterstützung hat, aber irgendjemand am Hof füttert sie offenbar mit Nachrichten, und der spanische Botschafter hat immer Geld, wenn sie welches braucht.«
Mir schnürte sich der Magen zu. Warum vermengte sie Lügen mit der Wahrheit? Aus welchem Grund konnte ihr daran gelegen sein, Robert vom Hof und von Elizabeth zu entfernen? Welchen Vorteil versprach sie sich davon, ihren begabtesten Sohn, noch dazu den einzigen, der mit Elizabeth auf vertrautem Fuß stand, in einer Zeit der größten Gefahr für ihre Familie fortzuschicken?
Robert starrte seine Mutter an, als sähe er sie zum ersten Mal. Es lag auf der Hand, dass auch er den Verrat witterte, nur war ihm nicht klar, worin er bestehen mochte. Sein Zögern steigerte die Anspannung bei beiden, bis er sie mit einem spöttischen Lachen auflöste.
»Der einzige Schaden, den Mary anrichten kann, besteht darin, dass sie sich lächerlich macht. Sie hätte schon vor Jahren verheiratet werden sollen – und zwar mit einem Lutheraner. Der hätte ihr dann schon Vernunft in ihren katholischen Dickschädel geprügelt.«
»Sei es, wie es wolle«, konterte Lady Dudley, »du musst zugeben, dass sie ein Hindernis darstellt. Solange sie frei ist, kann sie durch das Land ziehen und Anhänger hinter sich scharen. Der Pöbel liebt verlorene Sachen. Ich meinerseits würde beruhigter schlafen, wenn ich sie im Tower wüsste. Ein, zwei strenge Tagesritte, eine etwas unfreundliche Behandlung von ein paar Stunden Dauer, und die Angelegenheit ist erledigt. Danach kannst du an den Hof und zu deiner Elizabeth zurückkehren. Bis dahin wird sie gewiss nicht eingehen.«
Ich beobachtete die zwiespältigen Gefühle auf Roberts Gesicht, die die Worte seiner Mutter auslösten, und war nicht überrascht, als er schließlich – wenn auch widerstrebend – nickte und missmutig brummte: »Das wird sie mit Sicherheit nicht. Diese Dame ist stur wie ein Esel, ganz wie ihre Schwester. Sie wird sich nicht vom Fleck rühren, solange nicht jede ihrer Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet ist. Wenn ich Mary ins Gefängnis stecken muss, damit dieser hohlköpfige Kronrat Vernunft annimmt, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Ich bringe sie in Ketten nach London.«
Lady Dudley neigte den Kopf. »Es erfreut mich, das zu hören. Dann sage ich deinem Vater Bescheid. Er beratschlagt gerade mit Lord Arundel. Sie werden dir selbstverständlich verlässliche Männer an die Seite stellen. Sobald die Vorbereitungen abgeschlossen sind, wirst du alles Weitere erfahren. Möchtest du dich bis dahin nicht noch ein wenig ausruhen? Du siehst so müde aus.« Die Geste, mit der sie ihm die Hand an die Wange legte, hätte zärtlich sein sollen. Doch das war sie nicht.
»Du bist das begabteste von unseren Kindern«, murmelte sie. »Geduld. Deine Zeit kommt schon noch.« Damit drehte sie sich um und rauschte mit wehenden Kleidern davon.
Kaum hatte sie die Tür geschlossen, ergriff Robert den Kerzenhalter und schleuderte ihn an die Wand. Putz spritzte nach allen Seiten. In der Stille, die nun eintrat, keuchte er wie ein in die Enge getriebenes Tier.
In meiner Magengrube breitete sich ein flaues Gefühl aus. Ich gab mir einen Ruck, zerzauste mir kurzentschlossen das Haar, löste die Schnüre meiner Jacke und trat herzhaft gähnend hinter dem Vorhang hervor.
Robert wirbelte herum. »Du? Du warst hier? Du … hast alles gehört?«
»In dieser Situation hielt ich es für das Beste, mich nicht blicken zu lassen, Mylord«, murmelte ich.
Seine Augen verengten sich. »Du erbärmlicher Köter hast mich belauscht!«
Ich senkte die Augen. »Vergebt mir, aber ich war so müde. All der Wein gestern Abend, der Ritt hierher … Da bin ich auf dem Bett Eurer Lordschaft eingeschlafen. Bitte verzeiht mir. Es wird nie wieder vorkommen.«
Er musterte mich scharf. Dann baute er sich vor mir auf und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Benommen taumelte ich zurück. Einen sich ewig hinziehenden Moment lang starrte er mich stumm an. Schließlich knurrte er: »Du hast geschlafen, sagst du? Dann solltest du lernen, den Wein zu vertragen. Oder weniger zu trinken.« Erneut verstummte er.
Ich wagte nicht zu atmen. Meine Ausrede war durchaus plausibel, wenn auch nicht unbedingt überzeugend. Aber immerhin hatte sie ihm eine Blamage erspart. Und vielleicht nahm er in seiner Überheblichkeit tatsächlich an, dass ich von dem Wortwechsel zwischen ihm und seiner Mutter kaum etwas verstanden hatte. Sehr viel Intelligenz hatte er mir schließlich noch nie zugetraut, und ich hatte mich nie zu meinem Wunsch geäußert, mehr zu erreichen, als seiner Familie zu dienen. Freilich war die Gefahr nicht gebannt, dass er mich am Ende doch umbrachte, falls ich eine Bedrohung für seine Sicherheit darstellte. Ich konnte nur zu Gott beten, dass er mich auch weiter als einen Hund betrachtete, der die Hand, die ihn fütterte, nie beißen würde.
Zu meiner Erleichterung begnügte er sich mit einem Tritt gegen den Kerzenständer und stürmte zum Tisch. »Zum Teufel mit meinem Vater! Gerade jetzt, wo ich die Karten so schön in der Hand hatte. Allmählich frage ich mich, ob er mir absichtlich einen Strich durch die Rechnung macht. Erst schickt er mich mit irgendeinem dummen Auftrag zum Tower, während er sie an den Hof lädt, und jetzt hat er schon wieder eine Ausrede gefunden, um mich hinzuhalten.«
Ich bekundete Verständnis, während ich fieberhaft versuchte, die Fragmente zusammenzusetzen, die ich gerade in Erfahrung gebracht hatte.
Zum einen schien die vielgepriesene Einheit der Familie Dudley zu zerbröckeln. Lady Dudley hatte verkündet, dass ihr Gemahl kein Vertrauen mehr zu ihr hatte, obwohl sie stets sein Halt gewesen war, die Eisenstange, an der seine Seidengewänder hingen. Was immer der Herzog mit Elizabeth vorhatte, Robert war jetzt davon ausgeschlossen, obwohl er wiederholt ein Versprechen erwähnt hatte, das ihm offenbar gemacht worden war. Ich traute mich fast zu wetten, worauf diese Zusage hinausgelaufen war.
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