»Werd’s mir merken.« Ich schlug den Weg zum Palast ein, windverwehtes, raschelndes Laub zu meinen Füßen.
Als ich über die Schulter blickte, war Peregrine verschwunden. Da sah ich plötzlich aus den Augenwinkeln zwei Gestalten mit gezückten Dolchen zwischen den Bäumen hervorstürzen. Sofort rannte ich los, in die Richtung, aus der ich gekommen war.
Die Männer warfen sich auf mich. Ich wehrte mich aus Leibeskräften und schaffte es noch, einen Tritt in irgendwelche Weichteile zu landen, bevor eine massive Faust gegen mein Kinn krachte und mich zu Boden streckte. Um mich her drehte sich alles, und ich hörte eine kalte Stimme sagen: »Das reicht. Er soll nicht blutig geschlagen werden.«
Die Kerle ließen von mir ab. Einer von ihnen hielt sich wüst fluchend das Gemächt. Trotz der Schmerzen am Unterkiefer brachte ich ein Lachen zustande. »Zu spät«, sagte ich zu dem Mann, der den Überfall beendet hatte. »Ich glaube, der da hat mir einen Zahn ausgeschlagen.«
»Halb so schlimm.« Meine Kappe wurde mir zugeworfen. »Steht auf. Langsam.«
Er trat in mein Gesichtsfeld. Von dürren Schultern fiel ein viel zu weiter Umhang herab: Walsingham, der im Morgengrauen noch strenger wirkte als im Mondlicht. Dem Klang seiner Stimme und der Glätte seiner fahlen Haut nach konnte er nicht viel älter sein als ich, und doch wirkte er uralt – wie jemand, der in seinem Leben noch nie eine Sekunde spontane Freude gekannt hatte. Jetzt wusste ich wenigstens, was er von Beruf war: ein Haudegen.
»Ihr hättet mich auch rufen lassen können.«
Er ignorierte mich. »Ich rate Euch, nicht zu fliehen oder Widerstand zu leisten. Meine Männer können nicht nur Zähne einschlagen, sondern auch noch ganz andere Dinge.« Er winkte, woraufhin die Kerle mich flankierten. Ich hatte keine Chance, an meinen Dolch im Stiefel zu kommen.
Einer der beiden packte mich unsanft am Arm. Als ich herumfuhr, um ihn abzuwehren, stülpte mir der andere einen Sack über den Kopf und fesselte mir die Hände mit einer Kordel. Blind und hilflos wurde ich vorwärtsgeschubst, in eine Richtung, die vom Palast wegzuführen schien.
Die Kerle stießen mich durch den Wildpark und über gewundene Straßen, wo sich das Rasseln von Wagenrädern und das Klappern von Hufen auf Steinpflaster, die Rufe von Verkäufern und das raue Grölen von Bettlern gegenseitig überboten. Ich roch das faulige Wasser der mit Abfällen angefüllten Themse, und dann wurde ich durch eine Tür geschoben. Als ich Protest erhob, kassierte ich eine schallende Backpfeife.
Durch einen Gang und eine zweite Tür gestoßen, taumelte ich in plötzliche Stille, die mit Orangenduft gefüllt war. Ich hatte vor Jahren einmal eine Orange gegessen. Das hatte ich nie vergessen. Orangen wurden aus Spanien eingeführt. Wer sie sich leisten konnte, verfügte über einen luxuriösen Geschmack und den entsprechenden Wohlstand.
Die Kordel um meine Handgelenke wurde gelöst. Hinter mir fiel die Tür ins Schloss. Ich riss mir den Sack vom Kopf. Eine wohlbekannte Gestalt erhob sich von einem Pult vor einem Flügelfenster. Dahinter bot sich mir ein weiter Blick auf einen bis zum Flussufer reichenden Garten mit Trauerweiden, die sich über schmiedeeiserne Bänke und Buchsbaumhecken neigten.
Ich erstarrte. »Ihr!«, keuchte ich.
10
»So leid es mir tut«, sagte Master Secretary Cecil. »Falls Ihr misshandelt worden seid, bitte ich um Entschuldigung. Walsingham hielt es für das Beste, Euch keine andere Wahl zu lassen, als meiner Einladung zu folgen.«
Ich wusste selbstverständlich, dass Walsingham draußen vor der Tür stand, um jeglichen Fluchtversuch meinerseits zu verhindern. Ich verkniff mir eine Entgegnung und sah zu, wie Cecil an eine Anrichte trat, auf der eine Platte mit verschiedenen Speisen, ein Korb Orangen und ein Weinkrug standen. Ich war mir fast sicher, dass seine sogenannte Einladung etwas mit dem vorigen Abend zu tun hatte, weshalb meine Neugier meine Befürchtungen überwog – wenn auch nur knapp.
»Habt Ihr schon gefrühstückt?«, fragte Cecil.
Ich wischte mir das Blut aus dem Mundwinkel. »Mir ist der Appetit vergangen.«
Cecil lächelte. »Ihr werdet Euch schon erholen – ein junger Mann wie Ihr, ohne Fleisch auf den Rippen. Als ich in Eurem Alter war, konnte ich ständig essen. Doch Euer Tonfall lässt vermuten, dass Ihr mir böse seid. Aber ich habe mich doch schon entschuldigt.«
»Wofür? Mich mit Gewalt hierhergezerrt zu haben?« Ich hörte selbst, wie aufgebracht ich klang, und nahm mich zusammen. Dies war kein Mann, dem man sich offenbaren konnte. Gewiss wollte er etwas von mir, wenn er sich schon die Mühe machte, mich in den Stallungen aufzuspüren und entführen zu lassen. Offenbar besaß er ja das Vertrauen der Prinzessin. Dass er auch ein Angestellter des Herzogs war, machte die Situation natürlich etwas komplizierter.
Letztlich konnte ein Mann doch nur einen Herrn haben. Welchem mochte Cecil dienen?
Er machte sich an der Anrichte zu schaffen. »Ich bin nicht der Feind Ihrer Hoheit, falls es das ist, was Ihr denkt. Bedauerlicherweise sieht es fast so aus, als wäre ich ihr einziger Freund, zumindest der einzige einflussreiche. Bitte nehmt doch Platz.« Er wies zu einem gepolsterten Stuhl am Pult, als empfinge er in aller Gemütlichkeit einen Gast. Ich setzte mich. Er reichte mir Teller und Kelch, die ich absichtlich unberührt ließ, und kehrte dann ans Pult zurück, eine sehr selbstsichere Erscheinung in schwarzer Kniehose und Wams. »Ich glaube, Ihre Hoheit ist in Gefahr«, sagte er unvermittelt. »Aber das wisst Ihr vermutlich schon.«
Ich ließ mir meine wachsende Unruhe nicht anmerken. Weder im Guten noch im Bösen wollte ich mich dazu bringen lassen, etwas über die Prinzessin zu verraten.
Cecil lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich muss sagen, ich finde Euer Schweigen verwunderlich. Ihr habt uns doch gestern im Garten belauscht, nicht wahr?« Er hob die Hand. »Ihr braucht es gar nicht abzustreiten. Lauschen ist ein von alters her üblicher Initiationsritus am Hof. Irgendwann hat es jeder von uns getan. Doch was wir hören, kann manchmal falsch ausgelegt werden. Vor allem dann, wenn wir nicht alle Einzelheiten kennen.«
Schweißtropfen rannen mir zwischen den Schulterblättern hinab. Was für ein Stümper ich doch war! Was hatte mich nur geritten, mich so weit vorzuwagen? Natürlich hatte Cecil gewusst, dass ich da war. Wahrscheinlich hatte ich genug Lärm gemacht, um die ganze Palastgarde zu alarmieren. Hatte ich mehr gehört, als gut für mich war?
Cecil sah mich abwartend an. Ich musste etwas sagen. »Ich … ich wurde von meinem Herrn dorthin gesandt.« Meine Stimme klang heiser, halb erstickt. Ich konnte heute sterben. Der Mann mir gegenüber nahm seine Aufgabe, Elizabeth zu schützen, sehr ernst. Er konnte mich umbringen lassen, und keiner würde es je erfahren. Junker, die ihren Herrn enttäuschten, verschwanden oft genug.
»Oh, das bezweifle ich nicht. Lord Robert hat immer seine eigenen Pläne, und es ist ihm gleichgültig, wen er dazu benutzt.« Cecil seufzte. »Als Junker neu am Hof, und bei all dem, was Ihr den Dudleys schuldet – was hättet Ihr denn tun sollen? Ich muss zugeben, Ihr habt Euer Soll mehr als erfüllt. Das Vertrauen Ihrer Hoheit zu gewinnen, ohne ihr Misstrauen zu wecken, ist eine reife Leistung. Ich hoffe, Lord Robert hat Euch gut dafür bezahlt. Ihr habt es Euch wahrhaft verdient.«
Vielleicht, überlegte ich, wollte Cecil erfahren, was für eine Botschaft ich der Prinzessin ausrichten sollte. Wenn ich mich dumm stellte, konnte ich ihn möglicherweise davon überzeugen, dass ich keine Bedrohung darstellte. Am besten, ich hielt diese Rolle so lange durch, bis er seine Karten auf den Tisch gelegt hatte; denn dass er Trümpfe in der Hand hielt, war sonnenklar.
»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz«, sagte ich.
»Nein. Woher auch?« Zu seiner Linken hatte er einen Stapel Rechnungsbücher, zur Rechten ein juwelengeschmücktes Tintenfass. »Ich dagegen bekleide ein Amt, in dem ich eine Menge weiß. Und was ich nicht weiß, finden meine Spione für mich heraus. Ihr würdet Euch wundern, was man heutzutage für den Preis einer Mahlzeit so alles kaufen kann.« Er begegnete meinem Blick. »Überrascht Euch meine Offenheit?«
Spiel bloß den Dummkopf! Mit allen Mitteln!
»Ich frage mich, was das alles mit mir zu tun hat.«
Er lachte. »Na, na, ein schlaues Kerlchen wie Ihr wird schon noch dahinterkommen. Man erringt ja nicht jeden Tag die Gunst von Elizabeth Tudor. Leute mit Euren einzigartigen Talenten sind genau das, was ich suche.«
Ich nahm diese Neuigkeit wortlos auf. Gerade hatte ich noch gedacht, meine Lage könnte gar nicht schlimmer werden, da wurde mir eine weitere Stellung angeboten. Damit hatte es keinen Sinn mehr, den Bauerntölpel zu spielen.
»Was genau wollt Ihr damit sagen?«
»Geradeheraus? Ich wünsche, Eure Dienste für mich zu gewinnen. Es ist ein lukratives Agebot, das kann ich Euch versichern. Ich brauche jemand Frischen, scheinbar Naiven, äußerlich Unauffälligen, der in der Lage ist, Vertrauen zu erwecken, sogar bei so skeptischen Naturen wie der Prinzessin. Ihr habt ihr doch gestern Eure Hilfe angeboten? Sie hat es mir selbst gesagt. Wenn Ihr für mich arbeitet, dann werdet Ihr ihr helfen, sogar weit mehr, als Ihr Euch vorstellen könnt.«
Der Magen krampfte sich mir zusammen, wie zur Warnung, mein plötzliches, brennendes Interesse nicht kundzutun. Wie auch immer ich vorging, äußerste Wachsamkeit war angebracht. Es konnte ja eine Falle sein. In der Tat: was denn sonst? So talentiert ich auch sein mochte, ein Spion war ich sicher nicht.
»Warum ich? Ich habe keine Ausbildung zum … Agenten.«
»Das nicht. Aber was Ihr nicht wisst, könnt Ihr lernen. Es ist der Instinkt, den man nicht lernen kann; ich muss es wissen, denn ich besitze ihn selbst. Glaubt mir, er ist wertvoller, als Ihr denkt.«
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