Ich zog mir die Stiefel an. »Willst du mir erklären, warum du mich bestehlen wolltest, oder soll ich den Stallmeister rufen?«
»Ich wollte nicht stehlen. Ich wollte bloß …« Der Junge schwieg. Ich sah es ihm an, dass er nicht daran gedacht hatte, für den Fall, dass er ertappt wurde, eine glaubwürdige Ausrede zu erfinden.
Ich verkniff mir ein Lächeln. »Ja? Du wolltest – was?«
Er schob das Kinn vor. »Ihr schuldet mir Geld. Ihr habt mich bezahlt, damit ich Euer Pferd füttere. Aber wenn Ihr es heute wieder gefüttert haben wollt, müsst Ihr mich wieder bezahlen. Wie es aussieht, seid Ihr sowieso kein Edelmann. Und nur Edelleute dürfen ihr Reittier hier gratis unterstellen.«
»Tatsächlich?« Ich öffnete mein Beutelchen und spürte, welche Genugtuung es mir bereitete, dass ich nun jemand war, der jemandem eine Münze zuwerfen konnte, selbst wenn das vielleicht der letzte Schatz war, den ich je zu Gesicht bekommen würde.
Der Junge fing den Taler auf. Seine seltsam grün gefleckten Augen verengten sich. »Ist das echtes Gold?«
»Ich denke schon.« Ich griff nach meinem zerknüllten Wams. »Jedenfalls kann ich’s nur hoffen, nach all der Mühe, die mich das gekostet hat.«
Während ich in die Ärmel schlüpfte, sah ich den Jungen in die Münze beißen. Mit einem fachmännischen Nicken, das jedem Geldverleiher zur Ehre gereicht hätte, steckte er sie ein. Ich hatte den Verdacht, soeben für einen ganzen Monat Futter und Unterkunft bezahlt zu haben. Doch das machte mir nichts aus. Ich wusste, wie es war, sich ohne jede Belohnung abzumühen. Außerdem hatte ich eine Idee. Vor nicht allzu langer Zeit war ich selbst ein Bursche wie er gewesen, abgefeimt wie ein Straßenköter und ebenso darauf bedacht, nicht unter die Räder zu kommen. Burschen wie wir sahen und hörten mehr, als uns bewusst war.
»Das hier braucht keiner zu erfahren«, sagte ich. »Ach ja, ich bin übrigens Brendan. Brendan Prescott. Und du?«
»Ich heiße Peregrine.« Er hockte sich auf ein Fass und fischte zwei Falläpfel aus seiner Jacke. Einen warf er mir zu. »Wie der Wanderfalke.«
»Interessanter Name. Hast du noch einen anderen dazu?« Ausgehungert, wie ich war, biss ich herzhaft in den Apfel, doch er war schauderhaft sauer.
»Nein«, entgegnete er mit trotziger Miene. »Wieso auch?«
»Na gut. Immerhin ist er leicht zu merken. Wie alt bist du, Peregrine?«
»Zwölf. Und du?«
»Zwanzig«, sagte ich und hätte fast hinzugefügt: Glaube ich.
»Ach.« Er warf die Reste des Apfels in Cinnabars Box. Mein Pferd schnaubte und fing an zu kauen. »Du siehst jünger aus. Ich dachte, du wärst so alt wie Edward. Fünfzehn.«
»Edward? Meinst du Seine Majestät, den König?«
Peregrine runzelte die Stirn. »Du bist komisch. Du bist nicht von hier, oder?«
Jetzt musste ich aber doch grinsen. Er war wirklich ein Waisenknabe. Nur jemand, der seit jeher für sich selbst sorgen musste, hatte so schnelle Reflexe und konnte jeder Frage eine eigene entgegensetzen. Ich hatte nicht erwartet, eine so unverfälschte Seele in Whitehall anzutreffen.
Und dass er nicht geantwortet hatte, bedeutete natürlich, dass ich recht hatte. Er kannte den König.
»Stimmt«, sagte ich. »Ich bin aus Worcestershire.«
»Nie dort gewesen. Nie über London hinausgekommen.«
Ich nickte, wischte mir Strohhalme von der Hose. »Kennst du Seine Majestät gut?«
Er zuckte mit den Schultern. »So gut, wie man einen Prinzen eben kennen kann. Früher war er oft hier im Stall. Er liebt Tiere und hasst es, den ganzen Tag eingesperrt zu sein. Seine Hoheit, der Herzog, hatte ihn immer …« Er unterbrach sich und blickte mich mürrisch an. »Das ist gemein!«
»Ich habe dir nur eine Frage gestellt.« Ich lächelte. »Außerdem, wem sollte ich das verraten? Ich bin doch gar nicht wichtig. Ich bin nur neugierig, wie ein Stallbursche dazu kommt, den König kennenzulernen.«
»Ich bin nicht nur ein Stallbursche, ich kann auch andere Dinge.« Er schürzte die Lippen und blickte mich abschätzend an, als wäre er nicht sicher, ob ich der Mühe wert sei. Doch ich sah hinter die Pose und erkannte, dass er sich nur zu gerne mitteilen wollte; wie ich war er einsam aufgewachsen.
»Du sagtest gerade, der König wäre viel lieber im Freien«, erinnerte ich ihn.
»Ja. Edward … ich meine, der König … also, er muss dauernd studieren und schreiben und Leute treffen, die er gar nicht mag, darum stiehlt er sich manchmal davon, um mich zu besuchen. Oder vielmehr seine Hunde und Pferde. Ich versorge sie. Er liebt seine Tiere.«
»Ich verstehe.« Ich dachte an Elizabeth und die Furcht in ihrer Miene, als sie den Ankündigungen des Herzogs im Thronsaal lauschte, und musste an mich halten, um den Jungen nicht mit Fragen zu überschütten. Er hatte den König getroffen, vielleicht sogar noch vor Kurzem; hatte mit ihm gesprochen. Was mochte er sonst noch alles wissen?
»Kommt der König denn oft hierher?« Ich fühlte ihm auf den Zahn, um herauszufinden, ob er sich nicht vielleicht nur aufspielte.
Er wirkte nicht weiter betroffen, sondern zuckte nur mit den Schultern, wie jemand, der sich wohlweislich nicht weiter um das Kommen und Gehen Hochgestellter kümmerte. »Früher war er öfter da, aber seit einiger Zeit lässt er sich nicht mehr blicken. Der Herzog hat es wahrscheinlich untersagt. Edward hat mir einmal erzählt, Seine Lordschaft habe ihn dafür gerügt, dass er sich mit Untergebenen anfreundete. Oder vielleicht ist er auch zu krank geworden. Das letzte Mal hat er Blut gehustet. Aber wenigstens hat er noch diese alte Amme als Pflegerin.«
»Eine alte Amme?« Ohne ersichtlichen Grund sträubten sich mir die Nackenhaare.
»Ja. Sie ist einmal mit einer Order des Herzogs gekommen, um einen von Edwards Spaniels zu holen. Eine alte Frau, die stark humpelte. Sie roch aber angenehm, irgendwie nach Kräutern.«
Obwohl ich auf festem Boden stand, begann der Stall, sich um mich zu drehen wie eine Galeone im Sturm. »Kräuter?«, hörte ich mich sagen. »Was für welche?«
»Woher soll ich das wissen?« Er verdrehte die Augen. »Ich bin doch kein Küchenjunge, der den Bratspieß dreht. Vielleicht war sie ein Kräuterweiblein oder so. Wenn man als König krank wird, bekommt man so eines wahrscheinlich zusammen mit den Ärzten und Blutegeln angedient.«
Ich atmete tief durch, um nicht dem Impuls nachzugeben, den Burschen am Kragen zu packen. All diese rätselhaften Ereignisse, die seit meiner Ankunft am Hof über mich hereinbrachen, hatten mich verwirrt. Viele Frauen verstanden sich auf Kräuterheilkunde, und außerdem hatte er doch gesagt, dass sie alt war und humpelte. Ich haschte schon nach Schatten. In so einem erbärmlichen Zustand würde ich niemandem eine Hilfe sein.
»Hat die Frau gesagt, wer sie ist?«, fragte ich. Ich konnte nur hoffen, dass mein Gesichtsausdruck nicht verriet, wie sehr mich meine Torheit ärgerte.
»Nein. Sie hat den Hund genommen und ist wieder verschwunden.«
Ich hätte längst aufhören sollen, doch ich konnte mich nicht bremsen. »Und du hast sie nichts gefragt?«
Peregrine starrte mich an. »Wieso denn? Sie wusste, dass der Hund Edward gehörte. Warum hätte sie sonst herkommen sollen? Falls du es noch nicht gemerkt hast, ich tue immer, was man mir sagt. Wer zu viel fragt, kriegt nur Ärger. Und Ärger will ich keinen.«
»Natürlich.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. Ich sollte mich mit diesem Gassenjungen gut stellen. Das konnte sicher nichts schaden.
Peregrine sprang von dem Fass herab. »Also, ich muss wieder zur Arbeit. Der Meckermeister kann jeden Moment zurückkommen, und der gerbt mir das Fell, wenn ich die Tiere nicht gefüttert und gesattelt habe. Alle brechen heute nach Greenwich auf. Ich muss sogar den Hund Ihrer Hoheit in eine Transportkiste packen. Sie ist wie Edward, liebt ihre Tiere. Eine hübsche Dame und nett obendrein, nicht so wie manche Leute hier. Sie bezahlt mich sogar.«
Ich konnte es nicht fassen. »Ihre Hoheit, Prinzessin Elizabeth? Sie war hier?«
Peregrine lachte. »In den Stallungen? Du hast gestern wohl wirklich zu viel getrunken, was? Nein, Brendan Prescott aus Worcestershire, ihr Freund, Sekretär Cecil, hat mich gestern Abend bezahlt, damit ich Urian versorge. Ich hoffe, du findest den Weg dahin zurück, wo immer du hingehörst.«
Ich tastete im Stroh nach meiner Kappe. »Warte.« In meiner Börse fischte ich nach der größten Münze, die ich finden konnte, und warf sie Peregrine zu. »Ich fürchte, ich habe mir gestern tatsächlich etwas zu viel genehmigt. Ich hatte Glück, dass ich es bis hierher geschafft habe, aber allein finde ich bestimmt nicht mehr zurück. Und jetzt sollte ich eigentlich längst bei meinem Herrn sein. Kannst du mir den Weg zeigen?«
Er grinste, die Finger fest um die Münze geschlossen. »Nur bis zum Garten. Ich habe zu tun.«
Die Sonne mühte sich, durch dichte Wolken zu dringen. Der Wind biss uns mit spitzen, scharfen Zähnen ins Gesicht, fegte durch die Blumenbeete und füllte die Luft mit wirbelnden Blütenblättern. Während Peregrine mich zu einem von Bäumen gesäumten Weg führte, fragte er unvermittelt: »Ist das da das Wappen des Herzogs auf deinem Ärmel?«
»Ja, ich bin Diener seinen Sohnes, Lord Robert.«
»Oh.« Er deutete auf den Pfad zu dem in der Ferne aufragenden Palastgebäude, dessen Türme, Zinnen und Tore in den Himmel ragten. »Da hindurch und dann nach links. Sobald du den ersten Innenhof erreicht hast, musst du jemand nach dem Weg fragen. Da drinnen war ich noch nie.«
Ich verbeugte mich. »Danke, Master Peregrine. Ich hoffe, wir treffen uns wieder.«
Sein Lächeln ließ sein Gesicht aufleuchten. In dem Moment sah er plötzlich ganz kindlich aus, und mit einem Anflug von Wehmut erinnerte ich mich an meine eigene Kindheit – frühreif und in einer feindseligen Welt um Anerkennung bestrebt. »Falls Lord Robert je einen anderen Pagen braucht«, sagte er, »oder auch bloß jemand zum Aushelfen, dann bin ich euer Mann. Ich kann mehr als Pferde füttern, weißt du.«
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