«Nein. Ich glaube, über Miss Kenmore sind wir hinaus.»
Weit. Er hatte sich anscheinend dagegen entschieden, sie zu töten, indem er aus dem Bett stieg, und sie schmiegte sich glücklich an ihn. Dann jedoch rückte sie plötzlich von ihm ab.
«Quin! Ich verstehe das nicht! Die Tristesse ist bei mir völlig ausgeblieben.» Sie starrte ihn an. «Du weißt schon, das was hinterher kommt. Diese tiefe Traurigkeit nach der Liebe. Das steht doch in allen Büchern. Es ist der Moment, in dem einen bewußt wird, daß jeder Mensch trotz allem hoffnungslos allein ist, und ich spüre nichts davon; ich fühle mich absolut fabelhaft. Ich hab dir ja gesagt, ich bin nicht wie andere.»
«Nein», bestätigte er mit einem leisen Lachen. «Du bist nicht im geringsten wie andere. Wenn alle so wären wie du, würden die Götter vom Olymp herabsteigen und das Paradies auf Erden ausrufen.» Dann fügte er hinzu: «Wir essen später.»
Aber später schlief er ganz plötzlich ein, und sie gelobte sich, wachzubleiben, weil sie von dieser Nacht nicht einen Augenblick versäumen wollte ... aber dann schlief sie doch ein, wenn auch nur kurz, und erwachte voll Erstaunen, weil sie jetzt verstand, was die Leute meinten, wenn sie sagten, sie hat mit ihm geschlafen. Es war ein Teil des Liebesakts, dieses gemeinsame Versinken ins Vergessen.
Als auch er erwachte, war er voller Reue und Bedauern. «Jetzt sollst du endlich was zu essen bekommen, mein armer Schatz», sagte er, und sie gingen Hand in Hand in die Küche, weil sie sich keinen Moment von ihm trennen wollte. Sie aßen Brot und Käse und tranken einen Wein dazu, der mit Janets Liebfrauenmilch nichts gemein hatte.
«Gott, hab ich einen Hunger», sagte Ruth, ein großes Stück Emmentaler in der Hand. Dann hielt sie plötzlich im Essen inne und fragte: «Glaubst du, sie kommt später, diese Tristesse? Diese schreckliche, tragische Hoffnungslosigkeit – das Gefühl, daß jeder im Grunde allein ist?»
«Ich bin nicht allein», sagte Quin und trat hinter sie, um sie in die Arme zu nehmen. «Und du auch nicht. Wir werden nie wieder allein sein.»
Als sie fertig gegessen hatten, öffneten sie die Balkontür und schauten auf die schlafende Stadt hinunter und auf den Fluß, der niemals schlief. In Quins Morgenrock gehüllt, in der Wärme seines Arms, atmete sie die Nachtluft in tiefen Zügen.
«Ich liebe diesen Fluß», sagte sie.
«Ich auch», antwortete Quin. «Er eignet sich auch gut, um eine Flaschenpost zu schicken. Morgen früh geh ich los und kaufe tausend Limonadenflaschen, stecke in jede ein Briefchen und werfe sie alle von der Brücke in den Fluß.»
«Und was schreibst du in den Briefen?»
Er drehte den Kopf, erstaunt über ihre Ahnungslosigkeit. «Deinen Namen natürlich. Was sonst?»
Immer noch Hand in Hand gingen sie ins Schlafzimmer zurück. «Es ist merkwürdig», sagte Ruth. «Ich dachte immer, die Liebe würde so sein wie der langsame Satz von Mozarts Sinfonia Concertante ... oder wie eines dieser Barockgemälde, die meine Mutter mir im Museum immer gezeigt hat, mit Putten und lichten Wolken und goldenen Strahlen ... oder vielleicht auch wie das Meer. Aber so ist sie nicht, nicht wahr?»
«Nein. Die Liebe ist nur sie selbst.»
«Ja.» Sie seufzte, drängte sich warm und entspannt und glücklich an ihn.
Er nahm sie in die Arme und sagte leise, aber klar in die Dunkelheit: «Meine Frau.»
26
Er hatte Ruth bald nach Tagesanbruch an der Ecke zu ihrer Straße abgesetzt. Jetzt, pünktlich um neun, parkte er den Crossley vor dem eleganten Juweliergeschäft Cavour und Stattersley, seit 1763 Hofjuwelier Seiner Majestät des Königs, und stieg langsam die Treppe hinauf.
Ganz plötzlich hatte ihn dieser Wunsch überkommen, ihr ein Geschenk zu machen, nutzlos und über alle Vernunft hinaus kostbar, um seiner Liebe Ausdruck zu verleihen. Ein überraschender Wunsch, denn es gab keine solche Tradition in Bowmont – keine Familientiara, die im Banktresor lag und an besonderen Festtagen herausgeholt wurde; kein Somerville-Halsband, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Seine Großmutter war Quäkerin gewesen und hatte an ihren Überzeugungen festgehalten; Frances besaß eine Kameenbrosche, die an Silvester das schwarze Chenillekleid schmückte und meistens etwas schief saß.
Doch seine Liebe zu Ruth – seiner Frau, die er eben erst gefunden hatte – wollte er mit einem Fanfarenstoß feiern, dessen Nachhall bis in kommende Generationen reichen würde. Die Zeiten waren dagegen, ebenso sein Gewissen. Als er durch die breite Tür trat, die ihm ein Page hielt, streckten ihm die Waisenkinder von Abessinien, die Arbeitslosen und Hungernden dieser Welt bettelnd die Hände entgegen, aber ohne Erfolg. Später würden sie vernünftig sein, er und Ruth; sie würden pflügen und säen und Wegerechte einräumen; sie würden für weitere singende Stallknechte bürgen, aber jetzt, in diesem Augenblick, würde er seiner Liebsten ein Geschenk senden, und sie würde aus ihrem Bett aufstehen und wissen, was es bedeutete.
Quin betrat also leichten Schrittes das elegante Geschäft, und Mr. Cavour, der ihn kommen sah, leckte sich, bildlich gesprochen, die Lippen.
«Woran hatten Sie denn gedacht?» fragte er, nachdem man Quin zu einem blauen Plüschsessel neben einem Rosenholzsekretär geführt hatte. In den Vitrinen lagen, angestrahlt wie die Schätze der Eremitage, Fabergé-Ostereier; Ohrgehänge mit funkelndem Kristallgeriesel; eine Schmetterlingsbrosche, die die spanische Exilkönigin getragen hatte. «Was für Steine beispielsweise?»
Quin lächelte, war sich wohl bewußt, daß er leicht absurd wirken mußte: Ein Mann, der bereit ist, sich für ein Geschenk in Unkosten zu stürzen, von dessen Art er nur eine verschwommene Vorstellung hat. Ja, an was für Steine hatte er eigentlich gedacht? Diamanten? Sindbad hatte ein ganzes Tal voller Diamanten entdeckt; sie steckten in den Köpfen von Schlangen und wurden von Adlern in die Lüfte getragen. Der Orlow-Diamant war aus dem Auge eines indischen Götzenbilds herausgebrochen worden ... der Großmogul, berühmtestes Juwel der Antike, gehörte zum Schatz des Schah Jahan.
Waren Diamanten das richtige für Ruth mit ihrer Wärme, ihrer Stupsnase, ihrer kindlich komischen Art? Oder war ihr Glanz zu eisig für sie?
«Wir haben einen wunderbaren Rubinschmuck da», sagte Mr. Cavour. «Die Steine stammen aus den Mogok-Minen; einzigartig. Die wahre Taubenblutfarbe. Die Großfürstin Tromatow hatte sie einer Amerikanerin verkauft, und sie sind gerade wieder auf den Markt gekommen.»
Quin überlegte. Mogok, in der Nähe von Mandalay ... Reisfelder ... er war dort gewesen, hatte nach einer früheren Expedition einen Abstecher dorthin gemacht und die Minen besichtigt. Warum nicht Rubine mit ihrem besonderen inneren Feuer?
«Oder würde Sie eher ein Halsband aus Perlen und Saphiren interessieren? Es gibt kaum etwas Ähnliches auf der Welt. Wir haben bereits einen Interessenten dafür, aber wenn Sie ein festes Angebot machen möchten ...» Er sah einen der Verkäufer an und schnippte mit den Fingern. «Gehen Sie hinunter zum Tresor, Ted, und holen Sie Nummer 509 herauf.»
Quins Gedanken gingen ihre eigenen Wege, er wußte nicht, mit welchem Ziel. Die profane Venus wurde immer reich behängt mit einem Perlennetz gemalt. Die himmlische Venus jedoch malten sie nackt, denn sie wußten, diese Weisen der Renaissance, daß die Nacktheit rein war. Beides war ihm recht: Ruth in ihrem Lodencape, mit Schmuck behangen; Ruth nackt um Mitternacht, einen Pfirsich essend.
Das Kästchen wurde gebracht, aufgeklappt. Das Halsband war super.
«Ja ... es ist sehr schön», sagte Quin geistesabwesend.
Und da tauchte es plötzlich auf, das Zeichen, der Hinweis – das, worauf er gewartet hatte: Ruth, wie sie barfuß und mit flatterndem Haar am Strand von Bowmont stand und ihm etwas zeigte, das sie in der Muschel ihrer Hand hielt. «Schauen Sie», sagte sie, «ach, schauen Sie doch!»
Er stand auf und tat das Halsband mit einer kurzen Geste ab. «Ich weiß jetzt, was es sein muß», sagt er. «Ich weiß es ganz genau.»
Was er danach zu tun hatte, war schnell erledigt. Dick Proudfoot war sonnenverbrannt und mit sich und der Welt zufrieden aus Madeira zurückgekehrt. Er hatte vier Aquarelle produziert, von denen nur drei ihm mißfielen. Jetzt blickte er auf das umfangreiche Dokument mit seinen Siegeln und Bändern hinunter – eine Kopie des ersten, die ihm die Sekretärin gerade hereingebracht hatte, als Quin unerwartet in der Kanzlei erschienen war – und fragte dann, den Kopf hebend: «Was hast du da gesagt?»
«Du hast mich doch genau verstanden. Zerreiß das Papier. Vergiß die Nichtigkeitserklärung. Ich bleibe verheiratet.»
Proudfoot lehnte sich in seinem Sessel zurück und faltete die Hände hinter dem Kopf. «So, so. Nun, ich kann nicht behaupten, daß ich überrascht bin.» Er grinste. «Erlaube mir, daß ich dir von Herzen Glück wünsche.»
Ihm fiel auf, daß er Quin seit langem nicht so entspannt und glücklich erlebt hatte. Er zog das umfangreiche Dokument zu sich heran, zerriß es und ließ es in den Papierkorb fallen.
«Ganz abgesehen von allem anderen ist das eine große Erleichterung – wir befanden uns nämlich auf ziemlich unsicherem Boden. Hast du vor, nach Bowmont zu ziehen?»
«Ja. Sie gehört dorthin – sie war nur ein paar Tage dort, aber alle erinnern sich an sie: der Schäfer, die Hausmädchen, es ist wirklich verrückt.» Ein flüchtiger Schatten fiel auf sein Gesicht. «Das Dumme ist nur, daß ich eine Expedition nach Afrika geplant habe.»
Doch noch während Quin sprach, wurde ihm klar, was er tun würde. Das Klima in den Ebenen war gesund; die Reise war nicht gefährlich – und im Notfall konnte Ruth immer in Lindi beim Commissioner und seiner Frau bleiben.
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