«Wie bitte?»

«Entschuldigen Sie. Ich wollte damit nicht sagen, daß unsere Heirat ein Fluch war. Aber ich wußte schon damals, als wir uns vor Zeugen dieses Versprechen gaben ... ich meine, solche Gelübde zählen. Man muß sie ernst nehmen. Und deshalb müssen Sie mich von meinem Gelübde befreien, und ich weiß auch, wie Sie es tun können, ich habe nämlich extra Mrs. Weiss gefragt. Mit dem Channukka-Fest hat sie sich ja nicht besonders gut ausgekannt, aber über Scheidung wußte sie Bescheid, und Paul Ziller auch, aber ich wußte es auch vorher schon. Sie brauchen nur dreimal zu sagen: <Ich trenne mich von dir, ich trenne mich von dir, ich trenne mich von dir.> Und dabei müssen Sie mir, glaube ich, die Hand auf die Schulter legen, aber da bin ich nicht so sicher. Es ist auf jeden Fall ein uraltes jüdisches Gesetz, und durch diese Worte wird eine Ehe auf der Stelle aufgelöst. Eigentlich sollte man sie vor einem Rabbiner sagen, aber es reicht auch, wenn man sie einfach so sagt; die Hauptsache ist, man meint es ernst. Daß man den anderen verstößt und frei sein will. Aber sagen müssen Sie es – der Mann –, weil das bei den alten Juden so war; da zählten nur die Männer. Und ich weiß genau, wenn Sie es tun, wird alles gleich besser werden. Vielleicht wird sogar alles wieder gut.»

Außer Atem hielt sie inne, und als Quin nichts sagte, fragte sie ängstlich: «Sie werden es doch tun, nicht wahr? Vielleicht wäre es besser, wenn Sie sagen würden: <Weib, ich trenne mich von dir.> Das klänge biblischer.» Als Quin noch immer nichts sagte, sondern zur Tür ging, rief sie erschrocken: «Wohin gehen Sie?»

Quin antwortete nicht. Sie hörte ihn durch den Flur gehen; gleich darauf kam er mit einem großen weißen Frottiertuch zurück.

«Kommen Sie erst mal her», befahl er ihr. «Setzen Sie sich aufs Sofa. Neben das Feuer.»

Sie kam, verwundert, aber gehorsam und setzte sich.

«Was wollen Sie tun?»

«Senken Sie den Kopf.»

«Aber ...»

«Sie sind zu Ihrer Hochzeit mit nassem Haar gekommen. Dann können Sie wenigstens zu Ihrer Scheidung mit trockenem Haar kommen.»

Während er sprach, begann er ihr Haar zu trocknen – aber das war nicht das, was sie wollte. Das war nicht recht so. Im Alten Testament stand nichts davon, daß einem der Ehemann, der die Absicht hatte, einen zu verstoßen, vorher das Haar trocknete, und sie wollte sich ihm entziehen, aber es war so friedlich, hier zu sitzen, seine Hände taten ihr so wohl ...

Doch als er von ihrem Kopf zum lose herabhängenden Haar auf ihren Schultern hinunterwanderte, wurde sie zornig. Denn jetzt konnte sie seine Hände sehen, und seine Hände hatten sie von Anfang an beunruhigt. Schön wie die Hände Johannes des Täufers von Donatello. Während Quin jetzt ihr Haar frottierte, ging es ihr wieder so wie in Wien im Museum, als er ihr geholfen hatte, das Skelett des Höhlenbären zu ordnen; wie im Orientexpreß, als er ihr eine Nuß geknackt und auf den Teller gelegt hatte ... wie immer, wenn sie ihn mit seiner Pfeife hantieren sah, die er fast niemals anzündete.

«Nein, bitte, hören Sie jetzt auf!» Sie hob einen Arm, um ihn am Handgelenk festzuhalten, aber das war ein ganz großer Fehler. Quin faltete das Handtuch, trug es aus dem Zimmer und kehrte mit einem kleinen Glas zurück, das eine bernsteinfarbene Flüssigkeit enthielt.

«Hier», sagte er. «Trinken Sie das. Das macht Ihnen warm. Und dann erzählen Sie mir in aller Ruhe, worum es eigentlich geht.»

Ruth nahm das Glas, schnupperte einmal daran und trank den Grand Armagnac bis auf den letzten Tropfen. Ein leises «Oh!» der Anerkennung entfuhr ihr. Sie schluckte es hinunter. «Ich kann Ihnen sagen, worum es geht», erklärte sie entschlossen und hob beinahe trotzig den Kopf. «Es geht um – Frigidität.»

Quins Gesicht veränderte sich nicht. Er zog nur die Brauen ein klein wenig in die Höhe, während er wartete.

«Um Frigidität im richtigen, medizinischen Sinn, wie sie im Buch steht. Zum Beispiel in den Büchern von Havelock Ellis und Krafft-Ebing und Eugene Feuermann, die ich am Grundlsee gelesen hab. Ich muß eine Vorahnung gehabt haben, weshalb sonst hätte ich ausgerechnet darüber gelesen, wo ich doch ebensogut Heidi oder Andersens Märchen hätte lesen können?»

«Ja, das fragt man sich», murmelte Quin.

«Ich glaube, das habe ich immer am allermeisten gefürchtet. Kalt zu sein. Empfindungslos. Dazuliegen wie ein Holzklotz.»

«War es denn so?»

Jetzt hatte sich sein Gesichtsausdruck doch verändert; aber Ruth, die zu Boden blickte, sah es nicht.

«Nein, nicht direkt, weil ich gar nicht gelegen habe. Aber im Endeffekt war es das gleiche.»

«Es handelt sich um Heini, nehme ich an? Wir sprechen von Ihrer Beziehung zu Heini, nicht wahr?»

Ruth nickte. «Ich sagte Ihnen ja, daß Heini sich das mit Chopin und seinen Etüden doch anders überlegt hatte. Jetzt bereitet er sich gerade auf einen unheimlich wichtigen Wettbewerb vor, und er will Liszts Dante-Sonate vorspielen, in der es vor allen Dingen um das Ewigweibliche geht, und er wollte – nun ja, er wollte endlich die Liebe erfahren. Er sagte es mir am Heiligen Abend, und es war sehr ergreifend. Als ich dann die Papiere für die Nichtigkeitserklärung im Bus liegengelassen hatte, fand ich, es wäre eine Zumutung für ihn, warten zu müssen, bis wir heiraten können, deshalb habe ich alles arrangiert. Janet hat uns sehr geholfen, sie stellte uns ihre Wohnung zur Verfügung, und außerdem schenkte sie mir eine Flasche Wein – es war Liebfrauenmilch aus der Coop –, aber er schmeckte ganz anders als der Wein, den wir im Orientexpreß getrunken haben.»

«Natürlich», sagte Quin, ohne eine Miene zu verziehen. «Das ist ganz klar, Liebfrauenmilch aus der Coop würde wahrscheinlich jeden frigide machen.»

Aber es kostete ihn große Anstrengung, den Erheiterten zu spielen. Viel lieber hätte er Heini langsam und mit bloßen Händen erwürgt.

«Bitte, das ist doch nicht komisch! Es ist ein ganz entsetzlicher Zustand. Krafft-Ebing schreibt, daß die Ursachen häufig psychologischer Natur sind, aber wie soll ich je dahinterkommen, was meine Eltern Schreckliches getan haben, daß ich ... und Fräulein Lutzenholler ist eine fürchterliche Person. Sie soll eine erfahrene Psychoanalytikerin sein, aber sie sitzt nur da und trinkt Kakao mit Haut und quasselt etwas von Liebe. Und wenn es etwas Körperliches ist, dann ist es noch schlimmer, denn Sie wissen ja, wie kompliziert das Nervensystem ist, und ich möchte mich nicht operieren lassen.»

Quin hatte sich wieder in der Hand. «Hören Sie, Ruth, wenn zwei Menschen das erste Mal miteinander schlafen, wird es oft eine Katastrophe. Das ist etwas, das man lernen muß und ...»

«Ja gut, aber wie soll das möglich sein? Wie kann es von jemand gelernt werden, der so frigide ist, daß es überhaupt kein erstes Mal gibt? Der seinen Pullover auszieht und dann wieder anzieht und dann über die Feuertreppe davonläuft? Wie soll so jemand die Liebe lernen, wenn er es doch nicht einmal probiert?»

Quin stand auf und ging zum Fenster. Der Blick, so wollte ihm scheinen, war der schönste auf der ganzen Welt, und er hatte Mühe, nicht zu lächeln. «Soll das heißen, daß gar nichts stattgefunden hat?»

«Ja. Und es ist darum so besonders schlimm, weil Heini solche Schwierigkeiten hatte, diese Verhütungsdinger aus dem Automaten zu holen. Erst zog er statt dessen Cremeschokolade, und dann laufe ich auch noch davon wie ein aufgescheuchtes Huhn. Er hat seitdem kaum ein Wort mit mir gesprochen, und man kann es ihm wirklich nicht übelnehmen.»

Quin kam zurück und setzte sich neben sie aufs Sofa. «Und wieso glauben Sie, daß es etwas ändern würde, wenn ich dreimal hintereinander <Ich trenne mich von dir> sage?»

Ruth starrte in ihr leeres Glas. «Es ist so, ich möchte emanzipiert sein und großzügig, ich möchte geben können, und natürlich liebe ich Heini. Aber meine Eltern ... es ist schwierig, die Erziehung hinter sich zu lassen, die man genossen hat, und sie sind so altmodisch, und die Ehe war immer – nun ja, eben die Ehe. Sogar solche Ehen wie die unsere, die eigentlich gar keine richtigen Ehen sind. Und ich dachte mir, vielleicht liegt es gar nicht an irgendeiner körperlichen Ursache oder daran, daß ich in einem Heuschober am Grundlsee irgend etwas Traumatisches gesehen habe. Vielleicht muß ich einfach immer wieder davonlaufen, bis ich entheiratet bin. Und das ist der Grund, warum ich Sie bitte, jetzt diese Worte zu sagen. Es wirkt bestimmt.» Sie sah sich um, und ihr Blick fiel auf zwei silberne Leuchter auf dem Kaminsims. «Wir könnten ja ein paar Kerzen anbrennen», sagte sie. «Das würde es feierlicher machen.»

«Ja, das könnten wir», stimmte er zu. Er stand auf, trug die Leuchter zum Couchtisch und zündete ein Streichholz an. «Jetzt», sagte er.

Sie wandte sich ihm zu. «Jetzt tun Sie es?» fragte sie atemlos. «Nein», antwortete er entschuldigend. «Ich werde jetzt etwas ganz anderes tun. Ich werde dich küssen.»


«Nein! Geh nicht! Ich sterbe auf der Stelle, wenn du mich verläßt.»

Sie lag neben ihm auf dem Kissen. Durch das Fenster sah er den Nachthimmel und die Sternbilder, die nach den Heldinnen der Sage benannt waren: Andromeda, die Plejaden ... sie gehörte jetzt zu ihnen, diese mutige junge Frau, die ihre erste Reise in die Liebe gewagt hatte.

«Ich wollte uns nur etwas zu essen holen», sagte er. «Es ist fast Mitternacht. Du mußt doch völlig ausgehungert sein.» Er zeichnete mit einem Finger den Bogen ihrer Wange nach, den Schwung ihres Halses, schob seine Hand in ihr Haar. «<Geschützt unter dem Mantel ihres Haars», murmelte er, sein Gesicht in ihrer Halsgrube.

«Das hat mir aber Miss Kenmore nicht beigebracht», sagte Ruth, nicht erfreut über diese Bildungslücke.