«Ganz recht», bestätigte Quin freundlich. «Und ich warne dich, wenn sie wieder zu dir in die Kanzlei kommt, dann sprich ja nicht von Sigmund Freud, sonst bekommt sie einen Tobsuchtsanfall.»

«Auf die Idee käme ich gar nicht. Ich versteh überhaupt nichts von diesem Zeug.»

«Na, dann ist es ja gut. Ich wollte dich nur warnen.»

23

Paul Ziller machte Heini mit Mantella bekannt. «Er ist ein sehr guter Agent. Ein bißchen aggressiv in seiner Art, aber das müssen diese Leute sein. Warum gehen Sie nicht einmal zu ihm?»

«Arbeiten Sie auch mit ihm?»

Ziller schüttelte den Kopf. «Er ist nur an Solisten und berühmten Musikern interessiert.»

«Aber Sie könnten doch als Solist auftreten.»

«Nein. Ich bin ein Ensemble-Musiker.» Ziller schwieg, in seine eigenen Gedanken vertieft. Bei seiner Rückkehr ins Jewish Day Center hatte er dort zwischen den Waschbecken einen ausgezehrten und heruntergekommenen Mann angetroffen, der Cello spielte, und er spielte sehr gut. Er entpuppte sich als Milan Karvitz vom Prager Kammerorchester, soeben aus Spanien zurückgekehrt, wo er mit den Internationalen Brigaden gekämpft hatte ... und Karvitz seinerseits hatte den Bratschisten vom aufgelösten Berliner Ensemble mitgebracht. Von da an musizierten die drei zusammen, und es ging gut, auch wenn es im Garderobenraum ein bißchen eng war. Allerdings war das Repertoire für Streichtrios begrenzt, und nun hatte ein Mann aus Northumberland geschrieben, der dort als Chauffeur arbeitete. Ziller kannte ihn dem Ruf nach – ein hervorragender Geiger, ein Musiker, der sich nie in den Vordergrund drängte –, aber es kam nicht in Frage. Niemals konnte er Biberstein ersetzen; niemals. «Auf jeden Fall», fuhr er fort, sich aus seinen Gedanken reißend, «habe ich ihm von Ihnen erzählt. Suchen Sie ihn doch einfach einmal auf.»

Mantella war zwar in Hamburg aufgewachsen, doch von Geburt war er Südamerikaner, ein Mann mit olivfarbener Haut, einem schwarzen Spitzbart und einem ausgeprägten Riecher für Begabungen. Heini, das sah er sofort, als dieser sich am folgenden Tag in dem eleganten Büro in der Bond Street bei ihm vorstellte, hatte Möglichkeiten. An seiner musikalischen Begabung gab es keinen Zweifel; noch wichtiger war jedoch die Ausstrahlung des Jungen. Er rührte einen. Doch selbst Mantella konnte für einen Pianisten, der in England unbekannt und auf dem Kontinent noch nicht etabliert war, kein Konzert aus dem Boden stampfen. Immerhin hatte er einen Vorschlag für Heini.

«Ende Mai findet hier ein wichtiger Klavierwettbewerb statt. Unter der Schirmherrschaft von Boothebys – dem Musikverlag. Nein, machen Sie nicht gleich so ein Gesicht. Da mag der Kommerz dahinterstecken, aber die Preisrichter sind ausgezeichnete Leute. Kousselowski und Arthur Hanneman und der Direktor des Amsterdamer Konservatoriums. Die Russen schicken zwei Bewerber., und Leblanc aus Paris nimmt ebenfalls am Wettbewerb teil.»

«Der ist sehr gut», sagte Heini.

«Ich sag Ihnen ja, es ist eine ganz große Sache. Die Preise sind dank der kommerziellen Beteiligung beachtlich, und die Presse interessiert sich auch schon für den Wettbewerb. Die Endausscheidung findet in der Albert Hall statt – das BBC-Symphonieorchester hat sich bereit erklärt, bei den Konzerten zu begleiten, aber das ist noch nicht alles!» Er legte der Wirkung halber eine kurze Pause ein. «Jacques Fleury kommt extra aus den Staaten herüber!»

Das gab den Ausschlag. Fleury war einer der einflußreichsten Konzertagenten überhaupt, mit Häusern in Paris, London und New York. «Was für Konzerte werden verlangt? Ich könnte ein neues einstudieren, aber ich habe nur ein ziemlich mieses kleines Klavier, und ich würde lieber etwas spielen, das ich bereits studiert habe.»

Mantella zog den Ausschreibungsprospekt heraus. «Beethovens drittes, das erste von Tschaikowsky ... Rachmaninow Nummer zwei ... und Mozarts G-Dur-Konzert, Köchelverzeichnis 453.»

Heini lächelte. «Wirklich? Das G-Dur-Konzert? Mit dem Starenlied? Das ist gut.»

Mantella warf ihm einen scharfen Blick zu. «Was meinen Sie, mit dem Starenlied?»

«Dem Rondo im letzten Satz liegt angeblich der Gesang eines Stars zugrunde, den Mozart besaß. Meine Freundin würde sicher wollen, daß ich dieses Konzert spiele – ich habe sie immer so genannt, meinen kleinen Star –, aber brillieren kann man damit nicht. Ich werde den Tschaikowsky spielen.»

«Moment mal – hab ich da nicht was in der Zeitung gesehen? Hat Ihre Freundin als Kellnerin gearbeitet?»

«Ja, stimmt. Sie macht das jetzt auch noch, abends, aber nicht mehr lang; dafür werde ich sorgen.»

«Jetzt erinnere ich mich – das war eine Reportage über ein Café, in dem hauptsächlich Flüchtlinge verkehren. Ein Bild war auch dabei – schönes volles Haar und eine Stupsnase.» Mantella drehte seinen silbernen Bleistift zwischen den Fingern. Das Mädchen war sehr hübsch gewesen – Mädchen mit kurzen Nasen waren meistens fotogen. «Ich denke, Sie sollten den Mozart spielen.»

Heini schüttelte den Kopf. «Es ist zu einfach. Mozart hat das Konzert für einen seiner Schüler geschrieben. Ich möchte lieber den Tschaikowsky spielen.»

«Das Feuerwerk können Sie ja in den Vorrunden steigen lassen. Sie dürfen sechs Stücke spielen und nur zwei davon sind Pflicht, eine Händel-Suite und Beethovens Hammerklavier-Sonate. Sie können die Jury mit Liszt, Chopin und Busoni blenden, ihnen zeigen, daß Ihnen nichts zu schwierig ist. Und wenn's dann in die Endrunde geht, spielen Sie still und ruhig den Mozart.»

«Aber ...»

«Glauben Sie mir, Heini, ich weiß, wovon ich rede. Die Russen werden sich auf Tschaikowsky und Rachmaninow stürzen, und da können Sie sie nicht schlagen. Außerdem läßt sich im Zusammenhang mit dem Mozart die Geschichte von Ihnen und Ihrer Freundin verwenden, die Sie Ihren Star nennen. Ich meine, wir wollen ja nicht nur gewinnen, wir wollen Engagements für Sie sichern. Amerika ist gar nicht ausgeschlossen – ich habe dort ein Büro.»

«Amerika!» Heini riß die Augen auf. «Davon habe ich immer geträumt. Sie meinen, Sie könnten mir ein Visum besorgen?»

«Wenn das Interesse an Ihnen groß genug ist. Fleury könnte das arrangieren, wenn er wollte. Also, hier sind die Daten und die Teilnahmebedingungen. Sie müssen eine Anmeldegebühr bezahlen, aber ich denke, die werden Sie aufbringen können.»

«Ja.» Die Bergers waren komisch in ihrer Beziehung zu Dr. Friedlander, sie wollten partout nichts von ihm annehmen, aber das war albern. Der Zahnarzt war musikalisch; er würde gewiß gern helfen.

«Gut.» Mantella stand auf, das Gespräch war beendet. «Kommen Sie nächste Woche mit dem ausgefüllten Formular wieder her – und bringen Sie Ihre Freundin mit.»

Heini war selig. Als er bei Hart & Sylvesters in der Bruton Street vorbeikam, blieb er stehen und starrte ein Paar handgenähte Handschuhe an, die im Schaufenster ausgestellt waren. Liszt war immer mit Glacéhandschuhen aufs Podium gekommen, die er dann zu Boden fallen ließ, ehe er sich an sein Instrument setzte. Heini war froh, daß Mantella Liszt erwähnt hatte – er würde die Dante-Sonate spielen; sie war höllisch schwer, aber das war nur um so besser. Es war an der Zeit, daß das Virtuosentum wieder Ansehen gewann. Leute wie Ziller waren ja ganz in Ordnung, aber selbst die größten Musiker hatten nie etwas dagegen gehabt, auch ein wenig zu brillieren.

Ruth würde sich freuen, wenn sie hörte, daß er beschlossen hatte, den Mozart zu spielen. Na ja, eigentlich hatte es Mantella beschlossen, aber das brauchte man ja nicht zu sagen; wozu ihr die Freude rauben. Und wenn es für sie beide Amerika bedeuten konnte! Sie würden dort drüben heiraten – ihm hatte vor einer armseligen kleinen Hochzeit in der Schäbigkeit von Belsize Park sowieso gegraut.

Heini verabschiedete sich von den handgenähten Handschuhen und machte sich, seinen Träumen nachhängend, auf den Weg zu Dr. Friedlanders Praxis in der Harley Street.


«Sie hat es geschafft», sagte Roger Felton mit Genugtuung und schob den Stapel Prüfungsarbeiten weg, an denen er gearbeitet hatte. Ruth hatte Verena Plackett sowohl in Meereszoologie als auch in Parasitologie geschlagen. Jeweils um mehrere Punkte.

«Und das ist wirklich eine Leistung, wenn man bedenkt, was sie in letzter Zeit alles um die Ohren hatte», meinte Elke Sonderstrom, die ihre Kollegen zur Feier des Semesterendes auf ein Glas Sherry in ihr Zimmer eingeladen hatte.

Sie hatten sich alle um Ruth gesorgt, die man mehrmals tief schlafend an unerwarteten Orten gefunden hatte, und die einmal nach einer langen nächtlichen Diskussion über den Fingersatz von Beethovens Hammerklavier-Sonate an der Endstation der Untergrundbahn gelandet war.

«Und meine Frau hat beschlossen, ein Kind zu adoptieren», rief Roger Felton, schon in Ferienstimmung. «Alle Thermometer werden hinausgeworfen.»

Die Prüfungsergebnisse wurden, als sie endlich am Anschlagbrett hingen, allgemein mit Befriedigung aufgenommen. Verena hatte in den beiden anderen theoretischen Prüfungen die besten Arbeiten geschrieben und war schon deshalb zufrieden, weil die eine davon die Paläontologiearbeit war. Sam hatte unerwartet gut abgeschnitten, und sowohl Huw als auch Janet waren gut durchgekommen.

Das Erstaunlichste jedoch waren Pillys Resultate. Sie war lediglich im Physiologiepraktikum durchgefallen; da war sie ohnmächtig geworden, als sie versuchte, sich in den Finger zu stechen, um sich selbst eine Blutprobe abzunehmen. Sonst aber hatte sie alle Zwischenprüfungen bestanden und war nun zum Abschlußexamen zugelassen.

«Und das hab ich alles dir zu verdanken, Ruth», rief sie und schloß ihre Freundin in die Arme.

Kein Wunder, daß es bei der Feier am letzten Tag des Semesters sehr vergnügt zuging. Heini kam auch, und selbst jene von Ruths Freunden, die seine Ansprüche kritisiert hatten, waren bezaubert von seinem ungarischen Akzent und seinem wehmütigen Lächeln. Seit dem Zusammentreffen mit Mantella war Heini höchst zuversichtlicher Stimmung, und als Sam mit einem Stapel Noten ankam und ihn bat, etwas zu spielen, war er dazu bereit, ohne sich zu zieren.