«Ich weiß nicht, ob das klappen wird, Miss Berger – manche Richter akzeptieren eine eidesstattliche Versicherung ohne ärztliches Zeugnis nicht, und Quin möchte Ihnen so etwas unbedingt ersparen.» Er wurde ein wenig rot.
«Ja, er ist so aufmerksam und rücksichtsvoll. Gerade deshalb müssen wir alles tun, um diese Nichtigkeitserklärung so schnell wie möglich durchzusetzen. Damit er jemand anders heiraten kann.»
Proudfoot, der den Eindruck erhalten hatte, Ruth sei diejenige, die es eilig hatte, war erstaunt.
«Möchte er denn jemand anders heiraten?»
«Er vielleicht nicht, aber andere Leute wollen es. Verena Plackett zum Beispiel.»
«Ich weiß nicht, wer Verena Plackett ist, aber ich kann Ihnen versichern, daß Quinton sich sehr gut um sich selbst kümmern kann. Die Leute versuchen schon seit Jahren, ihn zu verheiraten.» Er zog das imposante Dokument näher zu sich heran. «Jetzt hören Sie mir zu, Miss Berger, damit ich Ihnen erklären kann, worauf es ankommt. Sie müssen dieses Papier genau an der Stelle unterzeichnen, die ich gekennzeichnet habe – hier und hier und dann noch einmal auf der anderen Seite –, und zwar mit Ihrem vollen Namen und im Beisein eines Notars. Der wird dafür etwas verlangen, und Quin hat mir aufgetragen, Ihnen fünf Pfund zu geben, damit Sie die Gebühr bezahlen können. Jeder Notar kann das machen, Sie werden sicher in Hampstead einen finden. Wenn Sie das erledigt haben, bringen Sie mir das Papier zurück – schicken Sie es lieber nicht mit der Post; wenn es verlorengeht, verpassen wir den nächsten Gerichtstermin, und das wäre ungut. Wenn Sie irgend etwas nicht verstehen, dann sagen Sie es mir.»
«Ich glaube, ich verstehe alles», sagte Ruth. «Aber vielleicht könnten Sie es mir einwickeln?» In ihrem Strohkorb lagen nämlich neben Heften und Büchern die Überreste von Pillys Mittagbrot, das sie jetzt, da Heini bei ihnen aß, immer mit nach Hause nahm, anstatt die Enten damit zu füttern.
«Keine Sorge. Und ich erwarte Sie dann in ein paar Tagen. Alles Gute.»
«Na, was halten Sie davon?» Milner sah Quin mit schräg geneigtem Kopf und einem kaum verhohlenen Blitzen im Auge an.
Quin blickte in die Schublade mit den Versteinerungen, die Milner aufgezogen hatte. «Sie haben natürlich recht. Das ist ein Teil eines Pterosauriers. Und ich hätte geschworen, daß er aus Tendaguru stammt. Die Deutschen haben von der Expedition 1908 zwei solche Abdrücke in Berlin. Ich habe sie gesehen.»
«Tja, aber daher kommt er nicht. Möchten Sie wissen, wo der hier gefunden wurde?»
Quin zeichnete die Umrisse des mit einem langen Schnabel versehenen Schädels nach. Ein Flugsaurier, alt wie die Vorzeit und sehr selten. Er nickte.
«Auf der anderen Seite der Kulamali-Schlucht, achthundert Meilen entfernt. Er hat mir die Stelle auf der Karte gezeigt. Farquarson mag nur ein weißer Jäger sein, aber er ist kein Lügner, und er kennt Afrika wie seine Westentasche. Ich habe mir den genauen Fundort aufgeschrieben.»
«Ist das Ihr Ernst?» fragte Quin. «Südlich der Schlucht?»
«Ganz recht. Er hatte keine Ahnung, wie wichtig dieser Fund ist, und ich habe es ihm auch nicht gesagt. Ein Glück, daß er kein Paläontologe ist, sonst säße uns jetzt schon die ganze Meute im Nacken. So aber ...»
Quin hob abwehrend eine Hand. Milner war in den sechs Monaten, seit er wieder in England war, in Verwaltungsarbeit, die er als reine Zeitverschwendung betrachtete, fast erstickt. Daß er wieder los wollte, war klar.
«Ich kann dem jetzt nicht nachgehen. Ich war den größten Teil des vergangenen Jahres auf Reisen; das ist meinen Kollegen gegenüber nicht fair.» Er stieß die Schublade zu und wandte sich ab. «Trotzdem würde ich gern Farquarsons Bericht sehen. Es gibt ja dort diese Sandsteinplateaus – ausgeschlossen ist es also nicht. Ach, verflixt, Jack, ich muß gehen. Ich muß mich um die Abschlußprüfungen kümmern. Ich bin jetzt ein braver Angestellter.»
Milner sagte nichts mehr, es genügte ihm, den Keim gelegt zu haben. Früher oder später würde Quin weich werden. Milner hatte andere Möglichkeiten zu reisen, aber er würde warten. Ohne Somerville war es nicht dasselbe – und es würde Quin guttun, wegzukommen. Er war ja in den letzten Wochen gar nicht er selbst gewesen.
Verena war hochzufrieden aus Bowmont zurückgekehrt. Zwar hatte Quin ihr keinen Antrag gemacht, aber bei ihrem Fest war er höchst aufmerksam gewesen, und wenn nicht diese Verrückte den Stein geworfen und damit den Abend verpatzt hätte, wäre alles vielleicht viel weiter gediehen. Quin war hinterher völlig verändert gewesen, in sich gekehrt und geistesabwesend. Kein Wunder, es war sicher kein Vergnügen, eine Verrückte auf dem eigenen Grund und Boden zu haben.
Zurück in London, konzentrierte sie sich ganz auf ihre Arbeit. Am leichtesten war es, Quin über sein wissenschaftliches Interesse nahezukommen, und je näher die Prüfungen rückten, desto verbissener lernte Verena.
Ihre Eltern unterstützten sie natürlich nach Kräften. Im Flur vor dem Arbeitszimmer waren Unterhaltungen streng verboten; ebenso das Staubsaugen, wenn Verena über ihrem Aufsatz saß; von der Bibliothek wurde ein ganzer Stapel Fachbücher geliefert, darunter auch Nachschlagewerke, die von anderen Studenten gebraucht wurden.
Aber Verena strengte nicht nur ihren Kopf an, sie stählte auch ihren Körper, und das noch energischer als zuvor, denn sie hatte ihr Ziel nie aus den Augen verloren: Quin auf seinen Auslandsreisen zu begleiten. Sie hatte nur in einem Punkt gewisse Zweifel gehabt, aber Quin selbst lieferte ihr nun die beruhigende Gewißheit, die ihr noch gefehlt hatte.
Es geschah bei einem Abendessen, zu dem ihre Mutter Colonel Hillborough von der königlichen geographischen Gesellschaft eingeladen hatte. Hillborough war ein berühmter Weltreisender und ein bescheidener Mann, der selbstlos für die Gesellschaft arbeitete. Er hatte der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß Professor Somerville, den er kannte, bei dem Essen anwesend sein würde.
Was auch immer Quin von den intimen Abendessen der Plakketts halten mochte, er konnte nicht ablehnen, und drei Tage nach seinem Gespräch mit Milner im Museum fand er sich wieder einmal zu Verenas Rechter sitzend.
Es wurde ein gelungener Abend. Hillborough war gerade aus der Antarktis zurück und hatte Shackletons Hütte genau in dem Zustand gesehen, in dem dieser sie zurückgelassen hatte: Von der Decke hing ein gefrorener Schinken herab, der noch eßbar war; auf dem Feldbett lagen seine Filzstiefel. Als er und Quin sich über die großen Forschungsreisen der Vergangenheit unterhielten, verstummten die meisten anderen Gäste, um ihnen interessiert zuzuhören.
«Und Sie?» fragte Hillborough, als die Damen Anstalten machten, das Zimmer zu verlassen. «Werden Sie nicht auch bald wieder auf Reisen gehen?»
Quin hob lächelnd eine Hand. «Führen Sie mich nicht in Versuchung, Sir.»
An dieser Stelle stellte Verena die Frage, die ihr schon so lange im Kopf herumging. «Ach, sagen Sie, Professor Somerville», sagte sie, ihn mit seinem Titel ansprechend, obwohl sie ihn jetzt, da sie mit ihm getanzt hatte, privat bei seinem Vornamen nannte. «Gibt es irgendeinen Grund, daß Frauen bei diesen Expeditionen, die Sie ausrichten, nicht mitmachen können?»
Quin wandte sich ihr zu. «Überhaupt keinen», antwortete er mit Entschiedenheit. «Im Gegenteil – ich bin der Meinung, man sollte den Frauen endlich eine Chance geben.»
Verena war glücklich, als sie an diesem Abend zu Bett ging. Diese Nachdrücklichkeit seiner Versicherung, diese Wärme in seinen Augen, das alles konnte nicht ohne Bedeutung sein. Sie sagte sich, daß Gymnastikübungen zu Hause nicht ausreichten. Wenn sie schnell und ausdauernd sein wollte, brauchte sie mehr Herausforderung, und der geeignete Sport war Squash. Beim Squash braucht man jedoch einen Partner, und so überwand sie tapfer ihre Bedenken – denn sie wollte ihn ja nicht so deutlich auszeichnen – und lud Kenneth Easton in den Athletic Club ein.
Sie konnte nicht ahnen, welche Wirkung diese Einladung auf den armen Kenneth haben würde, der mit seiner verwitweten Mutter in dem stillen Vorort Edgware Green lebte. Sparschweine wurden zerschlagen, Postsparbücher geplündert, um Kenneth mit einem Schläger und den richtigen Schuhen und weißen Shorts auszustatten, die seine noch weißeren Knie umflatterten.
Und schon am folgenden Dienstag machte er sich mit der Tochter des Vizekanzlers glückstrahlend auf den Weg zu einer Partie Fitneß und Gesundheit ins Squashzentrum.
«Ich hab so ein schlechtes Gewissen», sagte Ruth zu dem Schaf. «Ich schäme mich fürchterlich.» Seit ihrer Einbürgerung sprach sie Englisch mit ihm. «Ich weiß überhaupt nicht, wie ich das fertiggebracht habe.»
Das Schaf scharrte mit einem Fuß und rammte den Kopf an die Wand seines Pferchs. Es schien seine Teilnahme zeigen zu wollen.
«Ich weiß, ich sollte mich nicht gerade bei dir beklagen, wo du doch selbst so ein schlimmes Leben hast», fuhr sie fort – und in der Tat war die Zukunft des Schafs, das niemand haben wollte, ziemlich düster. «Ich würde dir so gern helfen, und ich weiß auch genau, wo du hingehörst ... Es ist das reinste Paradies, glaub mir. Es gibt da herrliche grüne Wiesen, und man riecht das Meer, und die Luft ist frisch und klar.»
Aber es war besser, nicht von Bowmont zu sprechen, nicht einmal mit dem Schaf. Noch immer träumte sie beinahe jede Nacht davon, aber das würde vergehen. Alles verging – das war eine der wenigen Erkenntnisse, über die sich alle Fachleute einig waren.
«Ich hoffe nur, er ist bei guter Laune», sagte sie und nahm ihren Korb.
Doch das war unwahrscheinlich. Quin hatte seit Heinis Ankunft kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Weshalb sollte er auch? Der beschämende Moment, als sie den Stein geworfen hatte, war nicht so leicht zu vergessen. Es gab Gerüchte über den Professor; daß er ein wildes Leben führte und sich die Nächte um die Ohren schlug.
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