«Es ist doch alles wunderschön geworden», sagte Ann. «Warte nur, der Abend wird bestimmt ein riesengroßer Erfolg.»
«Hoffentlich.» Frances sah müde aus.
«Aber sicher, noch dazu, wo Verena sich so heldenhaft benommen hat», sagte Helen, vom Blumendraht ein bißchen blutig an den Fingern. «Wir sind alle so beeindruckt.»
Verenas Version dessen, was sich auf der Fahrt zu den Farne-Inseln abgespielt hatte, wurde inzwischen allgemein akzeptiert. Jeder wußte, daß eine ausländische Studentin, die den Kopf verloren hatte, ins Wasser gesprungen war und aller Leben in Gefahr gebracht hatte; daß Quin absolut wütend gewesen war, und daß es Verena, indem sie Ruhe bewahrt und das Boot auf Kurs gehalten hatte, gelungen war, eine Tragödie abzuwenden.
«Ich weiß eigentlich gar nicht genau, warum das Mädchen überhaupt ins Wasser gesprungen ist», bemerkte Helen. «Irgend jemand sagte, sie wollte dein kleines Mischlingshündchen retten, aber das kann doch nicht stimmen?»
«Doch, so scheint es gewesen zu sein», erwiderte Frances.
Obwohl die beiden Frauen sehen konnten, daß Frances keinen Wunsch hatte, über den Unfall zu sprechen, konnten sie ihre Neugier nicht zügeln.
«Ich finde das wirklich ungewöhnlich», bemerkte Ann. «Noch dazu für eine Ausländerin! Ich dachte immer, die hätten für Tiere nichts übrig. Ich muß allerdings sagen, mit dem Stallknecht war es das gleiche – wenn ein Kalb gestorben ist, mußte man ihn mit Gewalt wegziehen, sonst hätte er die ganze Nacht dagesessen und geheult.»
«Was treibt er jetzt eigentlich?»
«Ach, er ist in London – sie haben ihn in Covent Garden in den Chor aufgenommen, und meine Melkerin ist außer sich vor Liebeskummer. Ein albernes Ding– er hat sie nie im geringsten ermutigt.» Doch der Themawechsel hatte sie nicht abgelenkt, wie Frances gehofft hatte. «Was ist das denn für ein Mädchen, die Kleine, die gesprungen ist?»
«Sie ist auch blond», sagte Frances verdrossen.
Helen Stanton-Derby seufzte. «Nun, ich finde das alles sehr unbefriedigend», sagte sie. «Wir wollen hoffen, daß Hitler das Handwerk gelegt werden kann, bevor ...»
Aber die anderen hörten ihr nicht mehr zu, sie sahen zur Treppe hinauf. Dort stand Verena, bereit, zu ihnen hinunterzusteigen.
Einen Moment lang wurden die Gesichter der drei Frauen vom gleichen Schatten des Unbehagens verdunkelt – der sich jedoch gleich wieder hob. Es war rührend, daß Verena sich so bemüht hatte, und die weichere Beleuchtung des Salons, das diffuse Licht der chinesischen Laternen auf der Terrasse würden die Farbe des Kleides sicherlich dämpfen. Im übrigen, sagten sich die drei Damen, war ihre Meinung gar nicht wichtig – wichtig war allein, wie Verena auf Quin wirkte.
Sie drehten die Köpfe und atmeten alle drei erleichtert auf. Quin war in die Halle gekommen und ging zur Treppe, zweifellos, um sie in Empfang zu nehmen und ihr zu sagen, wie reizend sie aussah.
Und so unzutreffend war dieser Gedanke gar nicht. An Verenas unglücklichen Sturz am ersten Abend erinnert, lächelte er dem Geburtstagskind entgegen und sagte: «Sie sehen bezaubernd aus, Verena. Sie werden heute abend zweifellos die Schönste sein.»
Als er ihren Arm nahm und sie in den Salon führte, begann irgendwo ein Telefon zu läuten.
Unten am Strand sammelte Ruth Holz für das Lagerfeuer. Das Hündchen begleitete sie, vom Meer jedoch war es geheilt. Immer wenn sie allzu nahe ans Wasser ging, ließ es das Stöckchen fallen, das es herumtrug, setzte sich hin und heulte zum Gotterbarmen.
«Das wird ein tolles Lagerfeuer, das beste, das wir bis jetzt gehabt haben», sagte Pilly, und Ruth nickte und krauste die Nase vor Entzücken über den Duft von Holz und Teer und Tang und diesen anderen Geruch ... diesen beißenden, geheimnisvollen Geruch, der vielleicht der des Ozons war, vielleicht aber auch der des Meeres selbst. Der Glückszustand, den Quin auf dem Boot zerstört hatte, hatte sich wieder eingestellt. Am liebsten wäre sie für immer hiergeblieben, um hier mit ihren Freunden zu leben und zu lernen.
Als sie aufblickte, sah sie einen Mann den Felspfad herunterkommen und im Bootshaus verschwinden, und gleich danach kam Roger Felton heraus und eilte zu ihr.
«Ihre Mutter hat angerufen, Ruth. Sie möchten sie bitte gleich zurückrufen. Sie wartet beim Telefon.» Als er ihr Gesicht sah, fügte er hinzu: «Es ist bestimmt nichts Schlimmes. Ich nehme an, Heini ist früher gekommen.»
«Ja.» Dennoch war Ruth leichenblaß geworden. Niemand in Nummer 27 telefonierte ohne guten Grund. Das Telefon stand im Hausflur, jeder konnte mithören. Und das Telefonieren kostete eine Menge Geld. Ihre Mutter hätte so kurz vor ihrer Rückkehr nicht angerufen, wenn sie ihr nicht etwas Wichtiges mitzuteilen hätte. Es konnte natürlich gute Nachricht sein ... vielleicht war Heini wirklich schon angekommen ... ja, das konnte es natürlich auch sein.
«Ich komme mit dir», sagte Pilly.
«Nein, Pilly, ich möchte allein gehen. Paß du auf den Hund auf.»
«Wenn Sie mir bitte folgen würden, Miss. Ich bring Sie zu Mr. Turton. Im Haus geht's gerade ein bißchen laut zu, weil die Gäste alle kommen. Aber Mr. Turton hat in seiner Anrichte ein Telefon. Da sind Sie ungestört.»
«Danke», sagte Ruth. Sie schluckte, weil ihr Mund wie ausgetrocknet war, zwang sich zu einem Lächeln und folgte ihm den Weg hinauf zum Haus.
Sie hatte es geschafft, den ganzen Abend mit den anderen am Lagerfeuer zu sitzen und nichts zu sagen. Sie hatte mit ihnen gesungen und beim Aufräumen geholfen. Aber als sie jetzt neben Pilly im Schlafsaal lag, wußte sie, daß sie es nicht mehr aushalten konnte, hier an diesem unberührten Ort zu sein, der einen alle Angst und Sorgen vergessen ließ und einen glauben machte, die Welt sei schön.
Sie mußte zurück; sie mußte sofort zurück. Drei weitere Tage waren jetzt, da sie wußte, was sie wußte, unerträglich. Wieder hörte sie die Stimme ihrer Mutter, leise und von Störungen verzerrt, ihre abgerissenen Worte ...
Es war ein ganzes Stück nach Mitternacht; alle schliefen. Ruth stand auf, zog sich an, kritzelte beim Licht einer Taschenlampe ein paar Zeilen. Sie würde nur den kleinen Leinenbeutel mitnehmen, den sie auf den Ausflügen bei sich gehabt hatte; den Rest würde Pilly bringen. Sie würde versuchen, ein Auto zu finden, das sie nach Alnwick mitnahm, und dort auf den ersten Bummelzug warten, der in Newcastle Anschluß an den Expreß hatte. Es war gleich, wie lange sie brauchte, Hauptsache, sie war unterwegs. Jede halbe Stunde mehr, die sie hier verbrachte, war ein Verrat.
Leise stieg sie die Leiter hinunter und ging hinaus. Die Schönheit des mondglänzenden Meeres machte ihr selbst jetzt in ihrem Elend tiefen Eindruck, aber sie würde sich nicht wieder verführen lassen, nie wieder. Rasch ging sie das Sträßchen zwischen den Erlen und den Haselnußbüschen hinauf.
Als sie oben hinter dem Haus ankam, hörte sie Musik. Cole Porters Night and Day, ein wunderbares Lied, träumerisch ... und sie sah das Licht, das auf die Terrasse hinausströmte. Natürlich. Verenas Geburtstagsfeier. Sie hatte sie ganz vergessen – seit dem Anruf ihrer Mutter in eine andere Welt versetzt. Als sie mit der Absicht, den Weg zur Straße abzukürzen, über den Kies ging, sah sie, daß die Auffahrt voller Autos war: hauptsächlich Zweisitzer, blaß und farblos im Mondlicht, die Form jedoch – elegant, schnittig. Autos für lachende junge Männer mit flatternden Schals und großen Autobrillen, die, einen Arm um ihre kichernden Freundinnen gelegt, zu schnell fuhren.
Etwas früher war ein kurzer Regenschauer niedergegangen. Ihre Schuhe waren sofort durchnäßt, als sie über den Rasen ging. Die Lampions schwankten sachte im leichten Wind; die hohen Fenster waren nicht verhüllt und oben offen. So klar wie auf einer Bühne konnte sie die tanzenden Paare sehen. Die Melodie war jetzt eine andere, ein Tango. Sie kannte den Text: It was all 'cos of my jealousy. Einige Paare tanzten Wange an Wange, die meisten alberten herum, weil es den Briten unmöglich war, irgend etwas ernst zu nehmen; ganz gewiß nicht die Eifersucht, ganz gewiß nicht die Liebe.
Der Salon erschien jetzt, da die Flügeltür geöffnet war, riesengroß. Sie sah den leuchtenden Blumenschmuck, die silbernen Eiskübel für den Champagner. Einige ältere Frauen saßen am Rand der Tanzfläche und beobachteten die jungen Mädchen in ihren festlichen Kleidern und die arroganten jungen Männer.
Und wie arrogant sie waren! Wie sie dröhnten und lachten, als die Musik aufhörte, die Köpfe warfen, ihre Mädchen zur Kredenz zogen, wo die Gläser standen, sich und ihnen frisch einschenkten. Sie brüllten vor Lachen und klopften sich gegenseitig auf die Schultern, während in Wien Menschen in Viehwaggons zusammengetrieben und nach Osten gebracht wurden, während Heini ...
Aber davor schreckte ihr Geist zurück. Er wollte Heini nicht folgen.
Jetzt konnte sie Quin sehen. Er war gerade ins Zimmer gekommen, mit einem hohen Glas, das er zu Verena brachte, die in einem hochlehnigen Sessel saß. Er hatte keine Ähnlichkeit mit den schwadronierenden jungen Männern, das mußte sie selbst in ihrem Zorn zugeben. Er sah älter und klüger aus, aber er gehörte dazu.
Verena blickte mit einem koketten Augenaufschlag zu ihm auf, und er neigte aufmerksam den Kopf, als sie etwas sagte, während die alten Damen befriedigt nickten. Es schien wahr zu sein, was alle sagten – daß er Verena heiraten würde. Sie deutete auf etwas auf dem Boden, und er bückte sich, um es aufzuheben, und reichte es ihr mit einer galanten Verneigung. Eine Rose aus ihrem ungewöhnlichen Kopfschmuck! Quin als Rosenkavalier– grotesk! Ein Mann, der aus dem Stadtpark gerannt war, als wäre Musik schlimmer als die Pest.
Als hätten sie ihre Gedanken erspürt, stimmten die drei ernsthaften, dunkelgekleideten Männer auf dem Podium einen Walzer an. Nicht Strauß, sondern Lanner, den sie ebensosehr liebte. Sie kannte das Stück gut, sie hatte im Wienerwald mit Heini zu dieser Musik getanzt.
"Die Morgengabe" отзывы
Отзывы читателей о книге "Die Morgengabe". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Die Morgengabe" друзьям в соцсетях.