Nachdem Verena sich ihrer Pflicht ihm gegenüber entledigt hatte, gesellte sie sich zu Hugo Stanton-Derby, der mit Lady Plackett am offenen Kamin stand. Das innige Einverständnis zwischen Mutter und Tochter hatte den beiden erlaubt, sich die Arbeit zu teilen: Verena hatte sich in der Bibliothek die Encyclopedia Britannica vorgenommen, um über georgianische Schnupftabaksdosen nachzulesen, die Stanton-Derby sammelte, und Lady Plakkett hatte sich todesmutig in die Financial Times vertieft, da der gute Hugo von Beruf Börsenmakler war.
Das Gespräch war demzufolge wohlinformiert und intelligent, und als Verena sich danach den Damen zuwandte, fanden auch diese in ihr eine verständnisvolle und teilnehmende Zuhörerin. Es ging, wie nicht anders zu erwarten, wieder einmal um die Flüchtlinge, die Quin ihnen aufgedrängt hatte. Sie waren schwierig und undankbar. Ann Rothleys entlassener Stallknecht war von der Northern Opera Company engagiert worden und hatte das gesamte Personal in Aufruhr gebracht.
«Sie wollen alle freihaben, um nach Newcastle zu fahren und ihn in dieser albernen Oper singen zu hören – ihr wißt schon, die, in der sie ein Manuskript verbrennen, um sich warmzuhalten. Diese Boheme-Geschichte.»
Und auch Helens Chauffeur machte Ärger: Er hatte damit gedroht, nach London zu gehen, um sich dort einem Streichquartett anzuschließen.
«Nun, wenn er das tut, dann brauchst du dir wenigstens nicht ständig diese Kammermusik anzuhören», meinte Frances.
Aber so einfach war es natürlich nicht.
«Nun ja, er macht seine Arbeit an sich sehr gut», entgegnete Helen, «und er ist viel billiger als ein Engländer.»
Nur mit Bobo Bainbridge versuchte Verena gar nicht erst ins Gespräch zu kommen. Bobo, deren geliebter Mann vor neun Monaten plötzlich gestorben war und deren Schwiegermutter von offen zur Schau getragenem Schmerz nichts hielt, lavierte sich jetzt mit Hilfe großzügiger Dosen vom Amontillado durch ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen, und für Frauen, die sich auf solche Art gehenließen, hatte Verena nichts als Verachtung.
Um neun Uhr verschwand Quin mit den Männern zum Billardspiel in der Bibliothek, und die Frauen konnten sich den Planungen für Verenas Geburtstagsfeier widmen. Diese mauserte sich zu Frances' Bestürzung sehr schnell zu einer viel größeren Sache, als von ihr beabsichtigt. Ihr Vorschlag, ein kaltes Buffet richten zu lassen und ein Grammophon aufzustellen, damit die jungen Leute tanzen konnten, quittierte Lady Plackett mit schockiert hochgezogenen Brauen.
«Ein Grammophon?» sagte sie pikiert. «Wenn es eine Sache der Kosten ist ...»
«Aber nein, natürlich nicht», unterbrach Ann Rothley ziemlich verärgert über diesen Schnitzer. «Weißt du, Frances, drüben in Rothley fängt gerade eine sehr gute kleine Drei-Mann-Kapelle an – man täte noch ein gutes Werk, wenn man ihnen Arbeit gibt.»
Man einigte sich also auf die Drei-Mann-Kapelle, und Helen Stanton-Derby fegte Lady Placketts Vorschlag, vom Blumenhändler in Alnwick Lilien und Rosen kommen zu lassen, vom Tisch und sagte, den Blumenschmuck werde sie übernehmen. «In den Hekken wächst jetzt so vieles – Waldrebe und blauer Liguster und Hagebutten –, daß man da zusammen mit ein paar Blumen aus dem Garten die schönsten Arrangements machen kann.»
«Und als Getränk dachte ich an Glühwein», sagte Frances. «Die Köchin hat ein ganz ausgezeichnetes Rezept.»
Doch Glühwein fand Lady Plackett so schockierend wie das Grammophon, und sie fragte, ob sie eine Kiste Champagner beisteuern dürfte. Dieses Angebot jedoch lehnte Frances ab. «Ich werde mit Quin sprechen», sagte sie entschieden. «Er ist für den Keller zuständig.» Darauf ging man zur Diskussion über Speisenfolge und Gästeliste über.
Die Kommentare über Verena, als die Herrschaften nach Hause fuhren, waren nicht unfreundlich.
«Ein sehr vernünftiges Mädchen», stellte Ann Rothley fest, und ihr Mann brummte zustimmend, sagte jedoch, er sei überrascht, daß Quin, der immer so bildhübsche Freundinnen gehabt habe, eine Frau heiraten wolle, die, wenn man es einmal genau betrachtete, wie ein römischer Senator aussah.
Seine Frau war anderer Meinung. «Sie ist eine Persönlichkeit. Sie braucht nur ein wirklich hübsches Kleid für das Fest, dann ist sie so attraktiv, wie man es sich nur wünschen kann.»
Aus dem Fond des Wagens kam unerwartet die Stimme der vermeintlich schlafenden Bobo Bainbridge. «Das muß dann aber schon ein sehr hübsches Kleid sein», sagte sie und schloß wieder die Augen.
Frances war derweilen ihrem Neffen in den Turm hinauf gefolgt – etwas, das sie höchst selten tat –, um ihn wegen der Getränke zu konsultieren.
«Ach ja, Verenas Fest.» Quin hatte den Diskussionen über dieses Ereignis so wenig Beachtung gezollt, daß er Mühe hatte, sich zu erinnern. «Das steigt am Freitag in einer Woche, nicht? Möchte Verena, daß ich mich auch kurz sehen lasse, oder möchte sie lieber mit ihren Freunden allein feiern?»
Frances starrte ihn fassungslos an. «Aber natürlich möchte sie, daß du dabei bist. Es würde doch sehr eigenartig wirken, wenn du dich nicht blicken ließest.» Und dann sagte sie zaghaft: «Du magst Verena doch, nicht wahr?»
«Ja, ein ordentliches Mädchen», antwortete Quin zerstreut. «Wen habt ihr denn eingeladen?»
«Rollo kommt von Sandhurst herauf – er hat das Ehrenschwert bekommen, hat Ann dir das erzählt? Er bringt einen Freund mit, der in dasselbe Regiment eintreten möchte. Und die BainbridgeZwillinge haben Urlaub von der Air Force und ...»
«Von der Air Force? Mick und Leo? Aber sie sind doch höchstens sechzehn!»
«Sie sind achtzehn – sie sind als Kadetten eingetreten. Bobo hoffte, wenigstens einer von ihnen würde auf dem Boden bleiben, aber sie haben ja immer alles gemeinsam unternommen; sie sind jetzt beide voll ausgebildete Piloten.»
«Mein Gott!» Die Zwillinge hatten Bobo nach dem Tod ihres Mannes am Leben gehalten. Wenn sie nach Hause kamen, trank sie nicht, wurde wieder die liebenswürdige, lustige Person, die sie seine ganze Kindheit lang gewesen war.
«Und Helens Töchter kommen beide aus London herauf. Caroline heiratet übrigens bald diesen netten rothaarigen Jungen, der bei der Marineinfanterie ist – Dick Alleson.» Caroline hatte jahrelang nur für Quin Augen gehabt, und alle waren froh und erleichtert gewesen, als sie sich endlich doch noch mit einem so passenden jungen Mann verlobt hatte.
Frances fuhr fort, die Gäste aufzuzählen, und Quin sah zum silbern glänzenden Meer hinaus. Es würde vielleicht gar keinen Krieg geben, aber wenn doch, würde keiner dieser verwöhnten, lebenslustigen Jungen dem Gemetzel entgehen.
«Ich weiß, was wir trinken, Tante Frances», sagte er und faßte sie bei den Händen. «Den Veuve Clicquot 29. Ich habe zwei Kisten davon, die ich extra für einen besonderen Anlaß aufgehoben habe.»
Frances sah ihn erstaunt an. Sie war keine Weinkennerin, aber sie wußte, wie hoch Quin seinen exzellenten Champagner schätzte. «Ist das dein Ernst?»
«Aber ja. Es soll ein denkwürdiger Abend werden.»
Frances war glücklich, als sie sich an diesem Abend zu Bett legte. Was sonst konnte diese großzügige Geste bedeuten, als daß er Verena besonders ehren wollte? Aber am nächsten Morgen kam die Bemerkung, die sie gefürchtet hatte.
«Wenn wir hier ein Fest mit lauter jungen Leuten veranstalten, müssen wir die Studenten dazubitten.»
Entsetzlich! Jüdische Kellnerinnen und junge Mädchen, die auf den Rücksitzen von Automobilen Unaussprechliches trieben, zusammen mit den wohlerzogenen Kindern ihrer Freunde!
«Aber die kommen doch am Sonntag zum Mittagessen. Reicht das nicht?»
Quin blieb hart. «Ich kann mit Verena nicht dauernd Ausnahmen machen, das mußt du doch einsehen, Tante Frances.»
Zu Frances' grenzenloser Überraschung war Verena ganz Quins Meinung und erbot sich, die Studenten persönlich einzuladen.
Und das tat sie auch. Als sie im Bootshaus eintraf, saßen die anderen noch beim Frühstück. «Ich wollte euch nur sagen», verkündete sie, «daß an meinem Geburtstag oben im Haus ein Fest stattfindet. Ihr seid natürlich alle eingeladen, wenn es euch nichts ausmacht, nicht in der angemessenen Kleidung erscheinen zu können.»
Als Quin kam, um mit der Arbeit anzufangen, konnte sie ihm wahrheitsgemäß mitteilen, daß die Studenten alle ohne Ausnahme die herzliche Einladung ausgeschlagen hatten.
19
«Aber warum denn nicht? Warum willst du nicht mitkommen? Alle sind eingeladen – die Studenten essen am Sonntag immer oben in Bowmont zu Mittag. Das ist Tradition.»
«Die Tradition wird auch ohne mich weiterbestehen. Ich warte auf eine Nachricht von Heini und ...»
«Doch nicht am Sonntag! Am Sonntag ist die Post geschlossen.»
Die anderen Studenten stimmten ein, selbst Elke Sonderstrom – aber Ruth war nicht dazu zu bewegen. Sie habe keine Lust auf ein großes Mittagessen; sie wolle einen Spaziergang machen; sie glaube, das Wetter werde bald umschlagen.
«Dann leiste ich dir Gesellschaft», erklärte Pilly, aber davon wollte Ruth nun überhaupt nichts wissen, und es fiel ihr auch gar nicht schwer, Pilly abzuwimmeln, die die Vorstellung, zur Abwechslung einmal wieder auf einem gepolsterten Stuhl zu sitzen und ein ordentlich gekochtes Essen zu sich zu nehmen, sehr verlockend fand.
Es war sehr still, als sie alle gegangen waren. Eine Weile wanderte Ruth am Wasser entlang und beobachtete die Robben draußen in der Bucht. Dann wandte sie sich unvermittelt landeinwärts, schlug aber nicht den steilen Felsweg ein, der zur Terrasse hinaufführte, sondern das schmale, von Hecken gesäumte Sträßchen, das sich zwischen Hasel- und Erlenhainen hindurchschlängelte und sich schließlich mit der Auffahrt hinter dem Haus vereinigte.
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