Frances nickte. Die Rothleys und die Stanton-Derbys wollten abends zum Cocktail kommen, um Verena kennenzulernen, und sie war auf weitere scherzhafte Bemerkungen über das Hündchen nicht erpicht. Als sie über den Rasen davongehen wollte, fragte Martha unvermittelt: «Wer ist eigentlich dieser Richard Wagner? Ein Musiker?»
«Er war ein Komponist. Ein sehr geräuschvoller Komponist mit einem bedauerlichen Privatleben. Warum?»
«Dieses Mädchen – die Studentin, die das Hündchen mitgenommen hat – sie hat gesagt, er hätte eine Stieftochter mit solchen Augen gehabt – dieser Wagner. Eines blau, das andere braun, genau wie das Hündchen. Sie hieß Daniella.»
«Die Studentin?»
«Nein, die Stieftochter.»
Frances hielt es für klüger, die Sache nicht weiterzuverfolgen, und schlug den Weg zum Garten ein.
Ruth war mittlerweile im Bootshaus angekommen.
«Was ist denn das?» fragte Elke Sonderstrom, als sie Comelys Kind der Liebe sah, das mit tolpatschigem Enthusiasmus über ihre Füße hopste.
«Es ist ein Mischling», gestand Ruth.
Das könne sie sehen, meinte Elke und entzog dem eifrig knabbernden Hündchen ihren Schuh.
«Aber ein richtiges kleines Temperamentsbündel», fügte Ruth hinzu. «Wenn auch nicht gerade eine Schönheit.»
«Nein, das bestimmt nicht.»
«Voltaire war auch nicht schön», erzählte Ruth, «aber er pflegte zu sagen, wenn man ihm eine halbe Stunde Zeit gäbe, sein Gesicht durch Gespräche vergessen zu machen, dann könnte er selbst die Königin von Frankreich verführen.»
«In diesem Fall hier wäre aber mehr als eine halbe Stunde nötig», sagte Elke und bat Ruth, ihr die Hämmer zu reichen, die sie für die bevorstehende Exkursion auf ihre Tauglichkeit prüfen wollte.
Ruth kam der Aufforderung nach und sagte nach einer kleinen Pause: «Ich habe mir gedacht, wir könnten den Kleinen doch im Bus mitnehmen. Martha hat gesagt, er fährt gern Auto und es wird ihm nie übel.»
«Fragen Sie den Professor», antwortete Elke und verschwand im Labor.
Da Quin gerade in diesem Moment den Weg herunterkam, lief Ruth ihm entgegen und wiederholte ihre Bitte.
«Er kann uns vielleicht nützlich sein», sagte sie.
«Ach ja?» Quin zog eine Augenbraue hoch. «Und inwiefern, wenn ich fragen darf?»
«Na ja, Hunde graben doch immer irgendwelche Knochen aus. Es könnte sein, daß er einen interessanten Fund macht. Den Oberschenkelknochen eines Torosaurus zum Beispiel.»
«Das wäre in den Kohleflözen wahrhaftig ein interessanter Fund», sagte Quin trocken. Doch als er Ruths Gesicht sah, ließ er sich erweichen. «Na schön, da oben im Hochmoor kann er nicht viel anstellen. Aber sorgen Sie dafür, daß er uns nicht in die Quere kommt.»
Als der Bus die Gesellschaft in Howcroft Point absetzte, hatte das Hündchen bereits eine Gefolgschaft um sich versammelt, um die Voltaire es beneidet hätte.
Es war wieder ein herrlicher Tag. Auf den Felsen wuchsen Ginster und Heidekraut, die Brachvögel riefen – aber jetzt mußte hart gearbeitet werden. In diesen kohlehaltigen Felsausläufer nämlich, der sich vom Hochmoor zum Meer hinauszog, waren jene Geschöpfe eingebettet, die für alles nachfolgende Leben auf der Erde bestimmend gewesen waren. Bruchstücke uralter Korallen, spiraliger Mollusken, jeweils für bestimmte geologische Schichten bezeichnend, mußten aus dem Felsen gehauen, etikettiert, eingesackt und ins Labor zurückgebracht werden. Und Ruth, so eifrig darauf bedacht, ein immer besserer Mensch zu werden, war vom Glück begünstigt: Der Gelegenheiten, Verena Plackett zu lieben, war kein Ende. Quin Somerville stets dicht auf den Fersen, bearbeitete sie den Fels zielstrebig mit ihrem funkelnagelneuen Hammer und hämmerte nicht nur ein versteinertes Exemplar der Familie caninia aus dem Stein, sondern auch eine Seelilie komplett mit Armen – und lachte jedesmal fröhlich, wenn Pilly ein Wort falsch aussprach.
Da Flut war, machten sie im Heidekraut über dem Strand Mittagspause, bei der das Hündchen mit belegten Broten gefüttert wurde, in Kaninchenlöchern stöberte und dann urplötzlich mitten auf Huws Sammelbeutel in tiefen Schlaf fiel. Die meisten der Studenten waren ebenfalls froh, alle viere von sich strecken zu können, aber Ruth kletterte lieber zur Höhe des Hügels hinauf, von wo sie einen weiten Blick über die Küste und die Hochmoore hatte, über denen noch ein erikafarbener Schimmer lag. Erst als ihr plötzlich feiner Tabakduft in die Nase wehte, merkte sie, daß sie nicht allein war.
«Beeindruckend, nicht?» sagte Quin mit einer ausholenden Geste zu den flach im Wasser liegenden Inseln im Süden und der zackigen Spitze des Howcroft Rock. «Es freut mich, daß Sie es in dieser Stimmung sehen – im Herbst und im Winter sind die Farben am schönsten.»
Sie nickte, ohne etwas zu sagen. Ein paar Minuten lang standen sie schweigend Seite an Seite und sahen zum tiefblauen Wasser hinunter, das sich weiß schäumend an den Felsen brach. Über ihnen rief ein Brachhuhn, und ein zarter Vanilleduft von einem spätblühenden Ginsterbusch zog durch die Luft.
«Als ich zum erstenmal hierher kam, war ich gerade zehn», sagte Quin. «Ich war von Bowmont aus geradelt. Mit meinem Hammer und meinem Fossilienbuch für Jungen. Ich fing an, ein bißchen am Stein herumzuklopfen – und plötzlich war sie da, eine vollkommene Zikade, so klar und unverwechselbar wie die Wahrheit selbst. Und da wußte ich plötzlich, daß ich unsterblich bin – daß ich, ich persönlich, das Rätsel des Universums lösen würde.»
«Ja, das kenne ich – dieses Gefühl, daß einem etwas bestimmt ist.»
«Bei Ihnen war das wohl die Musik», sagte er und wartete resigniert darauf, daß der allgegenwärtige Mozart mit Heini im Schlepptau wieder einmal seinen Auftritt machen würde.
«Ja. Das erstemal, als ich die Zillers spielen hörte. Aber ...» Sie schüttelte den Kopf. «Wissen Sie, den Grundlsee habe ich geliebt, wirklich geliebt, das Wasser, die Landschaft, die Beeren, die Blumen, aber wenn wir dorthin gefahren sind, war das immer noch Teil des Lebens, das ich gewöhnt war – mit denselben Menschen ... denselben Gesprächen ... über die Universität und die Psychoanalyse und so. Aber hier, dieser erste Morgen am Meer ... und jetzt auch noch ... ich weiß gar nicht, was geschehen ist.» Sie sah ihn an, und er gewahrte die Verwirrung in ihrem Gesicht. «Ich habe ein Gefühl, als würde ich mein Leben lang nach diesem Ort hier Heimweh haben ... nach dem Meer. Aber wie ist das möglich? Was hat dieser Platz hier mit mir zu tun? Nach Wien habe ich Heimweh. Muß ich Heimweh haben.»
Er schwieg so lange, daß sie den Kopf drehte. Ihr schien, daß sein Gesicht sich verändert hatte – er sah jünger aus, verletzlicher, und als er sprach, tat er es nicht so ruhig und gelassen wie sonst.
«Ruth, wenn Sie es sich anders wünschten ... Wenn ...» Er brach ab. Ein Schatten hatte sich zwischen sie gedrängt. Groß und nicht zu ignorieren stand Verena Plackett vor ihnen.
«Könnten Sie mir hier einmal helfen, Professor», sagte sie. «Meiner Ansicht nach muß dies ein Armfüßler sein, aber ich bin mir nicht ganz sicher.»
Danach sprachen Ruth und Quin nicht mehr miteinander. Aber als er nach ihrer Heimkehr den Felspfad zum Haus hinaufstieg, hörte er hinter sich Schritte, und als er sich umdrehte, sah er, daß sie ihm nachkam, mit dem Hündchen in den Armen.
«Entschuldigen Sie, aber könnten Sie den Hund mit nach oben nehmen? Pilly wollte es eigentlich tun, aber sie muß jetzt kochen, und ich habe Martha versprochen, daß er bestimmt zurückkommt.»
«Warum bringen Sie ihn nicht selbst hinauf? Sie haben sich ja offensichtlich schon mit Martha angefreundet.»
«Nein.»
Er erinnerte sich an ihre Weigerung, zum Mittagessen zu kommen, und in der Absicht, sie zu necken, sagte er: «Irgendwann werden Sie sich das Haus aber einmal ansehen müssen. Denn wenn ich fallen sollte, ehe Mr. Proudfoot uns scheiden kann, wird Bowmont Ihnen gehören.»
Ihre Reaktion verblüffte ihn. Sie war zornig; ihr Gesicht verzerrt – beinahe erwartete er, daß sie mit dem Fuß aufstampfen würde.
«Wie können Sie sich unterstehen, so zu reden! Wie können Sie es wagen? Mr. Chamberlain hat gesagt, daß es keinen Krieg geben wird, er hat es versprochen – und selbst wenn es Krieg geben sollte, brauchen Sie überhaupt nicht an die Front. Es war ganz und gar nicht nötig, daß Sie da zur Marine hinaufgefahren sind, das haben alle gesagt. Sie könnten mit Ihrer wissenschaftlichen Arbeit viel mehr nützen. Sich freiwillig zu melden, war nichts als falsches Heldentum. Und dumm dazu.»
«Aber Ruth. Ich habe doch nur einen Scherz gemacht.»
«Genau die Art von Scherz, die man von einem Engländer erwarten kann. Scherze über Tod und Sterben.»
Sie stieß ihm das Hündchen in die Arme, machte kehrt und rannte den Hang hinunter.
«Als Frau stand mir dieser Sport leider nicht offen», sagte Verena, die sich bemühte, Lord Rothley in ein Gespräch über die Sauhatz zu ziehen. «Aber ich habe mir das in Indien oft angesehen und fand es faszinierend.»
Lord Rothley murmelte etwas Unverständliches und hielt Turton sein Glas hin, der es bereitwillig mit Whisky auffüllte.
Es war eine kleine Gesellschaft: die Rothleys, die StantonDerbys und die verwitwete Bobo Bainbridge. Sie hatten sich eingefunden, um die Placketts willkommen zu heißen und die Pläne für Verenas Geburtstagsfeier zu besprechen. Selbstverständlich hatte Verena, die sich so gewissenhaft auf Sir Harold und seine Knochenfische vorbereitet hatte, die Northumberland Gazette gründlich studiert, um sich über die Interessen der Gäste zu informieren. Im Fall Lord Rothleys allerdings hatte ihr der kleine Druck einen Streich gespielt: Seine Lordschaft interessierte sich nämlich nicht für die Sauhatz, sondern für die Sauzucht.
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