«Nun, der Ton kann einem eigentlich nicht gefallen», sagte sie, als sie die Lektüre beendet hatte, «aber einmal ganz ehrlich, Frances, ich wüßte nicht, was du zu verlieren hast. Im schlimmsten Fall ist diese Verena ein lästiges Ding, mit dem du vierzehn Tage lang zurechtkommen mußt, und im besten ...»
«Ja, so sehe ich es auch. Und sie scheint ja wirklich intelligent zu sein. Vielleicht gelingt es ihr, sein Interesse zu fesseln.»
«Eines kann ich dir jedenfalls sagen», erklärte Lady Rothley. «Wenn sie wirklich Croft-Ellis-Blut in den Adern hat, wird sie diese Schnapsidee Quins, Bowmont dem National Trust zu vermachen, sofort abwürgen. Sollte Quin diese Verena Plackett heiraten, wird der Trust nicht einen Quadratzentimeter Boden bekommen. Nicht umsonst lautet ihr Motto: <Keiner soll begehren, was mein ist.> Wenn es in England eine Sippe gibt, die habgieriger ist, habe ich noch nicht von ihr gehört.» Als sie das Gesicht ihrer Freundin sah, fügte sie beschwichtigend hinzu: «Nein, nein, so schlimm ist es auch wieder nicht. Ich übertreibe. Sie verwalten ihre Ländereien gut, und die Familie reicht zurück bis zu Wilhelm dem Eroberer. Das Mädchen weiß sich sicher zu benehmen.»
«Du meinst also, ich sollte sie einladen?»
«Ja. Und nicht nur das. Ich finde, wir sollten uns ein bißchen anstrengen, damit das Mädchen sich hier wohlfühlt. Wenn ihr Geburtstag gerade in die Zeit ihres Aufenthalts hier fällt, warum veranstaltest du dann nicht ein kleines Fest ihr zu Ehren? Ich weiß, daß dir so etwas nicht liegt, aber wir können dir ja helfen. Rollo kommt nächste Woche mit einem Freund aus Sandhurst herauf, und Helens Töchter sind zu Hause. Nichts Förmliches natürlich, aber es ist doch Jahre her, seit Quin in seinem Haus ein Fest gegeben hat – und wenn die Studenten hier sind, kann er nicht einfach flüchten, wie er das manchmal tut.»
Frances, der bei der Vorstellung von soviel Geselligkeit ganz schwummerig wurde, kam ein erschreckender Gedanke. «Du glaubst doch nicht, daß er die Studenten einladen wollen wird? Die, die unten im Bootshaus kampieren, meine ich?»
«Nein, das glaube ich nicht. Quin mag ein Demokrat sein, aber er kennt doch die Formen.» Sie trat zu ihrer Freundin und legte ihr mit einer Herzlichkeit, die sie selten zeigte, den Arm um die Schultern. Vielleicht ist dies genau die Gelegenheit, auf die wir gewartet haben, Frances. Geben wir doch dem Mädchen eine Chance.»
Als Frau mit einer Mission kehrte Frances Somerville nach Bowmont zurück. Der Brief, den sie an Lady Plackett schrieb, war überaus herzlich, und die Instruktionen, die sie Turton gab, waren klar und entschieden.
«Wir bekommen nächste Woche Gäste – eine Miss Plackett, eine Studentin des Professors. Lassen Sie das Gobelinzimmer für sie richten und das Blaue Zimmer für ihre Mutter. Am 28., das ist Miss Placketts Geburtstag, geben wir hier ein kleines Fest.»
Turton war vielleicht diskret, die Mädchen, die das Gobelinzimmer herrichteten, und die Köchin, der gesagt wurde, man erwarte etwa zwanzig junge Leute zu der geplanten Feier, waren es nicht. Wie ein Lauffeuer verbreitete es sich unter den Dienstboten der besseren Familien Northumberlands, daß Quinton Somerville eine ganz besondere junge Dame erwartete und nun wohl endlich die Hochzeitsglocken läuten würden.
Und was der Dienerschaft recht war, das war der Herrschaft nur billig. Ann Rothley hielt Wort. Sie rief Helen Stanton-Derby an, die noch immer unter dem geigenden Chauffeur litt, den Quin ihr aufgehalst hatte, und Christine Packham drüben in Hexham und Bobo Bainbridge unten in Newcastle – und alle, selbst die, deren heiratsfähige Töchter sich als Herrinnen auf Bowmont gut gemacht hätten, versprachen, Verena Plackett freundlich aufzunehmen, deren Mutter eine Croft-Ellis war und die, wenn der gute liebe Quin sie heiraten sollte, diese unsinnige Idee, Bowmont wegzugeben, im Keim ersticken würde. Ohne zu zögern, boten sie ihre Sprößlinge für Verenas Geburtstagsfeier an, so erfreut waren sie alle darüber, daß Quin Somerville endlich sah, wo seine Pflicht lag.
Als Lady Plackett auf ihr Schreiben eine Antwort von so unerwarteter Herzlichkeit erhielt, beschloß sie, Verena selbst zu begleiten und einige Tage in Bowmont zu bleiben, um später zu Verenas Geburtstagsfeier noch einmal zurückzukehren.
«Aber ich halte es für das beste, liebes Kind», sagte sie zu ihrer hochbefriedigten Tochter, «wenn wir von der Einladung erst kurz vor der Abreise etwas sagen. Sonst kommt es unter den Studenten vielleicht zu Eifersucht und Mißgunst – und du weißt ja, wie stark der gute Quinton darauf bedacht ist, jeden Anschein von Bevorzugung zu vermeiden.»
Verena fand das vernünftig. «Überlassen wir es Miss Somerville, ihn von der Einladung in Kenntnis zu setzen», sagte sie und wandte sich wieder ihren Büchern zu.
Und natürlich schrieb Frances an Quin einen Brief, um ihn zu unterrichten, aber in der Woche vor der Abreise nach Northumberland grub in Yorkshire ein Kiesgrubenarbeiter einen Beinknochen aus, dessen Größe und Gewicht bei den örtlichen Altertumsforschern ungeheures Aufsehen erregte. Auf ihre Bitte hin, den Fund zu begutachten und dafür zu sorgen, daß die Arbeiten in der Kiesgrube eingestellt wurden, strich Quin seine Vorlesungen und fuhr nach Norden. Von der Bedeutung des Funds – der Knochen entpuppte sich als Oberschenkelknochen eines ungewöhnlich vollständigen Mammutskeletts – und einer erbitterten Auseinandersetzung mit einem habgierigen Bauunternehmer aufgehalten, beschloß Quin, gar nicht erst nach London zurückzukehren, sondern direkt nach Bowmont weiterzufahren.
Der Brief seiner Tante blieb daher ungeöffnet in seiner Wohnung in Chelsea liegen.
Genau an dem Tag, an dem Quin nach Yorkshire aufbrach, erhielt Ruth die so sehnsüchtig erwartete Nachricht, daß Heini sein Visum hatte. Er würde am 2. November in London eintreffen, und zwar mit dem Flugzeug!
«Da kann ihn keiner mehr herausholen», sagte Ruth mit leuchtenden Augen.
«Ich kann es gar nicht glauben, daß ich ihn wirklich sehen werde», meinte Pilly.
«Aber du wirst ihn sehen – und hören wirst du ihn auch.»
Denn jetzt war natürlich nichts wichtiger, als das Klavier herbeizuschaffen. Ruth fehlten nur noch fünf Shilling zu der erforderlichen Summe, und als hätten die Götter gewußt, daß es keine Zeit mehr zu verlieren gab, sandten sie noch an diesem selben Abend einen jungen Mann namens Martin Hoyle ins Willow.
Hoyle lebte mit seiner Mutter in einer Villa in Hampstead auf dem Hügel und war finanziell unabhängig, aber er hatte den Ehrgeiz, Journalist werden zu wollen, und bereits eine Reihe von Artikeln an Zeitungen und Zeitschriften geschickt, die nicht alle abgelehnt worden waren. Nun hatte er einen Einfall gehabt, von dem er sicher war, daß er seiner journalistischen Laufbahn förderlich sein werde. Er würde sich von den Flüchtlingen, die sich Tag für Tag im Willow einfanden, ihre Erinnerungen an Wien erzählen lassen; anrührende Episoden aus der Kaiserstadt mit all ihrem Glanz und Pomp, oder solche jüngeren Datums aus dem Wien Wittgensteins und Freuds. Was ihm vorschwebte, war, dem reichen Schatz an Erinnerungen, den sie in ihrem Kopf mit sich trugen, den mageren Inhalt der Koffer, die sie hatten mitnehmen dürfen, entgegenzusetzen. Er war überzeugt, so eine Serie würde sich an den News Chronicle oder vielleicht sogar an die Times verkaufen lassen.
Er war früh dran. Zwar saßen Ziller, Dr. Levy und von Hofmann alle in Wien geboren und aufgewachsen – am Fenster beieinander und unterhielten sich, aber es war Mrs. Weiss, einsam und allein an einem Tisch neben dem Garderobenständer, die ihn ansprach. «Darf ich Sie zu einem Stück Kuchen einladen?» fragte sie.
Zu ihrer Überraschung nickte der junge Mann.
«Das ist nett, danke», sagte er. «Aber vielleicht darf ich Sie einladen.»
Mrs. Weiss hatte dagegen nichts einzuwenden, Hauptsache, er setzte sich zu ihr und ließ sie reden. Zwei Stück Gugelhupf wurden gebracht, und Martin Hoyle stellte sich vor.
«Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir uns ein wenig über Ihr Leben unterhielten? Über Ihre Erinnerungen?» fragte Hoyle. «Wissen Sie, ich war früher einmal in Wien und war begeistert von der Stadt.»
Mrs. Weiss senkte die Lider. Sie selbst war nie in Wien gewesen, es war weit weg von Ostpreußen und ihrer Heimatstadt Prez, aber wenn sie das zugab, würde Mr. Hoyle gehen und mit den Männern drüben am Fenster sprechen; wenn sie jedoch ihre Karten richtig ausspielte, konnte sie ihn vielleicht an ihrem Tisch festhalten, und wenn dann ihre Schwiegertochter kam, um sie abzuholen, würde sie sie im Gespräch mit einem gutaussehenden jungen Mann sehen.
«Was für Erinnerungen interessieren Sie denn?» fragte sie.
«Nun, haben Sie zum Beispiel je den Kaiser gesehen? Wie er mit der Kutsche aus der Hofburg kam vielleicht?»
Es folgte eine etwas frustrierende Viertelstunde. Anstatt Berichte über den Kaiser bekam Hoyle Mrs. Weiss' Ansichten über Backenbärte aufgetischt; anstatt über große Premieren an der Oper hörte er von den Kehlkopfgeschichten, die ihren Neffen, Zolly Federmann, daran gehindert hatten, zur Bühne zu gehen.
«Aber was ist mit dem Prater?» fragte Hoyle schon ganz verzweifelt. «Sicherlich haben Sie doch in der berühmten Kastanienallee Ihren Reifen geschlagen?»
Das hatte Mrs. Weiss nicht getan, aber sie erzählte ihm ausführlich von einem Gummikrokodil an einer Schnur, das sie heiß geliebt hatte, bis ein paar Straßenjungen es durchlöchert hatten.
«Und das Riesenrad?» Hoyle wischte sich die Stirn. «Sie sind doch bestimmt einmal mit dem Riesenrad gefahren? Oder mit einem Boot auf der Donau?»
An dieser Stelle kam Ruth, um ihren Abenddienst aufzunehmen. Freundlich lächelnd begrüßte sie die alte Dame. Niemals hätte Mrs. Weiss den jungen Journalisten an die Männer abgetreten, aber mit Ruth war das etwas anderes. Ruth war ihre Freundin. Sie wurde plötzlich aufgeregt.
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