Wozu gab es schließlich den Fonds für Härtefälle? Der war doch extra dazu da, Studenten, die finanzielle Schwierigkeiten hatten, unter die Arme zu greifen! Und er wurde vom Finanzausschuß verwaltet, dem Roger genauso angehörte wie allen anderen Ausschüssen, in denen die Fakultät vertreten sein mußte, da Quin von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen hatte, daß er nicht bereit sei, seine Zeit in überheizten Räumen und mit sich ständig wiederholendem Gebrabbel zu vertun.

Der Ausschuß hatte seine nächste Sitzung an einem Samstagmorgen anberaumt, gerade zwei Wochen vor Beginn der Exkursion. Felton hatte bereits bei Ausschußmitgliedern anderer Fakultäten für sein Anliegen geworben und war allseits auf Wohlwollen gestoßen. Er trat daher mit Hoffnung und Zuversicht am Samstagmorgen in den Sitzungssaal.

Aber er hatte die Rechnung ohne den neuen Vizekanzler gemacht. Lord Charlefont hatte Ausschußsitzungen im Galopp vorangetrieben; Sir Desmond, studierter Ökonom, war ein begeisterter Kleinkrämer. Jedes Reagenzglas, jedes Stück Kreide, das gekauft werden sollte, wurde genauestens unter die Lupe genommen, und als man sich um ein Uhr zum Mittagessen vertagte, war die Frage des Zuschusses aus dem Härtefonds für Ruth noch gar nicht diskutiert worden.

«Mußt du wirklich wieder hin?» fragte Lady Plackett, die gehofft hatte, ihren Mann zu einem Kinobesuch überreden zu können.

«Ja. Felton von der zoologischen Fakultät möchte eine seiner Studentinnen in Somervilles praktisches Übungsseminar hineinbugsieren. Und dafür möchte er Geld aus dem Härtefonds. Meiner Ansicht nach ist das eine rein akademische Frage. Inwieweit kann die Nichtteilnahme an einer Exkursion als Härtefall eingestuft werden? Wir werden das sehr genau diskutieren müssen.»

«Er möchte das Geld doch nicht etwa für diese Österreicherin haben? Miss Berger?»

Sir Desmond griff nach der Tagesordnung. «Hier steht kein Name, aber möglich wäre es. Warum?»

«Nun, ich würde es als höchst unangebracht betrachten, ihr das Geld zu geben. Du weißt ja selbst, daß Professor Somerville sie hier eigentlich gar nicht haben wollte – soviel ich weiß, bestand da früher eine Verbindung zu ihrer Familie in Wien. Er war sich offensichtlich der Gefahr bewußt, sich der Bevorzugung schuldig zu machen. Aber Dr. Felton kümmert sich, seit das Mädchen hier ist, in ganz besonderem Maß um sie, wie Verena mir erzählte.»

«Du meinst ...» Sir Desmond sah sie scharf an.

«Nein, nein, nichts dergleichen. Er biegt nur die Vorschriften ein wenig zurecht, damit er ihr entgegenkommen kann. Aber wenn sich herumsprechen sollte, daß Gelder, die ausschließlich für Härtefälle bestimmt sind, dafür verwendet wurden, einem jungen Ding, das hier sowieso aus reiner Menschenfreundlichkeit geduldet wird, einen kleinen Ausflug zu finanzieren, so könnte das, denke ich, zu einer Menge Klatsch und Spekulationen Anlaß geben. Es wäre bestimmt besser, die Gelder für englische Studenten zurückzuhalten, die wirklich in Not sind.»

«Hm, ja, da hast du nicht ganz unrecht», meinte Sir Desmond. «Es wäre natürlich sehr peinlich, wenn es Gerede gäbe, zumal das Mädchen sowieso schon genug Aufmerksamkeit erregt hat.»

«Und nicht auf die vorteilhafteste Art», fügte Lady Plackett hinzu.


«Was gibt's?» fragte Quin, der gerade aus dem Museum zurückgekehrt war und noch an einem Artikel für eine Zeitschrift arbeiten wollte.

«Dieser Plackett, dieses Ekel!» Roger Felton sah aus, als würde er gleich explodieren. «Er hat den Härtefonds blockiert – wir können kein Geld daraus nehmen, um Ruth die Fahrt nach Bowmont zu ermöglichen. Er möchte auf keinen Fall einen Präzedenzfall schaffen, der den Studenten Anlaß gäbe zu glauben, sie könnten auf Kosten der Universität auf Reisen gehen!»

«Aha! Da steckt wahrscheinlich Lady Plackett dahinter. Sie kann Ruth nicht leiden.» Quin merkte zu seiner eigenen Überraschung, daß er sehr zornig war. Er selber hätte gesagt, daß er Ruth in Bowmont gar nicht haben wollte. Die «unsichtbare» Ruth war hier in Thameside schon schlimm genug– in Bowmont hätte er das nicht ausgehalten; aber die Kleinlichkeit des neuen Regimes war schwer zu akzeptieren.

«Möchte Ruth denn mit auf die Exkursion?» fragte er. «Ist nicht jeden Tag mit Heinis Ankunft zu rechnen?»

«Nein, sie erwartet ihn erst Anfang November. Bis dahin sind wir zurück», antwortete Roger. «Sie würde gern mitfahren, das weiß ich, auch wenn sie so tut, als läge ihr nichts daran.»

«Sie und Elke möchten sie unbedingt dabeihaben, nicht wahr? Weil Sie glauben, daß sie profitieren wird?»

«Ja, klar – verdammt noch mal, Sie leiten das Seminar, Sie wissen, daß es das beste seiner Art im ganzen Land ist. Aber ich wollte ihr die Küste zeigen. Ich schulde ihr ...» Roger zuckte die Achseln. «Ich weiß, Sie finden, wir verwöhnen sie, Elke, Humphrey und ich, aber sie gibt alles zurück und ...»

«Was gibt sie zurück?»

Roger schüttelte den Kopf. «Ach, das ist schwer zu erklären. Man bereitet eine praktische Übung vor – Himmel noch mal, Sie wissen doch selbst, wie das ist. Man treibt sich die halbe Nacht hier herum und versucht, anständiges Material zu finden, und dann kriegt der Techniker die Grippe, und es sind nicht genug Petrischalen da ... Aber am nächsten Morgen steht sie da und schaut durch das Mikroskop, als wäre das der allererste Wasserfloh überhaupt, und plötzlich erinnert man sich, worum es einem einmal ging – warum man sich mit diesen Dingen überhaupt beschäftigt hat. Wenn ihre Arbeit schlampig wäre, dann wäre es etwas anderes. Aber sie ist nicht schlampig. Sie hat eine bessere Bewertung verdient, als Sie ihr für ihre letzte Arbeit gegeben haben.»

«Ich habe ihr zweiundachtzig gegeben.»

«Ja. Und Verena Plackett vierundachtzig. Aber mich geht das ja nichts an. Leider ist es wohl nicht zu ändern, zumal Sie sich so krampfhaft bemühen, sie nur ja nicht zu bevorzugen. Nur weil sie mal auf Ihrem Schoß gesessen hat, als sie noch Windeln trug.»

«Ich tue nichts dergleichen, aber Sie müssen einsehen, daß ich mich da nicht einmischen kann – das würde Ruth nur schaden.» Und als sein Stellvertreter sich nicht von der Stelle rührte, sondern ihn weiterhin unglücklich ansah, fügte er hinzu: «Wie geht's zu Hause? Was macht Lilian?»

Roger seufzte. «Von einem Kind immer noch keine Spur. Und adoptieren will sie nicht. Hätte ich nur damals Humphrey nicht zum Abendessen eingeladen.» Dr. Fitzsimmons hatte es nur gut gemeint, als er Rogers Frau auf den Temperaturabfall hinwies, den jede Frau unmittelbar vor ihren fruchtbaren Tagen erwarten konnte, aber er brauchte nicht mitanzusehen, wie Lilian tagtäglich mit ihrem Thermometer bewehrt aus dem Bad kam und ihm bis zur kritischen Zeit seine ehelichen Rechte verweigerte. «Ich bin froh, wenn ich eine Zeitlang wegkomme, das kann ich Ihnen sagen.»


Ruth war über den Beschluß des Finanzausschusses nicht enttäuscht, weil sie von Roger Feltons Bemühungen für sie nichts wußte. Aber wenn sie auch an ihrem Entschluß festhielt, an der Exkursion nicht teilzunehmen, so beteiligte sie sich doch mit viel Spaß an den Mutmaßungen über das Nachtzeug, das Verena Plackett mit auf die Reise nehmen würde.

Denn Verena fuhr selbstverständlich mit nach Northumberland, und die Frage, was sie im Schlafsaal über dem Bootshaus zur Nacht anziehen würde, interessierte ihre Kommilitonen brennend. Janet meinte, sie würde in durchsichtiger schwarzer Spitze in ihr Etagenbett steigen.

«Für den Fall, daß der Professor um Mitternacht mit einem Schädelabguß die Leiter heraufklettern sollte.»

Pilly hielt einen gestreiften Schlafanzug für wahrscheinlicher, mit einer langen Schnur, die Kenneth Easton ihr abends, vor dem Zubettgehen, immer zur Doppelschleife würde binden müssen. Ruth hingegen, die Verena die blütenweißen Laborkittel zutiefst neidete, dachte eher an gesmokten weißen Batist.

«Mit soviel Stärke, daß man es nachts knistern hört», sagte sie.

Tatsächlich jedoch kam keiner von ihnen in den Genuß, Verenas Nachtgewand zu sehen. Die Tochter des Vizekanzlers hatte nämlich ganz andere Pläne.

Wenn Leonie jeden Abend begierig auf Ruths Bericht vom Tage wartete, und Mrs. Weiss mit ihrem gefürchteten «Also?» ihr Verhör im Willow begann, wartete Lady Plackett etwas beherrschter, aber nicht weniger begierig auf Verenas Rapport.

Über die Dozenten ließ sich Verena mit Zurückhaltung aus, über ihre Kommilitonen jedoch gestattete sie sich zu sprechen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. So erfuhr Lady Plackett von dem ungehörigen, um nicht zu sagen unzüchtigen Verhalten Janet Carters auf den Rücksitzen von Automobilen; von den gefährlich radikalen Ansichten Sam Marshs; und von den Böcken, die Priscilla Yarrowby schoß, die wieder einmal den Kieferknochen eines Mammuts mit dem eines Mastodons verwechselt hatte.

«Und Ruth Berger hilft ihr ständig. Das kann man nun wirklich nicht gutheißen», erklärte Verena. «Man tut Leuten, die nicht das Zeug zum Hochschulstudium haben, keinen Gefallen, wenn man sie dauernd anschiebt. Es ist in ihrem eigenen Interesse, wenn sie gleich ausgesiebt werden, damit sie das Niveau finden können, das ihnen angemessen ist.»

Lady Plackett war ganz ihrer Meinung, so wie jeder vernünftige Mensch ihrer Meinung sein mußte. «Sie scheint einen sehr störenden Einfluß zu haben, diese kleine Ausländerin», sagte sie.

Sie war gar nicht erfreut gewesen, als Professor Somerville sich entschieden hatte, das Mädchen doch zu behalten. Diese Ruth Berger hatte etwas ... Exzessives. Selbst die Art, wie sie im Hof an den Rosen roch, war übertrieben, dachte Lady Plackett. Nun, in einer Hinsicht wenigstens konnte Verena ihre Mutter beruhigen: Der Professor hatte für Ruth nichts übrig; er schien ihr bewußt aus dem Weg zu gehen; sie machte in seinen Seminaren nie den Mund auf.