«Ja, Lockwood. Sollte das zufällig boeuf en daube sein, was ich da rieche?»
Lockwood nickte grinsend, und Quin, der wußte, daß er den Mann, der ein begeisterter Koch war, glücklich gemacht hatte, wandte sich jetzt seiner Post zu. Sie enthielt zahlreiche Einladungen von Damen der Gesellschaft, die für ihre gerade gesellschaftsfähig gewordenen Töchter Bälle und Empfänge veranstalteten, Ausflüge zum Pferderennen in Ascot und zur Regatta in Henley organisierten. Die Tatsache, daß er die meisten dieser Veranstaltungen verpaßt hatte, ohne absagen zu müssen, fand er sehr befriedigend. Obwohl seine berufliche Post normalerweise an die Universität ging, fand er in einem Stapel ein Schreiben aus Saskatchewan mit dem Angebot einer Professur in Zoologie und dazu die üblichen Episteln von Leuten, die in ihren Gärten irgendwelche alten Knochen gefunden hatten und überzeugt waren, sie müßten von einem Mammut oder Mastodon stammen.
Als Quin die Liste der eingegangenen Telefongespräche durchsah, lächelte er. Claudine Fleury war aus Paris zurück. Doch als er zum Telefon griff, tat er es nicht, um diese junge Dame anzurufen; er wählte die Nummer der Thameside-Universität, um mit seinem vielgeplagten Stellvertreter, Dr. Roger Felton, zu sprechen.
Quin hatte eigentlich nie die Absicht gehabt zu unterrichten. Die Reisen, die Freiheit, jedem neuen Fund oder Hinweis nachzugehen, ganz gleich, wo sie auftauchten, das war es, was ihn an seiner beruflichen Arbeit reizte und was er am höchsten schätzte. Zwar hatte er im Naturhistorischen Museum ein eigenes Zimmer, doch lange Zeit hatte er alle Angebote von Universitäten, einen Lehrstuhl zu übernehmen, ausgeschlagen.
Erst Lord Charlefont, dem Vizekanzler von Thameside, war es gelungen, ihn umzustimmen. Dieser Mann, einem aufgeklärten Tyrannen vergleichbar, hatte Thameside, bis dahin eine eher mittelmäßige Hochschule, zu einer im ganzen Land anerkannten Universität gemacht. Unter Charlefonts Herrschaft hatte Thameside mit einer Kunsthochschule in Pimlico fusioniert, Hatte das Institut für Naturwissenschaften übernommen und war schließlich in einen schönen palladianischen Bau am Südufer des Flusses umgezogen, den Charlefont dem Bauministerium abgerungen hatte.
«Ich weiß, daß Sie den Job nicht brauchen», hatte er gesagt, als er Quin den Lehrstuhl für Wirbeltierkunde anbot, «aber wir brauchen Sie. Ich möchte jemanden haben, der einen internationalen Ruf genießt. Ich glaube nicht, daß Sie sich in Ihren Reisen einschränken müßten – es läßt sich immer jemand finden, der Sie ein, zwei Semester vertreten kann –, und ich denke, das Unterrichten würde Ihnen Spaß machen.»
Quin hatte schließlich angenommen, allerdings unter der Bedingung, daß er bei geringerem Gehalt zum persönlichen Ordinarius berufen und von aller Verwaltungsarbeit verschont werde. Das Arrangement bewährte sich. Er stellte fest, daß ihm das Unterrichten tatsächlich Freude bereitete, und in Roger Felton hatte er einen hilfsbereiten und tüchtigen Stellvertreter, der ihm alle Verwaltungsarbeit abnahm. Zudem entwickelte sich zwischen ihm und Lord Charlefont eine herzliche Freundschaft. Das Haus des Vizekanzlers in Thameside stand im Haupthof, und Charlefont führte ein offenes Haus. Erstsemester mit Problemen waren hier ebenso willkommen wie die hervorragendsten Wissenschaftler, und Quin hatte in dem großen Salon mit der Terrasse über dem Fluß einige der interessantesten Gespräche seines Lebens geführt.
Doch vor einem halben Jahr, kurz vor Quins Abreise nach Indien, hatte Charlefont einen Herzanfall erlitten und war innerhalb weniger Stunden gestorben. Ein schöner Tod für einen aktiven Menschen, ein Schlag jedoch für Thameside und Quin. Über Charlefonts Nachfolger, Desmond Plackett, der zehn Jahre im indischen Bildungswesen tätig gewesen und dafür mit dem Adelstitel belohnt worden war, wußte Quin bisher so gut wie nichts.
Als er jetzt in Thameside anrief, verband man ihn unverzüglich mit Feltons Labor. Sein Stellvertreter, der ihm so zuverlässig alle Verwaltungsarbeit abnahm, war Dozent für Meeresbiologie.
«Ah, hallo», sagte er. «Sie sind also wieder da, hm?»
Da Quin selbst in seiner Abteilung Protokoll und steife Förmlichkeit abgeschafft hatte, mußte er jetzt einige respektlose Bemerkungen über Professoren hinnehmen, die ihren Hilfskräften die Benotung der Examensarbeiten aufhalsten, während sie selbst in der Weltgeschichte herumzigeunerten.
«Na, ganz so war es nicht – aber es tut mir leid, daß Sie auf dieser zusätzlichen Arbeit sitzengeblieben sind. Wie sind die Resultate denn ausgefallen?»
«Oh, glänzend natürlich. Wie immer. Ich glaube, Sie könnten sogar einem Schimpansen die Paläontologie begreiflich machen. Die Neueinschreibungen lassen sich auch gut an – die Zahl ist wieder gestiegen.»
«Gibt es eigentlich auch Anträge von Flüchtlingsorganisationen? Ich weiß, daß am University College Flüchtlinge aufgenommen werden.»
«Nein, wir haben bis jetzt nichts dergleichen bekommen.»
«Wenn welche kommen sollten, dann nehmen Sie die Leute an. Es ist die Hölle da drüben, das kann ich Ihnen sagen. Und wenn wir ihnen einen Laborplatz im Besenschrank einrichten müssen, nehmen Sie sie.»
«In Ordnung, werde ich tun. Wie sich unser neuer Vizekanzler dazu stellen wird, weiß ich allerdings nicht. Ein Kämpfer für die Armen und die Unterdrückten scheint er mir nicht gerade zu sein.»
«Eine Niete?»
«Na ja, einer dieser Bürokraten ohne Profil. Der Papierkram hat sich seit seiner Ankunft verdreifacht, aber er ist nicht übel. Seine Frau ist dafür eine echte Geißel Gottes. Sie will unbedingt den moralischen Standard der Universität verbessern und läßt sich von den Angestellten der Universität bedienen. Sie ist eine geborene Croft-Ellis, falls Ihnen das was sagt.»
«Nicht viel.»
«Aber das ist noch nicht alles», fuhr Felton düsteren Tons fort. «Eine Tochter ist auch noch da.»
«Ist das nicht immer so?» meinte Quin resigniert.
«Ja, aber diesmal ist es besonders schlimm. Sie kommt nämlich zu uns. Sie will ihren Magister in Zoologie machen und fängt gleich im dritten Jahr an, weil sie das Vorstudium bereits in Indien absolviert hat. Ich habe mich letzte Woche mit ihr unterhalten, und sie war so gütig, mir mitzuteilen, sie halte unser Seminar für akzeptabel.»
«Großer Gott», sagte Quin.
«Genau.»
Die nächsten zwei Tage hatte Quin im Naturhistorischen Museum zu tun, wo er die Überführung der Funde überwachte, die Milner sicher durch den Zoll geschleust hatte. Thameside mied er und beschloß, zunächst nach Bowmont hinaufzufahren und erst zur Vorbereitung auf das Wintersemester zurückzukommen.
Eines jedoch wollte Quin unbedingt in die Wege leiten, ehe er nach Norden reiste: die Auflösung seiner Ehe. Die Gutsangelegenheiten lagen in den bewährten Händen einer alteingesessenen, angesehenen Anwaltskanzlei in Berwick-upon-Tweed; mit dieser höchstpersönlichen Sache, die er so schnell wie möglich geregelt sehen wollte, wandte er sich jedoch an Dick Proudfoot von der Kanzlei Proudfoot, Buckley und Snaith, den er aus Cambridge kannte.
Proudfoot war ein Mann Anfang Dreißig mit rundem Gesicht und beginnender Glatze, dem einiges von seiner Liebenswürdigkeit abhanden kam, als er hörte, was Quin zu sagen hatte.
«Du hast was getan?»
«Ich habe eine junge Österreicherin geheiratet, um ihr die Einreise nach England zu ermöglichen. Sie ist Halbjüdin und sie war in Gefahr – es gab keine andere Möglichkeit. Jetzt möchte ich so rasch wie möglich die Scheidung. Den nötigen Grund liefere ich natürlich. Es läuft ja wohl immer noch so, daß man sich am besten mit einer anderen Frau im Bett des Hotelzimmers erwischen läßt, wie?»
«Und ich habe dich immer für intelligent gehalten», sagte Dick Proudfoot mit beleidigender Geringschätzung. «Was soll der Quatsch? Selbst wenn du mit so einer Geschichte durchkämst – die Richter sind schließlich auch nicht ganz dumm –, hättest du damit die Scheidung noch lange nicht in der Tasche. Du kannst eine Scheidung frühestens drei Jahre nach der Eheschließung beantragen. Beantragen, mein Lieber!»
Quin runzelte die Stirn. «Ich dachte, das hätte sich mit dem neuen Gesetz, der Herbert Act, geändert. Der arme Kerl hat sich doch weiß Gott alle Mühe gegeben, um das durchzuboxen.»
«Das neue Gesetz läßt zusätzliche Gründe für eine Ehescheidung zu, aber die Drei-Jahres-Klausel besteht in so einem Fall weiter.»
«Dann müssen wir es eben mit einer Nichtigkeitserklärung versuchen», meinte Quin unerschüttert. «Das war sowieso mein erster Gedanke. Ich fand ihn nur irgendwie ein bißchen katholisch.»
Dick Proudfoot machte sich seufzend eine Notiz. Die Gesetze über die Ehenichtigkeit waren archaisch und komplex. Sein Fachgebiet war das Wirtschaftsrecht.
«Na schön. Was schlägst du also vor? Eine Ehe ist nichtig, wenn einer oder beide Partner zum Zeitpunkt der Eheschließung das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten; wenn eine andere Ehe besteht; wenn die Partner in gerader Linie blutsverwandt sind; wenn einer der Partner zur Zeit der Eheschließung geistesgestört war, ohne daß der andere davon wußte; wenn die Braut Nonne war.»
Quin wedelte ungeduldig mit der Hand. «Sie ist nicht meine Schwester, sie ist keine Nonne, und sie ist auch nicht geistesgestört, wenn man einmal davon absieht, daß sie mit Sack und Pack einen Fluß durchschwimmen wollte, um von der Schweiz nach Frankreich zu kommen. Also, was für Möglichkeiten gibt es noch?»
«Eine Ehe kann für nichtig erklärt werden», sagte Proudfoot, der ein riesiges Minenfeld vor sich sah, mit Widerstreben, «wenn sie nicht vollzogen wurde.»
«Das ist es!» rief Quin erfreut. «Ich habe die Hochzeitsnacht im Korridor des Orient-Expreß zugebracht.»
"Die Morgengabe" отзывы
Отзывы читателей о книге "Die Morgengabe". Читайте комментарии и мнения людей о произведении.
Понравилась книга? Поделитесь впечатлениями - оставьте Ваш отзыв и расскажите о книге "Die Morgengabe" друзьям в соцсетях.