«Wenn ich komme, brauche ich ein Klavier, mein Liebes», schrieb er. «Ich erwarte selbstverständlich nicht, daß Du eines kaufst – mir ist klar, daß das Geld fürs erste etwas knapp sein wird –, aber Du kannst mir doch sicher eines mieten. Ideal wäre natürlich ein Flügel, aber wenn dafür im Salon Deiner Eltern kein Platz ist, tut es auch ein einfaches Klavier. Ein Bösendorfer wäre mir das liebste, Du weißt ja, daß ich sie bevorzuge, aber ich bin natürlich auch mit einem Steinway oder einem Bechstein zufrieden; aber wenn es ein Bechstein ist, dann sollte es ein Modell 8 sein, keines der kleineren Instrumente. Stimmen läßt Du es vielleicht am besten erst am Tag vor meiner Ankunft. Ach, und Ruth, keinesfalls ein englisches Klavier, auch kein Broadwood. Ich weiß, ich kann mich auf Dich verlassen, mein Liebes. Du hast mich bisher noch nie enttäuscht, und Du wirst mich auch nicht enttäuschen.»
Als Heini den Brief unterschrieben hatte, blieb er noch eine Weile auf der Veranda und genoß den Duft, der aus dem Garten aufstieg. «Ich liebe dich, Ruth», sagte er laut und fühlte sich erhoben und befreit und gut, wie das bei Menschen der Fall ist, wenn sie sich entschieden haben. Er wäre noch länger draußen geblieben, aber das durchdringende Summen einer Mücke irgendwo über seinem Kopf irritierte ihn. Am Grundlsee hatte ihn einmal eine Mücke in den Ballen seines Zeigefingers gestochen, und der Stich hatte angefangen zu eitern. Heini eilte also ins Haus, schloß die Fenster und ging zu Bett.
8
Erst als sie auf dem Bahnsteig stand und zu den königsblauen Waggons mit den Emblemen und der Aufschrift Compagnie Internationale des Wagons-Lits über den Fenstern hinaufsah, begriff Ruth, daß sie mit dem Orient-Expreß reisen würden.
Und als sie jetzt Quin in dem feudalen Speisewagen des Zugs, der durch das abendliche Land brauste, gegenübersaß, sah sie sich staunend um. Sie hatte Luxus erwartet, aber die verschwenderische Pracht der Lalique-Ornamente, der Einlegearbeiten aus Rosenholz, die die Trennwände schmückten, der vergoldeten Metallblüten an der Decke übertraf ihre kühnsten Vorstellungen. Die Servietten auf den Darnasttischdecken waren kunstvoll zu Schmetterlingen gefaltet; neben jedem Teller stand eine Reihe funkelnder Kristallgläser; Poinsettia-Arrangements glühten im Licht der Lampen.
«Wie unvorstellbar schön!» sagte Ruth. Sie bemühte sich, ein schlechtes Gewissen zu bekommen, aber ohne Erfolg. «Das ist ja wie auf einer richtigen Hochzeitsreise! Sie hätten das nicht tun sollen.»
«Nicht der Rede wert», entgegnete Quin und reichte ihr die Speisekarte.
Tatsächlich hatte er Beziehungen spielen und einiges an Bestechungsgeldern springen lassen müssen, um so kurzfristig noch ein Schlafwagenabteil in diesem Zug zu bekommen. Er hatte es getan, weil er ihr nach den Tagen heimlicher Gefangenschaft und vor den harten Zeiten der Armut, die sie in London erwarteten, noch einen Moment des Wohllebens schenken wollte. Während sie die Speisekarte studierte, winkte er dem Kellner und bat ihn, die Jalousie herunterzulassen, denn jetzt näherten sie sich der vertrauten Landschaft um den von ihr so geliebten Grundlsee.
«Ich müßte eine ungarische Gräfin sein», bemerkte Ruth, während sie die anderen Gäste musterte. «Oder mindestens eine Spionin.» Ein Blick auf die Leute, die in den Zug eingestiegen waren, hatte genügt, sie zu veranlassen, ihr «Umblätter-Kleid» herauszuholen. Und dennoch kam sie sich beinahe wie Aschenputtel vor; Quin hingegen, ganz in der mysteriösen Tradition des Engländers, der soeben aus der Wildnis in die Zivilisation zurückgekehrt ist, sah in seinem Smoking absolut tadellos aus. «Schauen Sie doch mal, die Stola dieser Dame – das ist Zobel», sagte sie leise.
«Und trotzdem würde sie bestimmt hebend gern mit Ihnen tauschen», erwiderte Quin mit einem kurzen Blick auf das stark geschminkte Gesicht der alternden Frau.
«Weil ich in Ihrer Gesellschaft bin, meinen Sie?»
«Nein, deswegen sicher nicht», antwortete Quin, ohne näher auf ihre Frage einzugehen.
«Können Sie mir nicht beim Bestellen helfen?» bat Ruth wenig später. «Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.»
«Ich hatte gehofft, daß Sie mich das bitten würden», sagte Quin. «Ich finde nämlich, wir sollten dem Wein ganz besondere Aufmerksamkeit widmen.»
Der Sommelier präsentierte Quin den ausgesuchten Wein mit der Feierlichkeit einer Hebamme, die dem Oberhaupt einer adeligen Dynastie den langersehnten Stammhalter präsentiert.
«Probieren Sie», forderte Quin Ruth auf und wechselte einen Verschwörerblick mit dem Kellner.
Ruth ergriff ihr Glas, trank einen Schluck, schloß die Augen, trank noch einen Schluck, öffnete sie wieder. Einen Moment lang schien es, als wollte sie etwas sagen – eine Bewertung abgeben oder vielleicht einen Vergleich ziehen; dann aber tat sie nichts dergleichen, schüttelte nur einmal wie fassungslos den Kopf und lächelte.
Ruths Freunde in Wien wußten, daß Musik sie zum Verstummen bringen konnte; Quinton Somerville, der ihr einen Pouilly-Fuissé kredenzte, erfuhr, daß auch ein edler Wein sie sprachlos machen konnte.
«Ich sehe schon, es wird mir richtig leid tun, Sie nicht weiterbilden zu können», sagte er. «Sie sind ein Naturtalent.»
«Aber wir können doch Freunde bleiben, nicht wahr? Später, meine ich, nach der Scheidung.»
Quin antwortete nicht. Er betrachtete Ruth. Ihr Haar leuchtete, und der Blick ihrer dunklen Augen war weich und verträumt. Quin hatte natürlich Freundinnen, aber so sah keine von ihnen aus.
Dann brachte der Kellner Ruth die bestellten Vol-au-vents, leicht wie ein Hauch, mit einer köstlichen Füllung aus foie gras und Austern, und sie mußte sich nun ganz dem Essen widmen, hatte allenfalls Zeit, ab und zu einen bewundernden Blick auf Quin zu werfen, der mit leichtfingriger Eleganz seine flambierten Krebse auseinandernahm.
Erst als ihre Teller abgetragen und die Fingerschalen gebracht wurden, sagte sie: «Um noch einmal auf die Hochzeit zurückzukommen ... ich meine, auf die Tatsache, daß wir verheiratet sind ...»
«Ja?»
«Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir niemand etwas davon sagen? Überhaupt keinem Menschen?»
Quin stellte sein Glas nieder. «Ganz im Gegenteil. Mir wäre das sehr recht. Ich hasse Aufsehen und Wirbel jeder Art.» Dennoch war er erstaunt. So wie er die Bergers kannte, konnte er sich Geheimnisse zwischen Ruth und ihrer Familie kaum vorstellen. «Werden Sie es denn vor Ihren Eltern geheimhalten können?»
«Ich denke schon, ja. Wenigstens vorläufig. Wenn ich später meinen eigenen britischen Paß bekomme, werden sie es natürlich erfahren – aber da sind wir dann ja schon geschieden.» Sie zögerte, unschlüssig, ob sie mehr sagen sollte. «Meine Eltern sind sehr altmodische Leute, wissen Sie. Es würde ihnen bestimmt nicht in den Kopf gehen, daß eine Heirat keinerlei Bedeutung haben soll. Und ich könnte es nicht aushalten, wenn sie versuchen sollten, Sie – ich meine mit Ihnen ...» Sie schüttelte den Kopf und setzte noch einmal an. «Sie waren immer sehr lieb und gut zu Heini; er hat ja praktisch bei uns gelebt. Aber ich glaube nicht, daß ihnen klar ist, wie es um ihn und mich steht – besonders meine Mutter ist ziemlich ahnungslos. Sie würde vielleicht glauben, daß Sie – daß wir ...»
Nein, sie konnte Quin nicht erklären, wie groß ihre Angst vor dem Beifall ihrer Eltern zu dieser Heirat war; vor der Dankbarkeit, mit der sie ihn in Verlegenheit bringen und ihm das Gefühl geben würden, nicht mehr heraus zu können. Keinesfalls durfte Quin den Eindruck erhalten, sie erwarte nach der Ankunft in England noch irgend etwas von ihm; das wäre ein schlechter Lohn für seine Güte und Hilfsbereitschaft gewesen.
Der Weinkellner trat wieder zu ihnen und strahlte Ruth an wie eine hochbegabte Schülerin, die soeben ihre Prüfung mit Glanz bestanden hat. Erneut wurde die Weinkarte studiert, und mit Bedauern stimmte der Kellner Quin zu, daß man in Anbetracht des jugendlichen Alters der Dame wohl besser auf den Margaux verzichtete, den er sonst zum Geflügel vorgeschlagen hätte.
«Aber zum Dessert habe ich einen vorzüglichen Tokaier, Monsieur – einen Essencia 1905, etwas ganz Besonderes, je vous assure.»
«Leben Sie zu Hause auch so?» fragte Ruth, als der Kellner gegangen war. «Ich meine, mit Bediensteten und einem Koch und einem erstklassigen Weinkeller?»
Er schüttelte den Kopf. «Ich habe zwar Angestellte und auch einen Weinkeller, aber die Atmosphäre ist anders als hier. Mein Haus steht hoch oben im nördlichen Teil Englands, nahe der schottischen Grenze, auf einem Felskap am grauen Meer.»
«Oh.» Das klang nicht sehr verlockend. «Und wer wohnt dort, wenn Sie nicht da sind? Steht das Haus leer?»
«Eine Tante von mir kümmert sich um alles. Das heißt, sie ist eigentlich eine Cousine zweiten Grades, aber ich habe sie immer Tante genannt – sie ist um einiges älter als ich und hat von Natur aus etwas sehr Tantenhaftes, wenn es das gibt. Meine Eltern starben, als ich noch sehr klein war. Erst sorgte mein Großvater für mich, und als er ebenfalls starb, kam sie. Ich bin ihr zu großem Dank verpflichtet. Wenn sie nicht wäre, könnte ich nicht jederzeit auf und davon gehen, ohne mir Sorgen machen zu müsen, was aus dem Haus wird.»
«Hatten Sie sie als Kind gern?»
«Sie hat mich in Ruhe gelassen», antwortete Quin.
Ruth versuchte stirnrunzelnd, sich das vorzustellen. Sie war nie in Ruhe gelassen worden – ganz gewiß nicht von ihrer Mutter und ihrem Vater, aber auch nicht von Tante Hilda und den Dienstmädchen ... nicht einmal von Onkel Mishak, der sie die Namen der Blumen und Bäume gelehrt hatte. Und was Heini anging ...
«Fanden Sie das schön?» fragte sie. «In Ruhe gelassen zu werden, meine ich.»
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