Wenn er gehofft hatte, das Thema damit aus dem Weg zu räumen, daß er Österreichs unpopulärsten Erzherzog erwähnte, so wurde er enttäuscht.

«Aber Sie sagen doch, daß es für uns gar keine Hochzeitsnacht gäbe, also würde Morgan sowieso keine Rolle spielen.»

Quin trank seinen Schnaps aus und stellte das Glas nieder. Er hatte Kopfschmerzen, was selten vorkam. «Ja, das ist richtig. Unsere Heirat wäre lediglich eine Formalität. Ich wollte nur sagen, daß es viele Möglichkeiten der Eheschließung neben der konventionellen gibt ...» Er brach ab. Jetzt geschah nämlich genau das, was er gefürchtet hatte. Mindestens ein Dutzend Frauen in mit Gold betreßten Uniformen betraten den Musikpavillon. Nicht nur Strauß, sondern Strauß von Frauen dargeboten.

«Was ist denn?»

«Spielen die jetzt Strauß?»

«Ja», antwortete Ruth beglückt. «Das ist die Frauenkapelle vom Prater – sie sind unheimlich gut.» Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu. «Mögen Sie etwa keine Walzer?»

«Nicht vor dem Tee.» Er runzelte die Stirn und zügelte mühsam seine Gereiztheit. Bei Tag konnte man ihn und Ruth, da sie ausschließlich Englisch miteinander sprachen, leicht für ausländische Touristen halten; doch sie übernachtete immer noch im Museum, und es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand sie verriet.

«Hören Sie, Ruth, wir können nicht noch mehr Zeit verschwenden. Ich muß endlich nach England zurück, und Sie wollen auch dorthin. Der Konsul hier kann uns trauen – das ist eine Sache von ein paar Minuten, eine reine Formalität. Dann werden Sie als meine Ehefrau in meinen Paß eingetragen – Sie werden de facto britische Staatsbürgerin. Wenn wir in London sind, geht jeder seiner Wege, und wir lösen die Ehe wegen ...»

Er hielt gerade noch rechtzeitig inne. Nach der morganatischen Ehe nun von Straußwalzern begleitet auch noch den Nichtvollzug der Ehe mit dieser obstinaten kleinen Person zu diskutieren, dazu hatte er weiß Gott keine Lust.

Ruth schwenkte schweigend ihr Glas hin und her und beobachtete die Bewegungen der Limonade. «Schade eigentlich, daß es keinen Morgan gibt», meinte sie. «Er könnte einem bei der Auswahl der Morgengabe helfen. Es müßte etwas sehr Schönes sein, damit es einem nicht soviel ausmacht, daß man keine Rechte und Pflichten bekommt. Ein Bernhardiner vielleicht.»

Quin beugte sich über den Tisch und legte flüchtig seine Hand auf die ihre. «Ruth, lassen wir Morgan jetzt ruhen, ja? Das Thema ist erledigt. Ich hole Sie um elf im Museum ab; dann heiraten wir, und am Abend nehmen wir den Nachtzug.»

Er war aufgestanden, aber sie folgte ihm nicht.

«Verstehen Sie denn nicht», sagte sie leise und eindringlich. «Ich kann das nicht annehmen. Es gibt doch in England bestimmt eine Frau, die Sie heiraten wollen.»

«Nein. Und was Ihren Heini angeht, so wird er gewiß froh sein, Sie gesund und wohlbehalten wiederzusehen, auch wenn Sie dann mit der Heirat noch ein Weilchen warten müssen. Überlegen Sie doch mal, wie es Ihnen ginge, wenn es umgekehrt wäre.»

«Ja, ich würde alles tun, um mit Heini zusammensein zu können», sagte sie leise. «Aber es ist Ihnen gegenüber nicht fair. Ich kann von Ihnen nicht verlangen ...»

Doch Quins Blick war auf den Musikpavillon gerichtet, wo jetzt das Schlimmste geschah. «Um Gottes willen, verschwinden wir hier», sagte er und zog sie hoch. «Diese Forelle in der Pickelhaube hebt schon den Taktstock.»

«Es ist Wiener Blut», sagte Ruth vorwurfsvoll, als die ersten Töne durch den Park schallten.

«Es ist mir egal, was es ist», erklärte Quin und suchte das Weite.

5

Es war eine stürmische Nacht gewesen, aber jetzt klarte der Himmel auf, und über Lindisfarne, der Heiligen Insel, zeigte sich ein schmaler silberner Lichtstreifen, wurde langsam breiter – und das Meer, das Minuten zuvor noch bedrohlich und schwarz gewesen war, leuchtete plötzlich unglaublich blau. Drei Kormorane segelten tief über das Wasser, und von den von Vögeln dicht bevölkerten Klippen war das unaufhörliche Kreischen der nistenden Dreizehenmöwen und Seeschwalben zu hören.

Aber die Frau, die in dicken Tweed gekleidet, das graue Haar unter einem Wollschal verborgen, auf der Terrasse von Bowmont stand, beachtete weder die Vögel noch die runden Köpfe der Seehunde, die vor der Landzunge auf dem Wasser schaukelten. Sie hielt ihren Feldstecher auf den langen, ockerfarbenen Strand der Bowmont-Bucht gerichtet, wo jetzt, bei Ebbe, die Felstümpel zu beiden Seiten klar zu sehen waren. Der Halbmond gelben Sands krümmte sich in einer Länge von einer halben Meile zur nächsten Landzunge, aber sein Frieden war besudelt – von Menschen. Drei waren es; nein, mehr ... eine ganze Familie, die da herumplanschte und zweifellos kreischte. Sie konnte einen Mann und eine Frau erkennen, und noch eine Frau – eine Großmutter. Und ein Kind. Das waren keine Fischer oder Einheimischen, die dort ihrer täglichen Arbeit nachgingen.

«Ausflügler!» stieß Frances Somerville hervor. Ihre Stimme war tief, ihre Empörung grenzenlos.

Diese Leute mußten sofort verschwinden. Man mußte sie wegjagen. Immer häufiger kamen sie angereist – Urlauber, Touristen, die die unbewohnten, stillen Orte heimsuchten, Krebse fingen, in unmöglichen Kleidern herumliefen ...

Bowmont stand auf einem Felskap: ein alter Wehrturm, dem vor Generationen ein Bau aus ockerfarbenem Stein angefügt worden war. Einsam, von den Seewinden gepeitscht, stand es dort über dem Meer, seine Geschichte untrennbar mit der des Landes Northumbria verbunden: vom Meer her von den Dänen bedroht, vom Land her von den Schotten, von Warwick, dem Königsmacher, belagert; in Schutt und Asche gelegt und wiederaufgebaut.

Turner hatte es vor dem Hintergrund eines wildbewegten Sonnenuntergangs gemalt, mit einem gefährlich geneigten Segler am Fuß seiner meerumspülten Klippen. St. Cuthbert hatte auf Lindisfarne den Eiderenten gepredigt, die heute noch auf der Landzunge nisteten, und von der weißen Nadel des Leuchtturms von Longstone aus hatte sich Grace Darling, Retterin der Schiffbrüchigen direkt in die Legende hineingerudert. Als Kind hatte Quin genau gewußt, wo Gott wohnte. Nicht im Heiligen Land wie in seiner bebilderten Bibel dargestellt, sondern im stürmischen, wetterwendischen, von Wolken bewegten Himmel über seinem Zuhause.

Frances Somerville war vierzig gewesen, eine alte Jungfer, die immer noch zu Hause lebte, als der alte Quinton Somerville, der legendäre und gefürchtete «Basher», Admiral im Ruhestand, nach ihr geschickt hatte.

«Mit mir geht es zu Ende», hatte der Basher gesagt. «Ich möchte, daß du nach Bowmont kommst und dich um den Jungen kümmerst, bis er erwachsen ist.»

Frances hatte abgelehnt. Sie mochte den Alten nicht, der nie ein Hehl daraus gemacht hatte, daß sie als reizlose, unverheiratete Frau für ihn gänzlich ohne Belang war. Aber dann wurde Quin geholt, der damals zehn war, und seiner Tante vorgestellt.

«Ich komme, wenn du tot bist», hatte Frances an jenem Abend gesagt – aber sie glaubte nicht daran, daß das Ende des alten Haudegens wirklich nahe war.

Sie täuschte sich. Keine drei Monate später fand man ihn tot auf einer Gartenbank, und auf seine eigene Weise hatte er fair gehandelt; er hatte ihr aus seinem riesigen Nachlaß eine komfortable jährliche Rente ausgesetzt. Seitdem war sie Hüterin und Verwalterin von Bowmont, und das hieß, da Quin so häufig abwesend war, daß sie es vor Eindringlingen schützen, vor der schleichenden Seuche des Tourismus und des sogenannten modernen Lebens bewahren mußte.

Sie war jetzt in ihrem sechzigsten Jahr, eine energische Frau mit einer großen Nase und schmalen Lippen, mit dünnem grauen Haar und stählernen blauen Augen, und sie hatte keine gute Meinung von den Menschen. Ein verlassenes Robbenbaby, ein Lund mit gebrochenem Flügel konnten auf Frances Somervilles Hilfe zählen; ein Mensch in ähnlicher Notsituation konnte sich glücklich preisen, wenn er im Gesindehaus eine Tasse Tee bekam. Früher einmal, hieß es, sei das anders gewesen. Ein schottischer Adliger hatte um sie geworben, und sie war in sein Haus gesandt worden, um begutachtet zu werden ... aber aus der Heirat war nichts geworden, und das scheue, reizlose Mädchen entwickelte sich mit der Zeit zu der imposanten alten Jungfer, die alle respektierten und niemand liebte.

Ein Gärtnerjunge mit einem Rechen lief über die Terrasse.

«Du da! George!» rief Frances Somerville, und der Junge rannte zu ihr und legte grüßend die Hand an die Mütze.

«Ja, Miss Somerville.»

«Sag Turton, daß unten in der Bucht Ausflügler sind. Sie müssen entfernt werden.»

«Ja, Miss.»

Der Junge lief davon, und Frances Somerville schwenkte ihren Feldstecher zur anderen Seite der Landzunge. Hier, im Schutz der ausgehöhlten Felsen war eine kleinere Bucht, Anchorage Bay hieß sie, und im letzten Jahrhundert hatten Boote an dem kleinen Steg angelegt, Fischer in den Hütten gelebt und flachgrundige Fischerboote am Strand gelegen.

Die Zeiten waren vorbei. Quin hatte das Bootshaus und zwei der Hütten in ein Labor und Schlafräume für seine Studenten umbauen lassen, die er zu Feldstudien hierher mitzubringen pflegte. Noch mehr Leute, die nicht hierher gehören, dachte sie müde und verdrossen; noch mehr Schmutz und Geschnatter. Im letzten Jahr war eines der Mädchen im zweiteiligen Badekostüm erschienen, und bei ihren frühmorgendlichen Betrachtungen von Land und Meer hatte Frances Somerville durch die Gläser ihres Feldstechers den nackten Bauch eines Mädchens aus Surbiton zu sehen bekommen.

Der Gärtnerjunge kam zurück. «Bitte, Miss Somerville, Mr. Turton hat gesagt, er kann sie jetzt nicht wegjagen, weil wir zwischen den Gezeiten sind. Und er hat mir aufgetragen, ich soll Ihnen sagen, daß Lady Rothley angerufen hat. Sie kommt heute um elf.»