Ich bin auch ein Mann des Gesetzes, und doch war es seltsamerweise nicht das Gesetz, das mich an diesem Tag im Zaume hielt. Ich wußte, daß die Strafe für einen Mann, der bei der Verlobten eines anderen Mannes schläft, die Steinigung war — zu Tode steinigen. Weiterhin wußte ich, daß auch ein Mädchen zu Tode gesteinigt werden konnte, wenn es nicht als Jungfrau zu ihrem Manne ging und er dies in der Hochzeitsnacht entdeckte. Doch so streng und abschreckend die Gesetze des fünften Buches Mose auch sind, es war meine
Freundschaft mit Saul, die mir an diesem Tage Willenskraft gab.
In den darauffolgenden Tagen war ich ein anderer Mensch. Als Salmonides sich bei mir mit noch größeren Gewinnen meldete und verkündete, die Götter seien mir geneigt, trafen seine Worte auf die Ohren eines Tauben. In meiner Brust tobte ein Schmerz, der sich durch nichts lindern ließ. Meine Liebe zu Sara nahm mit jeder Stunde zu.
Rebekka und ich besuchten auch weiterhin unsere Freunde im Hause von Miriam in der Oberstadt, und weil sie fromme Juden waren, strengte ich mich sehr an, zuvorkommend zu sein. Ich habe bisher noch nicht von Jakobus gesprochen, den du ja auch kennst. Jetzt will ich von ihm berichten.
Jakobus war ein Nazaräer, ein Mann von felsenfesten Überzeugungen und eisernen Gelübden. Neben Simon war er einer der Führer der Armen. Es waren arbeitsreiche Tage für sie, da sie darauf bedacht waren, ihre Anhängerschaft zu vergrößern, bevor der Meister wiederkehrte. Jakobus pflegte zu sagen:»Wir wurden angewiesen, auszuziehen, um die verlorenen Schafe Israels zu suchen und ihnen zu verkünden, daß das Königreich nahe. «Deshalb zogen Simon und seine Anhänger durch das ganze Land, predigten den Neuen Bund und verkündeten die Rückkehr unseres Königs. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die vor langer Zeit gemachten Prophezeiungen erfüllten und Israel zum rechtmäßigen Herrscher der Welt erhoben würde. Für dieses Ereignis mußten alle Juden vorbereitet sein, und es war die Aufgabe von Simon und Jakobus, die Missionarstätigkeit zu organisieren und dafür Sorge zu tragen, daß die Botschaft jeden Bürger Israels erreichte. Einst fragte ich ihn:»Wohin geht ihr, Brüder?«Und Jakobus antwortete:»Wir sind verpflichtet, in jede Stadt Israels zu gehen und mit jedem Juden dort zu sprechen. Wir erhielten Anweisung, den Heiden aus dem Weg zu gehen und die Städte der Samariter nicht zu betreten. Denn das nahende Königreich ist allein für Juden.«
Um diesen Punkt entspann sich ein heftiger Meinungsstreit. Simon und Jakobus erhielten Briefe von ihren Brüdern in Antiochia, die zu Juden predigten, und diese erzählten von einem anderen Mann, einem gewissen Saul von Tarsus, der behauptete, mit dem Meister auf der Straße nach Damaskus gesprochen und die Anweisung erhalten zu haben, auch zu Heiden zu predigen. Doch Simon und Jakobus, welche über alle Angelegenheiten der Armen wachten, rieten ihnen strikt davon ab, sich unter die Unbeschnittenen zu begeben. Denn sofern sie nicht Juden würden wie wir — das heißt, wenn sie nicht das Ritual der Beschneidung über sich ergehen ließen — und versprächen, die Thora heiligzuhalten, könnten die Heiden dem Neuen Bund nicht beitreten. Eine zweite Unstimmigkeit erwuchs ebenfalls aus diesem Punkt, ein Streit, der zunächst recht harmlos begann, der aber in späteren Jahren immer größere Ausmaße annahm. Wie du weißt, war Simon der beste Freund des Meisters und sein erster Jünger gewesen. Du weißt auch, daß Jakobus des Meisters Bruder war. Daraus entwickelte sich eine kleine Zwietracht zwischen ihnen. Simon und Jakobus wetteiferten miteinander um die absolute Vorherrschaft bei den Armen. Wenn sie in einer Sache unterschiedlicher Meinung waren, entstand sofort eine hitzige Debatte, und jeder von beiden erhob Anspruch auf das letzte Wort. Dies war zunächst kein größeres Problem, doch später, als Simon und Jakobus sich in ihren Auffassungen immer weiter auseinanderlebten, wurde der Kampf um die oberste Führungsposition bei den Armen immer heftiger geführt.
So waren Simon und Jakobus zu dieser Zeit sehr beschäftigte Leute. Der Tag der Rückkunft schwebte fast schon über uns. Es konnte schon morgen sein, und sie befürchteten, nicht genug Juden für ihre Sache gewonnen zu haben, bevor unser
Meister als König in Jerusalem Einzug hielt. Simon und Jakobus bekämpften die Idee, auch Heiden in die Gruppe aufzunehmen, und sie wetteiferten miteinander um die absolute Kontrolle über die Gemeinschaft.
Es war auch eine Zeit, in der leider viele von uns begannen, zum Schwert zu greifen. Zeloten in ganz Galiläa und Judäa sorgten für wachsende politische Spannungen mit unseren römischen Oberherren, und wir befürchteten, daß ein offener Konflikt ausbrechen könnte, bevor unser Meister zurückkehrte.
Im Vergleich zu dem, was später passierte und was du miterlebtest, mein Sohn, waren diese noch keine gefährlichen Zeiten. Damals wurde erst die Saat der Unruhe ausgebracht, und ein paar widrige Winde verbreiteten sie übers ganze Land. Als das Wasser plötzlich aus dem siedenden Kessel hervorbrach, warst du Augenzeuge davon.
Meine Liebe zu Sara wurde immer stärker. Ich vermochte ihr keinen Einhalt mehr zu gebieten. Als man Saul, meinen Freund, endlich für fähig erachtete, das Gesetz seinerseits zu lehren, und Eleasar ihm den Titel Rabbi verlieh, legte Saul den Tag der Hochzeit fest. Diese Nachricht zerriß mir die Seele, als ob hungrige Löwen darin wüteten. Rebekka war so aufgeregt, als wäre sie selbst die Braut, und verbrachte viele Tage bei Sara, um ihr bei den Vorbereitungen zu helfen. Saul und Sara besuchten uns häufig, denn wir waren ihre besten Freunde, und ich fühlte mich jedesmal wie ein kranker Hund. Ich schmachtete nach Sara. Ich sehnte mich nach ihr, wie ich mich nie zuvor nach einer Frau gesehnt hatte. Meine Liebe wurde zur flammenden Leidenschaft und dann zur nackten Begierde, und ganz egal, wie sehr ich in meinem Olivenhain unter der Sonne schwitzte oder betete, bis ich Schwielen an den Knien bekam, das heftige Verlangen, Sara zu besitzen, wurde nur noch stärker. Daß sie ebenso litt wie ich, konnte man deutlich in ihren Augen erkennen. Und einmal, als sich unsere Hände zufällig berührten, sah ich eine tiefe Röte ihre Wangen bedecken. Nachts träumte ich lange von ihr. Ich warf mich hin und her, wie vom Fieber befallen. Und ich betete, daß ich am Tage ihrer Hochzeit imstande sein möge, meinen Leib und meine Seele von dieser Besessenheit zu befreien. Eines schönen Tages begab es sich, daß Rebekka nach Jerusalem ging, um ihre Mutter und ihre Schwestern zu besuchen, während ich allein bei der Ölpresse zurückblieb. Ich wußte, daß Saul schon im Tempel weilte und nach Schülern Ausschau hielt, damit er seine eigene Schule begründen könnte. Mein Verwalter war in Jerusalem mit dem Öl, das wir zuletzt gepreßt hatten, und meine wenigen Sklaven hielten im Schatten ihren Mittagsschlaf. Und so schien es ganz so, als ob das Schicksal Sara an diesem Tag den Pfad heraufführte. Als ob unsere Sterne schon vor langer Zeit, in der Stunde unserer Geburt, zwangsläufig miteinander verbunden worden wären. Ich trat aus dem Schatten heraus ins Sonnenlicht und glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Es war, als ob ein Traumbild sich mir näherte.
Mit heruntergelassenem Schleier und niedergeschlagenen Augen wünschte mir Sara einen guten Tag und erklärte, sie habe Rebekka und mir einen Korb voll Honigkuchen mitgebracht. Süße Honigkuchen, die sie gerade gebacken hatte und die noch warm waren. Als ich ihr sagte, daß Rebekka das Haus verlassen habe und ich allein sei, schlug Sara ihre Augen zu mir auf, und mein Herz begann zu singen.
«Nimm einen Kuchen«, forderte sie mich auf und hielt mir den Korb hin.»Sie sind mit Honig, geriebenem Johannisbrot und den feinsten Nüssen bereitet.«
Aber ich konnte nicht essen. Mein Mund war trocken und mein Hals wie zugeschnürt. Mein Herz raste wie das eines kleinen Jungen.»Komm, setze dich in den Schatten«, lud ich sie ein und nahm ihr den schweren Korb ab.
Wir gingen eine Weile und genossen die sommerliche Wärme und die frische Luft. Zuweilen blieben wir stehen, um die Vögel zu beobachten oder den Duft einer Blume einzuatmen.»Es ist so ruhig hier«, bemerkte Sara, als wir ein Stück gegangen waren.»Nicht wie in der überfüllten Stadt, wo immer Lärm herrscht. Hier zwischen den Bäumen ist es friedvoll. «Wir beschlossen, uns eine Weile im Schatten einer Pinie niederzulassen, deren schwere Zweige tief herunterhingen und die ihre Arme weit ausbreitete, um den Himmel zu umarmen. Als wir uns setzten, stellte ich fest, daß wir uns außer Sichtweite des Hauses befanden.
«Saul hat jetzt einen Schüler«, berichtete Sara mit gesenktem Blick. Sie saß auf der Seite, wobei sie ihre kleinen Füße sittsam unter sich gezogen hatte.»Er ist der Sohn eines armen Krämers, der es sich nicht leisten kann, ihn zu einem bekannteren Rabbi zu schicken. «Ich erwiderte:»Alle berühmten Männer haben einmal bescheiden angefangen. Die Zeit wird kommen, da Saul ebenso begehrt sein wird wie Eleasar.«
Dann saßen wir eine Zeitlang schweigend da. Ich fragte sie:»Wann ist die Hochzeit, Sara?«
«In zwei Monaten, denn bis dahin kann Saul ein kleines Haus in der Stadt kaufen. Es ist ein recht einfaches, aber immerhin wird es unser eigenes sein.«
Zwei Monate, dachte ich. Wird es leichter sein, gegen diese Leidenschaft anzukämpfen, wenn sie erst eine verheiratete Frau ist, oder macht es keinen Unterschied?
Als wir einigen Vögeln beim Spiel zusahen, lachte Sara, so daß ihr Schleier zurückfiel. Der Anblick ihres langen, schwarzen Haares, das ihr über Schultern und Brust fiel, schürte meine Leidenschaft.»Sara«, sprach ich zu ihr,»es ist schwer für mich, so mit dir zusammen zu sein.«
«Mir geht es nicht anders«, erwiderte sie.
«Saul ist mein bester Freund und mein Bruder. Ich kann ihn nicht hintergehen.«
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