«Nicht heute. Ich will mich nicht entspannen. «Ben warf einen raschen Blick auf die Uhr.»In zwei Stunden kommt die Post. Ich will dann hier sein.«

«Wir werden rechtzeitig zurück sein.«

«Angie«, erwiderte er, wobei er aufstand und den Kaffee unberührt stehen ließ,»du verstehst das nicht. Ich kann im Moment nicht von meiner Arbeit fort.«

«Warum nicht? Hast du nicht gesagt, du hättest es fertigübersetzt?«

«Ja schon, aber. «Aber was? Was konnte er ihr erzählen? Wie konnte er ihr diesen plötzlichen Zwang erklären, bei den Schriftrollen zu verharren, Davids Worte immer und immer wieder zu lesen, und dazu die wachsende Spannung, mit der er die nächste Schriftrolle erwartete.»Es ist nur, daß.«

«Los, Ben, komm schon.«

«Nein, du verstehst nicht.«

«Nun, dann sag es mir doch, vielleicht verstehe ich hinterher.«

«Ach, komm, Angie! Du hast mich ja nicht einmal gefragt, was in der zweiten Rolle stand! Himmel, so etwas Phantastisches, und du interessierst dich nicht einmal dafür!«Sie starrte ihn verblüfft an und schwieg.

Ben bereute es sofort. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und blickte zerknirscht zu Boden.»O Angie«, stammelte er. Sofort war sie auf den Beinen und schlang ihre Arme um ihn. Er erwiderte die Umarmung, und sie standen eine Weile so da.»Ist schon gut«, murmelte sie sanft,»ist schon gut. Ich kann es eben nicht verstehen.«

Ihr Körper, der sich an ihn drängte, überbrachte ihm die Botschaft deutlicher als ihre Worte. Ben küßte ihren Mund, ihre Wangen und ihren Hals hastig und heftig, als ob er Angie aus Verzweiflung liebte. Er drückte sie so fest an sich, daß sie nicht mehr atmen konnte, und verhielt sich wie ein Mann, der von blinden Bedürfnissen getrieben wird.

Plötzlich und wie zum Spott klingelte das Telefon.»Verdammt«, brummte Ben.»Rühr dich nicht von der Stelle, Angie. Wer immer es ist, ich werde ihn schon los.«

Sie lächelte verträumt und schlenderte zur Couch, wo sie sich hinlegte. Sie schleuderte ihre Schuhe von sich und begann, sich das Kleid aufzuknöpfen.

Es war eine schlechte Überseeverbindung mit vielen Störgeräuschen in der Leitung, doch die Stimme am anderen Ende war ganz unverkennbar die von John Weatherby.

«Ich kann dir gar nicht beschreiben, was für eine Aufregung dein Telegramm im Lager auslöste!«brüllte er in die Leitung.»Drei Stunden nach deiner Nachricht traf ein Telegramm von Dave Marshall aus London ein. Wir stimmen alle überein, Ben. Das Jahr siebzig! Wir köpften eine Flasche Sekt und feierten! Du hast das hoffentlich auch getan. Hör zu, Ben, ich habe eine große Neuigkeit für dich. Wir haben vier weitere Tonkrüge gefunden!«

«Was!«Ben spürte, wie er weiche Knie bekam.»Noch vier weitere! O Gott!«

«Hast du Rolle vier schon erhalten? Ich habe sie letzten Sonntag abgeschickt. Ich habe dir ja schon gesagt, daß Nummer drei hoffnungslos zerstört ist. Ein einziger Teerklumpen. Nummer vier ist schlecht, aber immer noch leserlich. Ben, bist du noch dran?«Vier weitere Tonkrüge, dachte er verstört. So hatte David Ben Jona Zeit gehabt, noch mehr zu schreiben!

«John, das kann doch nicht wahr sein! Es ist zu aufregend, um es in Worte zu fassen!«

«Wem sagst du das! Wir haben erfahren, daß das ganze Ausgrabungsfeld von Menschen wimmelt. Einige der einflußreichsten Männer Israels sind gekommen, um die Stelle zu besichtigen. Ben, das könnte die Entdeckung unseres Lebens werden!«

«Sie ist es bereits, John!«Ben merkte, daß er in den Hörer brüllte. Er war quicklebendig, sein Körper energiegeladen. Es war ein neues >Hochgefühl<, das er nie zuvor erlebt hatte.»Schick mir diese Rollen auch zu, John!«

«Und Ben, du kannst dir nicht vorstellen, welche Aufregung im Camp herrschte! Wir hatten Ärger mit den hiesigen

Arbeitern. Als sie von dem Fluch Mose hörten, nahmen sie alle mitten in der Nacht Reißaus. Wir mußten eine neue Mannschaft aus Jerusalem anheuern.«

«Der Fluch Mose.«, begann Ben, doch die Stimme versagte ihm. In der Leitung knackte und rauschte es.»Ich muß zur Grabungsstelle zurück, Ben. Ich bin nur nach Jerusalem gekommen, um dich anzurufen und die neuen Fotos abzuschicken. Diesmal gute. «Als er aufgelegt hatte, merkte Ben, daß er vor Erregung zitterte. Sein Herz pochte zum Zerspringen. In seinem Kopf herrschte ein einziges Durcheinander.

Der Fluch Mose, wiederholte er still ein übers andere Mal. Der Gedanke ließ ihn nicht mehr los und hinterließ einen sonderbaren Geschmack in seinem Mund. Irgendwie erschien Davids Fluch jetzt nicht mehr seltsam und belustigend, obgleich Ben ihn einmal belächelt hatte. Aus irgendeinem Grund kam ihm der Fluch Mose plötzlich alles andere als komisch vor.»Ben? War das Dr. Weatherby?«

Warum ein Fluch, David, und warum ein so furchtbarer? Was hast du nur in deinen Rollen geschrieben, das so kostbar und bedeutungsvoll ist, daß es dich bewog, sie mit dem mächtigsten Zauber zu belegen, damit sie sicher bewahrt würden?» Ben?«

Der Herr wird dich mit einer schlimmen Feuersbrunst heimsuchen, dich mit Wahnsinn und Blindheit schlagen und dich mit Grind und Krätze verfolgen.»Ben!«

Er blickte Angie geistesabwesend an. Sie war nun wieder vollständig angezogen und hielt ihre Tasche in der Hand.

«Ich kann jetzt jede Minute eine neue Rolle bekommen«, sagte er.»Es wird die Titelseiten mit Schlagzeilen füllen. Ich weiß nicht, wie lange Weatherby noch alles unter Kontrolle haben wird, besonders wenn sich erst einmal die Nachricht von dem Fluch verbreitet.«»Nun, ich bin im Weg, und ich habe dir ja versprochen, dich nicht zu stören. Deshalb mache ich mich jetzt einfach davon. Ben?«

«Vielleicht komme ich heute abend vorbei.«

«Natürlich. «Sie küßte ihn auf die Wange und ging.

Ben verschwendete keine Zeit damit, das Durcheinander auf seinem Schreibtisch zu beseitigen und alles für die nächste Rolle vorzubereiten. Er fühlte sich so energiegeladen, daß er es in seiner Wohnung nicht mehr aushielt und sofort zur Universität fuhr. Dort erklärte er Professor Cox die Umstände seiner Krankheit, die zum zweimaligen Ausfall des Unterrichts in Manuskriptdeutung geführt hatten. Er versicherte ihm, daß es nicht noch einmal vorkommen würde.

Schließlich ging Ben in sein Büro, erledigte ein paar dringende Schreibarbeiten und eilte dann über den Campus zu dem Platz, wo er sein Auto geparkt hatte. Vor dem Gebäude der Studentenvereinigung stieß er mit Judy Golden zusammen.»Hallo, Dr. Messer«, begrüßte sie ihn mit einem Lächeln.»Hallo. «Nur aus Höflichkeit blieb er stehen, obwohl er eigentlich schnell nach Hause wollte.»Unterricht heute?«

«Nein. Ich bin gekommen, um in der Bibliothek ein paar Nachforschungen anzustellen. «Sie hielt ein Buch hoch, damit er den Titel lesen konnte.

«Koptische Auslegung«, las er,»klingt aufregend.«

«Nicht wirklich. An kalten Abenden ziehe ich es eigentlich vor, mich mit einem Krimi in mein Zimmer zu verkriechen. «Sie zuckte die Achseln.

«Na, hoffentlich hilft es Ihnen bei dem, was Sie wissen wollen. «Er versuchte, unauffällig seinen Weg fortzusetzen.»Ich habe heute morgen in Ihrer Manuskriptstunde vorbeigeschaut, aber sie war ausgefallen.«

«Ja.«

«Ich dachte, Sie hätten vielleicht diesen Kodex mitgebracht. «Judy zögerte erwartungsvoll.»Aber ich vermute, es ist doch nicht so.«

«Nein, das habe ich völlig vergessen. «Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben.»Ich versuche, morgen daran zu denken. Ich habe in letzter Zeit viel um die Ohren.«

«Oh, natürlich. «Sie schien plötzlich verlegen zu sein. Sie preßte ihre Bücher noch fester an ihre Brust und meinte mit einem kurzen Lachen:»Ich will ja nicht aufdringlich sein. «Das bist du aber, verdammt noch mal, dachte er bei sich.»Es besteht für mich keine dringende Notwendigkeit, ihn sofort zu sehen. Es ist einfach nur. na ja, für mich ist es eben wahnsinnig aufregend. der bloße Gedanke, ein koptisches Manuskript zu sehen, das noch nicht übersetzt worden ist. ich meine, das noch nicht in irgendeinem Buch erschienen ist. Es kommt mir vor, als ob ich in ein besonderes Geheimnis eingeweiht würde. Das muß sich für Sie total überdreht anhören.«

Er versuchte, ihr Lächeln zu erwidern. Einen Augenblick lang fühlte er sich ein wenig an seine eigenen College-Tage erinnert und daran, wie sehr ihn damals die Fragmente alter Schriftrollen in Aufregung versetzt hatten. Seine Freunde — Biologie- und Mathestudenten — hatten ihn als total vergeistigten Intellektuellen bezeichnet.»Ich werde nie daran denken, es mitzubringen«, gestand er ihr schließlich,»wenn ich mich schon nicht einmal daran erinnern kann, daß ich morgens Unterricht habe.«

«Was?«

«Sollte nur ein Scherz gewesen sein. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. «Er zog einen kleinen Spiralblock aus der Tasche, notierte seine Adresse und gab Judy den Zettel.»Würde es Ihnen etwas ausmachen, irgendwann einmal bei mir vorbeizuschauen, um ihn abzuholen? Dann würde ich Ihnen den Kodex und meine bisherige Übersetzung mitgeben, und Sie könnten beides eine Woche lang behalten. Hätten Sie etwas dagegen?«

«Ob ich etwas dagegen hätte?«

Ben konnte sich in ihre Lage einfühlen. Hätte er etwas dagegen, noch eine Schriftrolle aus Magdala zu bekommen?» Ich meine, in meiner Wohnung vorbeizuschauen. Wenn es Ihnen etwas ausmacht, muß ich eben versuchen, mich daran zu erinnern, den Kodex mit an die Uni zu bringen.«

«Nein, das ist schon in Ordnung. Wann wäre es Ihnen recht?«

«Ich bin abends meistens zu Hause.«

«Also dann, vielen Dank.«

«Keine Ursache. Auf Wiedersehen.«

Ben war froh, daß er sie endlich losgeworden war und seinen Heimweg fortsetzen konnte. Judy Golden war eine Schwärmerin, die er zur Zeit nur schwer ertragen konnte. Vielleicht lag es daran, daß da zwei überschwengliche Menschen zusammenprallten, die voller Energie waren. Um für so etwas empfänglich zu sein, mußte man neutral sein, und das war er im Augenblick wirklich nicht.