Sie zuckte die Achseln, goß den fertigen Kaffee in die Tassen und setzte sich an den Tisch. Und nun konnte Klaudine ihren Vortrag beginnen.

Beate verrührte den Zucker in ihrer Tasse und hörte schweigend zu. Bei der Hauptsache aber, dem Fund, sah sie empor und lachte überrascht auf. »Was – Wachs? Und ich sah schon im Geiste, wie dein alter Heinemann eine ganze Truhe voll Monstranzen und Gott weiß was für andere Kostbarkeiten ausräumte! Wachs! Sieh, sieh, Ben Akiba hat doch nicht recht – das ist neu! – Und diese Klosterfrauen! Nach den Lyrikern sind sie meistens weiße Rosen, die blaß und verhärmt durch das Fenstergitter in das verpönte schöne Weltleben hinausschmachten.« Sie lachte. »Dazu haben die Walpurgisnonnen sicher keine Zeit gefunden, das müssen ja die reinen Wirtschafts- und Sparteufelchen gewesen sein. Nach unserem alten Hausbuch sind ja auch zwei Gerolds unter den verjagten Nonnen gewesen. Wer weiß, ob nicht gerade sie mit Schurzfell und Mauerkelle in den Keller hinuntergestiegen sind, um den Rebellen die Beute vor der Nase wegzuschließen! Wer weiß, ich hätt's auch so gemacht.« Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Eine wunderliche Geschichte! Und fast ebenso verwunderlich ist's, daß jetzt die grundehrliche Haut da vor mir sitzt und in ernsthaftester Weise den Fund, Scheibe um Scheibe, wohlgezählt, mit uns teilen will!« Ein hübscher Zug von Humor ging durch ihr geradliniges, ernstes Gesicht. »Ei nun ja, Wachs kann man immer brauchen, und sei es auch nur, um ein Bettinlett zu wichsen oder einen Nähfaden glatt und haltbarer zu machen. Aber darin bin ich nicht die höchste Instanz, lieber Schatz, das mußt du mit Lothar besprechen.«

Damit stand sie auf und ging hinaus.

Klaudine machte keine Bewegung, sie zurückzuhalten. War ihr auch eine weitere Begegnung mit dem Baron auf Neuhaus nicht erwünscht, so mußte sie sich doch sagen, daß damit die Sache sofort erledigt würde, und deshalb erhob sie sich ruhig, als sie nach längerem Warten seine Schritte in der Hausflur hörte.

Er trat mit seiner Schwester ein. Klaudine hatte ihn am Hofe nur in seiner Rittmeisteruniform gesehen – heute war er im schlichten, grauen Zivilanzug, und sie mußte sich, wie schon vorhin unter den Linden, gestehen, daß es nicht »zumeist« der bestechende Glanz der Soldatenerscheinung gewesen war, der ihn, selbst neben dem ritterlich schönen, imposanten Herzog, zu der auffallendsten Männergestalt am Hofe gemacht hatte.

Sie verließ das Fenster und wollte sprechen, aber er hob lächelnd die Hand. »Es bedarf keines Wortes weiter«, beeilte er sich zu sagen. »Beate teilte mir bereits mit, daß Ihr romantisches Eulenhaus seine Schätze herausgegeben habe – die uralte Habe eines Klosters! Wie interessant! Jedenfalls sind es die Geisterhände der Nonnen selbst gewesen, die das Mauerwerk gelockert haben, wohl weil endlich ›die Rechte‹ gekommen ist.«

Klaudine sah unwillkürlich nach den dunkelbärtigen Lippen, die so liebenswürdig zu sprechen wußten. Das war nicht mehr dei Mann, der an der Seite der Prinzessin nie ein freundliches Wort verwandtschaftlicher Annäherung für sie gehabt, dessen verfinsterter Blick die neue Hofdame immer nur verstohlen gestreift hatte.

Beate schob sie ohne weiteres an den Kaffeetisch zurück. »Geh, tue nicht gar so feierlich, Klaudine! Wir sind nicht bei Hofe!« sagte sie. »Setze dich! Deine ›Aschenbrödelfüßchen‹ werden sich wohl gewundert haben, daß ihnen ein solcher Marsch zugemutet worden ist.«

Die junge Dame suchte errötend schleunigst ihren Platz wieder auf, und Beate setzte sich zu ihr, während Baron Lothar, die Hände auf die nächste Stuhllehne gestützt, ihnen gegenüber stehen blieb.

»Allerdings ein langer Weg durch den tiefen Wald«, pflichtete er seiner Schwester bei, »ein Weg, den eine Dame allein doch nicht wagen sollte! Fürchten Sie nicht, daß Ihnen die – Roheit begegnen könnte?«

»Ich habe keine Furcht. Im Walde bin ich früher stets zu Hause gewesen wie in unserer Kinderstube. Ich habe weit eher die Zuversicht, daß er mich beschützt wie ein alter Freund.«

»Ja, solch ein Waldläufer durch dick und dünn und Nacht und Nebel bin ich auch!« lachte Beate. »Wir sind eben Thüringer Waldkinder. Aber für deine feinen Söhlchen, Klaudine, ist der Weg jetzt doch entschieden zu anstrengend –«

»Und ein völlig zweckloses Opfer, das Sie Ihrem überstrengen Rechtsgefühl gebracht haben«, fiel ihr Bruder ein. »Denn es bedarf wohl keiner salomonischen Weisheit unserseits, um sofort zu entscheiden, daß wir auch nicht einen Schein von Recht an dem Fund haben. Das Eulenhaus ist seit langen Jahren im Besitz der Altensteiner Linie, wie kämen wir dazu, so weit in die Vergangenheit zurückzugreifen mit Ansprüchen, die uns um so weniger zustehen, als wir eigentlich ein Unrecht gutmachen müßten? Ich habe nämlich nie begriffen, wie mein Großvater auf den Tausch hat eingehen mögen, nach welchem ihm für den wertlosen Trümmerhaufen ein ausgezeichnetes Ackergrundstück zugefallen ist.«

»Der Meinung bin ich auch«, stimmte Beate mit einem energischen Kopfnicken zu. »Nun mag dein alter Heinemann beweisen, daß seine Abschätzung des Fundes richtig ist. Ein jährlicher Zuschuß zu deinem Wirtschaftsgeld wird dir nicht unwillkommen sein.«

»Praktisch wie immer, liebe Beate!« sagte Baron Lothar. »Aber ich möchte fast gegen dieses Los der Nonnenerbschaft protestieren. Wäre es nicht poetischer, wenn sich der Blütenstaub, den die Bienen vor uralten Zeiten zusammengetragen haben, in edle Steine verwandelte? Vielleicht in einen Brillantschmuck, den die Erbin bei ihrem ersten Wiedererscheinen am Hofe tragen würde?« warf er leicht hin, indem er halb abgewendet die ehemalige Hofdame über die Schulter ansah.

Sie hob die Wimpern, ihr verdunkelter Blick begegnete dem seinen. »Steine für Brot?« fragte sie. »Mir ist das Glücksgefühl, die Sorge aus meinem Heim verscheuchen zu können, mehr wert, und deshalb denke ich ›praktisch‹ wie Beate. Und was soll ich bei Hofe? Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich meine Entlassung genommen habe.«

»Wohl, das pfeifen die Spatzen von den Dächern der Residenz. Aber geben Ihnen nicht Ihr Name und Ihre vielbeneidete Eigenschaft als Liebling der Herzoginmutter jederzeit das Recht, zu Hofe zu gehen?«

»Vom armen Eulenhaus aus?« unterbrach sie ihn mit zuckenden Lippen.

»Allerdings, die Entfernung ist groß –« gab er zu, aber seine Stimme klang dabei so hart, als habe er ein ihm verfallenes Opfer unter den Händen, das er um jeden Preis festhalten wolle. »Acht gutgemessene Fahrstunden! Nun, vielleicht findet der Hof selbst ein Auskunftsmittel – er braucht Ihnen ja nur näher zu rücken.«

»Wie wäre das möglich?« rief sie jäh emporschreckend. »Außer dem alten Birschhaus ›Waldlust‹ hat das herzogliche Haus kein bewohnbares Besitztum in unserer Nähe.«

»Und in dieser famosen ›Waldlust‹ mit ihren drei engen Stuben läuft das Wasser von den Wänden«, warf Beate lachend ein. »Der Sturm wird das verwahrloste Gerümpel nächstens über den Haufen blasen.«

Baron Lothar schwieg. Er begann, im Zimmer auf und ab zu schreiten. »Ich hielt mich vorgestern auf meiner Reise nach hier einige Stunden in der Residenz auf, um der Prinzessin Thekla die kleine Enkelin zu bringen«, hob er nach einem augenblicklichen Schweigen wieder an, indem er stehen blieb. »Und da hörte ich flüchtig von einem derartigen Projekt des Herzogs.«

Er richtete plötzlich bei Nennung dieses Namens seinen Blick fest, durchdringend, auf das schöne Gesicht der ehemaligen Hofdame, über welches eine flammende Röte hinschlug. »Man zischelte da so viel durcheinander«, fuhr er fort, wobei er mit einem bitterhöhnischen Lächeln den Blick von dem erröteten Gesicht wegwandte. »Sie kennen ja das Hofgeflüster. Es kommt gehuscht wie die Motte aus dem Winkel und läßt sich schwer einfangen und festhalten, aber seine Spur bleibt an irgendeinem angenagten Heiligenschein oder dergleichen.«

Bei diesen Worten hob Klaudine das gesenkte Antlitz. »Ich kenne das Hofgeflüster«, bestätigte sie, »aber ich habe mich nie so weit herabgelassen, ihm einen Einfluß auf mein Urteil zu gestatten.«

»Bravo, alter Pensionskamerad!« rief Beate. »Du bist ja wirklich mit heiler Haut davongekommen!« Ihre klaren Augen hatten scharf prüfend die erregten Gesichter der beiden Sprechenden gestreift. »Aber nun laßt diese Hoferinnerungen ruhen!« setzte sie mit gerunzelter Stirn hinzu. »Der Klatsch ist mir in tiefster Seele verhaßt, einerlei, ob der am Brunnen und Waschtrog oder am Hofe, er hat immer und überall seine gemeine Seite. Sage mir lieber, wie du dich in deine neue Aufgabe findest, Klaudine!«

»Nun, der Anfang war schwer«, antwortete die junge Dame mit ihrem schönen, sanften Lächeln. »Hände und Schürzen tragen die Spuren der Ungeschicklichkeit beim Kochfeuer. Aber dieses erste Stadium ist glücklich überwunden, und ich finde nun auch Zeit, mich an unserem Stilleben und Joachims heiterem, zufriedenem Gesichte zu erquicken.«

»In der Tat: Er sieht Sie mit heiterem Gesicht Magddienste verrichten?« Lothars Augen sahen sie spottblitzend an.

»Glauben Sie, ich wüßte nicht zu verhüten, daß er mich beim häuslichen Schaffen sieht?« gab sie heiter lächelnd zurück. »Und dazu bedarf es wahrlich keiner besonderen Schlauheit. Joachim schreibt von früh bis spät an seinem Reisewerke über Spanien, in welches er seine schönsten Gedichte einwebt. Und bei diesem beglückenden Schaffen steht er außerhalb des wirklichen Lebens mit seinen kleinlichen Sorgen und Bedrängnissen. Er ist ein Mensch, der auf harten Dielen so gut schläft wie im weichen Bette, der ausschließlich bei Milch und Schwarzbrot zufrieden leben kann. Aber Liebe braucht sein zärtliches Gemüt, liebevolles Verstehen, und das findet er stets, wenn er aus seiner stillen Glockenstube zu den Seinen herabkommt. O ja, ich darf mir sagen, daß ich meine neue Lebensaufgabe begriffen habe – Joachim ist eine echte Dichternatur, die mir keine geringere als Frau Poesie in Pflege und Obhut gegeben hat!« Sie erhob sich und griff nach Hut und Handschuhen. »Und nun will ich heimgehen und für den Abendtisch noch Eierkuchen backen. Lache nicht, Beate«, – sie stimmte aber selbst für einen Augenblick herzlich in das Lachen der Pensionsschwester ein – »meine gute Lindenmeyer ist ganz stolz auf 'die flinke Art und Weise, wie ihre Schülerin den Kuchen auf die andere Seite zu schwenken versteht.«