Und dann erhob sich ein doppelter, entsetzlicher Schrei, und Cathérine sprang, jede Gefahr außer acht lassend, aus der Sänfte. Das von Arnaud energisch geschwungene Krummschwert hatte den Kopf Faradjs des Einäugigen gespalten, der wie ein Stein zu Boden fiel. Doch die junge Frau warf ihm nur einen kurzen Blick zu, da sie von einem anderen furchtbaren Bild in Bann gezogen wurde: Gauthier, noch im Sattel, hatte den Mund zu einem nicht enden wollenden Schrei geöffnet, und eine Lanze hatte sich tief in seine Brust gebohrt.
Die Augen Catherines und die des Riesen kreuzten sich. Sie las im Blick ihres Freundes ungeheures Erstaunen, dann glitt der Normanne wie ein Klotz, wie eine gefällte Eiche zu Boden.
»Gauthier!« schrie die junge Frau. »Mein Gott!«
Sie lief zu ihm, aber schon war Arnaud vom Pferd gesprungen, stürzte hinzu und schob sie beiseite.
»Laß! Rühr ihn nicht an!«
Auf seinen Ruf eilte Abu al-Khayr herbei, kniete nieder und legte dem gefällten Riesen die Hand aufs Herz. Ein dünner Blutfaden rann aus Gauthiers Mundwinkel.
»Er lebt noch«, sagte der Arzt. »Die Waffe muß vorsichtig herausgezogen werden … ganz vorsichtig! Kannst du das tun, während ich ihn halte?« fragte er Montsalvy.
Statt jeder Antwort riß sich dieser, ohne zu zögern, die Verbände von den verwundeten Händen, um nicht am Holz der Lanze abzugleiten. Dann packte er fest die Waffe, während Abu vorsichtig die Ränder der Wunde auseinanderdrückte und Cathérine das Blut im Mundwinkel mit einem Zipfel ihres Schleiers abwischte.
»Jetzt …«, sagte der kleine Arzt. »Sacht, ganz sacht! Wir können ihn töten, wenn wir die Lanze zu schnell herausziehen.« Arnaud zog. Zoll um Zoll verließ die scharfe Spitze der mörderischen Waffe die Brust … Cathérine hielt den Atem an, fürchtete, jeder Atemzug Gauthiers könne sein letzter sein. Die Tränen brannten ihr in den Augen, aber sie hielt sie tapfer zurück. Endlich kam die Lanze ganz heraus, und Arnaud warf sie mit einer zornigen Bewegung beiseite, während der Arzt sich beeilte, mit Tampons, die Marie hastig aus allem fabriziert hatte, was ihr an Stoff in die Hände gefallen war, das neu fließende Blut zu stillen.
Um sie herum herrschte tiefe Stille. Ihres Anführers beraubt, waren die Briganten geflohen, und Mansour machte sich nicht die Mühe, sie zu verfolgen. Auf Seiten der Rebellen sammelten sich die Überlebenden des Gefechts um die Gruppe, bildeten einen schweigsamen Kreis. Mansour wischte ruhig sein Krummschwert ab und befestigte es wieder an seinem Gürtel. Dann beugte er sich über den Verwundeten. Sein dunkler Blick kreuzte den Arnauds.
»Du bist ein tapferer Kämpe, Herr Ungläubiger, aber dein Diener ist auch ein heldenmütiger Mann! Bei Allah, wenn er am Leben bleibt, mache ich ihn zu meinem Leutnant. Glaubst du, ihn retten zu können, Arzt?«
Abu, der mit gewohnter Fertigkeit die verwundete Brust mit Catherines Hilfe entblößt hatte, schüttelte zweifelnd den Kopf, und die junge Frau sah mit banger Sorge, daß seine gerunzelte Stirn sich nicht glättete.
»Rettet ihn!« bat sie inständig. »Er darf nicht sterben!«
»Die Verwundung scheint tief zu gehen!« murmelte Abu. »Ich werde mein Bestes tun. Aber er muß von hier weg. Man sieht nichts mehr …«
»Tragen wir ihn in die Sänfte«, schlug Arnaud vor. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich meinen Fuß noch einmal dort hineinsetze!«
»Du bist fast nackt, ohne Schuhe«, wandte Cathérine ein, »und du bist noch nicht geheilt!«
»Was macht das! Ich werde mir die Ausrüstung eines der Gefallenen nehmen. Ich weigere mich, weiter diesen Weiberplunder zu tragen, der mich lächerlich macht. Kann nicht ein wenig Licht gemacht werden?«
Zwei von der Anstrengung des Kampfes noch keuchende Krieger entzündeten Fackeln, während andere mit unendlicher Vorsicht Gauthier aufhoben und ihn unter der bedachten Leitung Abus in die Sänfte trugen, wo der kleine Arzt dank seiner unfehlbaren Voraussicht Proviant und Arzneimittel unter den Matratzen verstaut hatte.
Die schneebedeckten Berggipfel zeichneten sich wie gigantische Schemen in der Nacht ab. Der Wind erhob sich und heulte in der Schlucht wie ein kranker Wolf. Und dann kam die Kälte. »Wir müssen ein Obdach für die Nacht suchen«, sagte im Dunkel die Stimme Mansours. »In der Dunkelheit diesen Gebirgsweg weiterzuverfolgen wäre Selbstmord, und von den Banditen Faradjs haben wir nichts mehr zu befürchten. Räumt den Weg, Männer!«
Den zahlreichen ›Plumpsen‹, die darauf folgten, entnahm Cathérine, daß die Toten vom Pfad in den reißenden Bach gestürzt wurden, Feinde und Freunde zur letzten Reise brüderlich vereint. Arnaud, der einen Augenblick verschwunden war, kam zurück, vom Scheitel bis zur Sohle eingekleidet, in weißem Burnus und beturbantem Helm.
Der eisige Hauch der Berggipfel pfiff über die Fackeln. Mit größter Vorsicht setzte man sich den gefährlichen Weg entlang in Marsch, von den Fackelträgern geleitet. An der Spitze Mansour, der sein Pferd am Zügel führte und nach einem geeigneten Zufluchtsort Ausschau hielt. Ihm folgte im Schneckentempo die Sänfte, um den Verwundeten nicht zu schütteln, dem Abu, von Cathérine und Marie unterstützt, Erste Hilfe leistete. Bald öffnete sich glücklicherweise neben dem Weg die schwarze Mündung einer Grotte, die groß genug war, um die Sänfte, nachdem die Pferde ausgespannt waren, teilweise in ihr unterzubringen. Männer und Pferde pferchten sich zusammen. Es wurde ein Feuer gemacht, an das Cathérine sich mit Arnaud setzte, als Abu sie nicht mehr brauchte. Nachdem der Arzt die Wunde verbunden hatte, hatte er Gauthier ein Beruhigungsmittel gegeben, damit er schlafen konnte; aber das Fieber stieg, und Abu verbarg seinen Pessimismus nicht.
»Seine außergewöhnliche Konstitution wird vielleicht ein Wunder bewirken …«, sagte er zu der bekümmerten jungen Frau. »Aber ich wage nicht, daran zu glauben.«
Zutiefst betrübt saß sie neben ihrem Gatten, kuschelte sich an ihn und schmiegte den Kopf an seine Schulter.
Zärtlich legte er den Arm um sie und hüllte sie mit seinem Burnus ein, dann blickte er ihr forschend in die tränenfeuchten Augen.
»Weine, meine Süße«, murmelte er. »Halte die Tränen nicht zurück. Es wird dir guttun, und ich verstehe deinen Kummer, weißt du?« Er zögerte einen Augenblick, und Cathérine fühlte, wie seine Umarmung sich lockerte. Dann erklärte Arnaud entschlossen: »Früher, das kann ich dir offen gestehen, bin ich auf ihn eifersüchtig gewesen … Diese Hingebung eines treuen Hundes dir gegenüber, der unermüdliche Schutz, mit dem er dich umgab, reizten mich … und dann kam die Zeit, da ich den Preis dafür abschätzen konnte. Ohne ihn hätten wir uns vielleicht nie wiedergefunden … und ich verstand, daß ich unrecht hatte, daß seine Liebe zu dir eine andere war als die, welche ich mir vorstellte … wie man eine Heilige verehrt …«
Cathérine fröstelte und fühlte, wie sie zitterte. Die verrückte Nacht von Coca kam ihr jäh ins Gedächtnis, so gegenwärtig, so heiß, daß eine Welle der Scham und der Reue sie überspülte. Sie fühlte sich versucht, sich von ihr zu befreien, sofort einzugestehen, daß Gauthier ihr Geliebter und sie in seinen Armen glücklich gewesen war. Sie öffnete den Mund.
»Arnaud«, hauchte sie, »ich muß dir sagen …«
Aber mit einem schnellen Kuß schloß er ihr fest den Mund. »Nein, sage nichts … Noch ist die Stunde der Erinnerungen oder der Reue nicht gekommen … Gauthier lebt noch, und Abu wird vielleicht das Wunder bewirken, an das er nicht glaubt!«
Der weite Burnus umhüllte die Wärme ihrer beiden aneinandergedrängten Körper. Er bildete eine sichere und köstliche Zuflucht, in der Cathérine ihre kummerbeladene Seele barg. Was würde Arnaud sagen, wenn sie spräche, was täte er? Er würde sie zurückstoßen, würde sie in die Kälte treiben, in der ihre Seele erstarrte … und hier fühlte sie sich doch so gut, so wohl an ihn gelehnt! Es war so schön, ihn neben sich zu fühlen, von seinen wiedergewonnenen Kräften beschützt, von seiner ganzen Liebe, die nur er ihr zu geben wußte. Leidenschaftlich ergriff sie eine der verletzten Hände ihres Gatten. Die Wunden waren wieder aufgegangen, aber das Blut war bereits getrocknet.
Sie preßte die Lippen darauf.
»Ich liebe dich …«, flüsterte sie. »Oh, ich liebe dich so sehr!« Er antwortete nicht, drückte sie nur noch fester an sich, fast tat er ihr weh, und Cathérine spürte, daß er gegen die Versuchung ankämpfte, sie ganz zu besitzen … Sein dunkler Blick glitt prüfend über die verschlossenen Gesichter der schweigsamen Krieger Mansours. Sie bildeten um das Feuer eine Kette unbeweglicher, rätselhafter Gestalten, deren sonnengebräunte Haut, durch das Tragen des Selham sonst leicht blau getönt, vom flackernden Feuer erhellt wurde. Niemand beachtete das Paar. Die Unversehrten pflegten die Verwundeten, aber keiner sprach. Diese Kriegsmänner standen noch unter der Nachwirkung des bestandenen Kampfes, aber da sie von Kindheit an das gefährliche Leben gewohnt waren, verschwendeten sie keinen Augenblick, ihre verlorenen Kräfte wiederherzustellen. Wer konnte sagen, ob der nächste Kampf, der ihnen bevorstand, nicht noch in dieser Nacht stattfand?
Dies fremdartige, fast unwirkliche Bild sollte Cathérine noch lange verfolgen. Diese Nacht im Herzen des Gebirges war wie eine Rast in einer von Dschinns bevölkerten Höhle, Dämonen aus orientalischen Märchen, die man ihr bei Fatima oder im Harem erzählt hatte … Bald tauchte die hohe Gestalt Mansours am Feuer auf. Er sagte seinen Männern leise einige Worte in einem Dialekt, den Cathérine nicht verstand, kam dann ruhig um das Feuer herum und setzte sich neben Arnaud. Einer der beiden Diener, die Ben Zegris begleiteten, trat näher, in seinen verschränkten Händen Datteln und Bananen tragend. Der Maure nahm davon und bot sie, mit einem kurzen Lächeln, dem Ritter an. Es war die erste höfliche Geste, die er ihm bezeigte, aber durch diese Geste anerkannte er ihn als ebenbürtig. Arnaud dankte ihm schweigend mit einer Neigung des Kopfes. »Die Herren des Krieges erkennen sich beim ersten Zusammenprall der Waffen«, erklärte Mansour einfach. »Du bist einer der Unsrigen!«
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