Der kleine Arzt hatte mit so viel einfacher Größe und wahrem Adel gesprochen, daß Mansour es nicht wagte abzulehnen.

Während Cathérine ihrem Freund voll tiefer Dankbarkeit die Hand drückte, brummte Mansour:

»Es ist gut! Tu, was du für richtig hältst, Arzt Abu, aber wisse: In einer halben Stunde werde ich diesen Palast verlassen! Das ist die Zeit, die ich zur Stärkung meiner Leute und Pferde brauche, wie ich dir bereits sagte. Wenn deine Schützlinge bis dahin nicht bereit sind, bleiben sie hier. Mein letztes Wort!«

Abu al-Khayr neigte schweigend den Kopf. Mansour drehte sich auf den Fersen um und ging zu der dunklen Schar zurück, die in geschlossener Formation neben dem Portal, die Zügel in den Händen, bewegungslos wartete, eine schwarze, von glänzenden Augen durchbrochene Mauer. Der Anführer sprach einige Worte zu ihnen, worauf sie schweigend, einer hinter dem anderen, in den Wirtschaftsgebäuden des Palastes verschwanden. Der Arzt wandte sich nun an Cathérine und Amina.

»Kommt«, sagte er, »wir haben nicht viel Zeit.«

Doch als Cathérine über die Schwelle des Palastes trat, kam ihr eine Idee.

Flink nahm sie den prächtigen Gürtel Harun al Raschids ab und hielt ihn der Sultanin hin.

»Da!« sagte sie. »Dieser Gürtel gehört dir. Um nichts in der Welt würde ich ihn mitnehmen wollen.«

Einen Augenblick strichen die schlanken Finger Aminas zärtlich über die riesigen Gemmen. Es lag Trauer in ihrer Stimme, als sie murmelte:

»An dem Tag, an dem ich ihn zum erstenmal trug, glaubte ich, er sei die Kette des Glücks … Aber inzwischen habe ich begriffen, daß er eine richtige Kette war, nichts als eine Kette … und sehr schwer. Heute abend erhoffte ich, daß meine Fesseln sich lösen würden … Ach! Sie sind noch da, und du bringst mir den Beweis! Tut nichts! Sei trotzdem bedankt …«

Die beiden Frauen schickten sich an, dem Arzt in die Privatgemächer Aminas zu folgen, als zwei große, kräftige schwarze Sklavinnen in braungestreiften Gewändern erschienen, die eine viel kleinere, ganz in Schwarz gekleidete Frau, die sich wie eine Furie sträubte, halb trugen, halb zogen.

»Man hat sie am Portal angetroffen!« sagte eine der beiden Sklavinnen. »Sie rief, sie wolle Abu, den Arzt, sprechen. Man habe ihr in seinem Hause gesagt, er sei hier …«

»Laßt sie los«, befahl Abu und fügte, sich zu dem Ankömmling wendend, hinzu: »Was willst du?«

Diese antwortete ihm jedoch nicht. Sie hatte Cathérine erkannt, riß mit einem Freudenschrei ihren Schleier herunter und stürzte auf sie zu.

»Endlich finde ich dich wieder! Du hast mir doch versprochen, nicht ohne mich fortzugehen.«

»Marie!« rief die junge Frau in einer Mischung von Freude und Scham, denn sie hatte vor lauter eigenen Sorgen Marie und das Versprechen vergessen, das sie ihr gegeben hatte. »Wie hast du es fertiggebracht, zu fliehen und mich zu finden?« fügte sie, sie umarmend, hinzu.

»Leicht! Ich stand mitten unter den anderen bei … bei der Hinrichtung. Ich habe dich keinen Augenblick aus den Augen gelassen und habe gesehen, wie du mit dem Arzt flohst. Es herrschte ein solches Durcheinander auf dem Platz, daß ich in der Menge untertauchen konnte, die sich nach allen Seiten zerstreute. Die Wachen und Eunuchen hatten anderes zu tun, als auf uns aufzupassen. Ich bin zu Abu al-Khayr gegangen, wo ich dich anzutreffen hoffte, aber man sagte mir, er pflege die Sultanin Amina und müsse im Alkazar Genil sein. Nun, hier bin ich! Du … du bist mir nicht böse, daß ich gekommen bin?« fügte die Kleine, plötzlich unruhig geworden, hinzu. »Weißt du, ich sehne mich so sehr nach Frankreich zurück! Viel lieber putze ich kleinen Kindern die Rotznase, koche und brate und wasche Geschirr, als mich in Samt und Seide in einem vergoldeten Gefängnis unter einer Bande verrückter Weiber zu Tode zu langweilen!«

Als Antwort umarmte Cathérine das junge Mädchen wieder und lachte.

»Das hast du gut gemacht, und ich muß dich um Verzeihung bitten, daß ich mein Wort nicht gehalten habe. Es war nicht so ganz meine Schuld …«

»Das weiß ich wohl! Hauptsache, wir sind zusammen!«

»Nachdem ihr nun genug Höflichkeiten ausgetauscht habt«, unterbrach die spöttische Stimme Abu al-Khayrs, »wäre es recht hübsch, wenn ihr euch daran erinnern wolltet, daß die Zeit drängt und Mansour nicht wartet!«

15

Der schweigende Trupp, der eine halbe Stunde später aus dem Alkazar Genil ritt, hatte nichts mehr gemein mit dem, der kurze Zeit vorher unter der grimmigen Führung Mansours ben Zegris hereingesprengt war. Die dunklen, verschleierten Reiter hatten sich in reguläre Garden des Kalifen verwandelt, ihre schwarzen Selhams waren durch weiße Burnusse ersetzt. Mansour selbst hatte sein goldgesticktes Gewand und den prächtigen Rubin bei Amina zurückgelassen und trug jetzt die Uniform eines einfachen Offiziers. Gauthier und Josse hatten sich unter die Soldaten gemischt. Den beturbanten Helm tief in die Stirn gedrückt, hielten sie sich dicht an eine große Sänfte mit hermetisch geschlossenen Seidenvorhängen, die die Mitte des Zuges bildete.

In dieser Sänfte lag Arnaud, immer noch bewußtlos, unter der sorgsamen Beaufsichtigung Abu al-Khayrs, Catherines und Maries. Die beiden Frauen waren als Dienerinnen aus gutem Haus verkleidet, und während Marie, mit einem Fliegenwedel bewaffnet, den Verwundeten fächelte, begnügte sich Cathérine damit, eine der verbundenen Hände zu halten. Die Hand war fieberheiß, und die ängstliche Cathérine ließ das im Augenblick entschleierte Gesicht mit den geschlossenen Lidern nicht aus den Augen. Denn der schlaue Abu al-Khayr hatte Arnaud prächtige Frauengewänder anziehen lassen, die größten, die man hatte auftreiben können. Eingehüllt in weite Schleier von leichtem nachtblauem, goldgestreiftem Satin, in Pluderhosen und gestickten Pantoffeln, stellte der Ritter die große, ältliche und kranke Dame, für die er gehalten werden sollte, ausgezeichnet dar. Dieser seltsame Aufputz hatte die Nerven Catherines entspannt. Er brachte eine amüsante Note mit sich, die aus der überstürzten Flucht eine Art Seitensprung machte, in der die Liebe mitspielte. Und dann, was vor allem zählte: Sie zogen fort, verließen diese fremde und gefährliche Stadt, aus der zu entkommen sie vor kurzer Zeit noch so wenig Chancen gehabt hatten. Daher fragte sie Mansour, als sie auf der Matratze der Sänfte Platz nahm, ruhig:

»Was werden wir sagen, wenn wir auf die Männer des Kalifen treffen?«

»Daß wir die alte Prinzessin Zeinab, die Großmutter des Emirs Abdallah, der in Almeria herrscht, eskortieren. Sie befinde sich auf dem Rückweg in ihren Palast, nach einem Besuch einer Sultanin, mit der sie schon lange befreundet ist.«

»Wird man uns das glauben?«

»Wer würde es wagen, das Gegenteil zu behaupten?« unterbrach Abu al-Khayr. »Fürst Abdallah, der Vetter des Kalifen, ist so empfindlich, daß der Herr selbst in seinen Beziehungen zu ihm äußerst vorsichtig ist. Almeria ist unser wichtigster Hafen. Und was meine Person betrifft, so ist es ganz normal, daß ein Arzt diese edle Dame begleitet«, schloß er, sich ebenfalls auf den Kissen der Sänfte niederlassend.

Jetzt ritt der Trupp in die Nacht, ohne ein anderes Geräusch als die gedämpften Hufschläge der Pferde. In der nahen Stadt hielt die Unruhe an. Alle Lichter brannten, große Feuertöpfe loderten auf dem Wall, und Granada funkelte in der Dunkelheit wie eine riesige Ansiedlung von Glühwürmchen. Das Bild, das Cathérine, als sie die Vorhänge halb öffnete, begierig und mit einem Gefühl des Triumphes sah, war wunderbar, aber die Schreie und der Tumult, die über die hohen Mauern drangen, gaben ihm eine unheilvolle Note. Da unten wurde gestöhnt, gestorben, Peitschen sausten auf angstgekrümmte Rücken herunter …

Mansours brummende Stimme drang an Catherines Ohr. »Der Kalif rechnet ab! Reiten wir schnell weiter! Wenn man mich erkennt, müssen wir kämpfen, und wir sind nur zwanzig Mann!«

»Ihr vergeßt uns, Seigneur!« sagte Gauthier trocken, der so nahe an der Sänfte ritt, daß Cathérine ihn mit ausgestrecktem Arm hätte berühren können. »Mein Kamerad Josse kann kämpfen. Und was mich betrifft, so behaupte ich, zehn aufzuwiegen.«

Die dunklen Augen Mansours schätzten den Riesen prüfend ab; Cathérine erriet den Schatten eines Lächelns im Ton seiner Stimme, als er ruhig erwiderte: »Gut, sagen wir also, wir sind dreißig und einer, und möge Allah uns beschützen!«

Er ritt wieder zur Spitze der kleinen Kolonne, die bald ins dunkle Land tauchte. Die Feuer von Granada blieben allmählich zurück. Die schlechte, schwer auszumachende Straße stieg an, und unversehens verschwand die Stadt hinter einem Felsvorsprung.

»Der Weg wird beschwerlich werden«, bemerkte Josse auf der anderen Seite der Sänfte. »Wir werden hohe Berge überwinden müssen. Andererseits werden wir uns dann leichter verteidigen können.«

Ein scharfer Befehl peitschte durch die Nacht, und der Trupp hielt an. Beunruhigt schob Cathérine den Vorhang auseinander, nachdem sie Arnaud einen ängstlichen Seitenblick zugeworfen hatte. Aber er schlief noch immer, glücklicherweise teilnahmslos gegenüber den Ereignissen draußen. Der Felsvorsprung war zurückgeblieben. Granada war wieder sichtbar geworden. Auch das Palais Aminas, wo die Lampen auf den Zinnen der weißen Mauern brannten. Die Stimme Mansours, von unwillkürlicher Unruhe bebend, drang an Catherines Ohren.

»Es war höchste Zeit! Seht!«

Ein Reitertrupp in weißen Mänteln, Fackeln in den Händen, die Funken in die Nacht sprühten, sprengte in sausendem Galopp über die römische Brücke und hielt in einer Staubwolke vor dem Portal des Alkazar Genil. An der Spitze schimmerte die grüne Standarte des Kalifen. Der ganze Trupp stürzte sich in die breite, geöffnete Pforte … Cathérine schauderte. Es war wirklich höchste Zeit gewesen; ein paar Minuten länger im Palast, und alles hätte wieder von vorn begonnen: der Alpdruck, die Angst und zum Schluß der Tod!