Als Cathérine sich vom Pferd gleiten ließ, landete sie beinahe in den Armen Gauthiers. Er packte sie und hob sie hoch empor, von so heftiger Freude ergriffen, daß er seine übliche Zurückhaltung vergaß.

»Am Leben!« rief er. »Und frei! … Odin und der siegreiche Thor seien gelobt, die Euch uns wiedergegeben! Seit Tagen leben wir schon nicht mehr!«

Sie jedoch konnte ihre Ungeduld und Unruhe nicht zügeln.

»Arnaud? Wo ist er?«

»Ganz nahe. Man pflegt ihn …«

»Er ist nicht …« Sie wagte nicht fortzufahren. Sie sah wieder Gauthier, wie er die Pfeile aus den durchbohrten Händen riß und das Blut sprudelte, sah den reglosen Körper, den der Normanne sich über die Schulter warf.

»Nein. Er ist durch den Blutverlust natürlich geschwächt. Maître Abus Pflege wird sehr willkommen sein.«

»Gehen wir hin!« sagte der Arzt, dessen Turban, als er von seinem Riesenroß heruntergepurzelt war, gefährlich aus dem Gleichgewicht geraten war. Er nahm Cathérine an der Hand und folgte Gauthier durch einen riesigen, mit herrlichen Intarsienarbeiten Tausender leuchtender Blumen verzierten Saal und durch eine Galerie mit kleinen gewölbten Fensteröffnungen. Die Schwarzen Marmorfliesen schimmerten wie ein nächtlicher Weiher um das vielfarbige Inselmeer der dicken Teppiche. Dahinter öffnete sich ein kleinerer Raum. Dort lag Arnaud auf einer Seidenmatratze, neben ihm standen eine unbekannte Frau und Josse, der sich, immer noch in seiner militärischen Kleidung, über ihn beugte. Als der Pariser Cathérine kommen sah, lächelte er ihr breit zu, aber Cathérine ließ sich, ohne ihm oder der Frau Beachtung zu schenken, neben ihrem Gatten auf die Knie fallen.

Er war ohne Bewußtsein, seine Züge waren abgespannt und sehr blaß, und unter seinen geschlossenen Augen lagen tiefe Ringe. Das Blut von seinen verwundeten Händen hatte die mandelgrüne Seide der Matratze und den dicken Teppich des Bodens befleckt, lief aber nicht mehr. Der Atem ging kurz, schwach.

»Ich glaube, daß er leben bleiben wird!« sagte neben Cathérine eine ernste Stimme. Als die junge Frau den Kopf wandte, traf sie auf einen dunklen, tiefen Blick, der ihr unergründlich schien. Als sie die Frau ansah, die das Wort an sie gerichtet hatte, bemerkte sie, daß sie jung und sehr schön war, mit einem Gesicht, dessen Armut den Stolz nicht ausschloß, auf dessen goldfarbene Haut aber fremdartige dunkelblaue Zeichen gemalt waren. Catherines Überraschung erratend, lächelte die Frau sie kurz an.

»Alle Frauen des Großen Atlas sehen so aus«, sagte sie. »Ich bin Amina. Komm mit mir. Wir müssen den Arzt mit den Verwundeten allein lassen. Abu al-Khayr läßt sich nicht gerne von Frauen bei seiner Arbeit stören.«

Cathérine mußte lächeln. Nicht nur, weil Aminas Liebenswürdigkeit ansteckend war, sondern weil ihre Worte sie an ihre erste Begegnung mit dem kleinen maurischen Arzt erinnerten, in dem Wirtshaus an der Straße von Péronne, als er Arnaud, den Cathérine und ihr Onkel Mathieu am Straßenrand verwundet angetroffen hatten, zum erstenmal behandelt hatte. Sie kannte das außerordentliche Geschick ihres Freundes. So ließ sie sich widerstandslos fortführen, um so mehr, als Gauthier ihr erklärte:

»Ich bleibe bei ihm …«

Die beiden Frauen setzten sich an den Rand des schmalen Wasserlaufes, der sich durch den Garten schlängelte. Zwei Rosenbeete säumten ihn, und kleine Springbrunnen plätscherten da und dort, so eine köstliche Frische erzeugend, in der sich die Müdigkeit und Hitze des Tages verflüchtigten. Seidenkissen, in den Farben der Blumen ausgewählt, waren auf dem steinernen Brunnenrand neben goldbronzenen Lampen und großen goldenen Tabletts mit Feingebäck und Früchten aller Art aufgehäuft. Amina lud Cathérine ein, neben ihr Platz zu nehmen, nachdem sie mit einem kurzen Wort ihre Frauen entlassen hatte, deren zarte Schleier langsam im Haus oder im Schatten des Gartens verschwanden.

Längere Zeit schwiegen die beiden Frauen. Erschöpft von dem, was sie erlebt hatte, genoß Cathérine unbewußt den Frieden, von dem dieser schöne Garten erfüllt war, die Heiterkeit und Ruhe, die von der neben ihr sitzenden Frau ausgingen. Nach den grausamen Qualen, nachdem sie hundertmal geglaubt hatte, vor Angst, Kummer und Schmerz sterben zu müssen, kam Arnauds Frau sich wieder wie im Paradies vor. Der Tod, die Angst, selbst die Unruhe waren verflogen. Gott konnte Arnaud nicht so wunderbar gerettet haben, um ihn sogleich wieder zu sich zu holen. Man würde ihn heilen, ihn retten … Dessen war sie sicher!

Ihre unfreiwillige Besucherin betrachtend, achtete die Sultanin ihre Träumerei, bevor sie auf die großen Tabletts deutete.

»Du bist sicherlich müde und erschöpft«, sagte sie liebenswürdig. »Ruhe dich aus und iß!«

»Ich habe keinen Hunger«, entgegnete Cathérine mit der Andeutung eines Lächelns. »Dagegen hätte ich gern gewußt, wie ich hierherkomme? Was ist passiert? Kannst du mir sagen, die du mich so großmütig aufnimmst?«

»Warum sollte ich mich dir gegenüber nicht liebenswürdig erweisen? Weil mein Herr seine zweite Gattin aus dir machen wollte? Unser Gesetz gibt ihm das Recht auf so viele Gattinnen, wie er wünscht, und … wenn du an meine persönlichen Gefühle denkst, schon seit langem flößt er mir nur noch Gleichgültigkeit ein.«

»Trotzdem sagt man, ihr seid noch sehr miteinander verbunden.«

»Nur äußerlich. Vielleicht hängt er in Wirklichkeit an mir, aber seine unglaubliche Schwäche für Zobeida, die Leichtigkeit, mit der er ihre schlimmsten Zügellosigkeiten duldete, ihre Verbrechen, selbst die Mordversuche, die sie gegen mich unternommen hat, dies hat langsam die Liebe in meinem Herzen getötet. Du bist mir willkommen, Licht des Morgens, und dies um so mehr, da ich weiß, was du gelitten hast. Es ist edel und schön, daß eine Frau soviel Leid für den Mann, den sie liebt, auf sich nimmt. Dein Lebensweg hat mich beeindruckt. Daher habe ich zugestimmt, Abu al-Khayr bei seinem Plan zu helfen.«

»Entschuldige, wenn ich meine Frage wiederhole, aber was hat sich eigentlich zugetragen?«

Ein belustigtes Lächeln entblößte die kleinen weißen Zähne Aminas. Sie hatte einen neben ihr liegenden Fächer aus feinen bemalten und vergoldeten Palmblättern ergriffen und bewegte ihn sanft mit ihren schmalen, hennagefärbten Fingern hin und her.

»In diesem Augenblick ist der Seigneur Mansour ben Zegris im Begriff, Mohammed den Thron von Granada zu entreißen.«

»Aber … warum?«

»Um mich zu rächen. Er glaubt, ich liege im Sterben. Nein, schau mich nicht so entsetzt an«, fuhr Amina mit einem kurzen Lachen fort, »ich fühle mich wohl, aber Abu, der Arzt, hat das Gerücht in Umlauf gesetzt, der Großwesir, wahnsinnig vor Schmerz über den Tod Zobeidas, habe mich vergiften lassen, damit ich meine Feindin ins Reich der Toten begleite und nicht Muße habe, mich am Tod der Prinzessin zu weiden.«

»Und Mansour ben Zegris hat das geglaubt?«

»Heute morgen ist er wie ein Verrückter hier hereingestürzt. Er traf meine Frauen an, wie sie ihre Schleier zerrissen, meine Dienerinnen stießen Klageschreie aus, und ich lag auf meinem Bett, blaß wie der Tod.« Sie unterbrach sich, um Cathérine zuzulächeln. Und da sie die Frage voraussah, die kommen würde: »Abu al-Khayr ist ein großer Arzt. Mansour hat mich übrigens nur von ferne gesehen und keinen Augenblick gezweifelt. Von diesem Augenblick an war der Angriff auf die Alhambra beschlossene Sache. Abu, der Mansour gut kennt, hat ihm eingeredet, die Stunde der Hinrichtung sei der günstigste Zeitpunkt für den Angriff, da der Kalif, sein Hof und ein Teil seiner Truppen außerhalb der Festung sein würden. So wurde alles beschlossen, und als die Trommeln der königlichen Moschee Alarm schlugen, hat Abu al-Khayr durch sein Gähnen das mit deinen Dienern verabredete Zeichen gegeben. Das übrige kennst du …«

Diesmal hatte Cathérine verstanden. Abu hatte einen Aufstand angezettelt, indem er Mansour aufwiegelte, um im Schutze der allgemeinen Unruhe die Flucht des Verurteilten bewerkstelligen zu können.

»Gott sei gelobt«, seufzte sie, »daß er meinem Gatten die Kraft gab, so viele Leiden auszustehen, ohne daran zu sterben!«

Die dünne Stimme des kleinen Arztes erhob sich hinter Cathérine und veranlaßte sie, sich umzudrehen. Seine Ärmel wieder auf die frisch gewaschenen Hände herunterrollend, nahm Abu al-Khayr auf den Kissen Platz.

»Er ist viel weniger schwach, als anzunehmen war und sein Verhalten glauben machte, meine Freundin, aber diese Täuschung mußte sein!« sagte er, während er mit den Fingerspitzen vorsichtig ein von Honig triefendes Stück Kuchen nahm und es sich, ohne einen Tropfen fallen zu lassen, in den Mund schob.

»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte Cathérine unwillkürlich auf französisch.

»Daß er nicht viel gegessen hat, aber ein wenig hat trinken können, dank Josse, der im Ghafar aufpaßte, und, besonders, daß er geschlafen hat. Wie hat dir in letzter Zeit die Rosenkonfitüre geschmeckt?«

»Ausgezeichnet, aber ich dachte, die Wachen hatten Befehl, den Gefangenen um jeden Preis am Schlafen zu hindern, und der Großkadi habe Männer zu ihm geschickt, um sich dessen zu vergewissern.«

Abu al-Khayr lachte.

»Wenn ein Mensch so tief schläft, daß nichts und niemand ihn aufwecken kann, und wenn man den Auftrag hat, ihn daran zu hindern, dann ist es das beste, diesen Umstand zu vertuschen, sofern man nicht bestraft oder lächerlich gemacht werden will. Die Männer des Kadis hängen an ihrem Kopf wie jeder andere Sterbliche auch. Dein Gatte hat drei volle Nächte schlafen können.«

»Aber nicht dank der Rosenkonfitüre?«

»Nein. Dank des Wassers, das Josse ihm in einem unter seinem Turban versteckten kleinen Schlauch brachte. Gewiß, man hat ihm nicht viel zu trinken geben können, aber es hat genügt, ihn bei klarem Bewußtsein zu halten.«