Der flehende Blick Catherines suchte den Abu al-Khayrs, aber der kleine Arzt hatte sich nicht gerührt. Bestimmt schlief er fest; das Herz der jungen Frau wurde schwer vor Gram: Er ließ sie im grausamsten Augenblick im Stich! Er war wie viele: Das Leben war ihm teurer als die Freundschaft …

Indessen kniete ein Sklave vor ihr nieder und hob eine goldene Platte, auf der der Dolch der Montsalvy unheilverkündend blitzte. Cathérine ergriff ihn begierig. Er schmiegte sich ganz natürlich in ihre Hand wie ein zutraulicher Vogel. Endlich hatte sie Arnauds und ihre Errettung in der Hand!

Sich in voller Größe aufrichtend und Mohammed mit funkelnden Augen trotzend, riß sie sich mit herausfordernder Bewegung den goldenen Schleier vom Gesicht.

»Ich bin weder deiner Rasse noch deines Glaubens, Sultan! Vergiß das nicht!«

Dann wandte sie sich stolz auf den Fersen um und schritt auf das Gerüst zu. Die Stunde ihres größten Triumphes war gekommen! In einem Augenblick würden ihre Seele und die ihres Gatten sich vereinen und zu der Sonne aus Gold und Purpur aufsteigen, die den Platz in Flammen hüllte, unbeschwerter noch als die schwarzen Vögel, die hoch oben am Himmel auftauchten …

Die Menge schwieg, von der schönen Frau gebändigt, die, den Tod in der Hand, auf den Gekreuzigten zuschritt … Ein herrlicher und seltener Anblick, der für dieses Volk einer verfeinerten Zivilisation das barbarische Vergnügen einer Hinrichtung wohl lohnend machte.

Aber Arnaud am Kreuz hatte den Kopf gehoben. Sein merkwürdig klarer und freier Blick kreuzte sich mit dem Catherines, um sich dann auf den Kalifen zu richten.

»Ich lehne diese angebliche Gunst ab, Seigneur Sultan! Der schnelle Tod, den ich nach deinem Wunsch von dieser Frau empfangen soll, bedeutet ebenso Entehrung und Schande! Welcher Ritter, der seines Namens würdig ist, würde es hinnehmen, von einer Frau getötet zu werden? Und, schlimmer noch, von der eigenen! Denn außer meiner Entehrung willst du ihr auch noch dein Verbrechen aufbürden, indem du sie zur Mörderin ihres Gatten machst! Hört mich, ihr Leute!« Die Stimme des Gemarterten schwoll an, rollte wie Donner über die Menge. »Diese mit Gold beladene Frau, diese Frau, die euer Sultan heute nacht in sein Bett nehmen will, ist meine Gemahlin, die Mutter meines Sohnes! Indem er mich tötet, macht er sie frei! Wißt weiter, daß ich Zobeida ihretwegen getötet habe, um sie vor Folterung und Vergewaltigung zu schützen, auf daß die, welche meinen Sohn getragen hat, nicht von schmutzigen Sklaven besudelt werde! Ich habe Zobeida getötet und bin stolz darauf! Sie verdiente nicht zu leben! Aber ich weigere mich, von der Hand einer Frau zu sterben! Entferne dich, Cathérine …«

»Arnaud!« bat die junge Frau bestürzt. »Ich flehe dich an … im Namen unserer Liebe!«

»Nein! Ich befehle dir, dich zurückzuziehen … wie ich dir befehle zu leben … für deinen Sohn!«

»Leben? Weißt du, was das heißt? Laß mich zustoßen, sonst …« Doch zwei Wachen waren der jungen Frau gefolgt und packten sie an den Händen.

Mohammed hatte erraten, daß sie sich töten würde, nachdem sie Arnaud getötet hatte. Ihr Zornesschrei wurde von Arnauds Stimme überdeckt, die jetzt schwächer klang, denn seine Qualen benahmen ihm den Atem, doch immer noch unerbittlich, immer noch voll unbeugsamen Willens:

»Laß deine Henker kommen, Kalif! Ich werde dir zeigen, wie ein Montsalvy stirbt! Gott schütze meinen König und sei meiner Seele gnädig!«

Kraftlos kniete Cathérine im Sand der Arena nieder.

»Ich will mit dir sterben! Ich will! …«

Auf ein gereiztes Zeichen des Kalifen kehrten die Folterknechte zu ihren Werkzeugen zurück. In der Menge rauschte es wie anschwellende Dünung. Man sprach über die mutigen Worte des Verurteilten, war erstaunt, zeigte sogar fast Mitleid … Und plötzlich dröhnten hinter den roten Mauern der Alhambra die Trommeln von neuem …

Alle Köpfe hoben sich, alle Bewegung erstarrte, denn diese Trommelschläge waren mit den vorhergegangenen nicht zu vergleichen: Heftig, schnell, waren sie eine Art wütendes Sturmläuten. Gleichzeitig brachen in der Palastfestung Geheul, Wehklagen, Wutschreie, Schmerzensschreie oder Siegesrufe aus. Der Kalifenhof und die riesige Menge, starr vor Verblüffung, warteten, ohne eigentlich zu wissen, auf was, aber auf der Tribüne hatte Abu al-Khayr sich endlich entschlossen, sich zu rühren. Ohne sich um das Protokoll zu kümmern, gähnte er mit weit offenem Mund …

Sofort gab Josse seinem nervösen Pferd, das er nur mit Mühe im Zaume gehalten hatte, die Zügel frei, so daß es davongaloppierte und fürchterliche Verwirrung in den Reihen der Wachen anrichtete. Und Gauthier, seine verblüfften Nachbarn niederwerfend, hieb auf die Wachen ein, die die Menge von der Seite zusammenhielt, und rannte zum Schafott. Der Riese raste. Von dem heiligen Furor mitgerissen, der sich seiner in der Stunde des Kampfes bemächtigte, warf er in wenigen Augenblicken die Wachen Catherines, die Henkersknechte und selbst den riesigen Békir zu Boden, der, seine Zähne ausspuckend, unter die Füße des sich bäumenden Pferdes von Josse rollte, dessen ausschlagende Hufe einige Schädel einschlugen. Sprachlos fühlte Cathérine, daß man sie an der Hand zog.

»Komm!« sagte neben ihr die ruhige Stimme Abu al-Khayrs. »Da ist ein Pferd für dich.«

Gleichzeitig riß er ihr den goldenen Schleier herunter und warf ihr einen dunklen Mantel über, den er wie durch Zauberei unter seinem Gewand hervorgezogen hatte.

»Aber … Arnaud!«

»Laß Gauthier nur machen!«

Tatsächlich riß der Riese jetzt die Pfeile, die Arnaud an das Kreuz nagelten, heraus, warf sich den reglosen Körper wie ein Paket über die Schulter und rutschte die Leiter des Schafotts hinunter. Josse, der sein Pferd langsam wieder in die Gewalt bekommen hatte, war plötzlich zur Stelle, am Zügel neben sich ein zweites, besonders kräftiges Pferd führend, ein schweres Schlachtroß mit breiter Kruppe. Der Riese bestieg es trotz seiner Last mit außerordentlicher Behendigkeit, preßte dann die Knie zusammen und drückte die Sporen, die er unter seinem Gewand trug, dem großen Roß in die Weichen. Das schoß wie eine Kanonenkugel davon, quer durch die in einem wüsten Durcheinander wogende Menge, und kümmerte sich nicht um die Leiber, die es unter seinen Hufen zertrampelte …

»Du siehst«, sagte die ruhige Stimme des kleinen Arztes, »er braucht uns nicht.«

»Aber was ist denn los?«

»Keine große Sache: eine Art kleine Revolution! Ich werde es dir erklären. Auf jeden Fall hat unser Kalif im Augenblick andere Sorgen. Komm, jetzt ist der richtige Augenblick. Niemand beschäftigt sich mit uns.«

In der Tat, auf dem Platz herrschte die größte Verwirrung. Man schlug aufeinander ein. Die Menge der Frauen, Kinder, Possenreißer, Greise und kleinen Händler floh in alle Richtungen, versuchte, nicht immer mit Erfolg, den Hufen der aufgeregten Gäule auszuweichen. Die Palastwachen waren in ein Handgemenge mit einem Trupp schwarzgekleideter und verschleierter Reiter geraten, der plötzlich, niemand wußte, woher, aufgetaucht war. Auch auf den Tribünen schlug man sich, und Cathérine konnte sehen, daß Mohammed tapfer seinen Part in diesem kriegerischen Konzert spielte. Todesröcheln mischte sich mit Wutschreien, mit dem Stöhnen Verwundeter. Die schwarzen Vögel am malvenfarbenen Himmel hatten ihre Kreise verengt und flogen jetzt tiefer.

Der Mittelpunkt des Wirbels, der Befehlshaber der schwarzen Reiter, um den sich einige verschleierte Männer geschart hatten, die bis dahin teilnahmslos in der Menge gestanden hatten, war ein großer, hagerer Mann dunkler Hautfarbe, auch schwarz gekleidet, aber mit unverhülltem Gesicht und einem fabelhaften Rubin am Turban. Sein Krummschwert sauste nach allen Seiten, schlug Köpfe ab wie die Sense des Schnitters die Ähren des Korns. Das letzte, was Cathérine noch sehen konnte, während Abu al-Khayr sie mitzog, nachdem er sie auf ein Pferd gesetzt hatte, war der Tod des Großwesirs. Das Krummschwert des Reiters schnitt ihm den Kopf ab, der einen Augenblick später am Sattel seines Besiegers hing. Auf der königlichen Moschee der Alhambra schlugen Allahs Trommeln immer noch …

Die Stadt war wahnsinnig geworden. Während Abu al-Khayr, der auch ein Pferd bestiegen hatte, ihren Weg durch die weißen Gassen mit den blinden Mauern verfolgte, konnte Cathérine Szenen sehen, die sie an das Paris ihrer Kindheit erinnerten. Überall schlugen sich die Menschen, überall rann Blut. Es war gefährlich, unter einem Flachdach durchzureiten, denn es regnete Wurfgeschosse jeder Art, und manchmal löste sich aus der rasenden Menge die unheimliche Gestalt eines der fremden verschleierten Reiter. Ein Krummschwert blitzte dann unter den Öllampen auf, denn die Nacht brach an, und es folgte ein Todesschrei. Aber Abu al-Khayr hielt nicht an.

»Beeilen wir uns«, sagte er immer wieder. »Es kann sein, daß die Stadttore früher geschlossen werden.«

»Wohin führst du mich denn?« fragte Cathérine.

»Wohin der Riese deinen Gatten geführt haben muß. In den Alkazar Genil, zu der Sultanin Amina.«

»Aber warum?«

»Nur noch etwas Geduld. Ich sagte dir doch, daß ich es dir erklären werde. Schneller, schneller! …«

Der Höllenlärm, die Schreie, die Gefahr schienen die tiefe Freude, die Cathérine empfand, nicht dämpfen zu können! Sie war frei, Arnaud war frei! Das ganze Szenarium der Hinrichtung war verschwunden, und der muntere Schritt des Pferdes war im Gleichklang mit den freudigen Schlägen ihres Herzens! Schließlich fielen sie in Galopp, ohne sich darum zu kümmern, wen sie niederritten. Das Südportal, das glücklicherweise noch offen war, wurde in sausendem Galopp durchritten, dann klapperten die Hufe der Pferde auf der kleinen römischen Brücke, die über die schäumenden, klaren Wasser des Gebirgsbaches führte. Bald tauchte neben der weißen Kuppel einer kleinen Moschee ein breiter Wall aus Blattwerk auf, der eine Art Turm mit einem Aufsatz und zwei Pavillons sowie einen Portalvorbau aus schlanken Säulchen umschloß. Phantomhafte Gestalten, wahrscheinlich die Wachen, schritten vor dem Portal auf und ab, das sich sofort öffnete, als Abu al-Khayr, die Hände zum Sprachrohr um den Mund gewölbt, einen eigenartigen Ruf ausstieß. Ohne die Geschwindigkeit zu verlangsamen, sprengten die beiden Pferde und ihre Reiter durch das Portal und kamen erst vierzig Fuß dahinter vor blühenden Jasminbüschen zum Stehen. Hinter ihnen wurden die schweren Türen des Landsitzes wieder zugestoßen und versperrt.