Dann wanderten die Augen Abu al-Khayrs zu einer Gruppe maurischer Reiter weiter hinten, und Cathérine erkannte unter einem vergoldeten Spitzhelm Josse. Allerdings mit einiger Mühe. Sonnengebräunt wie seine Kameraden, das Gesicht von einem schwarzen Bärtchen umrahmt, steif in seinem verzierten Sattel sitzend, die Lanze in der Faust, bot der Pariser einen ebenso wilden und militärischen Anblick wie seine Kameraden. Nichts unterschied ihn von den anderen Reitern, und Cathérine bewunderte die Kunst, mit der der einstige Strolch seine Rolle spielte. Augenscheinlich interessierte er sich nicht für das, was vor ihm vorging, war ganz damit beschäftigt, sein Pferd in Reih und Glied zu halten. Tatsächlich schien das Tier außerordentlich nervös zu sein, tänzelte auf der Stelle und hätte ohne die Fertigkeit seines Reiters zweifellos einige Unordnung verursacht.
Der Anblick ihrer drei Freunde belebte Catherines Hoffnungen. Sie wußte, daß sie mutig, ergeben und zu allem bereit waren, sie zu retten, sie und Arnaud, und diese Entschlossenheit, die sie in ihnen fühlte, riß sie mit … Durfte man mit solchen Männern wirklich verzweifeln?
Eine lange Zeremonie folgte der Ankunft der Leiche der Prinzessin. Es gab Gesänge, feierliche Tänze, die unendlich lange Ansprache eines imposanten Greises mit schneeweißem Bart, groß und hager wie eine Pappel im Winter, dessen Augen unter buschigen weißen Brauen in einem fanatischen Feuer brannten. Cathérine wußte bereits, daß es der Großkadi war, und grub die Nägel in ihre Hände, als sie hörte, wie er den Zorn Allahs und des Kalifen auf den Ungläubigen herunterrief, der es gewagt hatte, seine frevelhafte Hand gegen einen Nachkommen des Propheten zu erheben. Als er endlich nach einer Verwünschung schwieg, dämmerte es Cathérine, daß die Sterbestunde für Arnaud und sie gekommen war, und der schwache Hoffnungsschimmer, den die Anwesenheit ihrer Freunde wieder entfacht hatte, schwand … Was konnten sie schon ausrichten, drei gegen so viele? Da waren die Menge, der Hof, die Soldaten … und soviel Haß gegen den Ungläubigen, soviel wilde Freude über seinen nahenden Tod! … Es blieb nur noch Gott! Still richtete Cathérine ein inständiges Gebet an den Herrn, die Jungfrau von Puy, deren Schutz sie erfleht hatte, an den heiligen Jakob von Compostela.
»Noch einige Streiter mehr, mein Gott«, bat sie flehentlich. »Nur einige Streiter mehr, die Mut zum Zuschlagen haben!« Oben, hinter dem Festungswall, hatten die Trommeln wieder zu dröhnen begonnen. Cathérine erbebte, in diesem langsamen Rollen schien ihr eine Drohung zu liegen, sie klangen wie die Schläge eines sterbenden Herzens. In diesem Augenblick traten die Henker des Kalifen jeweils zu zweit durch die Pforten des Palastes. Sie waren imposant, sehr muskulös, schwarz wie eine mondlose Nacht. Sie trugen blaue Hemden mit aufgekrempelten Ärmeln und gelbe, rotbestickte Pluderhosen. Mit einer Menge sonderbarer Werkzeuge beladen, die Cathérine erblassen ließen, zogen sie eine Kette um den Platz und trieben die Menge zurück, die die Wachen schlecht im Zaume halten konnten. Gleichzeitig hatte ein Trupp halbnackter Sklaven vor der Tribüne Mohammeds eiligst ein Gerüst errichtet, auf das sie ein Holzkreuz pflanzten, ähnlich dem, das einst auf einem Hügel Jerusalems errichtet worden war, nur viel niedriger, damit die mit der Folterung des Verurteilten beauftragten Henker ihr Werk verrichten konnten. Dann brachten die Sklaven eiserne Kohlenöfen, in die die Folterknechte eine ganze Sammlung von Eisengeräten, Zangen und Kneifzangen schoben. Die faszinierte Menge hielt bei diesen makabren Vorbereitungen den Atem an, aber sie empfing mit lauten Hochrufen einen riesigen, buckligen Neger, dürr wie ein Ebenholzstumpf, der vortrat, über die Schulter den Sack geschwungen, in den er nach Beendigung der Hinrichtung den Kopf des Opfers stecken würde, um ihn dem Kalifen vorzulegen, ehe er auf dem Turm der Gerechtigkeit aufgepflanzt wurde. Es war Békir, der Oberhenker, eine wichtige Persönlichkeit, wie sein purpurseidenes, silberbesticktes Gewand deutlich machte. Er stieg feierlichen Schrittes auf das Gerüst, blieb dort unbeweglich stehen, warf sich in Positur und verschränkte die Arme, um den Verurteilten zu erwarten.
Wieder ein Trommelwirbel. Cathérine war unter ihren goldenen Schleiern dem Ersticken nahe. Sie biß sich in die Hand, um nicht laut aufzuschreien, die Nerven bis zum äußersten gespannt. Ihr bestürzter Blick suchte den Abu al-Khayrs, aber der kleine Arzt, das Kinn auf der Brust und im rechten Winkel dazu sein absurder Turban, schien zu schlafen. Er sah so zerbrechlich, so einsam inmitten dieser überreizten Menschen aus, daß Cathérine völlig den Kopf verlor. Würden er und die beiden anderen nicht etwas unternehmen? Es wäre Wahnsinn, denn keiner von ihnen würde lebend davonkommen! Es war unmöglich! … Nein! Besser sterben! Aber schnell …! Sie betrachtete die Menge.
Unten behielt Gauthier seine statuenhafte Unbeweglichkeit bei, aber Cathérine sah, wie er sich straffte, als die Pforten der Alhambra zum dritten Mal knarrten. Am Fuße der roten Mauern, zwischen den riesigen, eisenbeschlagenen Flügeln, erschien der Verurteilte …
Unfähig, sich zu beherrschen, richtete Cathérine sich mit einem Entsetzensschrei auf. Bleich und fast nackt, abgesehen von einem um die Lenden geschlungenen Tuch und den schweren Ketten, mit denen er gefesselt war, torkelte Arnaud wie ein Betrunkener in die Sonne. Die Arme auf dem Rücken zusammengebunden, das Gesicht vom Bart überwuchert, die Augen verstört, versuchte er trotz allem verzweifelt, in dieser letzten Minute gute Figur zu machen. Aber er stolperte über einen Stein und fiel auf die Knie. Die ihn umgebenden Wachen mußten ihn wieder auf die Füße stellen. Der Mangel an Schlaf und Nahrung hatte seine Arbeit getan, und die Wachen mußten den Verurteilten den Abhang hinunter stützen.
An Cathérine geklammert, versuchte Morayma verzweifelt, sie zum Niedersitzen zu bewegen, aber die in ihrem furchtbaren Schmerz erstarrte junge Frau hörte nicht hin und sah nichts als diesen langen braunen Körper, den die Mauren zur Hinrichtung führten. Jetzt hatte sich der düstere Blick Mohammeds auf die junge Frau geheftet. Morayma flehte ganz leise:
»Ich bitte dich inständig, Licht des Morgens, komm zur Besinnung. Der Herr sieht dich an.«
»Wie? Soll er mich doch ansehen!« zischte die junge Frau durch die Zähne. »Was macht das schon!«
»Sein Zorn kann sich noch heftiger gegen den Verurteilten richten«, flüsterte die alte Jüdin ängstlich. »Glaube mir! Trotze ihm nicht offen! Die Mächtigen zahlen ihre Demütigungen grausam heim. Man weiß das in meinem Volk.«
Cathérine antwortete nicht, hatte aber verstanden. Wenn der Kalif ihr in seinem Zorn die furchtbare Gunst wieder entzöge, die er ihr aufgezwungen hatte? Wenn er sie daran hinderte, die entsetzlichen Qualen ihres Geliebten abzukürzen, die das häßliche Arsenal der Folterwerkzeuge der Henker voraussehen ließ? Langsam setzte sie sich wieder auf ihren Platz, aber sie zitterte am ganzen Leib. Ihr war, als sei sie im Begriff zu sterben, und sie versuchte, mit aller Kraft gegen die Schwäche anzukämpfen, die sie befiel. Doch ihre ganze Seele, ihr ganzes Leben war in ihren Augen konzentriert, die sich fest auf den todgeweihten Mann richteten.
Die Henkersknechte hoben ihn auf das Gerüst, richteten ihn am Kreuz auf, die Hände offen an den Querbalken gelegt, doch ohne sie festzubinden. Alsbald zischte etwas durch die Luft, was die Menge mit Freudenrufen und Arnaud mit einem schweren Stöhnen quittierte. Am Fuße der Kalifentribüne postiert, hatten zwei Bogenschützen angelegt, und ihre Pfeile, mit teuflischer Präzision abgeschossen, hatten sich genau in die Mitte der geöffneten Hände gebohrt und sie ans Kreuz genagelt. Arnaud war erblaßt, während der Angstschweiß ihm die Wangen herunterrann. Die »Ju! … Ju!«-Rufe der hysterischen Frauen erfüllten die laue Luft, der die untergehende Sonne einen veilchenblauen Schimmer gab. Cathérine war erneut mit einem Schrei aufgesprungen. Einer der Henkersknechte zog aus einem Kohlenofen einen langen, im Feuer geröteten Eisenstab und ging jetzt auf den Verurteilten zu, von den begeisterten Rufen des Volkes angespornt.
Wutentflammt riß Cathérine sich von Morayma los, die vergebens versuchte, sie zurückzuhalten, stieg in die Arena hinunter und stellte sich direkt vor Mohammed auf. Sofort schwieg die Menge, und der Henkersknecht hielt vor Erstaunen in seinem Tun inne. Was wollte diese in Gold gekleidete Frau, von der es in der ganzen Stadt hieß, daß der Kalif sie noch am selben Abend heiraten werde? Catherines Stimme hob sich, durchdringend, anklagend:
»Ist es das, Kalif, was du mir versprochen hast? Willst du so dein Wort halten? Sofern du überhaupt weißt, was das heißt?« Sie hatte französisch gesprochen, in einem letzten Bemühen, diesen Mann, der sie in der Hand hatte, rücksichtsvoll zu behandeln. Wenn sie ihn vor seinem Volk demütigte, hätte dies sicher entsetzliche Folgen … Aber ein dünnes Lächeln umspielte die Lippen des blondbärtigen Kalifen.
»Ich wollte nur sehen, wie du darauf reagieren würdest, Licht des Morgens. Du kannst den Schritt tun, den ich dir erlaubt habe, wenn dies dein Wunsch ist …«
Er erhob sich, beherrschte mit seinem gebieterischen Blick die wartende Menge:
»Hört, getreue Untertanen des Königreichs Granada! Heute abend wird die Frau, die ihr an meiner Seite seht, meine Gemahlin. Sie besitzt mein Herz, und ich habe ihr als Hochzeitsgeschenk das Vorrecht gewährt, mit eigener Hand den Mörder meiner geliebten Schwester zu töten. Es ist gerecht, daß der, welcher eine Frau getötet hat, durch die Hand einer Frau stirbt!«
Das enttäuschte Grollen des Volkes dauerte nur einen Augenblick. Die vor der Tribüne aufgestellte Kompanie Bogenschützen hatte ihre Bogen gehoben. Man protestierte nicht, wenn der Kalif gesprochen hatte.
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