»Ihr seid außer Gefahr, Messire«, sagte Sergeant Béraud zu Gerbert. »Legt Euch jetzt schlafen, und laßt diesen Leuten ihr Vergnügen. Sie tun nichts Schlechtes.« Dann wandte er sich an Cathérine: »Dame, wir haben nach Eurem Wunsch gehandelt. Begleiten wir Euch nun in die Herberge zurück?«

»Geht ohne mich!« antwortete die junge Frau. »Ich bin noch nicht müde.«

»Wenn ich richtig verstanden habe, verdanke ich Euch dieses Einschreiten?« fragte Bohat schroff, während die Bewaffneten sich entfernten. »Habe ich Euch etwa um Hilfe gebeten?«

»Dafür seid Ihr viel zu hochmütig! Ich glaube im Gegenteil, daß Ihr Euch mit Vergnügen hättet verprügeln lassen. Aber ich habe Euch in Schwierigkeiten gesehen und gedacht …«

»Wenn die Frauen sich schon aufs Denken verlegen!« seufzte Bohat in so verächtlichem Ton, daß Cathérine von Zorn überwältigt wurde. Dieser Mann war nicht nur sonderbar, er war ganz offen widerwärtig. Und sie scheute sich auch nicht, es ihm zu sagen.

»Ich gestehe, daß sie oft Dummheiten begehen, besonders, wenn sie sich einmischen, um das Leben eines bemerkenswerten männlichen Intellekts zu retten. Tatsächlich, Messire, bitte ich Euch, mein Bedauern und meine Entschuldigung entgegenzunehmen. Es wäre viel besser gewesen, wenn ich friedlich am Fenster geblieben wäre und zugesehen hätte, wie Ihr Euch am Kirchenportal aufführtet, wonach ich mich in der Gewißheit, daß Ihr zum Heil des christlichen Glaubens gestorben seid, hätte beruhigt schlafen legen sollen, nicht, ohne einige Vaterunser für die Ruhe Eurer großen Seele gebetet zu haben! Aber, da das Übel nun einmal geschehen ist, erlaubt, daß ich Euch verlasse! Gute Nacht, Messire Gerbert!«

Schon drehte sie sich auf dem Absatz herum, als er sie zurückhielt.

Dieser sarkastische Ausbruch hatte ihn verblüfft, und als Cathérine sich zu ihm zurückwandte, konnte sie keine Spur von Zorn auf seinem Gesicht entdecken.

»Wollt Ihr mir verzeihen, Dame Cathérine?« sagte er mit tonloser Stimme. »Es ist wahr, daß diese armen Leute mir ohne Euer Dazwischentreten das Leben genommen hätten. Und daß ich Euch dafür danken müßte. Aber«, fügte er heftig und mit belegter Stimme hinzu, »es kommt mich schwer an, einer Frau zu danken, um so mehr, als das Leben mir eine unerträgliche Last ist! Wenn ich Gott nicht fürchtete, hätte ich schon lange mit meinem Leben Schluß gemacht.«

»Andere Leute zu benutzen, um Euch zu beseitigen, ist nur eine Finte, mit der Gott sich nicht hinters Licht führen ließe. Ich füge hinzu, daß in diesem Fall das Verbrechen doppelt groß wäre, denn zu Eurer geheimen Absicht käme noch das Unrecht, das Ihr, statt es selbst zu begehen, von Unschuldigen verlangt hättet. Was Euren Dank betrifft, haltet Euch nicht für verpflichtet. Ich hätte dasselbe für jeden anderen getan!«

Gerbert antwortete nicht, aber als Cathérine einige Schritte auf die Herberge zu machte, trat er neben sie, sich leicht zu ihr hinunterbeugend. Er schien sie plötzlich auf keinen Fall verlassen zu wollen, und Cathérine versuchte gar nicht erst, sich diese neue Marotte zu erklären. Da er aber Schweigen bewahrte, fragte sie ihn schließlich:

»Ihr haßt die Frauen, nicht wahr?«

»Mit aller Kraft, von ganzer Seele … Sie sind die unaufhörliche Falle, in der sich der Mann verfängt.«

»Warum dieser Haß? Was haben sie Euch denn getan? Habt Ihr keine Mutter gehabt?«

»Das ist die einzige reine Frau, die ich gekannt habe. Alle anderen waren nichts als schmutzig, unzüchtig und falsch.«

Cathérine hätte durch dieses brutale Urteil verletzt sein können. Trotzdem empfand sie nur eine Art Mitleid, weil sie hinter Gerberts Zorn ein Leiden vermutete, das sich nicht definieren ließ.

»Habt Ihr sie schon immer verabscheut?« fragte sie. »Oder …« Er ließ sie nicht ausreden.

»Oder habt Ihr sie zu sehr geliebt? Ich glaube, daß es in Wahrheit so ist. Weil ich schon immer den verfluchten Geschmack der Frau im Blut gehabt habe, weil sie schon immer mein Feind war! Ich hasse sie!«

Der Widerschein einer Kerze, die noch auf dem Ladentisch eines Händlers mit Heiligenbildern brannte, huschte einen Augenblick über das Gesicht und die Hände des großen Pilgers, deren eine seinen schwarzen Mantel hielt. Seine Züge waren vom Feuer düsterer Leidenschaft durchglüht, und die freie Hand zitterte. Das Verlangen, ihn herauszufordern, bewegte Cathérine stehenzubleiben.

»Schaut mich an!« befahl sie. »Und sagt mir, ob Ihr glaubt, daß ich wirklich nur schmutzig, unzüchtig und falsch bin!«

Sie hatte sich bewegungslos ins gelbe Licht der Kerze gestellt, bot dem flackernden Blick des Mannes ihr reines Gesicht, das, von der den ganzen Tag getragenen Kapuze befreit, von einer dunkelgoldenen Aureole umgeben war, über die fahlrote Lichtreflexe glitten. Dichte Locken hingen fast bis auf die Schultern, ein kleiner Ersatz für den schon zweimal geopferten königlichen Schmuck von einst. Mit leisem Lächeln betrachtete sie ihren Gefährten, der plötzlich bleich geworden war. Er schien sich in eine Statue verwandelt zu haben, aber in eine Statue mit flammendem Blick.

»Alons, Messire Gerbert, antwortet mir!«

Da machte er eine ausholende Bewegung, als wollte er eine teuflische Vision verjagen, und wich in den Schatten der Abteimauer zurück.

»Ihr seid zu schön, um nicht ein Dämon zu sein, der gekommen ist, mich zu versuchen! Aber Ihr werdet nichts bei mir ausrichten, hört Ihr? Nichts werdet Ihr ausrichten! Hebe dich hinweg von mir, Satan!«

Von heiliger Furcht ergriffen, wollte er fliehen. Cathérine begriff, daß man diesem Mann nie beikommen konnte, daß er bis in den Geist befallen war. Eine Art Krankheit. Sie hob die Schultern, und ihr Lächeln schwand.

»Sagt keine solchen Albernheiten«, entgegnete sie gelassen. »Ich habe nichts Dämonisches an mir! Ihr sucht den Seelenfrieden, ich suche etwas anderes … Doch dieses Etwas mir zu geben, liegt nicht in Eurer Macht, in keines Mannes Macht übrigens … mit einer einzigen Ausnahme.«

Wider seinen Willen wagte Gerbert Bohat zu fragen:

»Wer ist dieser Mann?«

»Ich glaube«, sagte Cathérine kurz, »daß Euch dies nichts angeht! Guten Abend, Messire Gerbert!«

Und diesmal entfernte sie sich in Richtung der Herberge, ohne daß er versuchte, sie zurückzuhalten. Die Nacht war still, und die Geräusche der kleinen Stadt verstummten eins nach dem anderen. Irgendwo läutete eine Glocke. Ein Hund bellte. Cathérine fühlte sich jetzt müde und irgendwie entmutigt. Sie hatte gehofft, die Spannung zwischen ihr und Gerbert lösen zu können, aber sie begriff, daß dies niemals möglich sein würde. Dieser Mann beherbergte ein Geheimnis, das sie anscheinend nicht zu durchdringen vermochte. Und alle Versuche, die sie unternehmen könnte, um ihn wieder menschlich zu machen, würden ihr nichts nützen. Was hatte es also für einen Sinn, es zu versuchen?

Der folgende Tag schien Cathérine endlos. Sie verwandte ein gut Teil davon, ihren verletzten Fuß zu pflegen, aber sie mußte auch an den vorgeschriebenen Gottesdiensten teilnehmen. Doch sie war zu sehr von ihrer Ungeduld durchdrungen, als daß sie hätte ruhig beten können … Endlose Minuten hatte sie sinniert, während in den Weihrauchwolken gleich einer phantastischen Erscheinung die barbarische und prunkvolle Goldstatue von Sainte-Foy schimmerte, die mit Edelsteinen bestückt war, zahlreicher als eine Wiese im Frühling mit Blumen. Es war eine seltsame Figur, ziemlich furchterregend mit ihrem massigen Gesicht und ihren starren Augen, und Cathérine betrachtete sie mit einer Art Angst, sah sich außerstande, in ihr das Bildnis einer kleinen dreizehnjährigen Heiligen zu sehen, die einstmals durch ihren Glauben zur Märtyrerin geworden war. Vielmehr sah sie darin eine Art furchtbares Idol, dessen starrer, geweiteter Blick sie bedrückte.

Indessen hieß es, sie habe die Macht, Gefangene zu befreien. Eisen, Ketten, Fesseln und Halseisen waren hinter ihr aufgehäuft, rührende Zeugen der Dankbarkeit. Doch trotz allem fühlte sich Cathérine in dieser düsteren Kirche, inmitten der Betenden, Gefangene einer ungeduldigen Liebe, aus der sie nichts befreien konnte, nahe dem Ersticken.

Da sie auf den Knien bleiben mußte, begannen ihre Beine zu kribbeln, und dies erinnerte sie an die unendlich langen Gebete, die sie einst an der Seite ihrer Schwester Loyse in Notre-Dame von Dijon ertragen hatte. Sie erhob sich, wandte den Kopf und traf auf den Blick Gerbert Bohats, der sie anstarrte. Er wandte sofort die Augen ab, aber sie hatte genügend Zeit gehabt, den seltsamen, zugleich harten und furchtsamen Ausdruck zu bemerken, den sie schon einmal an ihm beobachtet hatte. Wider ihren Willen seufzte Cathérine gelangweilt.

»Man darf ihm nicht zürnen«, flüsterte die leise Stimme Gillettes neben ihr. »Gerbert ist ein unglücklicher Mensch.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Ich weiß es nicht, ich fühle es … Er leidet grausam, daher ist er so hart.«

Trotz ihres Mutes und ihres guten Willens konnte Cathérine sich nicht entschließen, der langen Prozession zu folgen, die sich anschickte, die Statue der Heiligen und die ganze Stadt bis zu den seit langer Zeit des Regens beraubten Feldern zu führen. Sie ging zur Herberge und zu Ermengarde zurück, die das Bett nicht verlassen hatte. Die Edle sah sie mit einem Lächeln im Mundwinkel eintreten.

»Nun, Cathérine, habt Ihr noch nicht genug Vaterunser gebetet? Wann werdet Ihr endlich vernünftig sein und meinen Rat und mein Pferd annehmen? Habt Ihr wirklich Lust, mit diesem ganzen Trupp weiterzureisen, obwohl wir viel schneller vorwärts kommen könnten?«

Cathérine preßte die Lippen zusammen und warf, während sie ihren Mantel ablegte, ihrer Freundin einen schrägen Blick zu. »Kommt nicht mehr darauf zurück, Ermengarde. Ich habe Euch bereits meine Gründe genannt. Die Strecke ist gefährlich, man muß in großer Zahl sein, um sich die Straßenräuber vom Halse halten zu können.«