»Ich habe keine Angst!« entgegnete Cathérine stolz. »Geh voraus, ich folge dir!«

Dicht von den Eunuchen umgeben, ließ Cathérine sich durch den Harem zu den Pforten des dem Kalifen vorbehaltenen Palastes führen. Die Frauen, neugierig, oft haßerfüllt, drängten sich auf ihrem Weg. Sie konnte Lachen und Scherze hören. Sie sah die grünen Augen Zorahs blitzen, die vor ihr ausspuckte. Beim Verlassen des Löwenhofs gab es einen solchen Andrang von Frauen, daß die Eskorte Mühe hatte durchzukommen. Die Frauen weigerten sich, sich auseinandertreiben zu lassen. In diesem Durcheinander hörte Cathérine plötzlich eine Stimme, die ihr auf französisch ins Ohr flüsterte:

»Man hat ihn in den Chafar gebracht! Es geschieht also zunächst nichts!«

Sie lächelte dankbar, glaubte, die Gestalt Maries bemerkt zu haben, die sich zwischen den anderen verlor. Es konnte nur sie sein! Und sie fühlte sich getröstet. Arnaud war also in den Hauptturm der Alkazaba gebracht worden … aber er lief nicht Gefahr, sofort getötet zu werden.

Mit dem Schwertknauf oder der Nilpferdpeitsche bahnten die Eunuchen sich den Weg zu der Pforte, welche die beiden Teile des Palastes miteinander verband. Dort standen die maurischen Wachen, behelmt und Lanzen in der Faust, drohend und feierlich, Vorhut der Gerechtigkeit … Jenseits der Pforte tat sich die Herrlichkeit eines königlichen Kreuzgangs aus weißem Marmor auf, um eine meergrüne Wasserfläche herumgeführt und von einer Doppelhecke aus duftenden Myrten eingefaßt. Danach empfingen sie keine stimmungsvollen Gebüsche, keine freundlichen Schatten wie im Djenan-el-Arif. Statt dessen bewaffnete Posten, gestaffelt bis zu dem grandiosen, nach hinten offenen Versammlungssaal in einem massigen, viereckigen Turm und eine Menge Würdenträger und Diener in prächtigen Gewändern. Die Eskorte und Morayma ließen Cathérine am Eingang zum Saal der Gesandten allein. Aus schmalen, mit buntem Glas versehenen Fenstern fiel gedämpftes Licht senkrecht auf den großen goldenen, mit Edelsteinen eingelegten Thron, auf dem der Kalif saß und die junge Frau herankommen sah.

Ein grünseidener, mit einem riesigen Smaragd geschmückter Turban umschloß den Kopf des Herrschers. In der Hand hielt er das Zepter, ein langes, gekrümmtes, goldverziertes Bambusrohr. Und Cathérine stellte mit schwerem Herzen fest, daß keine Freundlichkeit den düsteren, eisigen Blick aufhellte, mit dem er sie betrachtete.

Zwei Diener in langen grünen Gewändern packten sie an den Schultern, als sie eintrat, und zwangen sie, vor dem Thron niederzuknien. Da verlor sie die letzte Hoffnung. Von diesem Mann, der sie von vornherein als Schuldige behandelte, hatte sie nichts zu erwarten. Sie blieb unbeweglich, wartete, daß er spräche, hob aber kühn die Augen zu ihm auf.

Mit einer Bewegung hatte er ihre Umgebung entlassen. Als der letzte Diener sich zurückgezogen hatte, befahl er: »Nimm deinen Schleier ab. Ich möchte dein Gesicht sehen. Ohnehin hast du nicht das Recht dazu. Du bist keine der Unsrigen.«

Sie gehorchte freudig und stand gleichzeitig auf, entschlossen, sich wieder stolz zu zeigen. Wenn sie Arnaud nicht retten konnte, wollte sie Mohammed wenigstens zwingen, sie sein Schicksal teilen zu lassen. Der helle Schleier, den sie trug, glitt an ihr hinunter, während sich ihr Blick mit dem des offenbar gereizten Herrschers kreuzte.

»Wer hat dir erlaubt aufzustehen?«

»Du. Du hast gesagt, ich sei keine der Eurigen! Ich bin eine freie Frau und von edler Herkunft. In meinem Land spricht der König achtungsvoll mit mir.«

Mohammed neigte sich zu ihr hinunter, eine spöttische, verächtliche Falte um die vollen Lippen.

»Hat dich dein König besessen? Ich habe dich besessen! Welche Achtung könnte ich für dich empfinden?«

»Hast du mich zu dir befohlen, o mächtiger Kalif, um mir das zu sagen? ich sehe den Nutzen nicht ein, es sei denn, es gefällt dir, eine Frau zu beleidigen.«

»Ich hätte dich, ohne ein Wort zu verlieren, in den Tod schicken können, aber ich wollte dich wiedersehen … und sei es auch nur, um deine Fähigkeit zu lügen beurteilen zu können.«

»Lügen? Warum sollte ich mir die Mühe dazu nehmen? Frage, Herr: ich werde dir antworten. Eine Frau meines Standes lügt nicht.«

Es folgte Stille. An untertänige Sklaven, an untätige, verweichlichte Kreaturen gewöhnt, für die es kein größeres Fest bedeutete, als zu ihm gerufen zu werden, betrachtete Mohammed diese Frau mit einer Mischung aus Zorn und Erstaunen, die es wagte, in ihrer Lage ohne augenscheinliche Furcht, jedoch nicht arrogant, sondern nur stolz und würdevoll vor ihn hinzutreten. Daß ihre Unterhaltung sich so entwickelt hatte, fachte den Mut der jungen Frau an. Wenn sie so weitersprechen konnte, fast gleich zu gleich, bestünde vielleicht eine Chance … Abrupt ergriff Mohammed das Wort:

»Man sagt, daß der fränkische Ritter … der Mörder meiner vielgeliebten Schwester, dein Gemahl sei«, bemerkte er mit geheuchelter Nachlässigkeit.

»Das ist wahr.«

»Also hast du mich belogen! Du bist keine in Almeria gekaufte Berbergefangene.«

»Man hat dich belogen, Herr! Ich habe nichts dergleichen gesagt … denn du hast mich ja nicht gefragt. Jetzt werde ich es dir selbst sagen: ich heiße Cathérine de Montsalvy, Dame de la Chataigneraie, und bin hierhergekommen, um meinen Gatten zurückzuholen, den deine Schwester mir gestohlen hatte.«

»Gestohlen? Ich bin diesem Mann des öfteren begegnet. Er schien sich mit seinem Los abgefunden zu haben … und mit der wahnsinnigen Liebe, die Zobeida für ihn empfand.«

»Welcher Gefangene versucht nicht, sich mit seinem Los abzufinden? Und was die Liebe betrifft, Herr, so müßtest du, der du die Frauen nach Lust und Laune nimmst, ohne daß dein Herz daran beteiligt ist, wissen, daß ein Mann das ziemlich leicht fertigbringt.«

Brüsk warf der Kalif das Bambuszepter beiseite, das seine Majestät vielleicht erhöhte, ihn aber behinderte, und rückte unruhig auf seinem Paradediwan hin und her. Cathérine sah, wie ein Hauch von Traurigkeit in seinen klaren Blick trat.

»Siehst du es so an?« fragte er bitter. »Ich habe dir in wenigen Tagen so viel Liebe geschenkt, daß ich von dir zumindest Wärme erwarten könnte! Ich habe einen Augenblick geglaubt, in dir die zu entdecken, die zu suchen ich schon aufgegeben hatte. Du bist also in meinen Armen nur eine Sklavin wie die anderen gewesen?«

»Nein. Du hast mich glücklich gemacht«, gab Cathérine ehrlich zu. »Ich kannte dich nicht und war angenehm überrascht, dich als den zu finden, der du bist. Ich habe mich auf Schreckliches gefaßt gemacht, und du hast dich als liebenswürdig und gut erwiesen. Diese Erinnerung, die du in mir wachrufst … warum soll ich nicht gestehen, daß sie mir angenehm ist und daß unsere Nacht eine bezaubernde Nacht war? Habe ich dir nicht versprochen, dich nicht zu belügen?«

Mit einer schnellen, behenden Bewegung stand Mohammed auf und trat auf Cathérine zu. Das Blut war ihm in die braunen Wangen gestiegen, und seine Augen blitzten.

»Warum sollen wir die Romanze nicht wiederaufnehmen, wo wir sie abgebrochen haben?« murmelte er leise, drängend. »Alles kann bleiben, wie es war. Du gehörst mir immer, und ich kann die Bande, die dich an diesen Mann ketten, leicht vergessen.«

Die in den Worten des Kalifen fiebernde Leidenschaft ließ Cathérine erzittern. Die Liebe war das einzige Gebiet, auf das sie ihm nicht zu folgen vermochte, weil sie seine Leidenschaft nicht mehr erwidern konnte. Sie senkte den Kopf, antwortete mit müder Sanftmut:

»Ich nicht! Er ist mein Gatte, habe ich dir gesagt. Wir sind von einem Priester in unserem Land getraut worden. Ich bin seine Frau, bis der Tod uns scheidet.«

»Was nicht lange auf sich warten lassen wird! Bald wirst du frei sein, meine Rose, und wirst hier ein Leben beginnen, dem gegenüber das, welches du gekannt hast, nur ein schlechter Traum ist. Ich werde dich zur Sultanin machen, zur Königin über alles, was hier lebt und atmet. Du wirst alles haben, was dein Herz begehrt, und du wirst mehr herrschen als ich, weil du über mich herrschen wirst!«

Mohammed hatte mit einem Schlag das leidenschaftliche Gesicht wiedergewonnen, das er in dem Garten mit den plätschernden Wassern gehabt hatte. Cathérine, plötzlich traurig, verstand, daß er sie wirklich liebte, daß er jedes Opfer für sie zu bringen bereit war, außer dem einen, das sie von ihm forderte.

Es wäre natürlich leicht, ihn zu belügen, ihn an eine fiktive Liebe glauben zu lassen, aber sie wußte wohl, daß dies Arnaud nicht retten und daß er ihr diesen letzten Verrat nicht verzeihen würde. Sie hatte versprochen, offen zu sein, und sie würde es bis zum Schluß sein. Vielleicht würde dieser Mann, der ihr immer gut und gerecht erschienen war, letzten Endes so viel Edelmut aufbringen, sich großzügig zu erweisen …

»Du hast mich nicht verstanden, Herr«, sagte sie betrübt, »oder du hast mich nicht verstehen wollen. Um hierherzukommen und ihn hier zu suchen und so viele Gefahren zu bestehen, mußte ich meinen Gemahl lieben … mehr als alles in der Welt!«

»Ich sagte dir bereits, daß er nicht mehr lange dein Gemahl sein wird!«

»Weil du ihm den Tod geschworen hast? Aber, Herr, wenn du mich liebst, wie du behauptest, kannst du mich nicht zur Verzweiflung treiben wollen. Glaubst du, daß ich dich nach seinem Tod lieben, die Liebkosungen deiner von seinem Blut noch triefenden Hände ertragen könnte?«

Plötzlich kam ihr ein Gedanke, hochherzig und verrückt, aber die unmittelbare Gefahr, in der sich Arnaud befand, ließ ihr keine Wahl. Sie hatte immer das Recht, sich für ihn zu opfern, und dieser Mann empfand genug Liebe für sie, um anzunehmen, was sie ihm jetzt anbieten würde:

»Hör mich an!« sagte sie mit drängender Stimme. »Wenn du mich wirklich liebst, kannst du keine so entsetzliche Erinnerung zwischen uns stellen. Laß meinen Gemahl gehen! Laß ihn an die Grenze des Königreichs zurückbringen … und ich werde bei dir bleiben, als deine Gefangene, solange du willst.« Diesmal verdrehte sie bewußt die Wahrheit entgegen ihrem Versprechen, denn sie wußte genau, daß sie, wenn er ihren Vorschlag annähme, alles täte, um zu fliehen, und daß Arnaud seinerseits alles ins Werk setzen würde, sie zu entführen. Aber sie mußte Zeit gewinnen und vor allem Arnaud dem nahenden Tod entreißen. Ganz behutsam näherte sie sich Mohammed mit instinktiver Koketterie, betörte ihn mit ihrem Parfüm, wurde kühner und legte ihm die Hand auf den Arm. Zum Teufel mit den Bedenken! Das Leben Arnauds ging vor!