Sie also beunruhigte die junge Frau nicht so sehr. Aber Arnaud! … Wie seltsam und unberechenbar er war! Noch vor einer Stunde, als er sie erkannt hatte, hatte sie keine Sekunde an seiner Wiedersehensfreude und an seiner Liebe zu ihr gezweifelt. Es gab untrügliche Anzeichen dafür. Doch Zobeida erstickte diese Freude, wie man eine Kerze ausbläst, mit ihren giftigen Unterstellungen, und Arnaud hatte den plötzlichen Windstoß des Glücks vergessen, um nur auf seine Eifersucht zu hören, auf den Zorn des betrogenen Gatten. Zudem, dachte Cathérine traurig, wußte er nicht einmal von gewissen Episoden, wie der im Lager der Zigeuner mit dem unglücklichen Fero oder jener im Burgturm von Coca … und er durfte es auch nie erfahren, sonst gäbe es weder Rast noch Ruhe, noch Glück mehr für Cathérine. Er würde sich für immer von ihr abwenden … Indes, nach den Erregungen dieses Tages von Müdigkeit überwältigt, schloß Cathérine schließlich doch die Augen, aber sie sank nicht in den tiefen Schlaf, der in wenigen Stunden selbst die geschwächtesten Kräfte wiederherstellt. Sie schlief schlecht, nervös, fuhr jäh auf, und ihr Unterbewußtsein war reger als je. Im Untergrund ihres Schlafs witterte sie eine Gefahr, deren Natur sie nicht bestimmen konnte, die sich aber unerbittlich näherte.

Das plötzliche Gefühl zu ersticken weckte sie. Sie richtete sich schweißgebadet und mit klopfendem Herzen auf. Das Mondlicht beschien jetzt voll die Fliesen des Gemachs. Ein Entsetzensschrei entrang sich der Kehle der jungen Frau: Da … als langer fahler Schmutzstreifen bewegte sich etwas Schmales, Schwarzes, Glänzendes … eine Schlange kroch auf das Bett zu!

Das war kein Zufall, und Cathérine begriff blitzschnell. Die Schale Milch, die Morayma ans Kopfende ihres Bettes gestellt hatte! … Milch, Wonneschmaus der Schlangen! Die merkwürdige Eile zu verschwinden, die Morayma an den Tag gelegt hatte, ihre zitternde Angst bekamen jetzt einen einleuchtenderen Sinn … Dieses ekelhafte Tier, das auf sie zu kroch, das war die Hand Zobeidas, der Tod in seiner häßlichsten Erscheinung!

Mit vor Entsetzen geweiteten Augen drückte sie die Seidendecken zitternd an die nackte Brust, und während kalter Schweiß ihr den Rücken hinunterrann, sah Cathérine, wie die Schlange sich näherte. Noch nie hatte sie derartige Angst ausgestanden, die einer Lähmung ihres ganzen Seins gleichkam. Sie war wie hypnotisiert von dem langen schwarzen Leib, dessen Ringe sich langsam über die Fliesen wanden, näher, immer näher. Und es war wie ein Alpdrücken, aus dem es kein Erwachen gab, denn sie wagte nicht zu schreien. Die Schlange war nicht sehr groß, hatte aber einen breiten, flachen, dreieckigen und häßlichen Kopf; ein Schrei würde den Biß vielleicht beschleunigen. Und wen sollte sie rufen? Cathérine konnte sich keiner Illusion über die grausame Absicht dieses widerlichen Todesboten hingeben. Niemand würde auf ihren Hilferuf kommen … Und sie war hier, allein, gefährdet wie auf einem Schafott, nur geschützt von einigen Seidendecken … unfähig, die Augen zu schließen, um das scheußliche Tier nicht mehr zu sehen.

Sie versuchte, sich zu fassen, und dachte an ihren Gatten. Sie würde hier sterben, nur wenige Schritte von ihm entfernt, und morgen, wenn man ihren kalten Leichnam entdeckte, würde Zobeida zweifellos eine Unmenge Entschuldigungen und verlogenes Bedauern vorbringen. Alle Zimmer öffneten sich auf den Garten. Wie konnte sie ahnen, daß eine Schlange, die vielleicht von der Frische der Wasserbecken angezogen worden war, ausgerechnet in dieses eindringen würde? … Und Arnaud würde ihr vielleicht glauben … Daher und weil die Schlange jetzt den unteren Teil des Bettes erreichte, weil sie zu sehr Angst hatte und seiner verzweifelt bedurfte, stöhnte Cathérine:

»Arnaud! … Arnaud, mein Liebster!«

Und das Wunder geschah. Cathérine glaubte, die Angst habe sie wahnsinnig gemacht, als sie seine hohe Gestalt im Mondschein aus den Schatten des Gartens auftauchen sah wie den guten Geist in den orientalischen Märchen. Mit einem Blick umfaßte er die entsetzte, in die fernste Ecke ihres Bettes geduckte Gestalt Catherines und das Reptil, das schon seinen flachen Kopf hob. Mit einer Hand riß er den Dolch aus dem Gürtel, packte mit der anderen eine von einer Fußbank herunterhängende Robe, knüllte sie zusammen und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Kobra fallen.

Die Schlange war sofort tot. Mit Kraft und Genauigkeit geführt, traf der Dolch sie am Kopfansatz und trennte den Kopf fast ganz vom Körper, der leblos wurde. Arnaud hob sich auf ein Knie und sah seine Frau an. Der Mondstrahl hatte sie erreicht, verriet ihre tragische Blässe. Ihre verkrampften Hände preßten immer noch die Decke an sich, aber sie hatte zu zittern begonnen wie ein Blatt im Sturm.

Um sie zu beruhigen, murmelte er sanft:

»Hab keine Angst! Es ist vorbei … ich habe sie getötet!«

Aber sie konnte ihn kaum hören. Völlig von der entsetzlichen Furcht durchdrungen, die sie hatte ausstehen müssen, blieb sie mit aufgerissenen Augen und klappernden Zähnen sitzen, unfähig zu antworten. Besorgt glitt er neben sie aufs Bett.

»Cathérine! Ich bitte dich, antworte mir … Fehlt dir etwas?« Sie öffnete den Mund, aber kein Wort kam über ihre unaufhörlich zitternden Lippen. Sie wollte weinen, aber sie konnte nicht und hob zu Arnaud ihren noch schreckerfüllten und so rührenden Blick, daß Arnaud eine instinktive Bewegung machte: Er nahm sie in seine Arme.

Tiefes Mitleid überkam ihn, als er sah, daß sie sich ganz eng an seine Brust drückte, als suche sie nach Art erschreckter Kinder, sich so klein wie möglich zu machen. Er drückte sie noch fester an sich, versuchte, seine Wärme auf sie zu übertragen, damit ihr Zittern aufhöre. Sanft strich er über den blonden, an seine Schulter gelehnten Kopf.

»Ärmste! Du hast solche Angst gehabt … solche Angst! Diese elende Frau! Sie ist zu allem fähig … und da ich das wußte, blieb ich wach … aber zu so einer Gemeinheit! … Beruhige dich, ich bin da! … Ich werde dich verteidigen! … Wir werden zusammen fliehen, werden heimkehren. Ich liebe dich …«

Das Wort war ihm ganz von selbst über die Lippen gekommen, aber Arnaud wunderte sich nicht darüber. Sein Groll, seine Eifersucht waren mit einemmal verflogen. Eben, als er durch den Garten gegangen war, weil eine tiefe Unruhe ihn unwiderstehlich zu diesem Teil des Palastes trieb, hatte er das schwache Stöhnen Catherines und seinen in Todesangst ausgestoßenen Namen gehört; er hatte den langen schwarzen Leib über den Marmor auf das Bett seiner Frau zu kriechen sehen, und die entsetzliche Furcht, die ihn befallen hatte, hatte ihm das genaue Ausmaß seiner Liebe zu ihr klargemacht. Und jetzt, da sie in seinen Armen ruhte, zitternd wie ein kranker Vogel, begriff er, daß nichts und niemand je zwischen ihn und sie treten konnte, daß eine Liebe wie die ihre vieles aushalten konnte, Kummer, Schmerz und Leid, nur nicht endgültige Trennung. Sie waren ein Herz in zwei verschiedenen Körpern, und Arnaud wußte wohl, daß er nie den Mut fände, Cathérine zu verstoßen. Die Laune, aus Langeweile und der großen Freude geboren, die er empfunden hatte, als er erfuhr, daß er nicht leprakrank war, diese Laune, die ihn Zobeida in die Arme getrieben hatte, war zu einer für sein körperliches Gleichgewicht notwendigen Gewohnheit geworden, aber es war eine armselige Empfindung im Vergleich zu dem einzigen Glück, Cathérine in den Armen zu halten.

Sie klammerte sich jetzt mit beiden Händen an ihn, stammelte unaufhörlich Worte, und einen Augenblick fürchtete er, daß das Entsetzen sie wahnsinnig gemacht habe.

»Hör mich an!« bat er. »Antworte mir! Sieh mich an, du erkennst mich, nicht wahr?« Sie machte ein bejahendes Zeichen, und er fühlte, daß seine Sorge schwand, und strich wieder besänftigend über ihr Haar. »Ma mie!« murmelte er. »Beruhige dich, hab keine Angst mehr … Was kann ich tun, um dich zu beruhigen?«

Er kam sich schrecklich unbeholfen vor, entwaffnet von diesem Wesen in höchster Not, das sich an ihn klammerte … Und dann brach Cathérine jäh in Schluchzen aus. Er verstand, daß sie gerettet war, daß das Schreckbild des Wahnsinns sich verflüchtigte, und zärtlich wiegte er sie in den Armen wie ein ganz kleines Kind:

»Weine!« sagte er sanft. »Weine, soviel du willst, das wird dir guttun …«

Die dunklen Wolken der Angst lösten sich in wahren Tränenströmen auf. Noch nie hatte Cathérine so geweint. Die Monate des Leidens, des Kummers, der Verzweiflung gingen in diesem Augenblick unter, in ihren Tränen ertränkt. Sie weinte vor Glück, vor Erleichterung, aus Freude, aus Hoffnung, aus Liebe und selbst aus Dankbarkeit für den endlich wieder errungenen, teuren Hort. Da war nur noch die süßte Wärme des angebeteten Mannes, der sie in den Armen hielt, diese wunderbare Sicherheit, die er ihr geben konnte. Das Schluchzen wich allmählich einem köstlichen Wohlbefinden. Langsam beruhigte sich Cathérine.

13

Das Schluchzen stockte, ließ nach, und Cathérine fiel endlich in Schweigen. Ihr Atem fand wieder seinen normalen Rhythmus. Die Tränen auf ihren Wangen trockneten, und einen langen Augenblick rührte sie sich nicht, genoß das köstliche Glück, an ihren Gatten gekuschelt zu sein, seinen Herzschlag zu hören und den Garten unter dem Mond zu betrachten. Sie war sich nur der Hand bewußt, die sanft ihren Kopf streichelte, wie sie es einst so oft getan hatte. Es war so gut, Arnaud neben sich zu fühlen, seinen gesunden männlichen Geruch zu atmen, nachdem sie so lange geglaubt hatte, ihn für immer verloren zu haben.

Ein leichter Rausch glitt langsam durch die Adern der jungen Frau. Sie war so glücklich, daß sie fast verging, und den Kopf hebend, preßte sie ihre noch feuchten Lippen auf Arnauds Hals. Er fuhr unter diesem Kuß zusammen, unruhig, sein Verlangen plötzlich erwachen zu fühlen. Cathérine war sich dessen instinktiv bewußt, verlängerte ihre Liebkosung, glitt unmerklich zu seinem Gesicht und seinen Lippen empor. Und mit hungriger Gier verschloß sein Mund den ihren, klammerte sich an ihn in einem unendlichen Kuß, der beider Blut sofort in Wallung brachte. Gleichzeitig glitten Arnauds Hände über Schultern und Rücken Catherines und fühlten, daß sie nackt war. Sacht zog er die Seidendecken zwischen ihnen weg. Sie widersetzte sich nicht, half ihm, begierig, sich ihm ganz zu geben. Von ihren ungeduldigen Füßen weggestoßen, fiel die letzte Hülle, den Kadaver der Schlange bedeckend, die sie hatte töten wollen, aber Cathérine hatte sie schon vergessen: Das Leben schäumte wieder in ihr, die Glut der Liebe drang bis ins innerste. Sich von Arnaud lösend, ließ sie sich im kalten Licht des Mondes auf den Rücken sinken, damit er sie besser sehen könne.