Statt jeder Antwort nickte Morayma nur beifällig mit dem Kopf und befahl sodann Cathérine:

»Öffne den Mund!«

»Weshalb?« begehrte die junge Frau auf, schon ihre guten Vorsätze vergessend, da sie sich wie ein Pferd behandelt sah.

»Ich will mich vergewissern, ob dein Atem rein ist!« erwiderte Morayma trocken. »Ich hoffe, Frau, daß du anpassungsfähig und gehorsam bist. Ich habe keine Lust, dem Kalifen ein aufsässiges oder zumindest ungehorsames Mädchen anzubieten …«

»Verzeih!« sagte Cathérine errötend. Und folgsam öffnete sie den Mund, entblößte einen rosigen Gaumen und blitzende weiße Zähne, zwischen die die Alte vorsichtig ihre Nase steckte. Die junge Frau mußte sich sehr beherrschen, um nicht laut herauszulachen, während die Alte der dicken Äthiopierin einen belustigten Blick zuwarf.

»Was gibst du ihr zum Kauen, alte Hexe? Ihr Atem riecht herrlich!«

»Jasminblüten und Gewürznelken!« brummte Fatima, die ihre Rezepte nicht gern verriet, aber wohl wußte, daß es bei der Hüterin des Harems nutzlos war, mit Tricks zu arbeiten. »Also, wozu entscheidest du dich?«

»Ich nehme sie mit. Mach dich fertig, Frau, und beeile dich! Ich muß wieder zurück …«

Ohne zu zögern, raffte Cathérine ihre Kleidung zusammen und eilte in ihr Zimmer. Hinter ihr stritten sich die beiden Frauen über das, was Fatima vor allem interessierte: den Preis, der zwangsläufig stattlich sein mußte.

»Ich muß den kleinen Arzt ein wenig entschädigen!« hörte sie die dicke Äthiopierin kreischen.

»Der Kalif hat immer das Recht, eine Sklavin auszuzeichnen. Es ist eine Ehre für jeden seiner Untertanen, ihm eine anzubieten …«

Der Knall der hinter ihr zuschlagenden Zimmertür ersparte Cathérine, noch mehr zu hören. Dieser Kuhhandel war ihr gleichgültig. Sie wußte sehr wohl, daß Fatima den größten Teil des Goldes, das sie bekäme, in die eigene Tasche stecken und sich mit Recht ihrem Klienten gegenüber auf einen Fall von höherer Gewalt und auf die unverjährbaren Rechte des Herrschers berufen würde.

Schnell nahm sie ein Stück Baumwollpapier und eine Feder und kritzelte hastig einige Worte an Abu, um ihn von ihrem Aufbruch in den Harem der Alhambra in Kenntnis zu setzen: »Ich bin glücklich«, schrieb sie ihm. »Ich werde endlich meinem Gatten nahe sein. Beunruhigt Euch nicht meinetwegen, doch sorgt dafür, daß Gauthier und Josse nichts Unüberlegtes tun. Ich werde versuchen, Euch Nachricht zukommen zu lassen, vielleicht über Fatima … sofern Ihr kein Mittel findet, selbst in den Harem zu kommen …«

Ein Ruf von unten ließ sie zusammenfahren. Die alte Morayma wurde ungeduldig. Schnell raffte sie aufs Geratewohl ein paar Kleidungsstücke zusammen, nahm sie unter den Arm, griff sich den Schleier, den sie soeben getragen hatte, und trat auf die Galerie des Patio hinaus, genau zur rechten Zeit, um Fatima mit glücklich-scheinheiliger Lüsternheit beim Zählen eines respektablen Haufens in der Sonne glitzernder Golddinare anzutreffen. Sobald sie erschien, legte sich die Hand der Haremshüterin auf ihren Arm und entriß ihr das Bündel, das sie verächtlich auf den Boden war.

»Was willst du mit diesem Plunder! Im Palast werde ich dich nach dem Geschmack des Herrn kleiden. Komm jetzt …«

»Nur noch einen Augenblick«, bat Cathérine. »Laß mich Fatima Lebewohl sagen.«

»Du wirst sie wiedersehen. Man wird sich bald ihrer Dienste im Harem bedienen. Sie kennt geheime Schönheits- und Liebesmittel, die Wunder wirken.«

Aber Fatima hatte es gehört. Schnell ließ sie ihr Gold in einen Ziegenhautbeutel gleiten und gesellte sich zu den beiden. Mit fast mütterlichen Bewegungen ordnete sie Catherines Schleier, die die Gelegenheit ergriff, ihr heimlich die Botschaft an Abu zuzustecken. Dann lächelte Fatima sie ermutigend an:

»Geh deinem Schicksal entgegen, Licht des Morgens. Aber wenn du die Lieblingsfrau, das kostbare Juwel des Kalifen sein wirst, vergiß Fatima nicht.«

»Sei beruhigt«, entgegnete Cathérine, die Komödie bis zu Ende spielend, »ich werde dich nie vergessen …«

Sie meinte es ehrlich damit. Es war unmöglich, die wunderlichen und alles in allem amüsanten Tage zu vergessen, die sie bei der Äthiopierin verbracht hatte. Und dann war Fatima gut zu ihr gewesen, wenn auch aus Eigennutz.

Man brachte zwei weiße, mit rotem Leder aufgeschirrte und mit allerlei Glöckchen und Schellen versehene Maultiere herbei, die von Cathérine und ihrer Begleiterin bestiegen wurden. Dann tauchten auf ein Händeklatschen Moraymas aus einer benachbarten Gasse, wo sie gewartet hatten, vier hagere, bis zu den Augen in Weiß gekleidete Nubier auf. Sie umgaben die beiden Frauen, nachdem sie ihre großen, scharfen Krummschwerter aus der Scheide gezogen hatten, und der Zug setzte sich in Bewegung.

Die Hitze war jetzt erdrückend. Die heiße Luft flimmerte, und von dem fast weißen Himmel brannte die Sonne mit ihren gnadenlosen Strahlen auf die Dächer der Stadt. Doch Cathérine wurde die Temperatur nicht einmal gewahr. Im Übermaß der Aufregung dachte sie nur an den Palast, über dessen Schwelle sie nun endlich treten sollte. Die Entfernung, die sie von Arnaud trennte, würde sich weiter verringern.

Vor kurzem erst hatte sie ihn gesehen. Jetzt würde sie versuchen, ihn zu sprechen und heimzuführen.

Sie versuchte noch nicht, sich diese Heimkehr vorzustellen. Aber welche Schwierigkeiten würde sie mit sich bringen! Angenommen, es gelänge ihnen, aus dem Palast zu fliehen, müßten sie dann erst noch die Grenze des Königreichs erreichen. Und wenn sie diese Grenze überschritten hätten, wären sie dann vor der Rache Zobeidas sicher, in Sicherheit vor ihren Schlägen? Bestimmt nicht. Sie müßten viele Meilen zwischen sich und ihre Verfolger bringen; die schnellen Reiter Mohammeds ignorierten nur zu oft die Grenzen des Königreichs von Kastilien und würden sich diesmal gewiß nicht um sie kümmern. Und dann müßte man die ganze gefährliche Durchquerung Kastiliens wiederholen, würde vielleicht auf verhängnisvollere Hinterhalte stoßen als auf dem Herweg … Dann über die Pyrenäen und an den Räuberbanden vorbei, und dann … Nein! Das war jetzt alles gar nicht so wichtig: Es kam nur auf eines an, die Liebe Arnauds zurückzugewinnen! Was danach kommen mochte, interessierte Cathérine nicht.

Als sie hinter Morayma durch den roten Bogen des Bab el-Ajuar ritt, konnte Cathérine ein Freudengefühl nicht unterdrücken. Die Nubier der Wache hatten sie offenbar überhaupt nicht beachtet …

Sie folgten nun einem sich durch eine Talmulde windenden Pfad, der von einem munter fließenden Bach Kühlung und von Olivenbäumen mit silbrigem Blattwerk Schatten empfing. Der Pfad stieg ziemlich steil zu einer hohen Pforte an, deren Bogen sich vor einem dicken, viereckigen Türm ohne Zinnen voll abhob. Dieses imposante, in die zweite Umwallung eingelassene Portal bildete den eigentlichen Palasteingang.

Beim Näherkommen bemerkte Cathérine am hufeisenförmigen Backsteintor auf einer weißen Marmorplatte eine zum Himmel gereckte Hand.

»Das ist die Pforte der Gerechtigkeit! Die Hand versinnbildlicht die fünf Gebote des Korans«, bedeutete ihr Morayma. »Und die Türme dort, nicht weit von hier, sind die Kerker.«

Mehr sagte sie nicht. Cathérine indessen wußte die Auskunft ihrem Wert gemäß zu schätzen. Sie ähnelte sehr einer Warnung, fast einer Drohung. Eine Drohung war auch diese kolossale, mit eisernen Bändern und riesigen Nägeln versehene zweiflügelige Pforte, die die Dunkelheit des tiefen Vorbaus durchbrach und von Reitern in schimmernden Harnischen unter purpurroten Burnussen, die Pickelhauben tief auf die grausamen Augen heruntergezogen, bewacht war. Wenn ein Befehl des Herrn den Ausgang verschloß, dürfte es unmöglich sein, durch diese dicken Mauern zu gelangen. Das rote Palais und auch die kleine Stadt, die diese Festungswälle umschlossen (man konnte jetzt Häuser, Mühlen und die sieben vergoldeten, von einem hohen, schlanken Minarett überragten Kuppeln einer imposanten Moschee unterscheiden), mußten sich wie eine Falle schließen können, die ihre Beute nicht so leicht wieder losließ … es sei denn, daß man die geheimnisvolle Pforte entdeckte, die Zobeidas Liebhaber einer Nacht benutzten. Aber war das womöglich nur eine Legende? Die in den Abflußgräben gefundenen Leichen konnten sehr wohl von den Türmen heruntergestürzt worden sein.

Die scharfen Augen Catherines schweiften schon suchend umher – ein Beweis, daß sie weniger ruhig war, als sie sich eingestehen wollte –, suchten einen geheimeren Ausgang aus diesem herrlichen, drohenden, lockenden und gleich einer giftigen Blume gefährlichen Palast. Indessen senkte sie die Augen, um die blutigen Köpfe nicht zu sehen, die unheilkündend auf in die Mauer eingelassene Eisendorne gespießt waren. Und in diesem Augenblick, in dem sie die Schwelle dieser unbekannten Welt überschritt, fühlte die junge Frau, wie sich ihr Herz zusammenschnürte. Sie rang nach Atem, biß die Zähne aufeinander, zwang sich, starr auf den gebeugten Rücken Moraymas unter ihren absurden grünen Blumen zu blicken. Sie durfte nicht kneifen … jetzt nicht mehr und besonders nicht wegen etwas so Verächtlichem wie animalischer Angst! Sie hatte diesen Augenblick zu sehnlichst gewollt …

Und da, irgendwo in den duftenden Büschen der noch nicht sichtbaren Gärten, sang wunderbarerweise eine Nachtigall, schmetterte zum weißglühenden Himmel einige Töne empor, die so rein waren wie ein Bergquell. Eine Nachtigall zu dieser Tagesstunde, mitten in dieser drückenden Hitze? …

Catherines schweres Herz wurde leichter. Sie sah darin eine glückliche Vorbedeutung, spornte ihr Maultier an und schloß sich Morayma an, die etwas vorausgeritten war.

Die jähe Kühle eines Durchgangs, eine Biegung, ein ansteigender, von der Sonne überfluteter Weg, dann, jenseits einer zweiten Biegung, die orientalische Grazie zweier hoher, rechtwinklig angeordneter Pforten.