»Der fränkische Gefangene der Prinzessin langweilt sich in den Wundern der Alhambra. Hast du bemerkt, wie düster er aussieht?«
»Welcher Mann, der das kostbare Gut der Freiheit verloren hat, würde nicht so aussehen? Dieser Christ ist ein Krieger. Das erkennt man schon an seiner Haltung … und an seinen Narben. Und der Krieg ist das berauschendste aller Getränke. Ihm bleibt nur noch die Liebe. Das ist wenig …«
Um besser hören zu können, gab Cathérine sich den Anschein, als sei ihr ein kleiner Stachel in den Fuß gedrungen, und während eine der beiden Frauen, im Staub kniend, aufmerksam ihren Fuß untersuchte, horchte sie gespannt. Das kleinste, Arnaud betreffende Wort war für sie eine Kostbarkeit. Das Folgende war noch wichtiger, denn der große, lässige Bettler fuhr fort:
»Außerdem heißt es, Zobeida trage sich mit dem Gedanken, ihn übers blaue Meer zu schicken. Die riesigen Ländereien des alten Maghreb werden den Hufen seines Streitrosses besser bekommen, und es gibt viele rebellische Stämme da unten. Ohne Zweifel wird der Sultan einen Kriegsmann und einen so meisterhaften Reiter akzeptieren, selbst wenn er ungläubig ist … Er wäre nicht der erste, der zum wahren Glauben überträte!«
»Würde unser Kalif seine Schwester mitziehen lassen?«
»Wer hat sich je dem Willen Zobeidas widersetzen können? Hast du gesehen, wer sich zum Wächter ihrer kostbaren Geisel gemacht hat? Der Wesir Haben-Ahmed Banu Saradj in Person … Sie wird aufbrechen, wann sie will, und der Sultan jenseits des Meeres wird ihr einen großartigen Empfang bereiten.« Eine Gruppe prächtig gekleideter Frauen näherte sich, und die beiden Bettler brachen ihr Gespräch ab, um eine bittende, winselnde Haltung einzunehmen, die ihnen Almosen einbringen sollte. Cathérine hatte genug gehört. Hurtig den ausgezogenen Pantoffel wieder überstreifend, befestigte sie mit beiden Händen ihren weiten Schleier, und bevor ihre noch knienden Wächterinnen diesmal Zeit gehabt hätten, sie zurückzuhalten, eilte sie flinken Fußes zum Haus Fatimas zurück.
Der Tratsch der beiden Bettler hatte sie in größten Schrecken versetzt. Daß diese Männer der Straße mit solchem Interesse von Arnaud sprachen, daß die Stadt an jeder Ecke von seinem Namen widerhallte, ließ sich nur durch die große Neugier und das Interesse erklären, die der fränkische Gefangene erregte. Zobeida mußte aus ihm eine außergewöhnliche Persönlichkeit gemacht haben, fast etwas Legendäres … und diese Persönlichkeit mußte scharf bewacht werden. Wenn die verfluchte Prinzessin Arnaud nach Afrika entführte, mußte man ihm folgen, sich wieder auf den Weg machen, neue, diesmal fast unüberwindliche Risiken eingehen, da es in den geheimnisvollen Städten des Landes, das sich Maghreb nannte, kein Haus Abu al-Khayrs, keine Hilfe des kleinen Arztes mehr gäbe. Unter allen Umständen mußte das verhindert werden, mußte sie Arnaud vorher wiedergewinnen und schließlich mit ihm fliehen …
Einen Augenblick fühlte sie sich versucht, sofort zu Abu zu eilen, aber zu dieser Stunde war er, wie sie wußte, bei seinen Kranken. Und die Wärterinnen der Badeanstalt hätten alles getan, um sie vor dem Haus ihres Freundes einzuholen. Sie stürzte daher zu Fatimas Haus und eilte in den mit Zitronen-, Granatapfelbäumen und Wein bepflanzten Innenhof. Doch auf der Schwelle der schmalen Kolonnade, die den eingefriedeten Garten umschloß, blieb sie ärgerlich stehen: Fatima war zwar da, aber sie war nicht allein. In ein unwahrscheinliches, in sämtlichen Regenbogenfarben schillerndes Gewand gekleidet, einen Schal wie einen Männerturban um den Krauskopf geschlungen, promenierte die dicke Äthiopierin auf den Wegen rings um das rosenfarbene Springbrunnenbecken in der Mitte des Gartens.
Neben ihr erkannte Cathérine die Alte von neulich, obgleich der Brokat, in den sie diesmal verpackt war, gedämpft malvenfarben und mit großen grünen Blumen bestickt war.
Als Fatima Cathérine bemerkte, die, noch keuchend vom schnellen Lauf, am Gartenrand stehengeblieben war, begriff sie, daß etwas vorgefallen sein müsse, entschuldigte sich bei ihrer Besucherin und ging eiligst zu der jungen Frau hinüber.
»Was ist? Was ist passiert? Wo sind deine Wärterinnen?«
»Sie folgen mir. Ich bin gekommen, mich von dir zu verabschieden, Fatima, und dir Dank zu sagen. Ich muß zu meinem … Herrn zurückkehren!«
»Er ist noch nicht gekommen, um dich zu holen, soviel ich weiß. Hast du ihn denn getroffen?« fragte die Negerin in zweifelndem Ton.
»Nein. Aber ich muß schnellstens in sein Haus zurückkehren …«
»Du hast es aber eilig! Übrigens ist Abu, der Arzt, nicht zu Hause. Er ist in den Alkazar Genil gerufen worden. Die Sultanin hat sich beim Baden verletzt.«
»Gut … Dann wird er mich eben bei seiner Rückkehr vorfinden. Es wird eine angenehme Überraschung für ihn sein …«
»Und wird die Nacht, die dich erwartet, auch für dich eine angenehme Überraschung sein?« Die großen weißen Augen der Negerin forschten im unsicheren Blick Catherines, glitten prüfend über ihr Gesicht, in das Röte stieg.
»Etwas früher, etwas später …«, murmelte die junge Frau mit einer ausweichenden Handbewegung.
»Ich dachte«, sagte Fatima langsam, »du wünschtest mehr als alles andere, in die Alhambra zu gelangen?«
Bei diesem Namen setzte Catherines Herz einen Schlag aus, aber sie zwang sich, unbefangen zu erscheinen.
»Was nützt es, zu träumen? Wer kann sich schon rühmen, seine Träume zu verwirklichen?«
»Gehorche mir, und diesen Traum zumindest wirst du verwirklichen, und zwar sofort. Komm mit.«
Sie packte Cathérine am Handgelenk und wollte sie mitziehen, doch diese, von plötzlichem Mißtrauen ergriffen, widersetzte sich.
»Wohin führst du mich?«
»Zu der Frau, die du dort am Brunnen siehst … und in die Alhambra, wenn du es noch willst. Diese Alte ist Morayma. Jeder kennt sie hier und bemüht sich um sie, weil sie dem Harem des Herrn vorsteht. Neulich schon hatte sie dich bemerkt und ist deinetwegen wiedergekommen. Folge ihr, und statt dem kleinen Arzt wirst du dem Kalifen gehören …«
»Dem Kalifen?« fragte Cathérine tonlos. »Du schlägst mir vor, in den Harem einzutreten?«
Rein gefühlsmäßig wollte sie den Vorschlag mit Abscheu zurückweisen, aber eine Bemerkung Abu al-Khayrs fiel ihr wieder ein: »Die Gemächer Zobeidas bilden einen Teil des Harems«, und eine weitere: »Im Garten Zobeidas, in einem abgesonderten Pavillon, lebt Messire Arnaud …« In den Harem eintreten bedeutete, Arnaud nahe zu sein. Eine bessere Gelegenheit konnte sie sich gar nicht wünschen. Tapfer verschloß sie sich der Stimme der Furcht: Wenn sie sich dem Gefangenen Zobeidas nur näherte, wenn sie wagte, ihn anzusprechen, würde sie den mongolischen Henkern der Prinzessin ausgeliefert werden. Wie viele Male schon hatte sie Folterung und Tod herausgefordert! Die Henker von Granada konnten nicht schlimmer sein als die von Amboise. Und dann: Wenn sie von Arnaud wieder anerkannt wäre, könnten sie zusammen kämpfen … zusammen sterben, wenn es so sein mußte. Denn Cathérine wünschte sich von ganzem Herzen diesen gemeinsamen Tod, wenn er der Preis wäre, den sie zu bezahlen hätte, um ewig mit ihrem Gemahl vereint zu sein.
Auf jeden Fall war es hundertmal besser, mit ihm zu sterben, als ihn dieser Frau zu überlassen, und in jeder Hinsicht wäre es gut …
Der Entschluß der jungen Frau war gefaßt. Sie hob den Kopf, blickte Fatima unerschrocken in die besorgten Augen und lächelte. »Ich folge dir«, sagte sie. »Und ich danke dir. Versprich mir nur, dem Arzt einen Brief, den ich dir geben werde, zu übermitteln. Er ist gut zu mir gewesen.«
»Das kann ich verstehen. Abu, der Arzt, wird seinen Brief erhalten, aber komm jetzt. Morayma wird ungeduldig.«
Die alte Frau gab tatsächlich Anzeichen von Unruhe zu erkennen. Sie hatte das Brunnenbecken verlassen und kam mit großen Schritten näher, eine Frau, die keine Zeit mehr zu verlieren hat. Als Fatima sie kommen sah, nahm sie mit der schnellen Bewegung eines Taschenspielers den mit Safran gefärbten Schleier Catherines ab und ließ ihr mit Goldfäden durchflochtenes Haar im Sonnenlicht schimmern, enthüllte ihre rassige, von den weiten blaßgelben Musselinhosen und dem kurzen, golddurchwobenen Bolero, dessen tiefer Ausschnitt bei jeder Bewegung ihren Busen zu entblößen drohte, kaum verborgene Gestalt … Hinter ihrem malvenfarbenen und grünen Schleier sah Cathérine die Augen der Alten aufblitzen, die nun mit nervöser Bewegung den Stoff zurückschob und die gelbe, faltige, vertrocknete Haut und das Raubtierprofil einer alten, mit Schmuck überladenen Jüdin sehen ließ; einen schlaffen, zahnlosen Mund, dessen Lächeln nur noch eine häßliche Grimasse war. Nur die mit auffallenden Ringen bedeckten Hände waren noch schön. Morayma mußte außergewöhnliche Sorgfalt auf sie verwenden, sie täglich mit Öl und Salben einreiben, denn sie gaben bei jeder Bewegung einen penetranten Geruch von sich, und ihre Haut war zart.
Trotzdem schauderte Cathérine vor Widerwillen, als diese Hände sich auf ihre Hüfte legten, um die Glätte ihrer Haut zu prüfen.
»Du kannst beruhigt sein«, meinte Fatima spöttisch dazu. »Der Körper ist glatt und zart, ohne Fehl.«
»Ich will es sehen!« sagte die andere nur und schlug ruhig den Bolero auseinander, die Brüste der jungen Frau freimachend, die sie mit zwei Fingern drückte, um ihre Festigkeit zu prüfen. »Die schönsten Früchte der Liebe!« fügte Fatima hinzu, ihren Artikel mit nicht mehr Bescheidenheit anpreisend als ein Teppichhändler den seinen. »Welcher Mann von Verstand würde sie nicht vorziehen? Du kannst suchen, wo du willst, Morayma: in den eisigen Landen des Nordens, in den brennenden Sandwüsten, bei den Säulen des Herkules, auf den Terrassen der Levante, ja bis zum Großen Khan, und du wirst nirgendwo eine vollkommenere Blume finden, die du dem Allmächtigen Herrn der Gläubigen anbieten könntest!«
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