Sie öffnete den Mund, um Fatima eine neue Frage zu stellen, aber ein mächtiges Schnarchen schnitt ihr das Wort ab. Ermüdet durch ihre schwere Tagesarbeit, hatte die dicke Äthiopierin sich sacht auf die auf dem Boden ausgebreiteten Kissen zurückgelegt und überließ sich, den großen Mund weit geöffnet, die Hände auf dem stattlichen Bauch gefaltet, dem Schlaf. Cathérine lächelte still, machte es sich auf ihren Kissen bequem und hing weiter ihren Träumen nach.
Acht Tage später war Cathérine verwandelt. Das ruhige, träge und bequeme Leben, das sie bei Fatima geführt hatte, die reichliche Nahrung, die langen, faulen Stunden in den Bassins mit lauwarmem, heißem oder kaltem Wasser und besonders die vielfältigen komplizierten Prozeduren, welche die Äthiopierin mit ihr vorgenommen hatte, hatten Wunder gewirkt. Ihr Körper hatte seine Magerkeit verloren, ihr Fleisch blühte wieder herrlich, ihre Haut war so fein und zart geworden wie ein Blütenblatt, und schließlich hatte sie sich an die fremde Landeskleidung gewöhnt und empfand Vergnügen daran, sie zu tragen.
Während ihres Aufenthalts bei Fatima hatte Abu al-Khayr sie mehrere Male besucht, um sich von dem erzielten Fortschritt zu überzeugen, doch hatten weder Gauthier noch Josse ihn begleiten dürfen. Seine Besuche waren schnell erfolgt und immer steif verlaufen, denn er achtete streng darauf, seine Haltung als Kunstliebhaber zu bewahren, der kommt, um zu sehen, wieweit die Instandsetzung des seltenen Gegenstandes gediehen sei, den er aufgestöbert hatte.
Er hatte ihr dabei zuflüstern können, er habe das richtige Mittel noch nicht entdeckt, sie im Palast einzuführen, habe aber verschiedene Pläne in Aussicht, doch dies hatte Catherines Ungeduld natürlich nicht besänftigt. Sie fühlte sich jedenfalls völlig bereit. Die großen polierten Silberspiegel des Massageraums vermittelten ihr jetzt ein vorzügliches Bild, dessen neue Macht sie schleunigst ausprobieren wollte. Doch Fatima war offenbar noch nicht zufrieden.
»Geduld!« sagte sie, ihr Gesicht mit peinlichster Sorgfalt schminkend. »Du hast noch nicht die von mir gewünschte Vollkommenheit erreicht.«
Sie verbarg ihre schöne Klientin in der Tiefe des Hauses, und nur ihre Dienerinnen oder ihre Eunuchen durften sich ihr nähern, wenn sie Besuch empfing. Als Cathérine jedoch eines Morgens triefend aus dem Becken stieg, hatte sie Fatima in angeregter Unterhaltung mit einer alten, in prächtigen grünen Brokat gekleideten Frau gesehen, deren schlaue Augen ihren Körper unverhohlen gemustert hatten. Die beiden Frauen schienen heftig zu diskutieren, und Cathérine hätte schwören können, daß sie selbst der Gegenstand dieser Diskussion sei; aber nach einem zustimmenden Kopfnicken war die Alte pantoffelklappernd hinausgegangen, und als Cathérine Fatima nach ihrem Begehr gefragt hatte, hatte die Äthiopierin nur mit den Schultern gezuckt.
»Eine alte Freundin von mir! Aber wenn sie wiederkommt, mußt du dich von deiner besten und liebenswürdigsten Seite zeigen … denn sie kann viel für dich tun, wenn du einen … schneidigeren Herrn als den kleinen Arzt wünschst!«
Mehr hatte Fatima nicht sagen wollen, und das ›Licht des Morgens‹ hatte sich mit ihren geheimnisvollen Werten begnügen müssen, deren Sinn sie, um die Wahrheit zu sagen, zur Hälfte schon erriet. Hatte Abu ihr nicht gesagt, Fatima sei die Königin der Kupplerinnen? Sie hatte sich also damit begnügt, sanft zu bemerken: »Einen schneidigeren Herrn, gewiß … aber ich wäre sehr glücklich, wenn ich durch diesen Herrn die Wunder der Alhambra entdecken könnte.«
»Das ist nicht möglich«, hatte Fatima unwirsch erwidert, und Cathérine hatte für diesmal das Thema fallenlassen.
Am Tage nach dem Besuch der Alten im grünen Brokat hatte die junge Frau von Fatima die Erlaubnis erhalten, auf den Markt zu gehen. Sie liebte es, in der warmen, staubigen und herrlichen Atmosphäre dieser endlosen, schilfrohrüberdachten Straßen herumzuschlendern, wo die Wunder aus all den kleinen Läden quollen. Schon zuvor hatte Fatima ihr zwei- oder dreimal erlaubt auszugehen, selbstverständlich tief verschleiert, in Begleitung zweier Dienerinnen, die ihr nicht von der Seite wichen, und hinter sich einen großen Eunuchen, der unter dem Arm eine Karbatsche aus geflochtener Rhinozeroshaut trug. So war es an diesem Morgen auch gewesen. Mit ihrer üblichen Begleitung ging die junge Frau unter einem leichten, weiten honigfarbenen Seidenschleier, der nur ihre geschminkten Augen sehen ließ, ruhigen Schritts dem großen Seidenmarkt zu, der sich fast zu Füßen der Auffahrt zur Alhambra öffnete. Der Tag versprach brennend heiß zu werden. Ein dichter bläulicher Dunst hüllte die Stadt ein, und überall besprengten die Bürger die Gassen mit Wasser, um sich etwas Kühle zu verschaffen und den Staub zu binden. Es war noch sehr früh. Der Tag war erst seit zwei Stunden angebrochen, aber es war der einzige Augenblick, da es zu noch relativ dämmeriger Stunde angenehm war, die frische Kühle der Häuser zu verlassen. Was in keiner Weise das übliche Getriebe an den Markttagen Granadas verhinderte.
Cathérine trat aus dem Schatten einer Moschee, ging auf den Brückenbogen zu, der zum Markt führte, und von dort auf den freien, sonnendurchfluteten Platz vor dem Bab el-Ajuar, dem großen, von herkulischen Nubiern bewachten roten Tor, das die erste Porta der Alhambra bildete, als gellende kriegerische Musik an ihre Ohren schlug. Ein Reitertrupp mit Ghaitas – einer Art Dudelsack – und kleinen Trommeln kam durch das Tor geritten, als Vorausabteilung eines mächtigen Bewaffnetentrupps. Soldaten mit dunklen Gesichtern, wilden Augen, die Lanzen auf den Schenkeln, umgaben auf kleinen, flinken andalusischen Pferden eine Gruppe prächtig gekleideter Reiter, die alle auf dick mit Leder behandschuhten Fäusten Falken oder Geierfalken trugen. Die den Raubvögeln übergezogenen Hauben waren aus purpurroter, mit Edelsteinen besetzter Seide, die Gewänder der Reiter aus kostbarem Brokat, und ihre Waffen strotzten von Gemmen. Ohne Zweifel große Herren. Alle hatten feingeschnittene, edle Gesichter, kurze schwarze Bärte und kohlschwarze Augen. Nur einer hatte ein bartloses Gesicht und trug keinen Turban. Er ritt den anderen etwas voraus, schweigend, hochmütig, lässig seinen feurigen Renner zügelnd, ein schneeweißes Tier, das den Blick Catherines auf sich zog. Sofort glitten die Augen der jungen Frau vom Pferd zum Reiter empor.
Sie unterdrückte einen Schrei: Das Pferd war Morgane, der Reiter Arnaud …
Sehr aufrecht im bestickten Sattel sitzend, überragte er seine Begleiter um einen Kopf, war orientalisch gekleidet, doch in goldbestickter schwarzer Seide, die sich stark von den leuchtenden Farben der anderen abhob, und lässig über die Schultern zurückgeworfen trug er seinen weiten Burnus aus feiner weißer Wolle … Sein schönes Gesicht mit den kantigen Zügen, sein herrisches Profil war hohl, dünn und genauso sonnengebräunt wie das der Mauren. Seine schwarzen Augen brannten von einem dunklen Feuer, aber um die Schläfen zeigten sich zarte Silberfäden in seinem dichten schwarzen Haar.
Wie am Boden festgenagelt und bis ins Innerste erschüttert, verschlang Cathérine ihn mit den Augen, während er im nervösen Tänzelschritt seiner Stute näher kam, gleichgültig, fern, lediglich seinem großen Falken auf der Faust Aufmerksamkeit schenkend, den er sich manchmal ans Gesicht hielt, als wollte er mit ihm sprechen. Sprachlos vor innerer Bewegung stand Cathérine so regungslos da, als wäre sie vom Blitz getroffen. Sie hatte sehr wohl gewußt, daß er ganz in ihrer Nähe lebte; ihm jetzt aber so plötzlich gegenüberzustehen, ihn wiederzusehen, so nahe und gleichzeitig doch so unerreichbar! … Nein, darauf war sie nicht vorbereitet, das hatte sie nicht erwartet. Teilnahmslos gegenüber dem Drama, das sich einige Schritte von ihnen entfernt abspielte, ritten die Kavaliere ihres Weges. Sie würden sich entfernen, würden um die Ecke eines roten Backsteinpalastes verschwinden, dessen wenige schmale Fenster dicht verhängt waren … Ein jäher Impuls drängte Cathérine der hohen schwarzweißen Erscheinung nach, die in die enge Gasse einbog. Doch zwei feste Hände legten sich auf ihre Arme und hielten sie zurück, während der Eunuch, bestürzt die großen Augen rollend, sich vor sie stellte und ihr den Weg versperrte.
»Laßt mich los!« brauste die junge Frau auf. »Was soll das? Ich bin doch keine Gefangene!«
»Wir haben ausdrückliche Befehle von Fatima«, erwiderte eine der beiden Frauen entschuldigend. »Wir müssen dich unter allen Umständen hindern, etwas zu tun, was dich in Gefahr bringen könnte. Du wolltest dich doch auf die Spur der Prinzen setzen …«
»Ist es verboten, sie sich aus der Nähe anzusehen?«
»Aber ja! Die Krummschwerter ihrer Krieger schlagen schnell zu, um so mehr, als sie auch den fränkischen Gefangenen der Prinzessin eskortieren. Du könntest den Kopf verlieren, ehe du dich's versähest … und Fatimas Stock würde ganz schön auf unsere Schultern heruntersausen!«
Offenbar war es eher das, als sie sterben zu sehen, was die Dienerinnen der Äthiopierin besonders fürchteten … aber im Grunde hatten sie recht. Wenn sie sie hätten gewähren lassen, zu welcher Unvorsichtigkeit wäre sie fähig gewesen? Hätte sie sich zurückhalten können, den Mann, den sie liebte, anzurufen? Hätte sie ihre Hände hindern können, den Schleier von ihrem Gesicht zu reißen, damit er sie erkennen könnte? Wenn dieser öffentliche Skandal Zobeida gemeldet würde, wäre das ihr Tod … und vielleicht auch sein Tod … Nein! … So war's gut! Aber wie grausam war dieser Augenblick gewesen!
Noch vor heftiger Bewegung zitternd, drehte Cathérine sich langsam auf den Fersen um.
»Gehen wir zurück!« sagte sie seufzend. »Ich habe keine Lust mehr, auf dem Markt zu promenieren. Es ist schon zu heiß!« Indes blieb sie an der Mauer der kleinen Moschee mit der grünen Kuppel stehen … Zwei Bettler, der eine sehr groß und mager, die Arme unter seinen Lumpen verschränkt, der andere ein kleiner Bursche, der auf seinem einzigen Bein hockte, sahen dem glänzenden Jagdzug nach, wie er in der Ferne verschwand. Einige ihrer Worte drangen ans Ohr der jungen Frau.
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