»Was heißt das?«
»Ihr seid ebensowenig Hauptmann, wie wir Soldaten sind. Begnügt Euch, ›mein Bruder‹, uns die Straßen entlangzuführen, und befaßt Euch nicht weiter mit uns! Dame Gillette wünscht die Reise fortzusetzen, und sie wird sie fortsetzen!«
Ein Zornesfunkeln, das Cathérine bereits zu erkennen gelernt hatte, blitzte gefährlich in den grauen Augen des Mannes auf. Er trat einen Schritt auf die junge Frau zu.
»Ihr wagt es, meiner Autorität zu trotzen?« rief er mit bebender Stimme.
Cathérine hielt seinem Blick ohne Wimperzucken stand und warf ihm sogar ein kaltes Lächeln zu.
»Ich trotze ihr nicht, ich weigere mich lediglich, sie anzuerkennen, so wie Ihr sie uns aufzwingen wollt. Im übrigen, beruhigt Euch, Dame Gillette wird Euch keinerlei Mühe machen. Sie wird den Weg zu Pferd fortsetzen.«
»Zu Pferd? Wo glaubt Ihr wohl, ein Pferd auftreiben zu können?«
Ermengarde, die dem Gespräch bis dahin mit Interesse gefolgt war, fand es jetzt an der Zeit, sich einzumischen. Sie humpelte zu Gerbert heran.
»Ich habe Pferde, denkt Euch, und ich werde ihr eins geben! Habt Ihr etwas dagegen?«
Diese Einmischung paßte dem Clermonteser ganz offensichtlich nicht. Er runzelte die Stirn und blickte die alte Dame mit unmißverständlicher Verachtung an:
»Wer ist die da?« fragte er. »Woher kommt Ihr, gute Frau?«
Das bekam ihm schlecht. Die Edle von Châteauvillain wurde plötzlich puterrot. Fest auf ihre Krücken gestützt, richtete sie sich zu ihrer vollen Höhe auf, was ihr Gesicht fast auf gleiche Höhe mit dem Bohats brachte. »Euch, mein Junge, müßte man fragen, woher Ihr kommt, daß Ihr Euch so flegelhaft benehmt! Himmelkreuzdonnerwetter! Ihr seid wahrhaftig der erste, der es gewagt hat, mich ›gute Frau‹ zu nennen, und ich rate Euch, es nicht noch einmal zu tun, wenn Ihr nicht wollt, daß meine Männer Euch Höflichkeit beibringen. Trotzdem, da ich die Absicht habe, mich Euch anzuschließen, um den Weg mit meiner Freundin, der Gräfin de Be… de Montsalvy, zurückzulegen, willige ich ein, Euch zu sagen, daß ich Ermengarde heiße, Dame und Gräfin de Châteauvillain im Lande Burgund, und daß selbst Herzog Philippe seine Worte wägt, wenn er mit mir spricht! Noch etwas?«
Gerbert Bohat zögerte, mit sichtlicher Mühe eine unverschämte Bemerkung zurückhaltend, aber der herrische Ton der alten Dame verfehlte trotz allem seine Wirkung nicht.
Er öffnete den Mund, schloß ihn wieder, hob die Schultern und sagte schließlich:
»Ich habe nicht die Macht, sosehr ich es wünschte, Euch zu hindern, Euch uns anzuschließen, auch nicht, diese Frau mitzunehmen, da Ihr Euch um ihre Beförderung kümmert.«
»Danke, Bruder«, sagte Gillette freundlich und mit einem schwachen Lächeln. »Seht, ich muß zum Grab des heiligen Jakob pilgern, es ist nötig … damit mein Sohn seine Gesundheit wiedererlange.«
Cathérine, deren scharfe Augen nicht von dem Gesicht Bohats wichen, hatte den Eindruck, daß sein Zorn verebbte. Etwas, das an Bedauern gemahnte, war in seinen Augen zu lesen. Er wandte den Kopf ab.
»Macht, was Ihr wollt!« sagte er barsch. »Dankt mir nicht!« Er entfernte sich, aber im Vorbeigehen fing Cathérine den Blick auf, den er ihr zuwarf. Von nun an war dieser Mann ihr Feind, dessen war sie sicher. Was sie aber nicht verstehen konnte, war der sonderbare Ausdruck in seinem Blick, als er sie angesehen hatte. Hinter der kalten Wut und der Rachsucht lag noch etwas. Und dieses Etwas war, hätte Cathérine schwören können, Angst.
An all dies dachte sie in der eiskalten Kapelle, inmitten des Lärms der schlecht aufeinander abgestimmten Stimmen, die feierlich ihr Gottvertrauen bekundeten. Was war an ihr, das einem so selbstsicheren Mann wie Gerbert Bohat Furcht einflößen konnte? … Da es auf diese Frage im Augenblick keine Antwort gab, beschloß die junge Frau, das Nachdenken darüber auf später zu vertagen. Übrigens würde ihr die große Menschenkenntnis Ermengardes bei Gelegenheit vielleicht noch nützlich sein können.
Mechanisch verließ sie die Kirche wie die anderen, empfing wie die anderen das Stück Brot, das der Pater für die Verpflegung an der Pforte des Hospizes den Scheidenden reichte, und nahm ihren Platz inmitten ihrer Gefährten wieder ein. Sie hatte das Pferd, das Ermengarde ihr anbot, abgelehnt. Ihre Füße, deren einer eine große, jetzt aufgegangene Blase hatte, waren von Schwester Leonarde geschickt verbunden worden, und sie fühlte sich fähig zu marschieren.
»Ich werde Euch um Hilfe bitten, wenn ich nicht mehr weiter kann«, sagte sie zu Ermengarde, die zwei Barmherzige Schwestern auf ein großes, ebenso rotes Pferd wie sie selbst hoben. Zwei andere hatten Gillette auf einen lammfrommen Zelter gesetzt, der bislang eine der Frauen der Edlen getragen hatte. Die beiden Kammerzofen, die mit vier Bewaffneten das gesamte Gefolge der Dame Ermengarde bildeten, begnügten sich mit einem gemeinsamen Pferd und hatten sich in der Nachhut unter einige Berittene des Trupps eingereiht.
Das Portal öffnete sich wieder vor der ausgeruhten Kolonne. Der Schnee und der Nebel des vergangenen Tages waren nur noch eine Erinnerung. Die Sonne schien am blauen, völlig wolkenlosen Himmel, und die Frische der morgendlichen Stunde ließ trotz allem eine schöne und milde Reise erhoffen. Kaum hatten sie die Mauern des alten Hospizes hinter sich, wurde der Weg breit und steinig und senkte sich auf die Sohle einer mit frischem Gras bewachsenen Mulde, erster Absatz vor dem tiefen Tal des Lot, aus dem dichter bläulicher Nebel aufstieg. Josse Rallard und Colin des Epinettes marschierten wie auf Verabredung zu beiden Seiten Catherines. Der letztere schien seine mißmutige Miene von tags zuvor abgelegt zu haben. Er betrachtete die an diesem klaren Morgen so freundliche Landschaft mit einem zufriedenen Lächeln.
»Die Natur!« schwärmte er Cathérine vor. »Welche Pracht! Wie kann man nur in unseren stinkenden Städten wohnen, wenn man soviel Frische, Sauberkeit und Freiheit um sich hat!«
»Besonders, wenn es in besagten Städten so viele unmögliche Frauen gibt!« meinte Josse mit einem liebenswürdig-boshaften Lächeln zu seinem Gefährten hinüber. Aber der Bürger aus Paris schien den Einwurf nicht sonderlich zu schätzen, denn er machte plötzlich ein saures Gesicht, hob die Schultern und schritt ein wenig voran. Cathérine warf ihrem Nachbarn einen fragenden Blick zu. »Warum ist er böse?« fragte sie. »Habt Ihr etwas Unangenehmes zu ihm gesagt?«
Josse brach in Lachen aus, zwinkerte der jungen Frau zu und hob munter seinen Bettelsack auf die Schulter.
»Wenn Ihr Euch mit dem ausgezeichneten Colin gutstellen wollt«, flüsterte er, »dann vermeidet vor allem, über Frauen im allgemeinen und die seine im besonderen mit ihm zu sprechen.«
»Warum denn?«
»Weil es die schrecklichste Xanthippe ist, die der Teufel jemals auf die Erde gebracht hat, und wenn unser würdiger Freund, der nichts von einem fahrenden Ritter oder einem Paladin an sich hat, sich in die Abenteuer einer Pilgerfahrt gestürzt hat, dann einzig und allein, um ihr zu entwischen. Er besitzt alles: Gesundheit, Vermögen, Achtbarkeit. Aber leider auch die Dame Aubierge, und um von ihr entfernt zu leben, glaube ich, wäre er fähig, bis in den ägyptischen Sudan zu laufen! Ich bin sicher, daß er, wenn er die Wahl zwischen Sklavenketten und seinem Sessel in der Rue des Haudriettes hätte, die Ketten vorzöge!«
»So steht es also?« rief Cathérine erschrocken. »Streitet sie sich so mit ihm?«
»Noch schlimmer!« erwiderte Josse betrübt. »Sie prügelt ihn windelweich!«
Nachdem er dies gesagt und Gerbert Bohat an der Spitze des Zuges eine Litanei angestimmt hatte, um den Rhythmus des Marsches anzugeben, begann Josse ein Trinklied zu trällern, das den Vorzug hatte, unendlich lustiger zu sein.
2
Man legte in zwei Tagen die schwierige Strecke zurück, die durch das Tal des Lot und die steilen Schluchten des Doudou von Aubracin die heilige Stadt Conques führte. Zwanzig Wegstunden waren es, unterbrochen nur von einer kurzen Nacht in Espalion in der uralten Kommandantur der Tempelritter, wo andere Mönchssoldaten, die Barmherzigen Brüder von Sankt Johann aus Jerusalem, ihr Bestes taten, die Pilger zu laben und zu stärken. Gerbert Bohat schien von einer Art Wut besessen zu sein und wollte nichts von Klagen noch von den Schmerzen seines Trupps hören.
Für Cathérine waren diese beiden Tage ein Stück Hölle gewesen. Ihr verletzter Fuß machte ihr schwer zu schaffen, aber sie hatte sich hartnäckig geweigert, ein Pferd zu besteigen. Wenn sie diese Reise nicht wie die Bedürftigsten der Pilger zurücklegte und als Buße ansah, würde Gott, so schien es ihr, sich nicht erweichen lassen. Und ihre Leiden litt sie für Arnaud, damit der Herr ihr seine Heilung gewähre und ihr erlaube, ihn wiederzusehen. Für dieses Glück wäre sie mit Freuden auf glühenden Kohlen gelaufen …
Nichtsdestoweniger hätte sie sich ohne die Hilfe eines alten Ordensmannes von Sankt Johann, der ihre zarten, geschwollenen, blutenden Füße beim Zeremoniell der Fußwaschung gewahrte, das die Mönche kniend für die Pilger absolvierten, und sie mitleidig pflegte, gezwungen gesehen, ihre Reise hier zu beenden oder sich beritten zu machen. Der Mönchssoldat hatte die wunden Füße mit einer Salbe aus Kerzentalg, Olivenöl und Weingeist bestrichen, die Wunder gewirkt hatte.
»Das ist ein altes Reiterrezept«, hatte er der jungen Frau lächelnd anvertraut. »Unsere jungen Ordensritter, die noch eine weiße Haut und ein zu zartes Gesäß für die langen Ritte haben, machen großen Gebrauch davon.« Er hatte ihr sogar etwas davon in einem Töpfchen mitgegeben, und das Heilmittel hatte sich als unfehlbar erwiesen. Trotz allem befand sich Cathérine am Rand einer Ohnmacht, als das mit seiner riesigen Abtei an den Hängen des schmalen Tals von Ouche klebende kleine Dorf im Abend auftauchte. Sie hatte nur einen gleichgültigen Blick für die bewundernswerte Basilika, vor der ihre Gefährten vor Begeisterung auf die Knie gefallen waren.
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