»Wenn die Vertrauten des Konnetabels Alvaro de Luna nicht in der Nähe sind, flüstern sich die Leute von Burgos gerne zu, dieser Arzt könne Wunder vollbringen. Warum sucht Ihr ihn nicht auf? Wenn Ihr nach Toledo fahrt und dabei in Coca Station macht, würde das kein Umweg sein.«

»Welchen Grund sollte der Herr Erzbischof haben, uns zu empfangen?« fragte Cathérine skeptisch.

»Drei Gründe: seine Gastfreundschaft, die sprichwörtlich ist; das Interesse, das er an allen fremden Dingen nimmt, die sich unter seinem Dach abspielen; und endlich … habe ich Euch nicht schon gesagt, daß er leidenschaftlicher Sammler von Edelsteinen ist?«

Diesmal hatte Cathérine verstanden. Wenn sie kein anderes Mittel hatte, sich der Dienste des Magiers von Coca zu versichern, würde der Smaragd der Königin Yolande ihr bestimmt die Pforten zu der Festung öffnen.

Ihr Entschluß war schnell gefaßt. Um Gauthier zu retten, war sie bereit, noch weit andere Opfer zu bringen als einen Umweg auf ihrer Route und den Verlust eines Juwels, so teuer es ihrem Herzen auch war. Sie hatte Hans für seine uneigennützige Hilfe mit einer Wärme gedankt, die den Deutschen tief erröten ließ. Als ihre Lippen die schlechtrasierte Wange Hans' berührten, hatte sie gesehen, wie seine hellen Augen sich mit Tränen füllten.

»Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder, Dame Cathérine?«

»Wenn Ihr Eure Arbeit hier beendet habt und ich Montsalvy wiedersehe, kommt Ihr zu uns, um bei uns Wunder zu vollbringen.«

»Das schwöre ich!«

Ein letztes Händeschütteln zwischen den beiden Männern, ein letztes Lebewohlzeichen, und das Fuhrwerk hatte sich rumpelnd auf den Weg nach Süden gemacht. Hinten war Gauthier bequem im Stroh untergebracht. Josse hatte die Zügel ergriffen und trieb die beiden Pferde an. Wenig an ein Geschirr gewöhnt, nahmen diese jeden Augenblick seine ganze Aufmerksamkeit und Kraft in Anspruch. Cathérine jedoch hatte nichts anderes zu tun, als die Landschaft zu betrachten.

Trotz der Sonne, die jetzt am blauen Himmel strahlte, war der unfruchtbare, wilde, baumlose Landstrich von einer bedrückenden Traurigkeit, der sich der immer ferner klingende Ton der Totenglocke, die die Mönche des Hospizes für den verstorbenen Pilger läuteten, zugesellte.

Catherines Gedanken verweilten bei diesem Gerbert, dem fremden und verbrecherischen, der in seinem Stolz und seinem Schmerz wie in einem doppelten ehernen Panzer eingeschlossen gewesen war. Sie hatte begriffen, daß sich seine Seele in Not unter seinem erbarmungslosen Äußeren verbarg, und bedauerte, nicht versucht zu haben, ihn besser zu verstehen. Mit etwas Freundlichkeit wäre es ihr vielleicht gelungen, sein verschlossenes Herz wenigstens halb zu öffnen … Vielleicht wären sie sogar Freunde geworden …

Trotzdem sagte ihr eine innere Stimme, sie versuche, sich in einer falschen Hoffnung zu wiegen. Bei einem Mann wie Gerbert waren nur zwei Gefühle möglich: Liebe oder Haß. Was sie betraf, so hatte er den Haß aus Furcht vor der Liebe gewählt, und jetzt hatte der versöhnende Tod diese leidende Seele für immer beruhigt. Vielleicht war es nach allem besser, statt sich zu grämen, Gott für seine Gnade zu danken …

Von Gerbert glitten Catherines Gedanken zu Gauthier, aber sie wollte nicht lange dabei verweilen. Sein Zustand bereitete ihr so bitteren Kummer, daß dies ihren Mut schwächen könnte, den sie mehr als je brauchte. Sie durfte sich nicht mürbe machen lassen, wenn sie die Chance wahrnehmen wollte, ihn zu retten. Es war schon schön, ihn wiedergefunden und einem schrecklichen Tod entrissen zu haben, nachdem sie ihn längst für sich verloren geglaubt hatte. Wer konnte sagen, ob der Maure des Erzbischofs Fonseca ihm nicht den Verstand wiedergeben würde und ob sie nicht im Triumph und unversehrt eines Tages in das märchenhafte Land der Mauren einziehen würden, um Arnaud zu befreien?

Arnaud … Verblüfft entdeckte Cathérine, daß sie ihm seit mehreren Tagen, völlig in Anspruch genommen von dem grausamen Problem Gauthier, kaum einen Gedanken gewidmet hatte. Nachdem sie nun Muße hatte, an ihn zu denken, stellte sie fest, daß ihr Zorn nicht verebbt war, im Gegenteil, daß er vielleicht noch mehr kochte, seitdem sie Gauthier wiedergefunden hatte. So viele Strapazen und Leiden erduldet für einen flatterhaften Gatten, der keine Ahnung davon hatte und höchstwahrscheinlich zu dieser Stunde, in der seine Frau die gelbe Einöde des alten Kastiliens langsam an sich vorüberziehen sah, einen Mann, der den Verstand verloren hatte, mit sich führend und das Herz überquellend vor Kummer, sich von den Liebkosungen einer Ungläubigen im Lustgarten eines sarazenischen Palastes umgirren ließ! Das derart beschworene Bild brachte die übliche ablenkende Wirkung hervor. Sie warf der Umgebung einen mit Groll geladenen Blick zu.

»Was für ein häßliches Land! Bleibt es so bis Granada?«

»Glücklicherweise nicht!« antwortete Josse mit seinem seltsamen Lächeln um die geschlossenen Augen. »Aber ich muß sagen, daß wir die Wüstenei noch nicht hinter uns haben.«

»Wo werden wir heute übernachten?«

»Ich weiß es nicht. Wie Ihr feststellen könnt, gibt es nicht viele Dörfer. Noch ist die Mehrzahl derer, die es einmal gab, verfallen und verlassen. Die große schwarze Pest im vergangenen Jahrhundert hat die Städte verwüstet und das Land entvölkert.«

»Trotzdem gibt es immer noch Überlebende!« murrte Cathérine. »Und nach einem Jahrhundert wäre es vielleicht endlich an der Zeit, wieder das Land zu bestellen!«

»Ihr rechnet nicht mit der Mesta!«

»Was ist denn das?«

»Die Zunft der Schafzüchter. Sie ist eine der seltenen Produktivkräfte dieses Landes. Ihre riesigen Herden ziehen von Landstrich zu Landstrich, den Jahreszeiten folgend, und keine Grenze und kein Hindernis kann sie aufhalten. Wie wollt Ihr unter solchen Bedingungen das Land bestellen? Da, schaut!«

Mit seiner Peitsche deutete Josse auf einen dunkelbraunen Fleck am blassen Horizont, der hin und her zu wogen schien. »Da drüben sind mehrere hundert Stück Vieh, aber Ihr könnt sehen, daß sie gut bewacht werden.«

Tatsächlich waren die üblichen ländlichen Gestalten von Hirten in langen Gewändern zu sehen, dazu einige Reiter auf Maultieren, die, sonst ebenso bäurisch wie ihre Gefährten, im Gürtel jedoch große Hirschfänger trugen. Josse hob die Schultern. »Diese Tiere sind der Reichtum irgendwelcher Leute. Der Rest des Landvolks lebt in gräßlichem Elend. Aber mit einigem Glück werden wir vielleicht ein Schloß oder sonst ein Quartier finden, das uns aufnimmt …«

»Seht zu, daß wir irgendwo einen Bach, ein Flüßchen oder auch nur eine einfache Pfütze in der Umgebung finden. Seit langem habe ich mich nicht so schmutzig gefühlt …«

Josse warf ihr einen spöttischen Blick zu und hob wieder die Schultern:

»Eine Leichtigkeit! Wasser, Dame Cathérine, ist hier noch seltener als Nahrung.«

Entmutigt stieß die junge Frau einen Seufzer aus und sank tiefer auf ihren Sitz.

»Wahrhaftig, das Leben ist sinnlos …«, stöhnte sie. »Und wie lange wird es noch dauern bis Coca?«

»Fünf Tage, wenn diese beiden Biester sich endlich bequemen, im Gleichschritt zu gehen statt jedes für sich!«

Und in der trügerischen Hoffnung, sein Gespann dadurch aufzumuntern, stimmte Josse ein Trinklied an, so entsetzlich falsch, daß Cathérine eine Grimasse schnitt.

»Was wollt Ihr damit erreichen?« spöttelte sie. »Daß es regnet oder daß diese Tiere uns durchgehen?«

Aber ihre schlechte Laune war verflogen. Sie stimmte sogar in Josses Lied ein, und so kam ihr der Weg weniger monoton vor.

7

Trotz der augenscheinlichen Bockigkeit seiner Pferde hielt Josse Wort. Die Reise dauerte nur fünf Tage. Fünf ereignislose, nicht so mühsame Tage, wie Cathérine befürchtet hatte. In den wenigen Dörfern und kleinen Städten oder bei den Schafhirten konnten sie sich gegen ein paar Geldstücke Käse, Buchweizenfladen und Milch beschaffen. Cathérine fand sogar den Fluß ihrer Träume in der Nähe des Städtchens Lerma, wo eine Menge Ziegenhautschläuche von allen Dächern herunterhingen, um in der Sonne zu trocknen. Das Wasser war noch kalt, aber das Wetter hatte ganz plötzlich und ohne Vorankündigung sommerlichen Charakter angenommen. Dem Wind und dem peitschenden Regen war eine unerwartete Hitze gefolgt, die der jungen Frau den Wassermangel und das Fehlen von Körperpflege immer unerträglicher gemacht hatte. Der Anblick des Wassers hatte sie begeistert. Es war sehr richtig, daß sie Josse erlaubt hatte, sich ein wenig aus der Stadt zu entfernen. Ohne Sorge, gesehen zu werden, und nachdem sie Josse freundlich befohlen hatte, sich umzuwenden, hatte sie sich die Kleider heruntergerissen und sich kopfüber ins Wasser gestürzt. Und dies alles so schnell, daß ihr schlanker Körper nur einen Augenblick in der Sonne geglänzt hatte, bevor er im Wasser untergetaucht war.

Von allen Bädern, die Cathérine in ihrem Leben genommen hatte, war ihr dieses als das beste vorgekommen, obgleich die Fluten nicht sehr klar waren. Sie war lange mit Genuß geschwommen, zuerst quer über den Fluß und dann wieder zurück, und hatte sich im Schutz eines Uferfelsens jeden Teil ihres Körpers sorgfältig abgerieben. Sie hätte in diesem Augenblick viel für ein Stück dieser wunderbaren parfümierten Seife gegeben, die man früher im burgundischen Flandern eigens für die schöne Geliebte des Großherzogs des Abendlandes herstellte. Jedoch war dies wirklich das einzige, was sie aus ihrem vergangenen Leben vermißte. Es konnte ihr großes Vergnügen an ihrem Bad nicht schmälern. Von Zeit zu Zeit warf sie einen Seitenblick auf Josse und das Gespann. Der ehemalige Landstreicher schien sich in eine Statue verwandelt zu haben. Steif auf seiner Bank sitzend, heftete er seinen Blick starr auf die Ohren der Pferde, die sich die Rast zunutze machten, um einige der spärlichen Grasbüschel zu fressen.