Urraca ging in die Küche und kam wieder, sprach vor sich hin, wie dies bei Tauben häufig der Fall ist, und ging ihrer Arbeit mehr oder weniger mechanisch nach.

Zur Mahlzeit schob sie Cathérine einen Teller mit halbgaren Blätterteigkuchen und einen Krug klares Wasser hin, kehrte dann wieder auf ihren Hocker neben dem Faß zurück, von wo aus sie die junge Frau mit einer Aufmerksamkeit musterte, die diese zur Verzweiflung brachte. Cathérine drehte ihr schließlich den Rücken zu und setzte sich unter die Galerie des Innenhofs, um dort die Rückkehr der Männer zu erwarten. Josse war gleichzeitig mit Hans fortgegangen.

Er wollte einen Rundgang durch die Stadt machen, um sich zu informieren, wie er gesagt hatte.

Als er im Laufe des Nachmittags zurückkam, war sein Gesicht ernst. Auf Catherines angstvolle Fragen antwortete er zunächst nur mit einem Schulterzucken.

»Die Entführung wird nicht leicht sein«, sagte er schließlich. »Ich glaube sogar, daß es zu einem Aufruhr kommen könnte. Die Leute hier sind wie losgelassene wilde Tiere. Sie verabscheuen die Briganten von Oca derart, daß sie sich an dem Gedanken geradezu weiden, einen von ihnen hier gefangenzuhalten. Wenn man ihnen ihre Beute entreißt, werden sie alles kaputtschlagen!«

»Na und, sollen sie doch!« rief Cathérine. »Was macht mir das aus? Sind wir etwa aus diesem Land? Das einzig Wichtige ist das Leben Gauthiers …«

Josse warf ihr einen kurzen Blick von unten her zu.

»Liebt Ihr ihn so sehr?« fragte er mit einem leichten Anflug von Spott, der der jungen Frau nicht entging. Sie senkte ihren blauen Blick geradewegs in die Augen des ehemaligen Landstreichers und sagte hoheitsvoll:

»Gewiß, ich liebe ihn … ich liebe ihn, als wäre er mein Bruder … oder mehr. Er ist nur ein Bauer, aber sein Herz, seine Tapferkeit und Treue machen ihn würdiger, die goldenen Sporen zu tragen, als ein Adliger. Und wenn Ihr hofft, mich zu überreden, die Stadt zu verlassen und ihn diesen Tieren auszuliefern, dann habt Ihr Eure Mühe verschwendet. Und wenn ich mein Leben dabei verlieren sollte, werde ich versuchen, ihn zu retten.«

Josses Mund verzog sich zu einem stummen Lächeln, während ein Funkeln in seinen Augen tanzte.

»Und wer sagt das Gegenteil, Dame Cathérine? Ich habe lediglich bemerkt, daß es schwierig sein würde und daß wir einen Aufruhr riskieren, mehr nicht. Hört!«

Draußen erhob sich eine neue Salve von Schreien und Todesrufen in der Dämmerung des Abends.

»Der Alkalde hat die Wachen am Fuß des Turms verdoppeln lassen. Die Leute stehen, vom Regen durchweicht, in Massen auf dem Platz und heulen wie die Wölfe.«

»Die Wachen verdoppelt?« fragte Cathérine erbleichend.

»Die Wachen beunruhigen mich nicht«, wandte Hans ein, der völlig durchnäßt in diesem Augenblick eintrat, »sondern die Menge. Wenn der Regen sie nicht einmal verjagen kann, ist das Volk fähig, die ganze Nacht, die Nase in die Höhe gereckt, an Ort und Stelle zu bleiben. Und dann – können wir mit unserem Plan einpacken!«

Er schüttelte sich wie ein Hund, zuckte mit den Schultern, um das Wasser abzuschütteln. In dem Blick, den er Cathérine zuwarf, lag Mitgefühl. Die junge Frau war kreideweiß und machte sichtbare Anstrengungen, Ruhe zu bewahren. Einen Augenblick verharrte sie in Schweigen, während Hans seine Schuhe auszog, die völlig verdreckt waren. Schließlich fragte sie:

»Die Winde? Habt ihr Euch darum kümmern können?«

»O ja. Unter dem Vorwand, etwas funktioniere nicht, habe ich sie derart eingefettet, daß man sie braten lassen könnte. Aber das Hauptproblem sind all diese Leute, die da draußen gaffen und brüllen! So könnte man dem Gefangenen nicht einmal zu trinken und zu essen geben.«

»Sie müssen weg!« sagte Cathérine grollend zwischen den Zähnen. »Unbedingt!«

»Ja«, entgegnete Josse, »aber wie? Wenn der Regen nicht einmal ausreicht …«

In diesem Augenblick krachte ein solcher Donnerschlag, daß die drei Gefährten auffuhren. Gleichzeitig hätte man meinen können, der Himmel platze. Der Regen verwandelte sich zur Sintflut. Es goß wie aus Kübeln, so daß sich der Platz in wenigen Minuten leerte.

Die Menschen schützten sich, so gut sie konnten, gegen den Platzregen und stürmten fluchtartig in die Häuser zurück. Die Soldaten drückten sich instinktiv an die Wand der Kathedrale, ein notdürftiges Obdach suchend. Die Arbeiter stiegen von den Türmen herunter. Nur der Käfig blieb in Gewitter und Wind, der so heftig war, daß das hölzerne Gehäuse hin und her schaukelte.

Hinter dem kleinen Fenster des Raums zusammengedrängt, blickten Cathérine, Hans und Josse hinaus.

»Wenn das andauern würde …«, murmelte Cathérine. »Aber es ist ja nur ein Gewitter …«

»Es kommt vor, daß Gewitter andauern«, sagte Hans ermutigend. »Auf jeden Fall bricht die Nacht an … es wird ziemlich dunkel werden. Kommt, meine Leute nähern sich. Wir müssen etwas essen und ein wenig ruhen. Wir haben heute nacht noch einiges zu tun …«

Der Abend kam Cathérine noch länger vor als der Tag. Der Regen hielt an. Man hörte auf dem Dach sein unaufhörliches, wütendes Prasseln. Die Arbeiter hatten schweigend gegessen, dann ging einer nach dem anderen mit vor Müdigkeit hängenden Schultern zu seinem Lager. Nur zwei oder drei blieben zurück, um mit Hans Bier zu trinken, das aus dem großen Faß gezapft wurde.

Am Feuerherd Josse gegenübersitzend, der, die Kappe über die Augen gezogen und die Arme gekreuzt, zu schlafen schien, wartete Cathérine.

Auch sie hatte die Augen geschlossen, aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Zu viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Alle drehten sich um den Mann, der da oben den entfesselten Elementen ausgeliefert war. Traurig dachte Cathérine, daß selbst der Himmel zum Leiden dessen beizutragen schien, der nicht an ihn glaubte. Dann ängstigte sie sich und wurde ungeduldig, indem sie sich die Aufgabe vergegenwärtigte, die sie in den nächsten Stunden erwartete. Würden sie ihre Sache zu einem guten Ende führen? Und wenn sie Gauthier erst aus dem scheußlichen Käfig befreit hatten, wie würden sie ihn aus der Stadt schaffen können? Machte sich der tapfere Hans die möglichen entsetzlichen Folgen einer Entführung klar? So viele Fragen, auf die Cathérine keine Antwort fand.

Schließlich zogen sich die letzten Männer zur Ruhe zurück, und das Feuer brannte nieder. Die alte Urraca war schon lange in irgendeinem Winkel verschwunden. Die Dunkelheit in der verräucherten Küche wurde tiefer. Das Haus füllte sich mit Schnarchgeräuschen; nur Cathérine behielt die Augen offen und hörte nichts als die schweren Schläge ihres Herzens. Sie hatte sich nicht einmal hinlegen wollen, und als sie im Dunkel die schweigende Gestalt des Baumeisters näher kommen sah, erhob sie sich sofort. Auch Josse stand gleichzeitig auf.

»Kommt!« flüsterte Hans. »Jetzt oder nie …«

Alle drei fanden sich wieder am Brunnen im Hof ein. Es regnete fast nicht mehr, aber es war stockfinster.

»Einen Augenblick«, sagte Hans leise. »Wir müssen einiges mitnehmen.« Er gab Cathérine ein in rauhen Stoff gewickeltes Paket, Josse einen schweren, dicken Leinenbeutel und belud sich selbst mit einem großen Sack, der ein ziemliches Gewicht zu haben schien.

»Was ist denn das alles?« fragte Cathérine ganz leise.

»Oben werdet Ihr verstehen. Kommt schnell!«

In der tiefen nächtlichen Dunkelheit schlugen sie denselben Weg ein wie in der vorhergegangenen Nacht. Man konnte keine drei Schritt weit sehen, und sie hielt sich an Hans' Gürtel fest, um nicht zu fallen. Unbehindert gelangten sie zum Portalvorbau und traten in die Kirche. Wie in der Nacht zuvor beteten zwei Mönche am Grabmal des Cid, doch Cathérine warf ihnen kaum einen Blick zu. Sie wurde derart von Ungeduld verzehrt, daß sie bereit war, jedes etwa auftauchende Hindernis über den Haufen zu rennen. Von Zeit zu Zeit tastete sie nach dem treuen Dolch in ihrem Gürtel, entschlossen, sich seiner zu bedienen, wenn es nötig werden sollte.

Auf dem Turm oben zwang sie der heftig fegende Sturm, sich zu ducken, aber ihre Augen hatten sich ein wenig an die Dunkelheit gewöhnt. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre zweimal gefallen, als sie sich dem Geländer näherte. Der Käfig erschien nur als dunklerer Fleck in einem dunklen Meer. Die Dächer der Stadt und das umliegende Land verschwammen von oben aus gesehen ineinander.

»Man sieht ja nichts!« flüsterte sie. »Wie sollen wir da vorwärts kommen?«

»Ich sehe genug«, entgegnete Hans. »Das ist die Hauptsache. Achtung, Josse, ich werde jetzt den Käfig hochziehen …«

Die Ärmel hochkrempelnd, spuckte der Baumeister in die Hände und packte das riesige Windenrad, das Cathérine mit Entsetzen betrachtete, weil sie sich nicht denken konnte, daß ein einzelner Mann es in Bewegung setzen könnte.

»Ich werde Euch helfen!« erklärte sie.

»Nein … laßt! Es wird besser sein, Ihr seid Josse behilflich, den Käfig heranzuziehen, wenn er auf der Höhe der Plattform erscheint. Das wird nicht einfach sein … Und was diese Winde anlangt, seid beruhigt, ich kenne sie.«

Nachdem er tief Atem geholt hatte, begann Hans, sich auf die dicke Kurbel der Winde zu stemmen. Der Käfig schwankte, und dann fing er langsam, sehr langsam an, sich zu heben. Kein Geräusch war zu hören. Die Winde war gut eingeschmiert.

Im Käfig rührte sich nichts. Man konnte kaum die reglose Gestalt erkennen.

»Wen er nur nicht tot ist!« seufzte Cathérine, die diese Unbeweglichkeit erschreckte.

»Hoffentlich gelingt es Hans«, sagte Josse beunruhigt. »Das ganz allein hochzuziehen, erfordert Riesenkräfte!«

Die ungeheure Anstrengung des Baumeisters war an seinem kurzen, keuchenden Atem abzulesen. Bis in die letzte Fiber ihrer Haut spürte Cathérine den furchtbaren Kampf zwischen den Muskeln des Mannes und dem Gewicht des Käfigs. Dieser hob sich nur unmerklich.