Sie drückte die Fäuste in die Falten ihres Kleides, hielt sich nur mit Mühe im Zaum. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte in dieses von Abneigung verzerrte, ihr trotzende Gesicht geschlagen … Fortunat hingegen war von ihrem Zorn anscheinend durchaus nicht beeindruckt. Es schien sogar, als delektierte er sich daran. »Ich lüge? … Ihr wagt zu sagen, ich lüge?« Langsam, die kleinen schwarzen Augen fest auf Cathérine gerichtet, hob der Gaskogner die Hand und sprach feierlich: »Ich schwöre beim Heil meiner unsterblichen Seele, daß Messire Arnaud zu dieser nämlichen Stunde Liebe und Freuden in den Palästen von Granada genießt! Ich schwöre, daß …«
»Genug!« erklang plötzlich hinter Cathérine die barsche Stimme Ermengardes. »Gott liebt es nicht, daß ein Schwur zur Kränkung dient! Du hast dein Gift jetzt verspritzt, das genügt, mein Junge! … Sag mir trotzdem noch eins: Wie kommt es, daß du hier bist, du, der treue Diener? Warum ziehst du auf den Landstraßen umher, auf die Gefahr hin, dein Leben zu verlieren, obwohl du doch ebenfalls dein Glück bei irgendeiner maurischen Schönen finden könntest! Hat deine Prinzessin keine Kammerzofe, die schön genug ist, dich zu fesseln? Warum bist du nicht bei deinem Herrn geblieben, um die Freuden der Liebe mit ihm zu teilen?«
Die furchteinflößende rote Silhouette der Edlen und ihr herrischer Ton schüchterten den Knappen ein. Sie erinnerte an einen Fels … Der Gaskogner sah aus, als wollte er sich verkriechen. Er senkte den Kopf:
»Messire Arnaud hat es so gewollt! Er hat mich zu seiner Mutter gesandt, von der er wußte, daß sie litt. Ich sollte ihr die gute Nachricht von der Heilung überbringen, ihr sagen …«
»Daß ihr Sohn, ein Hauptmann des Königs, ein Christ, seine Pflicht und seinen Eid wegen der schönen Augen einer Huri vergessen hat? Schöne Nachricht für eine Edeldame! Wie ich mir die Dame de Montsalvy vorstelle, dürfte sie derlei glatt umbringen!«
»Dame Isabelle ist tot«, sagte Cathérine ernst. »Keine Nachricht kann sie mehr erreichen! Und dein Auftrag ist erfüllt, Fortunat! Du kannst nach Belieben nach Frankreich oder zu deinem Herrn zurückkehren.«
Ein Ausdruck grausamer Neugier erschien auf dem mageren Gesicht des Gaskogners.
»Und Ihr, Dame Cathérine«, fragte er begierig, »was werdet Ihr tun? Ich kann mir nicht denken, daß Ihr beabsichtigt, Euren Gatten zurückzufordern. Ihr würdet nicht einmal zu ihm vordringen … Christliche Frauen sind dort unten versklavt und arbeiten unter der Peitsche, oder man wirft sie den Soldaten hin, damit sie sich mit ihnen vergnügen … sofern man sie nicht unter schrecklichen Foltern sterben läßt! Glaubt mir, für Euch ist ein gutes Kloster das beste und …«
Der Satz erstickte in einem fürchterlichen Gurgeln. Die schöne, kräftige Hand Ermengardes hatte Fortunat am Hals gepackt und ihm den Atem abgeschnürt.
»Ich habe dir schon einmal gesagt, du sollst schweigen!« brummte die Edle. »Und ich sage nie etwas zweimal.«
Cathérine, die all das nichts mehr anging, hatte ihn keiner Antwort gewürdigt. Sie drehte sich um, umfing mit einem einzigen mutigen Blick alle ihr ängstlich zugewandten Gesichter und ging dann langsam zur Tür. Die schwarzen Falten ihres Kleides fegten über das auf den Fliesen ausgestreute Stroh. Jan van Eyck wollte ihr folgen. Er rief:
»Cathérine! Wohin geht Ihr?«
Sie wandte sich mit einem schwachen Lächeln um.
»Ich muß einen Augenblick allein sein, mein Freund … Ich glaube, Ihr versteht das? Ich gehe nur in die Kapelle … Laßt mich!«
Sie verließ den Saal, durchschritt den Hof und das Gewölbe, das den Weg überspannte. Sie wollte sich in die dem heiligen Jakob gewidmete Kapelle begeben, die auf der anderen Seite lag. Vor dem Abendbrot hatte man ihr die große Kirche des Klosters gezeigt, aber sie hatte zuviel Gold und Edelsteine an den majestätischen Jungfrauen gefunden, zu viele befremdende Gegenstände um die liegende Steinstatue des Königs Sancho des Starken, die alles andere erdrückte. Sie wollte einen friedlichen, kleinen Ort, wo sie sich und Gott wiederfinden konnte. Die Kapelle neben einem niedrigen Grabgewölbe, in dem unterwegs gestorbene Pilger begraben lagen, schien ihr genau der richtige Ort.
Außer dem Standbild des heiligen Reisigen, vor dem eine Öllampe brannte, gab es nur einen steinernen Altar und abgetretene Fliesen. Es war kalt und feucht, aber Cathérine war jenseits aller körperlichen Empfindungen. Sie hatte plötzlich das Gefühl, gestorben zu sein … Da Arnaud sie verraten hatte, gab es keinen Grund mehr für ihr Herz zu schlagen! … Für eine unbekannte Frau hatte der Mann, den sie über alles liebte, mit einem Schlag die Bande zwischen ihnen zerrissen. Und Cathérine fand, daß ein Teil von ihr, der beste, wesentliche, abgetrennt war, fand sich allein inmitten einer endlosen Wüste. Ihre Hände waren leer, ihr Herz war leer, ihr Leben zerstört.
Schwer sank sie auf dem kalten Stein in die Knie und vergrub das Gesicht in ihren zitternden Händen.
»Warum?« stammelte sie. »Warum?«
So blieb sie lange, völlig erschöpft, ohne zu denken, ohne zu beten, ohne selbst die Kälte zu spüren, die ihren Körper durchdrang. Nicht einmal Tränen hatte sie. In dieser schwarzen, eisigen Kapelle fühlte sie sich wie in einer Gruft, die sie nicht mehr verlassen wollte. Unfähig, nachzudenken, wälzte sie nur immer wieder diesen einzigen, quälenden Gedanken im Kopf: ›Er‹ hatte sie einer anderen wegen vergessen … Nachdem er ihr geschworen hatte, sie bis zum letzten Atemzug zu lieben, hatte er einer Feindin seiner Rasse, seines Gottes die Arme geöffnet … und sagte ihr jetzt zweifellos dieselben zärtlichen Worte, die Cathérine einst bebend von ihm gehört hatte … Würde sie sich jemals von diesem Gedanken lösen, dieses Bild aus ihrem Geist verbannen können? Würde sie nicht daran sterben? So versunken war sie in ihren Schmerz, daß sie die beiden festen Hände kaum fühlte, die sie hochzogen und ihr dann einen Mantel über die frierenden Schultern legten.
»Kommt, Cathérine«, sagte die kernige Stimme Jan van Eycks. »Bleibt nicht hier! Ihr werdet Euch noch den Tod holen!«
Sie sah ihn verstört an.
»Den Tod? … Aber Jan, ich bin tot! … Man hat mich getötet!«
»Redet keinen Unsinn! Kommt!«
Er drängte sie zum Ausgang, doch als sie in dem alten, von einer in die Mauer eingelassenen Fackel erleuchteten Kreuzgang angekommen war, schob sie die stützenden Hände von sich und lehnte sich an die Mauer. Der mit Wucht in den Durchgang fegende Wind zerzauste ihr das Haar, aber seine heftigen Stöße taten ihr gut. »Laßt mich, Jan, ich … ich muß Atem holen!«
»Atmet nur! Aber hört mich an, Cathérine … Ich ahne, wie Ihr leidet, aber ich verbiete Euch zu sagen, Ihr seid tot, Euer Leben sei beendet! Nicht alle Männer vergessen so leicht. Es gibt welche, die unvorstellbar lieben können.«
»Wenn Arnaud mich vergessen konnte, wer wird mir sonst treu bleiben?«
Ohne zu antworten, schnürte der Maler den Kragen seines Wamses auf und zog ein gefaltetes und versiegeltes Pergament heraus, das er der jungen Frau hinhielt:
»Da! Lest! … Ich glaube, die Stunde ist gekommen, meinen Auftrag zu erfüllen! Lest! Diese Fackel gibt genügend Licht … Lest! Ihr müßt! Es ist wichtig …«
Er schob das Pergament in die eisigen Hände der jungen Frau. Einen Augenblick drehte sie es hin und her. Es war mit schwarzem Wachs gesiegelt, in das ein fünffaches Lilienwappen eingedrückt war.
»Öffnet!« flüsterte Jan.
Sie gehorchte fast mechanisch, näherte die Augen dem Blatt, um die wenigen Worte der sehr kurzen Botschaft zu entziffern. Wie ein Kind buchstabierte sie:
»Die Sehnsucht nach Dir läßt mir weder Rast noch Ruh. Komm zurück, meine süße Liebe, und ich werde Dich um Verzeihung bitten! … Philippe …«
Cathérine hob den Kopf und traf auf den ängstlichen Blick des Malers. Mit leiser, inbrünstig überredender Stimme murmelte er: »Der hat Euch nicht vergessen, Cathérine … Ihr habt ihn verlassen, verhöhnt, beleidigt! Trotzdem liebt er Euch! Wenn man seinen unbändigen Stolz kennt, dann versteht man, was es ihn gekostet hat, diesen Brief zu schreiben, nicht wahr? Kommt mit mir zurück, Cathérine! Laßt mich Euch zu ihm zurückführen. Er hat Euch so viel Liebe zu geben, daß ihr Euren Schmerz vergeßt! Ihr werdet wieder Königin sein … und mehr noch! Kommt.«
Er versuchte, sie mitzuziehen, aber sie sträubte sich. Sanft schüttelte sie den Kopf: »Nein, Jan! Ich werde Königin sein, sagt Ihr, und noch mehr? Vergeßt Ihr die Herzogin?«
»Monseigneur liebt nur Euch. Nachdem die Herzogin ihm einen Sohn geschenkt hat, hat sie ihre Pflicht getan. Er verlangt nichts mehr von ihr.«
»Mein Stolz würde mehr verlangen! Was immer Messire Arnauds Fehler sind, trage ich noch seinen Namen und könnte mit diesem Namen nicht wie eine Gefangene an den Hof des Feindes gehen.«
»Ihr seid längst nicht mehr mit der Politik vertraut. Alles arrangiert sich, Cathérine. Bald werden König Karl VII. und Herzog Philippe Frieden schließen, daran zweifelt niemand!«
»Vielleicht! Aber ich habe einen Sohn. Ich muß ihn erziehen, wie es seinem Rang gebührt. Er soll seine Mutter nicht als anerkannte Mätresse Herzog Philippes sehen! Ich werde ihm diese vergoldete Schande nicht antun!«
»Ihr steht noch unter dem soeben erlittenen Schock. Schlaft erst ein wenig, Cathérine. Morgen ist wieder ein Tag, und Ihr werdet klarer sehen. Und Ihr werdet verstehen, daß Ihr es Euch schuldig seid, endlich das glänzende Leben zu führen, das Ihr zurückgewiesen habt. Ihr werdet unabhängige Ländereien besitzen, ein Fürstentum! Euer Sohn wird mächtiger sein, als Ihr es Euch jemals träumen ließet … Hört mich an! Glaubt mir: Der Herzog liebt Euch mehr denn je!«
Die junge Frau preßte beide Hände über die Ohren und schüttelte schmerzlich den Kopf.
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