»Fortunat! Ihr lebt, Gott sei's gelobt, aber wo ist Messire Arnaud?«

Instinktiv hatte sie die bittenden Hände auf des Knappen Arm gelegt, doch dieser stieß sie mit einer rohen Bewegung zurück, während ein Ausdruck teuflischer Freude das magere, bärtige Gesicht des Gaskogners verzerrte.

»Wollt Ihr das wissen? Was kann Euch das schon bedeuten?«

»Was mir … das bedeuten kann? Aber …«

»Was schiert Euch Messire Arnaud? Ihr habt ihn verraten, verlassen! Was tut Ihr hier? Hat Euer neuer Gatte, der schöne blonde Herr, Euch schon satt, daß Ihr wieder auf die Landstraßen zurückgekehrt seid, um neue Abenteuer zu suchen? In diesem Falle geschieht es Euch ganz recht!«

Ein doppelter Ausruf des Zorns erklang über Catherines Kopf, die verblüfft und verständnislos das ihr zugekehrte, von Haß verzerrte Gesicht des Gaskogners betrachtete.

Der Prior und Jan van Eyck, gleichermaßen entrüstet, protestierten bereits:

»Mein Sohn, Ihr vergeßt Euch! Was ist das für eine Sprache?« rief der eine.

»Dieser Mann ist verrückt geworden!« sagte der andere. »Ich werde dafür sorgen, daß er seine Beleidigungen zurücknimmt!«

Cathérine erhob sich rasch und hielt Jan zurück, der schon den Dolch aus dem Gürtel riß.

»Laßt das«, sagte sie fest. »Das geht nur mich an! Mischt Euch nicht ein.«

Aber der spöttische Blick Fortunats heftete sich auf den zornbleichen Maler.

»Noch ein treuer Herzensritter, wie ich sehe! Euer neuer Geliebter, Dame Cathérine?«

»Schluß jetzt mit den Beleidigungen!« sagte sie schroff. »Mein Vater und Ihr, Messire van Eyck, wolltet Euch bitte zurückziehen. Ich wiederhole, dies betrifft allein mich!«

Des in ihr aufsteigenden Zorns wurde sie durch Willensanstrengung Herr. Um sie rotteten sich die Pilger, die Französisch verstanden, zusammen, doch der Prior tat alles, sie zu entfernen. Sie wandte sich zur Bahre zurück, blieb vor dem ausgestreckten Mann stehen und kreuzte die Arme:

»Ihr haßt mich also, Fortunat? Das ist aber neu.«

»Meint Ihr?« fragte er, ihr einen bösen Blick zuwerfend. »Für mich ist das keine Neuigkeit! Schon seit vielen Monaten hasse ich Euch! Seit dem verfluchten Tag, an dem Ihr Euren Gatten, den Ihr zu lieben vorgabt, mit dem Mönch habt ziehen lassen!«

»Ich habe seinen Befehlen gehorcht! Er wollte es so!«

»Wenn Ihr ihn geliebt hättet, hättet Ihr ihn mit Gewalt zurückgehalten! Wenn Ihr ihn geliebt hättet, hättet Ihr ihn in ein einsam liegendes Gehöft gebracht, hättet ihn gepflegt und wäret an seiner Krankheit gestorben …«

»Abgesehen davon, daß ich Euch nicht das Recht zugestehe, über mein Verhalten zu urteilen, sei Gott mein Zeuge, daß ich, hatte ich nach meinem Belieben handeln können, nichts sehnlicher gewünscht hätte! Aber ich habe einen Sohn! Und sein Vater verlangte, daß ich mich ihm widme!«

»Vielleicht. Aber in diesem Fall hättet Ihr nicht zum Hof zu reisen brauchen. Oder seid Ihr auch in Ausführung der Befehle Eures Gatten in die tröstlichen Arme des Herrn de Brézé geeilt, den Ihr schicktet, um Dame Isabelle das Herz zu brechen … und das Messire Arnauds, und den Ihr schließlich geheiratet habt?«

»Das stimmt nicht! Ich bin nach wie vor die Dame de Montsalvy und verbiete jedem, daran zu zweifeln, daß Messire de Brézé seine Wünsche mit der Wirklichkeit verwechselte. Habt Ihr mir noch etwas vorzuwerfen?«

Ohne daß die beiden Gegner es gewahr wurden, hatten sich ihre Stimmen gehoben, und ihre Auseinandersetzung nahm die Heftigkeit und Schärfe eines Wortstreits an. Als der Prior sah, daß alle Köpfe Cathérine zugewandt waren, wollte er einschreiten.

»Meine Tochter! Vielleicht zieht Ihr es vor, diesen Streit in Ruhe auszutragen! Ich werde Euch in den Stiftssaal führen lassen, Euch und diesen Mann …«

Aber sie lehnte mit einer stolzen Geste ab.

»Unnütz, mein Vater! Was ich zu sagen habe, kann alle Welt hören, denn ich habe mir nichts vorzuwerfen! Also, Fortunat«, begann sie wieder, »ich warte! Was habt Ihr noch zu sagen?«

Tonlos, aber mit einem Ausdruck angestauten Hasses zischte der Knappe Arnauds:

»Was er alles Euretwegen ertragen hat! Wißt Ihr denn, daß es ein einziger Leidensweg für ihn war seit dem Tage, an dem Ihr ihn zurückgewiesen habt? Diese Tage ohne Hoffnung, diese Nächte ohne ein Lächeln, mit dem schrecklichen Gedanken, daß er ein lebender Toter sei! Ich weiß es, weil ich ihn liebte! All die Wochen suchte ich ihn. Er war mein Herr, der beste, tapferste und treueste der Ritter!«

»Wer sagt etwas anderes? Glaubt Ihr, Ihr könnt mich die Tugenden des Mannes lehren, den ich liebe?«

»Den Ihr liebt?« entgegnete Fortunat höhnisch. »Unter anderen! Ich habe ihn geliebt, mit Ergebenheit, mit Achtung, mit allem, was gut in mir ist!«

»Ich liebe ihn also nicht? Weshalb bin ich denn hier? Habt Ihr noch nicht begriffen, daß ich ihn suche?«

»Ihr sucht ihn?«

Jäh unterbrach sich Fortunat. Er maß Cathérine mit boshafter Freude und brach plötzlich in Lachen aus, in ein verächtliches, wildes Lachen, das der jungen Frau mehr noch als seine Beleidigungen den ganzen Haß, den der Gaskogner für sie empfand, verriet.

»Na gut, sucht nur, schöne Dame! Für Euch ist er verloren … verloren für immer! Versteht Ihr? Verloren!«

Er hatte das Wort hinausgeschrien, als fürchtete er, Cathérine habe dessen ganze verzweifelte Tragweite nicht erfaßt. Aber es war unnötig. Cathérine hatte verstanden. Sie wankte unter der Brutalität des Schlages, fand indessen genug Kraft, die Hand Jans zurückzuweisen, der sie stützen wollte.

»Er … ist tot!« sagte sie mit gebrochener Stimme.

Doch wieder brach Fortunat in Gelächter aus:

»Tot? Nie im Leben! Aber glücklich, von Euch befreit, geheilt …«

»Geheilt? Mein Gott! Der heilige Jakob hat ein Wunder getan!«

Jetzt hatte sie das Wort hinausgestoßen, mit einer Inbrunst, die der Gaskogner jedoch umgehend zerstörte. Er zuckte unehrerbietig mit den Schultern, was beim Prior ein Stirnrunzeln hervorrief.

»Es hat kein Wunder gegeben, und wenn ich den heiligen Herrn Jakob auch verehre, so muß ich doch bestätigen, daß er Messire Arnauds Gebete nicht erhört hat. Warum sollte er auch, nebenbei bemerkt? Messire Arnaud war nicht leprakrank!«

»Nicht … leprakrank?« stammelte Cathérine. »Aber …«

»Ihr habt Euch geirrt, wie übrigens jedermann … Das kann Euch niemand zum Vorwurf machen. Als wir Compostela verließen, hielt Messire Arnaud sich noch immer für leprakrank. Er war entsetzlich enttäuscht … verzweifelt … Er wollte sterben, aber er wollte nicht für nichts sterben. ›Die Mauren haben immer noch das Königreich Granada in Besitz, und die Ritter von Kastilien stehen in dauerndem Kampf mit ihnen‹, hat er zu mir gesagt. ›Dorthin werde ich reiten! Gott, der mir die Heilung verweigerte, wird mir wenigstens die Gunst erweisen, im Kampf gegen die Ungläubigen zu fallen!‹ Also sind wir nach Süden aufgebrochen. Wir haben die Berge, die ausgetrockneten, wüsten Ländereien durchquert und kamen in eine Stadt namens Toledo … Und dort hat sich alles geändert!«

Er nahm sich Zeit, als versuchte er, eine besonders angenehme Erinnerung genauestens wiederzugeben. Sein entzücktes Lächeln steigerte Catherines nervöse Bangigkeit bis zum äußersten.

»Was alles?« fragte sie barsch. »Los! Sprich!«

»Das möchtet Ihr so schnell wie möglich wissen, was? Trotzdem wär's besser, ich schwör's Euch, wenn Ihr es nicht so eilig hättet. Tatsächlich … aber ich möchte Euch auch gern so schnell wie möglich besiegt sehen. Also hört zu: Als wir in dieser Stadt auf dem Hügel ankamen, trafen wir auf das Gefolge eines Botschafters des Königs von Granada, Gesandten bei König Johannes von Kastilien, der sich in sein Land zurückbegab …«

»Mein Gott! Mein Gatte ist in die Hände der Ungläubigen gefallen! Und du wagst es, dich darüber zu freuen?«

»Es gibt verschiedene Arten, in jemandes Hände zu fallen«, bemerkte Fortunat hinterlistig. »Diejenige, die Messire Arnaud zustieß, hatte jedenfalls nichts Unangenehmes an sich …« Jäh setzte der Gaskogner sich auf, warf Cathérine einen flammenden Blick zu und fuhr mit triumphierendem Unterton fort: »Der Botschafter war eine Frau, Dame Cathérine, eine Prinzessin, die Schwester des Königs von Granada … und sie ist schöner als der Tag! Noch nie haben meine Augen ein blendenderes Geschöpf gesehen! Übrigens, auch Messire Arnauds Augen nicht!«

»Was willst du damit sagen? Erkläre dich!« befahl Cathérine, deren Mund plötzlich trocken wurde.

»Versteht Ihr nicht? Warum sollte Messire Arnaud die Liebe der schönsten aller Prinzessinnen zurückweisen, wenn seine eigene Frau ihn wegen eines anderen verlassen hatte? Er war frei, denke ich mir, frei, um so mehr, als die Dankbarkeit sich zur Bewunderung gesellte.«

»Die Dankbarkeit?«

»Es hat den maurischen Arzt der Prinzessin drei Tage gekostet, Messire Arnaud zu heilen! Er hatte nicht Lepra, wie ich Euch schon sagte, sondern eine andere Krankheit, durchaus heilbar, deren barbarischen Namen ich vergessen habe! Es stimmt zwar, daß sie dieser schrecklichen Geißel ähnelt … Aber jetzt ist Messire Arnaud geheilt, glücklich … und Ihr habt ihn für immer verloren!«

Es folgte Stille, eine schreckliche, tiefe Stille, als versuchten alle diese Leute, von denen der größte Teil sie nicht kannte, Catherines Herz schlagen zu hören … Sie hatte sich nicht gerührt, hatte kein Wort gesagt … Sie spürte, wie das Leid, die Eifersucht sich langsam, heimtückisch in ihre Seele schlichen … Sie hatte das Gefühl, in einem Alptraum befangen zu sein, aus dem sie nicht erwachen zu können schien. Ein Bild nahm in ihrer Phantasie Gestalt an, ein unerträgliches Bild: Arnaud in den Armen einer anderen Frau! … Am liebsten hätte sie laut aufgeschrieen, hätte gebrüllt, um den gräßlichen Schmerz der Eifersucht, der sie durchfuhr, zu lindern. Wie ein gesundes Tier, das eine Krankheit befällt, wurde sie durch diesen neuen Schmerz entwaffnet. Sie fühlte sich versucht, die Augen zu schließen, aber der Stolz hielt sie zurück. Sie warf dem Gaskogner einen scharfen Blick zu und sagte grollend: »Du lügst! … Wie kannst du annehmen, daß ich dir glaube? Mein Gatte ist ein Christ, ein Ritter … Niemals würde er seinem Glauben, seinem Land, seinem König für eine Ungläubige untreu werden! Und ich bin so dumm, dir zuzuhören, du gemeiner Lügner!«